Donnerstag, 31. Dezember 2015

Predigt am 31. Dezember 2015 (Altjahrsabend)

Ist Gott für uns, weg kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind wie Schlachtschafe.“ Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Römer 8, 31b-39

Das Jahr 2015 ist vorüber.
Von Anfang an hatte ich das Gefühl:
Es wird kein gutes Jahr.
Zu viele offene Probleme, zu viele Sorgen und Ängste hatten wir mitgenommen ins damals neue Jahr.
Und zu wenig Hoffnung.
Muss ich von den politischen Entwicklungen in diesem Jahr erzählen?
Von Terroristen und denen, die von ihnen umgebracht wurden?
Von Flüchtlingen und denen, die sie nicht aufnehmen wollten?
Von Politikern, die sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt haben?
Von Demonstranten, die Politiker am Galgen sehen wollten?
Und von anderen Demonstranten, die halbe Stadtviertel verwüstet haben?
Von Journalisten, die das eine in Kommentaren aufgeblasen und das andere in den Kurznachrichten versteckt haben?
Von denen, die dazu „Lügenpresse“ sagen und gleichzeitig den größten Unfug aus den Schmuddelecken des Internets verbreiten?
Sollte ich die Namen von Staaten nennen, die uns Sorgen gemacht haben?
Es werden viele: Syrien, Irak, Iran, Türkei, Afghanistan, Pakistan, Israel, Ukraine, Russland, Griechenland, Ungarn, Polen, Schweden, Frankreich, Belgien, Österreich, Deutschland …
Zu jedem könnten wir lange Geschichten erzählen. Und vollständig ist die Liste noch lange nicht.
Muss ich von uns persönlich sprechen?
Von denen, die wir verloren haben und vermissen?
Von denen, denen es heute schlechter geht als vor einem Jahr?
Von denen, die zu uns gehört haben und nicht wieder kommen werden?
Am Ende habe ich immer noch das Gefühl:
Es war kein gutes Jahr.
Aber Gefühle können trügen.
Vor ein paar Tagen habe ich etwas gelesen, was ich auf den ersten Blick für unglaublich hielt:
2015 war das beste Jahr der Weltgeschichte für den durchschnittlichen Menschen auf der Erde (http://www.theatlantic.com/international/archive/2015/12/good-news-in-2015/421200/).
Unglaublich?
Aber wenn man sich die weltweite Entwicklung anschaut, dann gab es in der Tat noch nie so wenig Hunger, noch nie so wenig Krankheit, noch nie so wenig Armut, noch nie so wenig Analphabetismus, noch nie so eine geringe Kindersterblichkeit, noch nie so eine hohe Lebenserwartung, noch nie so viel Demokratie und Toleranz auf der Welt wie heute.
Daran können auch die wenigen Wahnsinnigen dieser Welt nichts ändern.
Auf der anderen Seite: Auch dass es weltweit aufwärts geht, ändert nichts daran, dass es für einzelne abwärts geht.
Dass weniger Kinder sterben, macht es für die nicht besser, die sterben.
Dass in manchen Regionen friedlicher wird, macht es für die Menschen in den Kriegsgebieten nicht besser.
Dass viele länger leben, macht es für uns nicht leichter, wenn einer zu früh gehen muss.
Oder um das Problem für manche bei uns in Deutschland und Europa auf den Punkt zu bringen: Dass es den Millionen Flüchtlingen hier besser geht, macht es für uns nicht einfacher, wenn sie unsere bisherige Art zu leben infragestellen.
Die Rechnung geht nicht so einfach auf:
Alles wird besser? - Nein, sicher nicht.
Alles wird schlechter? – Auch das stimmt nicht.
Alles wird anders.
Das ist wohl richtig.
Das Leben ist Veränderung.
Wenn sich nichts mehr ändert, dann sind wir tot.
Das Leben ist Veränderung.
Nichts bleibt, wie es ist.
Unser Problem: Wenn wir das, wie es ist, gut finden, dann fällt es uns schwer, uns auf Veränderungen einzustellen.
*
Der Apostel Paulus spricht von dem, was sich niemals ändern wird:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?
Gott beschenkt uns: mit seinem Leben und seinem Geist. – Wer kann uns das nehmen?
Gott hat uns auserwählt. – Wer will uns hindern, das Ziel unseres Lebens zu erreichen?
Gott macht uns gerecht. – Wer will uns schlecht machen?
Gott liebt uns. Wer will uns von seiner Liebe trennen?
Das war vor 2.000 Jahren so, das ist heute so, und das wird auch in 2.000 Jahren nicht anders sein:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?
Es ist eine rhetorische Frage.
Manchmal meinen wir: Die Zeit arbeitet gegen uns.
Irgendwann haben wir verloren gegen die Zeit.
Aber was ist die Zeit, wenn der ewige Gott für uns ist?
Manchmal meinen wir: Die Mächte dieser Welt arbeiten gegen uns.
Aber was sind die Mächte dieser Welt, wenn der allmächtige Gott für uns ist?
Manchmal meinen wir: Die Mächte des Himmels sind uns nicht wohlgesonnen und die Mächte der Hölle gewinnen die Oberhand.
Aber was sind alle Mächte und Gewalten, wenn der Herr der Heerscharen auf unserer Seite steht?
Manchmal meinen wir: Wir sind ganz oben, alles ist perfekt.
Aber was bedeutet das schon, wenn wir Gott über uns haben?
Manchmal meinen wir: Wir wären ganz unten, am Boden, oder schon so gut wie begraben.
Aber was heißt das schon, wenn wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand?
Am Ende bin ich noch immer bei dir, weiß der Psalmbeter.
Und der Apostel Paulus ist gewiss,
dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ich bin dessen auch gewiss.
Dass Gott uns liebt – das wird sich niemals ändern.

In dieser Gewissheit gehe ich heute zuversichtlicher ins neue Jahr, als ich ins vergangene gegangen bin.
Vieles wird sich ändern.
Manches zum Schlechten.
Manches zum Guten.
Aber das eine wird sich nicht ändern:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?


Freitag, 25. Dezember 2015

Predigt am 25. Dezember 2015 (Christfest)

Geringfügig überarbeitete Neufassung einer Weihnachtspredigt von 2009

Liebe Schwestern und Brüder,
als die Hirten wieder umkehren, Gott loben und preisen und das Wort ausbreiten, das zu ihnen gesagt war, da ist für sie eines ganz klar: Der Kleine, den sie da gesehen haben, ist der Allergrößte! Es gibt nichts Wunderbareres als dieses Kind in der Krippe.
Ein Kind ist ja sowieso schon ein Wunder.
Der alte Hirte denkt daran, wie seine Frau damals das erste Kind geboren hatte. Erschöpft war sie und glücklich. Und er unbeholfen an ihrer Seite auch. Vorsichtig hatte er es in die Hand genommen und dann doch wieder ganz schnell seiner Frau an die Brust gelegt. Die war nun schon viele Jahre tot. Und das Kind war groß geworden, seiner eigenen Wege gegangen. Oft sahen sie sich nicht, und wenn sie sich sahen, waren sie einander fremd und verstanden einander kaum noch. – Aber dieser Augenblick der Geburt damals, das war schon groß! – Daran muss er jetzt wieder denken, als er diesen Kleinen im Stall gesehen hat. Ein Kind ist ein Wunder: Ein Mensch, ganz und gar und eindeutig, und unverwechselbar. Und doch noch völlig unfertig. Offen für Neues. Offen für Wunder. Möge dieses Kind leben, möge es die Welt prägen und verändern!
Denn es ist ja doch ein besonderes Kind.
Der junge Hirte kann nicht aufhören, darüber zu reden, was sie da draußen bei den Schafen erlebt haben in dieser Nacht. Auch wenn die Worte es ja kaum beschreiben können: ein Licht, oder war es ein Stern? Eine Stimme vom Himmel, oder war es eine Stimme im Herzen? Aber jeder von ihnen hat etwas gesehen und etwas gehört: Fürchtet euch nicht! – So pflegt der Engel des Herrn zu sprechen. Große Freude! Der Retter ist geboren, der Messias – Bethlehem ... Und dann, als ob es den Himmel aufreißt: Licht, das die Sterne überstrahlt, Engel, himmlische Heerscharen und Klang, Musik, Lobgesang, wie noch kein Mensch ihn gehört hat: eine himmlische Feuerwerksmusik und tausendmal gewaltiger: Ehre sei Gott in der Höhe ... – Und dieser ganze gigantische himmlische Aufwand wegen eines kleinen Babys. Was für ein Kind! Es muss ja größer, bedeutender sein als all die Engelscharen zusammen, wenn die doch zu seiner Ehre aufmarschieren!
Ja, dieser Kleine ist der Größte!
Gottes Kind – Gott als Kind!
Dass Gott ausgerechnet uns zu diesem Kind gerufen hat, wundert sich der dritte Hirte.
Es ist, als ob wir gar nicht Hirten wären, sondern selber nur Schafe. Ein größerer Hirte führt uns. Wie so eine saftig-grüne Wiese, wie eine frische Quelle war für uns diese Begegnung mit dem Kind im Stall. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. König David hatte es schon so empfunden und gedichtet. Er, der selber Hirte gewesen war, der als König zum Hirten über ein ganzes Volk gesetzt worden war, er wusste sich doch von einem größeren Hirten behütet und geführt. Gott, der gute Hirte. Noch nie war ihm das so deutlich gewesen wie im Angesicht dieses Kindes. So viele Fragen waren doch eigentlich offen in seinem Leben: Es hatte ihn hierher verschlagen, unter die Hirten. Sein Traumberuf war das nicht gewesen. Manchmal träumte er von einem anderen Leben. Mit eigenem Haus und Hof, mit Familie, mit Zeit zum Nachdenken und auch mit mehr Zeit für Gott. Würde es noch mal was anderes geben? Einen neuen Anfang in der Mitte des Lebens? - Jetzt verspürte er großen Frieden: Der Herr ist mein Hirte. Er hat mich bis hierher geführt. Ich verstehe nicht alles. Aber auch wenn ich durchs finstre Tal gehe, der Zweifel, der Angst, der Unzufriedenheit: du Gott bist bei mir. Du tröstest mich. Du gibst meinem Leben Sinn und Erfüllung. Alles wird gut. Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
*
Als die Weisen wieder auf dem Heimweg sind in die Länder des Ostens, da ist für sie eines ganz klar: Der Kleine, den sie da gesehen haben, ist der Allergrößte!
Sie waren so weise, so religiös, so mächtig, und dieses Kind hat das alles überboten und in den Schatten gestellt.
Da ist der Religiöse. Er wollte so gerne glauben: dass unser aller Schicksal in den Sternen steht, alles vorherbestimmt. Es ist doch alles Natur, das Universum: Alles hängt mit allem zusammen, und alles ist im Grunde Gott: ewig und unveränderlich und heilig. Der Kreislauf des immer Gleichen. Wir Menschen müssen uns nur einfühlen in die Natur: laufen mit dem Gang der Gestirne, uns einfühlen in das Große und Ganze, unseren Platz im Universum einnehmen.
Und dann war da dieser Stern. Ein neuer Stern. Unerwartet, anders. Die Ankündigung, dass Neues geschieht, dass sich die Natur nicht ewig unveränderlich im Kreise dreht. Und dieses Neue ist ein Kind – geboren im Land der Juden. Ein neuer König. Er bringt ein neues Zeitalter.
Und als sie ihn endlich, nach langer Reise und Umwegen gefunden haben, da ist dieser neu geborene König ein armes Kind. Es ist alles anders. Die ewige Ordnung ist auf den Kopf gestellt. Der Arme ist der Reichste. Der Kleine ist der Größte. Und er fügt sich nicht in den Gang der Natur und den Kreislauf des immer Gleichen: Die Natur fügt sich ihm. Ein neuer Stern geht auf. Himmel und Erde dienen ihm. Es geschieht Neues unter der Sonne. Gott greift ein.
Der Zweite ist der Denker. Er hat alles berechnet: Der Gang der Gestirne, der Gang der Welt ist berechenbar. Er gehorcht Gesetzen. Für ihn ist die Natur nicht Gott. Für ihn steht ein Gott hinter allem, was geschieht. Der Gott der Vernunft. Wenn sich alles in geordneten Bahnen bewegt, dann muss es einen geben, der alles in Bewegung gesetzt hat, einen unbewegter Beweger, den großen Weltenuhrmacher, den Programmierer, den Architekten der Matrix. Alles was wirklich ist, ist vernünftig – Teil seiner großen Konstruktion oder seines Computerprogramms, das nun abläuft. Alles berechenbar. – Der Stern erschien für ihn völlig außerhalb aller Berechnungen. Und brachte so auch sein eigenes durchgeplantes Leben durcheinander. Hatte der vollkommene Gott doch einen Fehler in die Welt hineinprogrammiert? Oder pfuschte er gerade selber im Programmcode herum? – Ein neuer Stern, ein neuer König: Und Gott greift ein. – All das liegt außerhalb der Logik. Und dann dieses Kind, dieser Mensch, sein Blick, sein Lächeln, sein Weinen. So ein Kind führt die kalte Logik ad absurdum. Da läuft nicht alles nach den Vorschriften der Vernunft. Bei einem Kind ist alles möglich. Möglich, dass es die Welt verändert. Möglich, dass es mehr gibt als die kalte Vernunft. Möglich, dass die Liebe eine Chance hat.
Der Dritte ist der Politiker – wir sprechen ja von den drei Königen. Er weiß, was Macht bedeutet. Und wenn da die Geburt eines mächtigen Herrschers angekündigt ist, dann muss er wissen, was es damit auf sich hat, muss sich darauf einstellen. Lässt der neue König sich einbeziehen in die eigenen Pläne? Kann man ihn ausnutzen, sich ihn dienstbar machen? Oder ist er mächtiger? Muss man sich mit ihm gut stellen? Wie ist es um die Macht des neuen Königs bestellt?
Und dann finden sie den König, der nicht im Palast geboren wurde, sondern im Stall. Der nichts Königliches an sich hat außer einem Stammbaum, der auf ein altes Königsgeschlecht verweist. Doch selbst der ist fragwürdig. Es gibt das Gerücht, dass der Vater aus dem Geschlecht Davids gar nicht der Vater ist ... Dieses Kind ist eigentlich der Inbegriff der Ohnmacht. Und doch haben sie erlebt, wie ein Mächtiger, der König Herodes, vor ihm zittert, wie er um seinen wackligen Thron fürchtet, wie er diesem eigentlich so ohnmächtigen Kind nach dem Leben trachtet. Was für eine Macht ist da eigentlich im Spiel? – Die Macht dessen, den wir allmächtig nennen. Mag sein, dass dieses Kind die Welt verändert. Dass dieser Kleine doch der Größte ist: mächtig in seiner kindlichen Ohnmacht.
*
Als Maria und Josef wieder allein bei ihrem Kind sind, da ist für sie ganz klar: Ihr Kleiner, das ist der Größte! Das ist für Eltern zwar sowieso immer klar. Aber da ist noch viel mehr.
Josef staunt, wie dieses Kind schon jetzt sein Leben verändert hat. Vor einem dreiviertel Jahr noch jung verlobt. Für die Heirat, und das hieß auch für Kinder, fehlten noch die notwendigen Mittel. Und dann das: Maria, seine Verlobte, schwanger. Und er war‘s nicht. Und doch bleibt er bei ihr. Nimmt sie zu sich. Gibt sich als Vater aus. Weil er so verrückt ist, ihr zu vertrauen und dem Traum von einem Engel. Dann die verrückte Volkszählung, die Geburt im Stall, und nun geht es gleich weiter – nicht nach Hause, sondern ins Exil: Ägypten. Auf einmal ist er, der sich nie mit den Mächtigen angelegt hat, ein politisch Verfolgter. Dieses Kind hat sein Leben verändert. Ob zum Guten oder Schlechten – das weiß er noch nicht. Alles ist offen. – Aber da waren Hirten und fremde, reiche, gebildete Ausländer, die von Engeln und Sternerscheinungen sprachen. Und da war vor allem eine ganz große Wärme in seinem Herzen, die er verspürte – am stärksten, wenn er das Kind ansah oder gar auf seinen Arm nahm. In diesen Momenten war er sich ganz sicher: Dieses Kind ist Gottes Geschenk. Der Kleine ist der Größte!
Und Maria? – Sie erlebt es wohl am allertiefsten: Mutterglück und Mutterangst ganz dicht beieinander. Das Wunder des Lebens ist unter ihrem Herzen gewachsen. Aus ihrem Schoß geboren. Es hat sie ganz und gar in Anspruch genommen, und wird sie in Anspruch nehmen mit allem Glück und allem Schmerz, den eine Mutter erleben kann. Dazu hat sie Ja gesagt. Maria weiß am allerbesten, dass dieses Menschenkind Gottes Kind ist. Und darum weiß sie am allergewissesten, dass mit diesem Kind alles gut wird. Ihr Kleiner ist der Größte.
*
Unendlich viel mehr Menschen haben das seither herausgefunden. Der Schreiber des Hebräerbriefs hat es in ganz andere Worte gefasst, in die Sprache hoher Theologie. Und doch sagen auch seine Worte nichts anderes aus als dies, was Hirten und Weise, Maria und Josef, was auch wir zu Weihnachten erfahren: Das Kind von Bethlehem ist Gottes Sohn. Der Kleine ist der Größte. Jesus ist der Herr:
Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. (Hebräer 1, 1-3)

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 25. Dezember 2015

Ich wünsche ihnen einen wunderbaren Weihnachtstag, liebe Hörer!

Waren Sie gestern eigentlich in der Kirche? (Wenn nicht, auch nicht schlimm.) Wenn ja, haben Sie zum was-weiß-ich-wievielten Mal die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium gehört: Maria und Josef, Kind in der Krippe, Hirten und Engel, Sie wissen schon.

Sind Sie dabei schon mal über diesen Satz gestolpert: Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde? Die Hirten bei den Hürden. Haben Sie sich schon mal gefragt, was diese Hürden eigentlich sind?

Vom Sport her, aus der Leichtathletik kennen Sie sicher Hürden als Hindernisse, die die Läufer überspringen müssen. So ähnliche Hindernisse hatten Hirten früher auch: Transportable Zäune, um zum Beispiel bei Nacht die Schafe einpferchen zu können. Sie können nicht über die Hürden hinweg. Und umgekehrt kommen gefährliche Raubtiere so nicht so leicht heran an die Schafe.

Witzigerweise hat Luther in seiner Bibelübersetzung diese Hürden erst dazu erfunden. So hat er sich das vorgestellt. Im griechischen Originaltext steht davon nichts.

Aber die Hürden sind doch ein passendes Bild. Sie sind so menschlich. Wir Menschen lieben Hürden. Wir haben Zäune, Mauern, Wände, die wir um uns aufstellen, oder hinter die wir uns zurückziehen, damit wir geschützt sind. Denn wir fürchten uns vor den unbekannten Gefahren da draußen. Und merken dabei gar nicht, dass da nicht nur Gefahren sind, sondern auch neue Chancen und eine größere Weite.

Und dann kommen die Engel. Vom Himmel hoch. Gegen Engel vom Himmel schützen unsere Hürden nicht. Gottes Licht und Gottes Wort bricht ein in die umzäunte und beschützte Hirtenwelt. Gottes Licht und Gottes Wort bricht ein in unsere enge und begrenzte Menschenwelt. Das ist Weihnachten.

Und der Engel sagt: Fürchtet euch nicht! Fürchtet euch nicht, vor dem Neuen da draußen! Fürchtet euch nicht vor dem Fremden! Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren: Ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Fürchtet euch nicht vor Gott! Er kommt als Kind.
Gott überwindet unsere Hürden und Hindernisse, kommt in unsere begrenzte Menschenwelt und nimmt uns die Furcht.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

Donnerstag, 24. Dezember 2015

Predigt am 24. Dezember 2015 (Heiligabend)

Hört Worte aus dem Brief an Titus im 2. Kapitel:
Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.
Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und formm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus. (Titus 2, 11-14)
*
Liebe weihnachtliche Festgemeinde,
es muss in meinem zweiten Dienstjahr als Pfarrer gewesen sein, da habe ich Heiligabend einen schrecklichen Fehler begangen:
In der zweiten Christvesper habe ich nicht Stille Nacht, heilige Nacht singen lassen.
Das gab Ärger mit einigen Gemeindegliedern.
Heiligabend ohne Stille Nacht – das geht einfach nicht!
Ja, ich hab’s eingesehen: Seitdem gab es bei mir keine Christvesper mehr ohne Stille Nacht, und sicher wird es auch nie wieder eine geben.
Wir haben’s eben ja auch gesungen.
Wir brauchen das für unseren weihnachtlichen Seelenhaushalt.
Warum? Was macht dieses Lied so besonders?
Es fasst das Wesentliche der Heiligen Nacht, der Weihnacht, in wenige eingängige Worte:
Drei Strophen reichen völlig aus, um alles zu sagen.
Und zu diesen Worten dann die Melodie, die sich von der Stille der heiligen Nacht hinaufschwingt zu einem großen Weihnachtsglockenklang – vor allem in der zweiten Strophe, wo es laut von fern und nah tönt: Christ der Retter ist da.
Alles Wesentliche ist gesagt und wird gesungen: die heilige Familie, das Kind in der Krippe, die Hirten und die Botschaft der Engel. Und in der dritten Strophe sind Wir dabei: Da uns schlägt die rettende Stund, Christ, in deiner Geburt.
*
Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten, schreibt der Apostel.
Christ der Retter ist da, sagen die Engel.
Hören die Hirten.
Singen wir.
Ja, sind wir denn noch zu retten?
Manchmal kommen uns Zweifel.
Dieser Wahnsinn!
Terror, Krieg, Flüchtlingselend.
Rette sich wer kann!
Und wir versuchen zu retten, was zu retten ist.
Wir versuchen zu retten, wen wir retten können.
Vielleicht ist gerade das das Christliche am Abendland: Menschen retten, die in Not sind.
Menschen helfen, die Hilfe brauchen, ohne Ansehen der Person.
Vielleicht ist das aber zugleich auch der Untergang des Abendlandes, befürchten manche: Wenn wir unter den Opfern des Terrors auch unerkannt die Täter willkommen heißen, die Wahnsinnigen, die Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Toleranz als Schwäche deuten und bekämpfen.
Wenn wir Freund und Feind nicht mehr unterscheiden. Wenn wir uns dort in Syrien in den Krieg einmischen. Und die syrischen Krieger sich unter uns mischen.
Vielleicht ist aber auch das der Untergang des Abendlandes, wenn seine Verteidiger selber zu Terroristen werden.
Wer Flüchtlingsheime anzündet oder Busse mit Menschen darin angreift, ist auch nur ein Terrorist.
Ja, sind wir denn noch zu retten?
Christ der Retter ist da, singen wir.
Glauben wir es auch?
Jedenfalls glaubt Gott es.
Er glaubt, dass wir noch zu retten sind.
Sonst wäre Christus nicht geboren.
Gott glaubt an uns.
Das Kind in der Krippe ist das Zeichen dafür.
Gott hat uns nicht aufgegeben.
Christ der Retter ist da.
*
Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten, schreibt der Apostel.
Gnade heißt: Dir ist das Leben geschenkt.
Einer wurde verurteilt – und dann begnadigt:
Ihm wurde das Leben geschenkt, das Leben in Freiheit.
Ein Kind ist geboren.
Ihm wurde das Leben geschenkt.
Von seinen Eltern.
Aber letztlich von Gott.
Denn Leben können wir nicht machen.
Wir können es nur bewahren, behüten, das Leben leben lassen.
Dass wir leben, dass wir behütet leben, dass wir in Freiheit leben – das ist Gnade.
Einem Kind wurde das Leben geschenkt.
Es ist das Kind, das uns das Leben schenkt.
Gott wird Mensch, Gott wird Kind.
Der gottlose Mensch wurde begnadigt.
Christus ist gekommen, um ihm das Leben zu schenken.
Christ, der Retter ist da.
*
Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten, schreibt der Apostel.
Und weiter:
Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben.
Gottes Gnade erzieht uns.
Sie nimmt uns in Zucht, übersetzte Luther.
Das befremdet.
Weil es auch nach Züchtigung klingt.
Zucht oder Erziehung kommt aber von Ziehen.
Und Gott zieht uns nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe.
Seht ihr, wie es die Menschen zur Krippe hin zieht?
Die Hirten damals.
Und euch heute, die ihr es nicht lassen könnt, Weihnachten in die Kirche zu kommen.
Niemand hat euch gezwungen.
Das Kind in der Krippe zieht von selber – immer noch.
Die Hirten sind anders von der Krippe weggegangen, als sie hingekommen waren. Ihr Herz war voller Freude, und ihr Mund ging über von dem, wovon ihr Herz erfüllt war.
Und auch ihr werdet anders von hier weggehen, als ihr gekommen seid. In eurem Herzen wird etwas klingen und schwingen von Stille Nacht und O du fröhliche.
So erzieht uns Gottes Gnade:
Sie verändert uns – zum Guten.
Durch das Kind in der Krippe.
Wer von Herzen Stille Nacht, heilige Nacht singt, der kann nicht gottlos sein, der kann seinem Mitmenschen nichts Böses tun.
Wer staunend erkennt, dass Gott das Leben schenkt, der wird auch anderen das Leben gönnen.

Ja, wir sind noch zu retten.
Denn: Christ, der Retter ist da.