Montag, 28. November 2011

Predigt am 27. November 2011 (1. Advent)

Überarbeitete Predigt von 2005

Ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: "Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen?" Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. Und einer von den Ältesten spricht zu mir: "Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel."
Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande.
Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Gestalten und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen, und sie sangen ein neues Lied:
"Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel;
denn du bist geschlachtet
und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft
aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen.
und hast sie unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht,
und sie werden herrschen auf Erden."

Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Gestalten und um die Ältesten her, und ihre Zahl war vieltausendmal tausend; die sprachen mit großer Stimme:
"Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und  Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob."

Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen:
"Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!"
Und die vier Gestalten sprachen: "Amen!"
Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.

Offenbarung 5, 1-14



Liebe Schwestern und Brüder,

keine Zeit im Jahr ist so von Bräuchen gefüllt wie die Zeit vor Weihnachten, die Adventszeit. In diesem Jahr, wo wir das erste Mal Advent und Weihnachten im warmen Süden erleben, bin ich selber gespannt, wie das hier sein wird und wie viel von den guten alten Adventsbräuchen auch hier lebendig sein wird.

Nun ja, wir haben Adventskränze, wir singen Adventslieder, die Frauen haben schon Plätzchen gebacken, und vielleicht wird auch Dresdner Christstollen eingeflogen (oder eingekauft). Zu Hause werden ab morgen, wenn der Trubel mit unserem Gemeindefest vorbei ist, dann auch unsere Mannln, wie man im Erzgebirge sagt, Raachermannl, Nussknacker, Bergmann und Engel, das Engelorchester, die Pyramide und die Krippe ihren Platz finden. Wo und wie ich den Lichterbuuchn aufstellen soll, das weiß ich immer noch nicht so richtig.

Advent und Weihnachten ist etwas ganz Besonderes, eine Zeit, die anders ist als der Rest des Jahres, und deshalb lieben wir sie – jedenfalls die meisten von uns (und die anderen geben es nicht zu).

Feste Sitten und Gebräuche, die wir schon von Kindheit an kennen und praktizieren, sie geben unserem Leben Kontinuität, Halt, eine gewisse Sicherheit: So wie es immer war, wie es immer schon gut war, so soll es sein und bleiben.

Denn ansonsten ist ja vieles, allzu vieles ungewiss. Wir wissen nicht, was kommt, was die Zukunft bringt, nicht mal, was das neue Jahr bringt, das bald beginnt. Aber erst mal kommt die Advents- und Weihnachtszeit, und was die uns bringt, das wissen wir ziemlich gut. Und wenn es auch Weihnachtsüberraschungen gibt, im Grunde sind sie doch eingeplant.

Ja, abgesehen von Advent und Weihnachten gehen wir in eine sehr ungewisse Zukunft. Das ist geradezu das Wesen der Zukunft, dass sie ungewiss ist. Es hängt von allzu vielen Faktoren und Einflüssen ab; die können wir nicht überschauen und ihre Folgen nicht absehen. Und deshalb können wir auch nicht, keiner kann es, in die Zukunft sehen.

Diese Ungewissheit über die Zukunft versetzt uns immer wieder in Sorge. Vielleicht verspüren wir in dieser Zeit, in der wir leben, diese Ungewissheit noch stärker und bedrohlicher als zu anderen Zeiten. Wir erleben eine politische und wirtschaftliche Krise, die unser persönliches Leben bisher nur am Rande gestreift hat. Aber jeder fragt sich: Wird das so bleiben? Was wird mit unseren Ersparnissen? Was wird mit unserer Währung? Was bedeutet es für die politische Stabilität, wenn es nicht mehr immer weiter aufwärts geht? Was ist mit all den Bewegungen und Verschiebungen der Gleichgewichte in der Welt? Schwäche der USA, Stärke Chinas, Veränderungen in der islamischen Welt? Neue Abhängigkeit von Russland usw.? Was ist mit der rasanten technologischen Entwicklung, mit der wir kaum noch Schritt halten? … Ich breche hier einfach ab; euch fällt bestimmt noch mehr ein.

Kurz: Wir kennen die Zukunft nicht, alles ist möglich oder auch nicht, und wir ahnen, dass sie nicht nur Gutes bringen wird. Diese Ungewissheit macht uns Angst. Die Zukunft ist zwar offen, aber sie ist uns zugleich verschlossen. Sie ist uns letztlich wie ein Buch mit sieben Siegeln. Wir wissen nicht, was kommt.

Und damit sind wir schon mitten in unserem Predigttext, wir sind in der Offenbarung des Johannes. Johannes ist auch voller Ungewissheit und Sorge um die Zukunft. Er sitzt als Verbannter auf der Insel Patmos. Über das römische Reich rollt die bis dahin größte Welle der Christenverfolgung. Nicht alle halten dem Druck stand. Manche schwören ihrem Glauben ab. Risse gehen durch die Gemeinden. Und keiner weiß, was die Zukunft noch bringen wird.

In dieser Lage wird ihm eine schier unglaubliche Reihe von Visionen zuteil. Visionen von Christus, die ihm und den Gemeinden, mit denen er im Briefkontakt steht, Trost und Hoffnung machen sollen.

Uns sind diese Visionen aufgeschrieben in der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel. Für viele von uns ist das nicht gerade ein Buch des Trostes und der Hoffnung, denn es ist voller bedrohlicher Bilder: von Schrecken, Vernichtung und Tod, die über die Erde gehen. Es hat sich gezeigt, dass viele die Visionen dieses Buches auf die unterschiedlichsten Ereignisse der Weltgeschichte hin gedeutet haben. Viele Deutungen haben sich im Nachhinein als irrig erwiesen. Und so stehen wir einigermaßen unsicher und geängstet vor den dunklen Bildern, die dieses Buch entwirft. Es heißt Offenbarung, aber es ist nur wenig offenbar von dem, was hier gesagt wird. Vieles erscheint eher dunkel und verworren, als klar und hell. Ist die Offenbarung nicht selber ein Buch mit sieben Siegeln für uns? – Ein Buch, das scheinbar einen Blick in die sonst so verschlossene Zukunft gewährt, aber doch eben so, dass es zugleich einen Schleier von fremdartigen Bildern darüber wirft?

Wer kann uns die Zukunft wirklich erschließen? Wer kann uns deuten, was geschehen wird? Wer bringt Sinn in die Zeitläufte? Wer macht aus der Angst vor dem, was kommen wird, Hoffnung und Vorfreude?

Mit dieser Frage sind wir schon eingetaucht in die Vision des Johannes. Vor seinen Augen erscheint es: das sprichwörtliche Buch mit den sieben Siegeln. Das Buch, das die Geheimnisse der Weltgeschichte verbirgt, Gottes Plan bis zum Ende der Welt. Wer kann darin lesen? Wer kann es verstehen? Wer kann die Siegel aufbrechen? – Niemand, heißt es, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Es ist wie ein Zauberbann: Jeder Versuch die Zukunft zu deuten scheitert. Sie bleibt verborgen. Keiner hat die Fähigkeit, wirklich in die Zukunft zu schauen. Wahrsager und Scharlatane mögen sich daran versuchen, das Schicksal vorherzusagen. Sie sind damit noch nie weit gekommen. Schriftsteller und Filmemacher erzählen von künftigen Entwicklungen und Bedrohungen der Menschheit, aber was sie schreiben – das wissen sie selber – ist Fiktion. Im besten Fall spiegelt sich darin unsere Gegenwart. So genannte Futurologen, Zukunftsforscher, geben sich seriös und wissenschaftlich, sie können aber letztlich auch nichts anderes, als gegenwärtige Entwicklungen und Trends zu analysieren und daraus etwas für die Zukunft abzuleiten; und am Ende kommt es doch meistens anders. – Nein, da ist keiner, der das Buch aufschlagen und lesen und verstehen kann.

Auch christliche Deutungen der Offenbarung geben bestenfalls für vergangene Ereignisse mehr oder weniger plausible Deutungen, aber sicher nicht für die Zukunft. Wer geistesgegenwärtig ist, mag vielleicht unsere Gegenwart in dieser Zukunftsansage finden, aber für das, was von heute aus noch Zukunft ist, kommt er nicht über die verschlüsselten Bilder hinaus.

Es ist zum Weinen! – Dem Seher jedenfalls kommen die Tränen. Gott zeigt ihm alles, was kommt, aber es bleibt für ihn wie für alle anderen ein Buch mit sieben Siegeln.

Doch da ist schließlich einer, der für würdig befunden wird, das Buch der Zukunft aufzuschlagen und die Siegel zu öffnen, mit denen es verschlossen ist. In einer Sprache, die nur Eingeweihte verstehen, wird er vorgestellt: Der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel David, das Lamm, das geschlachtet ist.

Es ist die Sprache der ersten Christen. Verstehen wir sie noch? – Der Löwe aus Juda, die Wurzel David, das geschlachtete Lamm – all das ist Jesus Christus.

Der Löwe – er gilt als das stärkste Tier, als der König, der, der alle seine Feinde besiegt. Jesus Christus, geboren als Kind des Stammes Juda ist der Sieger über alle seine Feinde. Der Sieger über Sünde, Tod und Teufel.

Aber dieser Löwe ist zugleich das Lamm – es gilt als schwaches Tier. Es ist seinen Feinden ausgeliefert, wird von den Starken gerissen und getötet, und wird von den Menschen geschlachtet und geopfert. Jesus Christus ist der schwache, verwundbare Mensch, der von seinen Feinden getötet wird, geschlachtet am Kreuz.
Das Wunder ist, dass er gerade als schwaches Lamm stärker ist als seine Feinde. Schwäche ist seine Stärke. Daran werden wir auch mit der Jahreslosung für das kommende Jahr 2012 erinnert: Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. – Gottes Kraft in der Schwachheit, das ist der Löwe als Lamm: Gott wird Mensch. Und es ist das Lamm als Löwe: Christus besiegt den Tod. Das ist das Lamm Gottes, zu dem wir singen: Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd' der Welt, erbarm dich unser.

Und die Wurzel David. Eine Anspielung auf die Verheißung des Propheten, dass aus dem abgehauenen Baumstumpf des Königtums Davids ein neues Reis hervorbricht: der Messias. Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart.

Als Messias in der Nachfolge des Königs David, als Löwe von Juda und als geschlachtetes Lamm ist Jesus Christus derjenige, der das versiegelte Buch öffnen kann und öffnen wird. Er ist der Schlüssel zur sonst uns verschlossenen Zukunft. Siegel für Siegel bricht er auf. Und vor dem Auge des Sehers entrollt sich die Zukunft. Freilich immer noch erst in den Bildern der Apokalypse. Die ersten Bilder, die dann erscheinen, kennen wir: Die vier apokalyptischen Reiter: Macht, Krieg, Hunger und tödliche Seuchen. Sie sind schon lange auf der Erde unterwegs. Weitere Bilder, die dann folgen verstehen wir noch nicht.

Mut und Hoffnung macht das eigentlich nicht. Oder? – Am Ende stehen jedenfalls andere Bilder: die neue Stadt Gottes, seine Hütte bei den Menschen, eine Welt ohne Leid und Trauer und Schmerzen und Tod. – Das ist die Hoffnung: So düster die Zukunft auch aussehen mag, sie ist von Gott vorhergesehen. Und am Ende steht ein neuer Himmel und eine neue Erde, eine Welt ohne Zukunftsangst. Es ist die Welt Gottes und der Menschen, die doch heute noch getrennt voneinander sind. Diese neue Welt setzt sich durch, auch wenn die Zwischenzeit bis dahin von Dunkel und Leiden gezeichnet ist. Mit dieser Hoffnung kann der Seher Johannes seinen Gemeinden Mut machen: Die Zukunft ist in Gottes Hand, und führt zu Gottes Ziel.
Grund dafür ist Jesus Christus, die Wurzel David, das geschlachtete Lamm, der Löwe von Juda. Er hat überwunden, heißt es. Er hat alles, was Gott entgegensteht, schon besiegt, auch wenn das verborgen ist vor unseren Augen. Er ist die Mitte der Geschichte, die Hauptfigur der Weltzeit. Von ihm her erschließt sich alles. Selbst die Zukunft.

Wir wissen freilich immer noch nicht, was kommt. Die Offenbarung ist für uns kein Fahrplan der Endzeit. Manches ist uns noch verschlossen. Aber erschlossen ist uns, dass im Himmel regiert wird. Erschlossen ist uns, dass Christus der Schlüssel zur Zukunft ist, auch unserer persönlichen Zukunft.

Das ändert unseren Blick. Wir sehen nicht nur die apokalyptischen Schrecken über die Erde gehen, sondern wir hören auch schon den himmlischen Lobgesang. Und so ist der zweite Teil des Predigtabschnitts Lobpreis. So wie überhaupt das ganze Buch der Offenbarung durchzogen ist von Lobpreis. Angestimmt wird er im Himmel. Aber am Ende stimmt auch die Erde mit ein. Jedes Geschöpf, so heißt es. Vielleicht ist das noch Zukunftsmusik, dass alle Geschöpfe in das Lob Jesu Christi einstimmen. Aber die Christen auf Erden stimmen schon heute mit ein. Das ist gemeint, wenn im Abendmahlsgebet von den Engeln, den Mächten und Gewalten, den Kräften des Himmels die Rede ist, mit denen auch wir unsere Stimmen vereinen.

Es ist der Gesang der Vorfreude. Es ist Adventsmusik. Denn es ist Musik für den, der kommen wird. Für den, der uns die Zukunft eröffnet. Für den, der unsere Hoffnung stärker sein lässt als alle Ängste. – Ja, es ist Advent, nicht nur vier Wochen im Dezember, sondern überhaupt in dieser Weltzeit, in der wir leben. Es ist Advent, und wir wissen, was wir erwarten. Genauer: Wir wissen, wen wir erwarten. Es ist eine Zeit der Vorfreude.

Montag, 21. November 2011

Predigt am 20. November 2011 (Ewigkeitssonntag/Gedenktag der Entschlafenen)

Überarbeitete Predigt von 2005


Jesus sprach: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. Wundert euch nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts."
Johannes 5, 24-29*



Liebe Gemeinde!

„Dies ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens“. Diese Worte hat Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945 zu seinen Mitgefangenen gesagt. Der Glaube vermag im Ende einen neuen Anfang zu sehen. Für den Glauben steht am Ende der Anfang.

„Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“ – So endet das Glaubensbekenntnis, das wir Woche für Woche im Gottesdienst sprechen. Da steht am Ende das Leben: ewiges, unzerstörbares Leben. Wenn wir für gewöhnlich meinen, das Leben endet mit dem Tod, so sagen wir hier das Gegenteil: Der Tod endet mit dem Leben.

Am Ende ist Anfang.

Das Kirchenjahr ist am Ende. Es hat begonnen mit dem Advent, dem Warten auf das Kommen Jesu, und es endet mit dem Ausblick auf das Wiederkommen Jesu. Es beginnt mit der Geburt, nein es beginnt schon vor der Geburt, mit dem Warten auf die Geburt, wie es ja bei uns nicht anders ist, und es endet mit dem Sterben – am Totensonntag. Aber genau genommen eben nicht: Es endet mit der Auferstehung der Toten und dem ewigen Leben – am Ewigkeitssonntag. Am Ende steht der neue Anfang.

Und wenn nächste Woche der Advent beginnt, dann ist nicht so sehr Warten auf das Kommen Jesu, das schon gewesen ist, sondern es ist Warten auf sein Wiederkommen, Warten auf die Erlösung, Warten auf das Leben, das den Tod nicht mehr vor sich hat.

Für Christen gibt es kein Ende ohne Anfang. Für Christen gibt es keinen Abschied ohne Wiedersehen. Christen treffen sich niemals zum letzten Mal.

Dieser letzte Sonntag im Kirchenjahr ist für viele von uns der Gedenktag der Verstorbenen. In den Gottesdiensten werden die Namen der Gemeindeglieder verlesen, die in diesem Jahr gestorben sind. Wir erinnern uns bewusst an sie. Viele gehen an die Gräber, denken an ihre Verstorbenen, beten für sie. Wir sind mit ihnen verbunden trotz der Gräber oder trotz der Asche, die wir dem Meer übergeben haben. Wir wissen, dass unser Abschied von ihnen nicht hoffnungslos ist, nicht endgültig. Es gibt ein Wiedersehen bei Gott. Es gibt ein Leben nach dem Tod.

Und das ist nicht das Schattendasein einer körperlosen Seele, sondern Leben in einer neuen Wirklichkeit, die größer, schöner, umfassender ist als alles, was wir uns vorstellen können. Es ist Leben im eigentlichen Sinne. Das Leben nach dem Tod ist nicht ein blasser Schatten des irdischen Lebens, sondern das irdische Leben ist nur ein blasses Abbild des ewigen Lebens. – Nur dass wir schon manchmal in diesem Leben etwas gespürt haben von diesem wahren Leben. Wie ein heller Lichtreflex, der von irgendwoher unser Auge getroffen und geblendet hat, so war da plötzlich etwas von Gottes Ewigkeit da. Nicht zu greifen, nicht festzuhalten, aber stark und lebendig.

Es sind starke Bilder, die die Bibel gebraucht: Die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben. Was ist das für eine Stimme, was für ein Ruf, der Tote auferweckt! Es ist die Stimme des lebendigen Gottes. Die Stimme dessen, der aus Nichts ein Universum zu schaffen vermag. Er schafft auch aus dem Tod neues Leben. Er schafft es durch Jesus Christus. Jesu Leben ist Gottes Leben. Und Jesu Leben ist auch unser Leben. So wird durch ihn Gottes Leben unser Leben.

Ich lebe, und ihr sollt auch leben – das war die Jahreslosung vor drei Jahren. Wir haben sie nicht vergessen.

Wir haben sie schon deshalb nicht vergessen, weil am Ende dieses Jahres 2008 ein Nachbar von uns gestorben ist, den wir sehr gut kannten. Er war gerade 12 Jahre alt. Ich lebe, und ihr sollt auch leben – das war uns allen ein starkes Trostwort damals, und es stand auch über seiner Bestattung, und es steht auf seinem Grab.

Es ist wahr: Der Tod ist eine harte Grenze. – Und wir wissen kaum noch, was Grenzen bedeuten, in unserer heutigen Welt, wo wir die Grenzen einfach überfliegen. – Der Tod lässt sich nicht einfach überfliegen. Er ist und bleibt eine harte Grenze, über die es kein Hin und Zurück gibt. Es gibt die andere Seite der Grenze; aber dort war noch keiner von uns. Nur einer, der Auferstandene. Der lebt und uns sagt, dass wir auch leben sollen. Hier – und dort.

Als Menschen gestorben sind, die uns nahe standen, als wir sie zu Grabe getragen haben oder ihre Asche ins Meer gegeben, da waren wir dieser Grenze besonders nahe. Heute am Totensonntag sind wir dieser Grenze wieder besonders nahe. Und meistens sehen wir nicht darüber hinaus, über diese Grenze, wir sehen nur die eine Seite.

Aber da ist Jesus Christus. Er steht auf beiden Seiten. Er hat den Tod schon hinter sich, er lebt das ewige Auferstehungsleben bei Gott. Und er ist doch auch uns ganz nahe, die wir noch im Diesseits stehen.

Nicht erst nach dem Tod werden wir seine Stimme hören. Schon jetzt können wir sie hören. Schon heute ruft er uns. Er ruft uns schon heute aus dem Tod ins Leben.

Der Weg vom Tod ins Leben, der Weg vom zeitlichen ins ewige Leben geht nicht an Jesus vorbei. Das machen die Aussagen über das Gericht deutlich: Der Vater hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

Was heißt das? – Es gibt die Bilder und Vorstellungen von den Büchern, wo alles, was wir im Leben getan haben, festgehalten ist. Nichts geht verloren. Und daraus wird dann abgerechnet, was gut und was böse war. Und für das Böse müssen wir die gerechte Strafe empfangen. Und das von Gott, der doch die Liebe ist und das Leben will?

Es ist ein Bild: Uns wird vor Augen geführt, wer wir waren, wer wir sind, was wir getan haben, gesagt haben, gedacht haben. Nichts geht verloren. Und es wird sich zeigen, was wir eigentlich schon wissen: Es gibt vieles, zu vieles, was vor Gott keinen Bestand hat. Was einfach nicht mit hinein kann in Gottes neue Welt. Weil es aus Gottes neuer Welt wieder die alte Welt machen würde: mit Bosheit, Ungerechtigkeit und Leiden. Das will Gott nicht, und das können wir nicht wollen. Und so muss alles, was nicht in Gottes neue Welt passt, zurückbleiben, abgetrennt, ausgesondert werden aus unserem Leben. Und die Frage, die vielen Angst macht vor dem Gericht ist die Frage: Was bleibt denn dann von mir und meinem Leben?

Die Stimme Jesu, die die Toten auferweckt, ist schon jetzt und hier zu hören. Schon hier und jetzt sagt sie uns, was vor Gott Bestand hat und was nicht. Schon in diesem Leben beginnt das Gericht: der Schuldspruch über das, was in unserem Leben verkehrt ist. Und schon in dieser Zeit beginnt die Rettung. Jesus ist in die Welt gekommen um uns zu retten, um unser Leben zurecht zu bringen, um es für die ewige Gemeinschaft mit Gott vorzubereiten.

Schon jetzt können wir zurücklassen, was in unserem Leben nicht zu Gott passt und dem neuen Leben, dem ewigen Leben in uns Raum geben.

Gottes Zukunft ragt schon in die Gegenwart herein. Vielleicht auch als Gericht, wo wir Gottes Anspruch an unser Leben vernehmen und spüren, dass wir ihm nicht gewachsen sind. Aber mehr noch als Rettung. Mit Jesus beginnt das ewige Leben schon hier und jetzt. Unser Leben bekommt schon jetzt Sinn und Hoffnung und Zukunft über den Tod hinaus.

Auch wenn wir jetzt noch wenig wissen über das Auferstehungsleben. Wir kennen den, zu dem wir hingehen, denn er ist auch hier. Und er kennt uns. Er bereitet uns auf das Kommende, auf das Eigentliche vor.
E
r ist die Brücke über den Tod hinweg: aus dem zeitlichen Leben ins ewige Leben. Er verbindet uns mit denen, die uns vorausgegangen sind. Er grüßt uns gleichsam von ihnen. Und er grüßt sie von uns.

Von ihm wissen wir, dass das Ende nicht das Ende ist, sondern der Anfang. Wir gehen nicht ins Nichts. Unsere Verstorbenen gehen nicht ins Nichts. Und der Totensonntag ist Ewigkeitssonntag.


__________
* Wie schon 2005 habe ich mich für das Evangelium nach dem Proprium 'Gedenktag der Entschlafenen' entschieden. Den Text aus Reihe III für den Ewigkeitssonntag (Lukas 12, 42-48) halte ich für den kasuellen Charakter dieses Tages für weniger geeignet.

Samstag, 19. November 2011

Gottesdienst in den Bergen Gomeras


Diesmal konnte ich wirklich nichts dafür. Als Aday die Tür der Ermita de la Concepción aufgeschlossen hatte, standen wir auf einer Baustelle.
Der Fußboden war aufgerissen, Werkzeug, Baumaterial und Schutt lagen herum. Die Bänke waren voller Staub. Hier konnten wir unmöglich Gottesdienst feiern. Auch Rieke, die wie immer den Schlüssel geholt hatte, hatte nichts von der Baumaßnahme erfahren.


Wir zogen es kurz in Erwägung, neben der Kirche zu feiern; aber die Sonne brannte so sehr, dass ich meinte, wir würden da vielleicht doch einen Sonnenstich kriegen.

Aber wir wollten ja ohnehin nach dem Gottesdienst zu einem Picknickplatz in den Bergen fahren ...

Nachdem Stella, die immer als letzte kommt und immer die notwendigen Gesangbücher mitbringt, eingetroffen war und nachdem einige noch die letzten Notwendigkeiten fürs Picknick im nahen maxcoop besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg zum Rastplatz an der Ermita de las Nieves, und richteten dort unseren Gottesdienstplatz her. Aday bastelte ein Kreuz und wir richteten den Altartisch her.



Der Gottesdienst stand im Zeichen des Toten- und Ewigkeitssonntags. Aber ich glaube, dass – anders als oft in Deutschland – die Freude, auch als Vorfreude auf Gottes Ewigkeit, im Vordergrund stand. Dazu trug nicht zuletzt Herbert bei, der uns Wir warten dein, o Gottessohn derartig beschwingt auf dem Akkordeon aufspielte, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ja, da waren Freude und herrlich Leben so richtig spürbar! 

Danach war Zeit für unser ausgiebiges Picknick, aus dem sogar ein ökumenisches Picknick wurde, denn kurz vor dem gottesdienstlichen Segen war eine weitere Gruppe am Picknickplatz eingetroffen. Sie sprachen uns an und es stellte sich heraus, dass die katholische Gottesdienstgemeinde von Playa de Santiago sich nach der Messe hierher aufgemacht hatten. So teilten sie mit uns und wir mit ihnen unsere Leckereien, und das Essen wurde noch abwechslungsreicher als es ohnehin schon war.


Der Ort Las Nieves machte seinem Namen zum Glück keine Ehre (er bezieht sich ja auch nicht auf den Schnee sondern auf die Schneejungfrau), aber es nieselregnete doch ziemlich stark, so dass wir froh waren, einen Unterstand zu haben.


Trotzdem waren wir, vor allem die Kinder, bald etwas angenässt und angekühlt, so dass wir in kleinerer Runde den Nachmittag noch mit heißem Tee bei Rieke ausklingen ließen, um dann, erfüllt und dankbar, wie bisher noch nach jedem Besuch auf unserer kleinen Nachbarinsel, die Heimreise anzutreten.


Alle Fotos, auch in größerem Format, hier.

Sonntag, 13. November 2011

Predigt am 13. November 2011 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres)

Jesus sprach zu den Jüngern: "Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: 'Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.' Der Verwalter sprach bei sich selbst: 'Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.' Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: 'Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?' Er sprach: 'Hundert Eimer Öl.' Und er sprach zu ihm: 'Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.' Danach fragte er den zweiten: 'Du aber, wie viel bist du schuldig?' Er sprach: 'Hundert Sack Weizen.' Und er sprach zu ihm: 'Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.'" Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
"Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten."
Lukas 16, 1-9





Liebe Schwestern und Brüder,

da ist einer am Ende: Ein Top-Manager, erfolgreich, gefeiert. Jetzt hat er keine gute Presse mehr: Er soll Verluste eingefahren haben. Eigentum des Unternehmens verschleudert. Riskant spekuliert und verloren. Die Aktienkurse sind eingebrochen. Auf der Aktionärsversammlung soll er Rechenschaft geben. Er weiß, er hat keine Chance mehr.

Was jetzt zählt sind die richtigen Verbindungen, Geschäftsfreundschaften, Seilschaften. Wenn er hier rausfliegt, muss er sehen, dass er anderswo unterkommt. Also fälscht er schnell noch ein paar Unterlagen zugunsten von Geschäftspartnern, gibt ein paar Insidertipps, und dann tritt er ab. Ein paar Monate später taucht er wieder auf mit einem Beratervertrag bei dem einen ehemaligen Geschäftspartner, mit einem Aufsichtsratsposten bei dem anderen.

Der am Ende war, ist es nicht mehr. Er hat die Kurve gekriegt, einen neuen Anfang gemacht. Er hat im richtigen Moment die Weichen gestellt, die Zukunft gesichert, den Kopf aus der Schlinge gezogen.

So etwa könnte man die alte Geschichte im modernen Gewand erzählen.

Jesus findet es beispielhaft, wie dieser Manager handelt. Nicht weil es so christlich ist, sondern weil es so klug ist.

Die „Kinder des Lichts“, sagt Jesus, also die Frommen, die Gottgläubigen – heute würden wir sagen: die Christen und Kirchenfuzzis –, die sind einfach nicht so clever wie die anderen. Sie sind nicht ganz von dieser Welt; und das stimmt ja auch, weil sie schon zu Gottes Welt gehören. Sie sind immer ein bisschen zu lieb, ein bisschen zu naiv, ein bisschen zu langsam, ein bisschen zu hausbacken.

Sind Klugheit und Cleverness etwa unchristliche Tugenden? – Keineswegs, sagt Jesus. Kommt nur darauf an, was man damit anstellt.

Wenn es euch auch nur darum geht, euer Schäfchen ins Trockene zu bringen, mit dem Rücken an die Wand zu kommen, möglichst die anderen die Zeche zahlen zu lassen, wenn es euch nur darum geht euer Auskommen und Fortkommen zu sichern, dann nützt euch eure ganze Cleverness am Ende gar nichts.

Denn entscheidend ist, was ist, wenn ihr wirklich am Ende seid.

Darum geht’s. Ums Ende, um die Bilanz. Am Ende muss der Verwalter, der Top-Manager, wie auch immer, seine Bücher vorlegen und die Tiefenprüfung durchstehen. Und wenn nicht, dann fliegt er raus. Und dort wird Heulen und Zähneklappern sein, wie Jesus anderwärts sagt.

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi – das war der Wochenspruch. – Am Ende müssen wir unsere Bücher vorlegen und die Tiefenprüfung über uns ergehen lassen. Und wie wird unsere Bilanz aussehen: die Bilanz unseres Lebens vor Gott?

Er ist ja der Eigentümer unseres Lebens, nicht wir selbst. Er hat uns ja Güter und Gaben, Mittel und Wege bereitgestellt, um aus diesem unserem Leben etwas in seinem Sinne zu machen. – Darüber gibt’s noch ein anderes Gleichnis Jesu – von den anvertrauten Talenten …

Ja, am Ende, da kommt er und sagt dir: Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht mehr Verwalter sein. Du wirst abberufen. Abberufen aus diesem Leben.

Und jetzt kommt's drauf an. Bist du dir sicher, dass du mit sauberer Bilanz, mit guten Zahlen und vorzeigbaren Ergebnissen dastehen kannst vor dem, dem dein Leben gehört? Meinst du, dass er zufrieden sein wird mit dir? Oder eher doch nicht?

Oder meinst du, du kannst auch vor ihm ein bisschen die Ergebnisse schönen, die schlechten Zahlen gut aussehen lassen, eine feine Powerpoint-Präsentation abliefern – „Das war mein Leben – eine Bilanz“ – und das wird ihn beeindrucken?

Klug ist, sich rechtzeitig auf diese Situation einzustellen. Sie ist dir ja angekündigt.

Was ich nicht so klug finde, ist, dass sich so viele Leute hinstellen und sagen: Mit Gottes Gericht, das ist gar nicht so gemeint. Gott hat alle lieb und am Ende wird es für alle gut, ob sie gut waren oder schlecht, ob sie Mist gebaut haben oder Gutes gewirkt, am Ende nimmt Gott alle an. – Ich finde das nicht so klug, weil die Bibel was anderes sagt, und weil Jesus selber immer wieder was anderes sagt.

Vor wenigen Tagen erst hat ein leitender Kirchenmann in Deutschland in einem Interview gesagt, er habe die „Versuchung, zu glauben, dass es das Jüngste Gericht geben“ werde. – Aha, und wieso ist das eine Versuchung? – Ich muss gestehen, ich habe manchmal die Versuchung zu glauben, dass es das Jüngste Gericht nicht geben wird. Aber ich denke, es ist nicht klug, dieser Versuchung nachzugeben.

Kein Gericht, das hieße: Keiner müsste Rechenschaft über sein Leben geben. Keiner wäre verantwortlich für sein Leben. – Aber Gott macht mich verantwortlich, und deshalb ist es gut, davon auszugehen, dass es diese höchste und letzte Instanz gibt, vor der ich mich zu verantworten habe.

Der Manager in unserem Gleichnis, der ist so klug, dass er sofort weiß, was die Stunde geschlagen hat. Er weiß, dass er mit seinen Leistungen beim großen Chef nicht durchkommt.

Also muss er rechtzeitig einen Ausweg finden. Sein Ziel ist klar: Wenn er bei diesem Chef rausfliegt, dann sollen andere ihn aufnehmen. Und er erreicht das mit Bestechung.

Das ist in seiner Situation klug: Die Lage erkennen. Ein Ziel formulieren. Und dann die geeigneten Mittel dafür einsetzen. – Eigentlich doch ein guter Manager – jedenfalls, was seine eigenen Belange betrifft.

Diese Klugheit ist es, die Jesus lobt.

Aber wir dürfen die Gleichnisgeschichte natürlich nicht überstrapazieren. Jesus redet von den „Kindern dieser Welt“. Uns geht es nicht um diese Welt, uns geht es um Gottes Reich. Unser Ziel kann also nicht sein, anderswo als bei Gott unterzukommen für die Ewigkeit. Da gibt’s nämlich nichts außer diesem unangenehmen Ort mit Heulen und Zähneklappern. Unser Ziel muss es sein, trotz Gericht und Verantwortung bei Gott anzukommen. Das geht jedenfalls nicht mit gefälschten Bilanzen und geschönten Präsentationen.

Es geht auch nicht, indem wir uns selbst freikaufen. Wie sollte das gehen, wo doch alles, was wir sind und haben sowieso schon Gott gehört?

Es gibt nur eine Chance. Auch wir brauchen die richtigen Freunde, den richtigen Freund. Und: Es kann nur einer sein: der Sohn vom Chef. Der muss ein gutes Wort für uns einlegen. Und siehe da, der Sohn vom Chef will sich selber mit uns gut stellen. Nicht weil wir so toll sind, sondern weil er uns einfach gut leiden kann. Er kommt uns ganz weit entgegen, ja, er ist sogar bereit für unsere Verluste einzustehen und das, was wir vergeudet und verzockt haben, zu ersetzen. Er will selber dafür sorgen, dass wir bei der Endabrechnung doch noch gut dastehen können.

Die „Kinder der Welt“ sind klug und clever, wie es eben Weltkinder sind. Sie meinen, sie können mit Geld und Gut alles erreichen. Es gab sogar mal welche, die meinten, sich mit Geld und Gut den Himmel erkaufen zu können: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele ...“

Wir sollten klüger sein und uns nicht auf Geld und Güter verlassen, sondern auf den Glauben, auf die Freundschaft mit Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Mit unserer Geldwirtschaft ist das ohnehin so eine Sache; das sieht man in der derzeitigen Finanzkrise sehr deutlich. Unsere Geldwirtschaft ist nämlich im wesentlichen eine Schuldenwirtschaft. Und wir sind nahe an dem Punkt, wo keiner mehr die Schulden bezahlen kann.

Wie gut, dass wir einen haben, der unsere Schulden bei Gott bezahlt. Nicht mit Geld – damit sind sie nämlich nicht aufzuwiegen – sondern mit seinem Leben. Damit wir leben!

Wir danken dir, Herr Jesu Christ, / dass du für uns gestorben bist, / und hast uns durch dein teures Blut / gemacht vor Gott gerecht und gut.

Sonntag, 6. November 2011

Gottesdienst in der Guru Cocktail Bar

Man hätte vorher anrufen können bei der Schwedischen Kirche. Daran erinnern, dass wir ab November wieder zum Gottesdienst da sind. – Unser Pfarrer schiebt solche Dinge gerne so lange vor sich her, bis es zu spät ist. Wird schon alles klappen!

Heute morgen standen wir vor verschlossenen Türen. Dafür haben wir einen Schlüssel. Aber der bewegte sich nicht im Schloss, was wir auch versuchten. Und es war auch erkennbar: Das war ein neues Schloss an einer neuen Tür ...

Inzwischen sammelte sich eine kleine Gemeinde vor der Kirchentür.

Man könnte doch bei der schwedischen Pastorin anrufen. Im Handy habe ich sie nicht gespeichert. Aber im Schaukasten hing eine Telefonnummer – unter der sich niemand meldete. Ausschlafsonntag oder Frühdienst? Die Schweden haben eigentlich erst am Nachmittag Gottesdienst.

Jemand schlug vor, wir könnten doch an den Strand gehen. Andrea war ja schon immer für das Motto "Beten unter Palmen". Sehr praktikabel erschien uns das denn doch nicht.

Aber direkt neben der Kirche ist eine Kneipe bzw. Bar, wo erkennbar genug Platz war und noch wenige Gäste morgens um 10. Andrea fasste sich ein Herz und fragte, ob wir dort Gottesdienst feiern könnten. – Und das taten wir dann auch.

In Sesseln und Sofas saßen wir zusammen. Da es sich um die "Guru Cocktail Bar" handelte, war der Raum auch noch mit indischen Motiven und Buddhabildern ausgestattet, so dass statt des Kreuzes der Buddha über mir hing.

Und zu allem Überfluss hatte ich auch noch die Predigt zu Hause liegen lassen, so dass ich frei sprechen musste. Zum Glück war der Inhalt und manche Formulierung vom Vorbereiten noch ganz gut in meinem Kopfe präsent. So habe ich frei gesprochen, und das hat der besonderen persönlichen Atmosphäre wahrscheinlich sogar noch gut getan.

Und auch Abendmahl haben wir zusammen gefeiert – unterm Buddha. Aber von dem hatten wir nur das Bild; der Herr Jesus Christus war wirklich da.

Am Ende waren alle glücklich, selbst die Wirtin. Wir werden das jetzt sicher nicht immer so machen. Aber ein schöner und gesegneter Gottesdienst war es allemal.

Predigt am 6. November 2011 (Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres)

Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: "Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten." Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: "Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andere. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut."
Lukas 11, 14-23





Liebe Schwestern und Brüder,

wer sich mal mit marxistischer oder hegelscher Dialektik beschäftigt hat, kennt das so genannte Gesetz vom Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative Veränderungen. Was hochtrabend klingt, meint einen ganz einfachen Sachverhalt, nämlich den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Quantitative Veränderung: Mit jedem Tropfen wird es mehr Wasser im Fass. Qualitative Veränderung: Das Fass läuft über.

Wir kennen viele Beispiele dafür:
  • Auf eine Waage (also eine richtige Waage mit zwei Waagschalen – unsere modernen Küchen- und Personenwaagen sind ja in Wahrheit keine Waagen, sondern Kraftmesser) lege ich so lange Gewichte, bis sich die Waage auf die andere Seite neigt.
  • Oder, weil ich neulich im Radio das Thema hatte: Ein Flugzeug rollt auf der Startbahn immer schneller; aber erst bei einer bestimmten Geschwindigkeit hebt es ab: wenn nämlich der Auftrieb, der durch den Luftstrom an den Tragflächen entsteht, stark genug ist, das Flugzeug zu tragen.
  • Statt der technischen Beispiele könnte man auch ein biologisches wählen: Das Kind im Mutterleib wächst, die Veränderungen sind spürbar, aber allmählich. Bis es so nicht mehr weitergeht, und die Geburt eine völlig neue Situation für Mutter und Kind entsteht.
So schlagen quantitative Veränderungen in qualitative Veränderungen um.

Ich glaube, das Prinzip ist klar. Wenn wir in der Schule wären, dann würde ich jetzt jeden bitten, ein eigenes Beispiel zu finden …

Um quantitative Veränderungen, die in qualitative Veränderungen umschlagen, geht es, wenn man so will, auch in unserem Predigttext. Jesus spricht in militärischen Bildern von einem Burgherrn, der sich auf die Menge, also die Quantität seiner Rüstung und Waffen verlässt. Sie liefern ihm eine bestimmte Qualität, nämlich den Schutz vor Feinden.

Wie kann ein Feind nun seine Festung überwinden? Indem er die Quantität seiner Angriffswaffen erhöht – so weit, dass der kritische Punkt erreicht ist, an dem der Angriff glückt – und auf der anderen Seite die Verteidigung fällt. Stehen sich vor dem Kampf 51 % Angriffstärke und 49 % Verteidigungskraft gegenüber, so steht es nach dem Kampf 100 zu 0. Genau genommen gibt es dann keine quantitativ messbare Macht mehr, sondern nur den absoluten Sieger und den absoluten Verlierer. (Wer eine bestimmte Art von Computerspielen kennt, kann das bestimmt gut nachvollziehen.)

Nun geht es bei Jesus ums Geistliche. Es geht ihm um die quantitativen Veränderungen, die über Glauben und Unglauben, über Gut und Böse, über Himmel und Hölle entscheiden. Es geht ihm um die quantitativen Veränderungen, die am Ende über die Qualität unseres Lebens entscheiden:

Wie stark sind die Glaubenskräfte in uns? Wie gut sind wir gerüstet gegen Angriffe des Bösen? Wie viele gute Gedanken, Bibelworte, Lieder und Gebete stehen uns zu Gebote, wenn Zweifel und Anfechtungen oder auch andere Heilsrezepte und Lebenswerte auf uns einstürmen?

Kann es nicht sein, dass unser Glaube bei weitem nicht bei 100 % steht, sondern irgendwo so knapp über 50? Kann es sein, dass es bei dem oder jenem nur noch eine Kleinigkeit ist, die ihn davor bewahrt, seinen Glauben zu verlieren?

Als vor zwei Jahren die Missbrauchsskandale aus der katholischen Kirche hochkamen, da war das für viele, deren Glaube sowieso schon auf der Kippe stand, die kritische Masse, durch die sich die Waage nach der anderen Seite neigte, so dass sie sich von der Kirche und wahrscheinlich auch vom Glauben verabschiedet haben; das war das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Denn wer fest im Glauben und eng mit der Kirche verbunden lebte, den hat das ja eher nicht gleich an allem irre werden lassen; aber bei dem, dessen Glaube sowieso nur noch an einem seidenen Faden hing, für den war das zu viel, da ist der Faden – vielleicht der Geduldsfaden – gerissen.

Gerade der, der mit seinem Glauben näher an der 50- als an der 100-Prozent-Marke ist, der braucht quantitativen Input, Stärkung des Glaubens.

In der kirchlichen Sprache reden wir manchmal von Zurüstung für den Glauben. Im Osten Deutschlands gebrauchen wir für kirchliche Freizeiten den Ausdruck Rüstzeit. Das ist im Grunde genommen dieses militärische Bild, das wir aus der Bibel genommen haben: Unser Glaube muss gerüstet, bewaffnet sein gegen die Angriffe, die ihn infrage stellen, die darauf abzielen, unsere Mauern zu schleifen und uns unsere Reichtümer – Glaube, Hoffnung und Liebe – zu rauben. Darum rüsten wir unseren Glauben. Wir rüsten ihn mit Worten des Glaubens, mit Liedern der Hoffnung, mit Taten der Liebe, mit guten Gedanken, mit starker Gemeinschaft. Der Friede muss bewaffnet sein, hieß es früher mal. Der Glaube muss gerüstet sein, könnten wir sagen.

Man kann das auch von der anderen Seite betrachten. Es gibt ja nicht nur unseren gefährdeten Glauben, der vielleicht gerade so bei 51 % steht. Es gibt ja auch umgekehrt diejenigen, wo der Glaube nur bei 49 % steht, wo es eben gerade noch nicht – oder nicht mehr – reicht. Diejenigen, die vielleicht nur noch ein ganz klein wenig brauchen, damit die Waagschale sich zugunsten des Glaubens neigt. Diejenigen, deren Abwehr und Rüstung gegen den Glauben kurz vor dem Zusammenbrechen ist. Vielleicht brauchen sie gerade noch das eine gute Wort von uns, das eine Zeichen, dass das Leben mit Gott, mit Jesus wirklich ein Gewinn ist, der Lebensgewinn. Vielleicht müssen sie nur noch ein- oder zweimal von uns eingeladen werden, und dann … dann ist es passiert.

Ich kenne Leute, die sind kritisch, wenn wir als Kirche Dinge tun, die nicht unmittelbar zum Glauben führen. Da ging es mal um Konzerte. Durch die kommt doch keiner zum Glauben, hat jemand gesagt. Dieselben Leute sind für evangelistische Veranstaltungen, wo ausdrücklich zum Glauben gerufen wird und manchmal sogar jemand erkennbar einen bewussten Schritt zum Glauben tut. Aber wie viele sind das? – Und wie viele Evangelisationen oder eben auch Kirchenkonzerte braucht es, bis jemand Christ ist?

Und so ist das auch mit unseren geselligen Nachmittagen, Bastelstunden und Gemeindefesten. Das sind nicht alles Missionsstunden, aber es sind kleine Impulse, die sagen: Wir sind hier, als Christen, als einladende Gemeinde, als Menschen, die ihren Lebenssinn gefunden haben. Vielleicht ist das ja doch auch was für dich?

Das sind eben die Quantitäten, die vielen kleinen Schritte, die vielen guten Impulse, die in die eine oder die andere Richtung wirken. Und dann kann es passieren, dass eben das eine Mal dann doch der Groschen fällt, die Waage sich neigt, die Maschine abhebt, der neue Mensch, der Christ das Licht der Welt erblickt.

Es sind oft die kleinen Veränderungen, die unscheinbaren Impulse, die in große Veränderungen umschlagen können.

Bei Jesus geht’s um die große Entscheidung: Dafür oder Dagegen, Gott oder Teufel, Himmel oder Hölle. Ein Dazwischen gibt es nicht.

Vielleicht fühlst du dich ja durchaus noch im Dazwischen – hin- und hergerissen zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Vertrauen und Zweifel, zwischen Dafür und Dagegen. Aber vielleicht fehlt ja auch nur noch das eine Prozent, das eine Tröpfchen Glaube, der winzige Impuls … Ja, diesen winzigen Impuls möchten wir dir gerne geben. Vielleicht ja mit diesem Gottesdienst.