Sonntag, 19. Mai 2013

Predigt am 19. Mai 2013 (Pfingstsonntag)

Mose hörte das Volk weinen, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes. Da entbrannte der Zorn des HERRN sehr. Und auch Mose verdross es. Und Mose sprach zu dem HERRN: „Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: ‚Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast‘? Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: ‚Gib uns Fleisch zu essen.‘ Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.“
Und der HERR sprach zu Mose: „Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volkes tragen und du nicht allein tragen musst.“

Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
4. Mose (Numeri) 11, 10-17.24-25


Liebe Schwestern und Brüder,

letzte Woche habe ich vom Fest Christi Himmelfahrt gesprochen und überhaupt vom Himmel gesagt, dass er es schwer hat bei uns. Dasselbe könnte ich über Pfingsten und den Heiligen Geist sagen. Auch er hat’s nicht leicht, der Heilige Geist. Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde? – Ok, von nichts wird nichts, und dass da einer vor und über allem ist – ja, das ist schon nachvollziehbar, wenn auch schwer vorstellbar (aber dafür sind wir ja auch nur kleine Menschen). Und Jesus Christus, Gottes Sohn? – Ja, der hat ja wirklich auf der Erde gelebt, vorbildlich und opferbereit. Und dass er auferstanden ist, das mögen wir auch glauben, denn wieso sollte denn mit dem Tod alles aus sein? Also … – Aber der Heilige Geist? Was ist das? Eine Person, ein Gespenst, eine Energie? Oder so etwas wie heiße Luft? Von Feuerflammen und Sturmesbrausen haben wir in der Pfingstgeschichte (Epistel: Apostelgeschichte 2, 1-18) gehört. Er weht, wo er will, heißt es (Johannes 3, 8). – Vielleicht ist er zu luftig, zu leicht für uns; und darum hat er’s nicht leicht. Wir bekommen ihn nicht zu fassen. Wir wollen lieber was Schweres, woran man sich festhalten kann. Am Heiligen Geist kann man sich bestimmt nicht festhalten. Und ihn selber können wir auch nicht festhalten.

„Wir leben in Zeiten ohne jede Transzendenz im Diesseitsreich der unbegrenzten wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten“, hat Matthias Matussek mit Blick auf die schlagzeilen- und talkshowträchtige Brustamputation von Angelina Jolie vor ein paar Tagen geschrieben. Ein gefährliches Krankheitsrisiko beseitigen und dabei Schönheit und ewige Jugend erhalten – das sind unsere irdischen Ideale – keine Transzendenz, kein Himmel. Das führe zu hedonistischem Stress, schreibt Matussek. „Das Leben als letzte Gelegenheit“ hieß dazu passend schon in den lange vergangenen Neunzigern ein auflagenstarker Buchtitel.

Beim Heiligen Geist bekommen wir es mit der Transzendenz zu tun. Mit dem, was mehr ist als dieses Leben mit seinem planbaren Glück und kalkulierten Risiko. Der Heilige Geist bläst fröhlich hinein in unsere gesicherten Verhältnisse und bringt sie zum Tanzen. Manchmal bringt er auch uns zum Singen und zum Tanzen. – Ja, ich glaube, schon wenn wir mit unserem Chörchen laut und ergriffen Halleluja singen, dann hat das was mit Gottes Geist zu tun.

Aber wir tun uns schwer. Ein kleiner Kirchentanz am Ostersonntag ist uns schon nicht ganz leicht gefallen. Ok, manche können nicht mehr so gut. Aber manche von uns waren auch irgendwie zu erdenschwer, um sich vom Heiligen Geist mitreißen zu lassen.

Seit Jahrzehnten erleben wir weltweit die größte Wachstumsbewegung des Christentums dort, wo der Heilige Geist eine Hauptrolle spielen darf: in den Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinden in Afrika und Lateinamerika. Da ist Bewegung, Begeisterung, Ekstase. Da wird gesungen und getanzt, in Zungen geredet und in prophetischen Worten, da wird für Kranke gebetet und sie werden geheilt. – Da kommt der Himmel auf die Erde und der sonst so transzendente Gottesgeist ist mitten im Leben zu spüren, geradezu körperlich!

Aber wir aufgeklärten – oder pseudoaufgeklärten – Europäer schauen stirnrunzelnd von Ferne, sorgen uns weiter um unseren Besitz, um unsere Gesundheit, um unsere Schönheit, suchen die begrenzte Ekstase vielleicht in Drogen, Partys und Sex. Aber hinter der Begeisterung der geistbewegten Christen vermuten wir am liebsten Geschäftemacher auf der einen und verführte Massen auf der anderen Seite. Als ob das bei unserem Konsum- und Genussverhalten anders wäre!

Ist es im Grunde genommen vielleicht einfach das, dass wir Gottes Geist nichts zutrauen? Dass wir einfach zu schwerfällig sind, um uns von ihm mitreißen zu lassen? – Der Heilige Geist hat’s wahrscheinlich wirklich nicht leicht bei uns!

Tröstlich immerhin, dass er es auch in der uralten Geschichte von Mose und den Israeliten aus der Zeit der Wüstenwanderung nicht leicht hatte.

Es ist eine jämmerliche Situation. Da sitzen sie irgendwo in der Wüste. Es geht kaum vor und nicht zurück. – Wir sind schon im vierten Buch Mose; der Aufbruch war im zweiten. Und in der hebräischen Bibel trägt das 4. Buch Mose diese jämmerliche Situation schon im Namen: In der Wüste. – Sie denken zurück an Ägypten; aber nicht daran, dass sie dort Arbeitssklaven waren, sondern daran, dass es ordentlich zu essen gab: Kürbisse und Melonen, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch, und dazu immer wieder auch Fleisch. Nur: Fleisch und frisches Gemüse für ein ganzes Flüchtlingslager in der Wüste – wo sollte das herkommen? Es gibt nur tagein, tagaus das Manna, dieses nahrhafte Tamariskenharz, das ihnen zuerst wie ein Gottesgeschenk vom Himmel vorkam; inzwischen hängt es ihnen zum Hals raus. Aber sie müssen ja froh sein, wenn sie nicht verhungern.

Und so jammern sie, jammern Mose die Ohren voll. Er ist ja ihr Anführer: der große charismatische Mose, der dem Pharao die Stirn geboten hatte, sie aus Ägypten befreit hatte, das Meer geteilt hatte, dem sie einst zugejubelt hatten – und den sie jetzt für die ganze Misere verantwortlich machen.

Und Mose jammert auch. Er jammert Gott die Ohren voll. Er hat sich diese Aufgabe, dieses Volk, diesen Gott nicht ausgesucht. Er hätte in aller Ruhe als Schafhirte und Familienvater alt werden können. Aber dann kam Gott mit seinem brennenden Dornbusch, und er konnte nicht Nein sagen. Bei Gott zogen einfach keine Ausreden. – Ja, und dann gab es diese großen Momente, wo er ganz und gar überwältigt war von Gottes Geist: damals vor dem Pharao; damals, als das Meer sich teilte; damals, als er Gott ganz nahe war auf dem Berg und gar keine Worte dafür hatte, nur diesen unglaublich strahlenden Abglanz Gottes auf seinem Gesicht! – Auch da war nicht alles leicht, aber die Begeisterung war da, das Feuer brannte. Der Heilige Geist war da.

Aber jetzt ist Mose nur noch ausgebrannt. Ich kann nicht mehr. Ich habe nicht mehr die Kraft, die gute Kindergartentante für 600.000 Leute zu spielen. – Manche sagen, dieses Zahl wäre übertrieben. Aber auch für 6.000 oder 600 hatte er keine Kraft mehr. – Ich will sterben, sagt er zu Gott, oder du zeigst mir, dass du mit deiner Gnade und mit deiner Kraft noch bei mir bist!

Eine jämmerliche Situation: Ein müder Haufen Flüchtlinge in der Wüste mit einem Anführer, der auch nichts mehr auf die Reihe bringt. – Da hat’s der Heilige Geist nicht leicht.

Aber: Der Heilige Geist wäre nicht der Heilige Geist, wenn er die fest gefahrenen Verhältnisse nicht zum Tanzen bringen könnte. Und das tut er. Er tut es, indem er sich vervielfältigt, vermehrt, multipliziert. Wenn ein geisterfüllter Charismatiker ermüdet und nicht mehr weiter kann, nun dann berufen wir eben siebzig neue, sagt Gott. Und schon sind sie gefunden, die siebzig Ältesten, die nun mit Mose zusammen einen geistlichen Leitungskreis bilden.

Die Last der Verantwortung, die Mose allein getragen hatte und die ihm zu viel war, wird jetzt auf viele Schultern verteilt. So wird sie leichter. – Der Heilige Geist hat’s nicht leicht mit uns, habe ich gesagt. Aber wir haben’s leichter mit dem Heiligen Geist. Er macht es uns leichter. Er ist der Geist der Entlastung, der Erleichterung.

Und er ist der Geist der Vielfalt. Bei siebig Leuten muss nicht einer alles machen, und es müssen auch nicht alle alles machen. Jeder kann die Aufgaben übernehmen, die ihm besonders leicht fallen. Der eine kann gut reden und überzeugen, der andere kann Streit schlichten, einer kann gut mit Geld umgehen, einer hat besonders kreative Ideen, einer kann strategisch denken und planen, einer kann gut organisieren, einer kann gut lesen, ein anderer gut schreiben, ein anderer singen … und was alles sonst so gebraucht wird. Wenn jeder das macht, was er am besten kann, dann läuft es leichter. Der Heilige Geist ist ein Geist der Vielfalt, das heißt: ein Geist der Gemeinschaft von Verschiedenen, ein Geist der Dezentralisierung, ein Geist der Subsidiarität und ein Geist der Demokratie.

Aber das ist nicht alles. Der Heilige Geist bringt nicht nur die Verhältnisse zum Tanzen, sondern auch die Menschen. Die neu mit dem Heiligen Geist begabten Ältesten geraten in Verzückung, heißt es, wie die Propheten. Sie geraten in Ekstase. Sie singen und tanzen und loben Gott in bekannten und unbekannten Worten und Sprachen. Sie kriegen sich gar nicht wieder ein.

Es ist wohl nicht viel anders als heute in manchen charismatischen Kirchen in Afrika und Lateinamerika.

Und wie ist es bei uns? – Zaghaft singen und klatschen wir schon mal im Gottesdienst. Manchmal macht uns Kirche schon fröhlich und beschwingt. Aber oftmals sind wir auch noch ziemlich jämmerliche Christen. Als ob wir in der Wüste festsitzen würden. Und vielleicht sitzen wir ja tatsächlich in einer geistlichen Wüste, erleben eine Dürrezeit. Aber wollen wir denn wirklich, dass sich was daran ändert? Vielleicht stehen wir ja selber dem Heiligen Geist im Wege herum. – Er hat’s wohl wirklich nicht leicht mit uns. Wir machen’s ihm schwer. Aber er will uns das Leben und das Glauben leicht machen.

Der Heilige Geist wäre nicht der Heilige Geist, wenn er nicht auch unsere fest gefahrenen Verhältnisse zum Tanzen bringen könnte. Und uns gleich mit.

Sonntag, 5. Mai 2013

Predigt am 5. Mai 2014 (Sonntag Rogate)

Jesus lehrte seine Jünger und sprach: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
Und wenn ihr betet sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten:
Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“
Matthäus 6, 5-15



Liebe Schwestern und Brüder,
in Hamburg war Kirchentag – bis heute morgen: Größtmögliche Öffentlichkeit für den Glauben. Größtmögliche Offenheit für alles und jedes. Markt der Möglichkeiten und der Unmöglichkeiten. Fest des Glaubens und Fest der christlichen Selbstbespiegelung: Wir zeigen uns und der Welt, wie viele wir sind. Wir zeigen, was wir auf die Beine stellen können. Wir zeigen, wie nahe wir dem Zeitgeist und dem postmodernen Lebensgefühl sind. Politiker der verschiedenen Schattierungen waren in großen Scharen präsent; immerhin sind die evangelischen Christen als Wählerklientel nicht zu vernachlässigen. Und schon immer gibt sich die Kirchentagsbewegung politisch engagiert. – Kirchentag, das ist das Gefühl von Masse, von politischer Relevanz, von Offenheit und Öffentlichkeit des Glaubens.
Ich muss gestehen: Ich war in meinem ganzen Leben nur auf zwei Kirchentagen, und die waren auch nur regional bei uns in Sachsen, und der letzte davon ist 30 Jahre her. – Inzwischen bin ich bekennender Kirchentagsmuffel. Ich mag überhaupt keine Massenveranstaltungen. Wenn wir unsere Kirche voll haben oder den Festplatz auf der Finca, dann ist das ok. In Stadien und Messehallen fühle ich mich nicht wohl.
Und mein Glaube? – Nein, der lebt nicht davon, dass ich ihn mit 100.000 anderen gemeinsam zelebriere, sondern er lebt von der Begegnung mit zwei oder drei anderen in Jesu Namen – vielleicht bei unserem Bibelgespräch – oder bei einem ganz informellen gemeinsamen Abend mit Gesprächen über Gott und die Welt – und eben nicht nur die Welt! Und mein Glaube lebt von der ganz persönlichen Zwiesprache mit Gott: wenn ich vor der aufgeschlagenen Bibel sitze oder vor der zugeschlagenen und Gott sage, was mich bewegt, und vielleicht etwas gesagt bekomme von dem, was ihn bewegt. – So viel du brauchst: das sind für mich die zwei oder drei in Jesu Namen, Bibel und Beten.
Glaube – das heißt ja Vertrauen. Ich vertraue nicht anonymen Menschenmassen. Ich vertraue nicht irgendwelchen Stars und Selbstdarstellern, die einen Kirchentag als Bühne nutzen. Ich vertraue einem Menschen, der mir in der persönlichen Begegnung vertraut wird. Und ich vertraue einem Gott, der mir persönlich begegnet. (Ja, der mir gerade als Mensch persönlich begegnet.)
Mag sein, dass andere anders empfinden, und dass sie auch von kirchlichen Massenevents Gewinn für ihren Glauben haben. – Trotzdem: das Wesentliche ist, dass der Glaube sich auch im Alltag, fern aller Events bewährt und das Leben trägt.
Wenn ich mir die Anfänge des Glaubens anschaue, wenn ich zu den Quellen gehe, zu Jesus, dann sehe ich vor allem persönliche Begegnungen und Gespräche im kleinen Kreis. Selbst die berühmte Bergpredigt ist nur an eine kleine Runde seiner Jünger gerichtet: Kirchentag mit 12 oder 20 Beteiligten und einem Prediger, den sie persönlich kennen und dem sie vertrauen.
Und worum geht es da, in der Bergpredigt? – Genau: um die jeweils einzelnen Menschen und wie sie mit Gott und ihrem Nächsten leben sollen.
Heute geht es ums Beten. Und da sagt Jesus es mit aller Deutlichkeit: Das Beten gehört nicht in die Öffentlichkeit; das Beten gehört ins Kämmerlein. Es gehört dahin, wo du mit Gott ganz allein bist!
Warum? – Weil es seinem Wesen nach Zwiesprache mit Gott ist. Das Intimste und Vertrauteste, was es gibt. In der wichtigsten Beziehung deines Lebens.
Es ist wie in einer Liebesbeziehung: Die intimsten und vertrautesten Worte reden wir nicht in der Öffentlichkeit. Die intimsten und vertrautesten Dinge tun wir im Kämmerlein. Ich muss es der Welt nicht durch öffentliches Rumknutschen beweisen, dass ich meine Frau liebe. Die Welt merkt es auch so.
Genau so ist es mit Gott. Ich muss der Welt nicht durch öffentliche Gebete und religiöse Rituale zeigen, wie fromm ich bin, aber ich brauche eine gepflegte Gottesbeziehung im stillen Kämmerlein.
In der Öffentlichkeit verkommt der Glaube leicht zur Show. Im Verborgenen, wo du mit Gott allein bist, kannst du niemandem mehr etwas vormachen. Und Gott schon am allerwenigsten. Denn er sieht ins Verborgene, gerade auch in die verborgenen Bereiche deines Herzens, und er weiß, was du ihm sagen willst, bevor du es auch nur aussprichst. Und er weiß auch, was du dich nicht mal auszusprechen traust.
Beten ist Beziehungspflege mit Gott. Genau wie wir in einer Liebesbeziehung Zeit füreinander, Zeit miteinander brauchen, genau so brauchen wir in unserer Gottesbeziehung Zeit miteinander und füreinander. Damit wir – Gott und ich – sich immer wieder aufeinander einstellen können. Gott stellt sich auf mich ein: Er hört mir zu und er spricht mir zu. Und ich stelle mich auf Gott ein: Dein Wille geschehe.
Was gehört hinein in diese Zweisamkeit mit Gott? – Alles, mein ganzes Leben eigentlich. Und doch braucht dieses Alles nicht viel: keine ausgefeilten Formulierungen, keinen endlosen Wortschwall – das alles ist beim Beten nicht wichtig.
Es ist wieder wie in einer Liebesbeziehung. Wenn wir miteinander das Leben teilen, dann müssen wir uns nicht jeden Tag unser ganzes Leben erzählen. Es genügt, wenn wir uns immer mal wieder auf den laufenden Stand bringen: „Wie geht’s dir heute, Liebste?“ Oder auch: „Was hast du eingekauft?“ oder: „Hattest du einen schönen Skatabend?“ – So sieht sie doch aus, die ganz normale Vertrautheit in einer gewachsenen Beziehung.
Es bilden sich bestimmte Rituale der Zweisamkeit heraus. So gibt es auch bestimmte Rituale des Betens. So ein Ritual des Betens, in dem ich selbstverständlich zu Hause bin, ist das Vaterunser. Was brauche ich komplizierte Worte und eigene Formulierungen, wenn ich dieses Gebet habe, in dem alles enthalten ist? Natürlich – es darf immer auch dein spezielles Anliegen, deine Sorge, deine Not oder auch dein persönlicher Dank sein, den du vor Gott aussprichst. Aber im Vaterunser ist das auch immer schon alles enthalten.
Was für ein wunderbares Gebet! Und was für eine Schlichtheit und Einfachheit, in der du Gott begegnen kannst! Keine Gebetsmühlen oder Gebetsteppiche, kein Rosenkranz und keine Kniebeugen sind nötig – nur das Gottvertrauen, das sich in den einfachen Worten Jesu ausspricht.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich bin jetzt mit Jesus und seinen Worten ganz ins Innere, in die Innerlichkeit unserer Gottesbeziehung gegangen, und ich will euch Mut machen, eure Gottesbeziehung da in der Innerlichkeit des Gebetes auch zu leben. Ich weiß aber auch, dass manche sagen werden: Das kann doch nicht alles sein! Der Glaube muss doch auch nach außen gehen, zu unseren Mitmenschen. Es reicht doch nicht, wenn es in der Beziehung zwischen Gott und mir nur Ich und Du gibt. Wo bleiben Er, Sie, Es: meine Mitmenschen und die Dinge, die in der Welt geschehen? Wo bleiben Wir, Ihr, Sie: die anderen, mit denen ich verbunden bin, oder auch entzweit?

Ja, es ist tatsächlich so: Der Glaube geht nach außen. Und genau da beginnt es, in der Innerlichkeit des Gebets. Es beginnt damit, dass ich Unser Vater bete. Das Gebet der Christen ist eben nicht das Mein Vater, sondern das Unser Vater. Wir beten es als einzelne. Aber wir beten es miteinander und füreinander. Und es ist an uns, dass wir das Unser im Beten groß machen. Unser Vater ist nicht nur der Vater meiner Familie oder meiner Freunde, oder meiner Glaubensgeschwister, mit denen ich mir einig bin. Es ist doch mindestens das Unser aller Menschen, die dieses Gebet beten. Vielleicht ist es sogar das Unser auch der Menschen, die dieses Gebet selber nicht oder noch nicht sprechen. Denn wir Menschen alle brauchen, worum wir bitten: das tägliche Brot, die Vergebung der Schuld, die Bewahrung vor dem Bösen; und wir brauchen es, dass Gottes Wille geschehe und sein Reich komme und sein Name über alle Namen sei.
Der Mitmensch ist in meinem Gebet enthalten: Indem ich Gott als unser aller Vater anspreche, mache ich mich allen anderen zum Bruder oder zur Schwester.
Und das erklärt dann auch, weshalb es Jesus so wichtig ist, gerade auf die Vergebung noch mal besonders einzugehen: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Es soll nichts zwischen Gott und mir stehen, und es soll auch nichts zwischen Gott und meinen Schwestern und Brüdern stehen, denn wir sind gemeinsam seine Kinder.
Wer so betet, der kann auch so handeln: vergebungsbereit und geschwisterlich mit den Mitmenschen. So geht der Glaube von innen nach außen. Aus meinem Kämmerlein hinaus in die Welt. Wird vom Gebet zur tätigen Liebe.
Aber er lebt von der Innerlichkeit des Gebetes, nicht von der Äußerlichkeit festiver Glaubensevents.