Samstag, 28. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 28. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

Hiob, der geplagte Mensch, der leidende Gerechte, dem alles genommen wurde.
Hiob klagt Gott an und fragt: WARUM?

Seine Freunde, die zu ihm gekommen sind und bei ihm geblieben sind in diesen schweren Tagen, wollen das nicht hören.
Sie halten es nicht aus, dass Hiob Gott verantwortlich macht für sein schweres Schicksal.
„So darf man nicht reden“, sagen sie.
„Wenn Gott dich leiden lässt, dann hat er seine Gründe.
Und die Gründe liegen gewiss bei dir.
Gott straft die Sünder und belohnt die Gerechten.
Wenn du dir keiner Schuld bewusst bist, dann frage Gott; er wird dir schon zeigen, wofür er dich strafen will.
Und wird er auch so gnädig sein, dass er dir vergibt und es dir wieder gut gehen lässt.“

Das ist kurz gesagt die Theorie der Freunde Hiobs, die sie in ausführlichen und bildreichen Reden darlegen: Du bist selber schuld.

Das ist für viele von uns auch die normale Theorie fürs Leben: Du bist selber schuld.Du bist selber dafür verantwortlich, ob es dir gut geht oder schlecht.
Jeder ist seines Glückes Schmied.
Wer Gutes tut, wird auch Gutes erlangen.
Wer Böses tut, den wird über kurz oder lang die Strafe treffen.
Dafür ist Gott letztlich zuständig: dass die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden.

Aber dann geschehen immer wieder Dinge, die nicht hineinpassen in diese Theorie.
Die Bösen haben Erfolg und es geht ihnen gut.
Die Guten sind die Dummen.
Krankheiten und Unfälle treffen die einen wie die anderen.
Wem das im eigenen Leben so widerfährt, wem das im Leben anderer nahekommt und nahegeht, dem kann daran der Glaube zerbrechen.
Wenn Gott die Guten leiden lässt, während es den Bösen gut geht, dann ist Gott am Ende vielleicht ungerecht oder es gibt ihn gar nicht!

Hiobs Freunde haben Angst davor, dass ihr Glaube an den guten und gerechten Gott kaputt gehen könnte; darum sind sie so eifrig, dem Hiob eine eigene Schuld und Verantwortung einzureden.

Ich halte das für gefährlich.
Vor allem halte ich es für gefährlich, wenn wir Leute, die leiden, selber dafür verantwortlich machen:
Das ist die Strafe, weil du so ungesund lebst.
Der Krebs kommt durch deine negativen Gedanken.
Und deine Krankheit ist Gottes Strafe für … was auch immer.

Hiob lehnt diese Theorie ab.
Er ist sich keiner Schuld bewusst und lässt sich keine Verantwortung einreden.
Hiob macht allein Gott verantwortlich für sein Schicksal.
Und das ist richtig so.

Freitag, 27. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 27. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

mit der biblischen Gestalt des Hiob kreisen wir in dieser Woche um die Frage nach dem Leiden des Menschen.

Hiob schien alles Unheil, das über ihn gekommen war, mit stoischer Gelassenheit und unerschütterlichem Gottvertrauen hingenommen zu haben. Diesen Eindruck hat man nach den ersten beiden Kapiteln des Hiob-Buches.
Ein bisschen bewunderungswürdig, aber vielleicht auch ein bisschen unglaubwürdig.
Wer hält das aus, was er einstecken musste an Schicksalsschlägen?
Fast alles hatte er verloren: seinen Besitz, seine Kinder, seine Gesundheit.

Im dritten Kapitel aber erleben wir keinen stoischen, gottergebenen Hiob mehr.
Hiob tat seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.So beginnt es.
Eine einzige Klage und Anklage gegen Gott:
„Wäre ich doch nicht geboren worden!
Wäre ich doch gleich bei meiner Geburt gestorben!
Läge ich doch schon im Grab und hätte meine Frieden!
Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen – denen, die auf den Tod warten, und er kommt nicht?Meine schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden, wovor mir am meisten graute, das hat mich getroffen.
Warum?“

Eine einzige Klage und Anklage gegen Gott.
Ein einziges großes Fragezeichen:
WARUM?

Kurz zuvor hatte es noch geheißen: In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.Gilt das jetzt immer noch?
 – Ich glaube ja.
So sehr er klagt, so schlimm er leidet, so verzweifelt er fragt – er versündigt sich nicht.
Er hat alles Recht zu fragen, zu kämpfen, zu zweifeln.
Eben weil es so schlimm ist.
Eben weil es ihm so sinnlos erscheint.
Eben weil er seinen Gott, an dem er immer festgehalten hat, nicht mehr versteht.

Für mich ist das immer wichtig und tröstlich, dass das so in der Bibel steht.
Nicht nur hier. Auch an anderen Stellen klagen Menschen und hadern mit Gott.
Viel schlimmer wäre es, sie würden es nicht mehr tun und würden sich ganz von ihm abwenden.

Wenn Menschen über Gott klagen oder besser noch: sich bei Gott beklagen, dann haben sie ja doch wenigstens noch die Hoffnung, dass da einer ist, der sie hört, der dem Sinnlosen vielleicht doch noch Sinn geben kann und der das Unglück vielleicht doch noch wenden kann.

Hiob macht Gott verantwortlich für sein Schicksal.
Und das ist richtig so.

Donnerstag, 26. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 26. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

Hiob – Inbegriff des unschuldig leidenden Menschen.
Er hat alles verloren, sitzt in der Asche und kratzt sich mit einer Tonscherbe die Geschwüre blutig.
Was für ein jämmerliches Bild von einem Menschen!

Und doch: es stimmt nicht.
Hiob hat nicht alles verloren.
Er hat seinen Glauben nicht verloren. Erstaunlicherweise.
Und er hat seine Freunde nicht verloren.

Als die drei besten Freunde Hiobs von seinem Unglück erfahren, machen sie sich auf den Weg zu ihm.
Sie sehen Hiob von weitem und erkennen ihn nicht wieder.
Sie weinen und klagen, und sie gehen trotzdem zu ihm hin.
Das finde ich großartig.
Sie finden das nicht zu eklig.
Ihnen ist der Freund noch immer oder gerade wichtig, auch als sie von ihm nichts mehr erwarten dürfen.
Und – anders als zuvor seine Frau – sagen sie ihm auch nicht: „Jetzt kannst du dir das Leben nehmen und Gott vergessen.“
Sie tun etwas anderes, etwas ganz Großes.
Es heißt: Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.Sieben Tage mit dem leidenden Freund einfach nur schweigen.
Den Schmerz aushalten.
Keine guten Ratschläge geben, keine Erklärungen suchen.
Und trotzdem nicht weggehen.
Das ist eine so tiefe, ja erschütternde Solidarität im Leiden, wie wir sie uns gar nicht mehr vorstellen können.

Vielleicht hat der eine oder andere etwas ansatzweise Ähnliches erlebt, wenn er einen Sterbenden begleitet hat und da stundenlang bei ihm am Bett gesessen hat, die Hand gehalten, die Lippen befeuchtet, die Stirn gekühlt und die meiste Zeit einfach dagesessen und geschwiegen.

Könnte es sein, dass in solchen Stunden und Tagen des gemeinsamen Schweigens mehr geschieht und wichtigeres als in tausend Worten?

Könnte es sein, dass darin mehr menschliche Würde liegt als in der Verkürzung des Leidens?

Nicht der Hiob in der Asche und nicht der Mensch an Schläuchen im Sterbebett ist würdelos.
Würdelos ist es, wenn wir ihn allein lassen und uns nur darum sorgen, dass er schnell sterben kann.

Das ist Menschenwürde: Zueinander stehen und beieinander bleiben, wenn der Schmerz am größten ist. Dann ist nicht alles verloren.

Mittwoch, 25. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 25. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

Hiob – das ist in der Bibel einer, der ohne Grund, wahrlich unschuldig, viel Schweres zu erleiden hat.
Die Hiobsbotschaften prasseln auf ihn ein, und dann wird er selber von einer grausamen Krankheit heimgesucht.
Warum? Wozu ist das gut, wenn gute Menschen leiden müssen? Wie kann Gott das zulassen? – Diese Frage beschäftigt mich in dieser Woche.

Hiob weiß selber nicht, was wir Leser wissen:
Hinter den himmlischen Kulissen hat es eine Vereinbarung, eine Wette zwischen Gott und dem Satan gegeben.
Der kam in die himmlische Ratsversammlung und Gott fragte ihn: „Hast du auf meinen Knecht Hiob geachtet? So was Frommes und Rechtschaffenes wie ihn, findest du auf der ganzen Welt nicht.“
„Kunststück“, erwiderte der Satan, „Hiob geht’s ja auch gut. Er hat Erfolg, er ist reich. Du beschützt ihn. Warum sollte er da nicht rechtschaffen und gottesfürchtig leben? Aber nimm ihm das alles weg, was er hat – du wirst sehen: Hiob wird dich verfluchen!“
Gott ließ sich darauf ein und gab dem Satan freie Hand, Hiob alles zu nehmen, was er hatte, zuerst seinen Besitz und seine Kinder, dann auch noch seine Gesundheit.
– Aber Hiob blieb Gott treu, verfluchte ihn nicht. Versündigte sich nicht, so steht es da.

In dieser Vorgeschichte zum Leiden Hiobs stehen ein paar wichtige Dinge drin.

Das Erste:
Das Leiden kommt nicht direkt von Gott.
Gott lässt es nur zu.
Buchstäblich, indem er dem Satan freie Hand gibt.
Aber das auch nur bis zu einem gewissen Punkt.
Die Macht des Bösen ist beschränkt.
Gottes Macht ist größer.

Das Zweite:
Leiden kann tatsächlich so etwas wie eine Glaubensprüfung sein.
Es stimmt ja: Es ist keine Kunst, dem lieben Gott zu vertrauen, wenn alles gut geht im Leben.
Im Leiden an Gott festzuhalten ist anspruchsvoller.
Ich glaube, Gott lässt sich nur auf diese Wette mit dem Satan ein, weil er weiß, dass er sie gewinnen wird. Sein Knecht Hiob hält ihm die Treue.

Merkwürdig ist, dass wir es auch umgekehrt kennen:
Menschen, denen es richtig gut geht im Leben, ziehen die Konsequenz, dass sie Gott nicht brauchen.
Und die, denen es wirklich schlecht geht, die halten an Gott fest oder wenden sich gerade erst an ihn, nach dem Motto: „Not lehrt beten.“
Vielleicht würden wir ja in einer Welt ohne Leiden Gott sogar ganz vergessen.
Denken Sie mal drüber nach!

Dienstag, 24. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 24. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

gestern habe ich an dieser Stelle von Hiob gesprochen, dem Mann, der von einem Tag auf den andern fast alles verliert, was ihm wertvoll ist: seinen Besitz und seine Kinder, und der trotzdem weiter an Gott glaubt.

Eine alte Geschichte aus der Bibel ist das. Oder vielleicht doch eine Geschichte, die auch uns – vielleicht nicht in dieser Extremform, aber ein bisschen ähnlich – ebenfalls passieren kann. Auf einmal sind Krankheit, Not, Kastastrophen ganz nahe, und wir fragen uns: Wie kann das sein? Warum trifft es gerade den da? Oder warum gerade mich? Und, wenn es einen Gott gibt, wieso lässt er das geschehen? Warum greift er nicht ein? Warum verhindert er das Unheil nicht? Warum rettet er mich nicht?

Hiob verliert nicht nur seinen Besitz und seine Kinder, sondern auch noch seine Gesundheit. Voller Geschwüre sitzt er da, reibt sich Asche auf die Haut, die den Schmerz lindern soll, und kratzt sich mit einer alten Tonscherbe die Geschwüre auf. Seine Frau sagt zu ihm: „Was hat dein Glaube dir genützt? Sage Gott ab und stirb!“ Und Hiob? Er antwortet: „Haben wir Gutes empfangen von Gott, sollten wir dann das Böse nicht auch annehmen?“

Das Böse von Gott annehmen? Wie soll das gehen? Und wieso sollte überhaupt von dem guten Gott etwas Böses ausgehen?

Wenn ich Hiob richtig verstehe, dann meint er: Wenn ich auch das Böse aus Gottes Hand annehme, dann kann es nicht wirklich böse sein. Es kann, es wird, es muss sich irgendwann herausstellen, dass es mir doch zum Guten dient.

Bei Hiob ist es so, dass es ihm am Ende besser geht, als zuvor. Er wird wieder gesund und erhält doppelt so viel Besitz und genauso viele Kinder, wie er zuvor hatte.

Aber so ist das ja nicht immer. Das Meiste, was wir im Leben verlieren, erhalten wir nicht zurück. Krankheiten enden oft tödlich. Und wen wir an den Tod verloren haben, der kehrt nicht zurück.

Trotzdem glaube ich, dass bei Gott am Ende alles gut wird. Weil bei Gott mit dem Tod nicht Schluss ist; weil am Ende das Leben steht. Weil nach dem Kreuz die Auferstehung kommt, darum glaube ich, hoffe ich, dass am Ende alles gut wird und dass auch das Schlimmste bei Gott einen Sinn hat.

Montag, 23. Februar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 23. Februar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

die ersten beiden Monate des Jahres 2015 sind fast rum. Und ich habe den Eindruck: Dieses Jahr hat nicht gut angefangen. Aller paar Tage gibt’s neue schlechte Nachrichten. Die Terroranschläge in Paris und Kopenhagen. Getötete Christen in Libyen. Der Terror des Islamischen Staates mit seinen Hinrichtungen und Vertreibungen. Und Leute, die mitten unter uns in Europa leben und das gut finden. Die Kämpfe in der Ukraine und die zunehmende Destabilisierung des Landes. Und die Schwierigkeiten des freien Westens, auf all dies richtig und angemessen zu reagieren. Dazu kommen innenpolitische Entwicklungen, die mir Angst machen: Ein Karnevalszug wird wegen einer Terrordrohung abgesagt. Demonstrationen werden nicht genehmigt, weil keine ausreichenden Polizeikräfte zur Verfügung stehen. Kann der Staat die Sicherheit seiner Bürger und die Ausübung von Grundrechten nicht mehr garantieren?, frage ich mich mit Sorge. Ich muss gestehen: Mich beschleicht eine Angst, dass das Leben in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand, wie wir es in den letzten Jahrzehnten gelebt haben, so bald nicht mehr möglich sein könnte. Die Einschläge kommen näher.

Und im persönlichen Bereich ist es nicht anders. In den letzten Tagen und Wochen erreichten uns – gerade auch aus unserer Kirchengemeinde – überdurchschnittlich viele Nachrichten von plötzlichen schweren Erkrankungen, von Todesfällen und anderen Katastrophen.

Hiobsbotschaften, wie man sagt.

Hiob – das war der Mann in der Bibel, dem es von einem Tag auf den anderen den Boden unter den Füßen wegzog, als plötzlich ein Bote nach dem anderen bei ihm vor der Tür stand und vermeldete: Deine Rinder und Esel wurden von einer bewaffneten Truppe geraubt. Deine Schafe wurden durch Blitzschlag getötet. Deine Kamele bei einer ausländischen Militäraktion geraubt. Und alle deine Knechte, die dabei waren, die haben sie auch getötet. Deine Kinder haben gerade zusammen gefeiert, da hat ein Wirbelsturm das Haus zerstört, auch sie sind alle tot.

Wie kann man leben, wenn die Hiobsbotschaften auf einen niederprasseln? Und wie kann man da an einen guten Gott glauben?

Hiobs erste Reaktion war: Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRn sei gelobt!

Ob wir es schaffen würden, in so einer Situation diesen Satz zu sprechen? – Wahrscheinlich nicht.

In den nächsten Tagen möchte ich mit Ihnen weiter nachdenken über Hiob und die Frage, warum Gott den Menschen so viel Leiden zumutet.

Sonntag, 22. Februar 2015

Predigt am 22. Februar 2015 (Sonntag Invokavit)

Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Er aber antwortete und sprach: „Es steht geschrieben: ,Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.‘“
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ,Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.‘“ Da sprach Jesus zu ihm: „Wiederum steht auch geschrieben: ,Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen.‘“
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ Da sprach Jesus zu ihm: „Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: ,Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.‘“
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Matthäus 4, 1-11



Jesus wurde vom Geist geführt. Wie schön! Wie wahr! Wie gut! Der Geist, der über ihn gekommen war bei der Taufe – eben gerade von Matthäus erzählt –, der Geist Gottes übernimmt die Führung in seinem Leben. Gottes Sohn – vom Geist geführt.
Und auch wir: Gottes Kinder, Töchter, Söhne – vom Geist geführt.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt. Das ist nicht mehr ganz so schön. Einen Tag Wüste als Tourist mit einheimischem Führer, Wasser und Proviant – das ist interessant, spannend, sogar lustig; das kenne ich. Vierzig Tage Wüste als Asket, nur vom Geist geführt, mit wenig Wasser und ohne Proviant – das ist auch interessant und spannend, aber nicht mehr lustig. Wüste – das ist die Grenzerfahrung. Da geht es ums Überleben. Leiblich und geistlich.
Und auch uns bleiben Wüsten nicht erspart. Grenzerfahrungen. Wenn es plötzlich ans Leben geht. Wenn es ums Überleben geht. Wenn es uns den Boden wegzieht. Wenn wir am Rande unserer Kräfte sind. Nur noch funktionieren. Und nicht mehr wissen, wie lange noch. Sind wir auch dann noch vom Geist geführt? Darauf käme es ja an, dass wir in den Wüsten nicht von allen guten Geistern verlassen sind.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Nicht genug der Wüste. Er läuft dem Teufel in die Arme. Vom Geist geführt. Mitten in die Versuchung.
Wir beten: „Führe uns nicht in Versuchung! Führe uns, Gott, aber führe uns nicht in Versuchung! Nicht in die Wüste, nicht in die Arme des Teufels, nicht in den Kampf ums Überleben. Sondern erlöse uns von dem Bösen!“
Gott selbst versucht niemand (Jakobus 1, 13). Aber er führt in Situationen, in denen wir versucht werden. Extremsituationen. Tage und Wochen in der Wüste ohne Nahrung und im Angesicht des Teufels. Er führt hinein in die Wüste. Er führt aber auch hindurch durch die Wüste. Führe uns in der Vesuchung! beten manche. Und er führt wieder heraus aus der Wüste. Aus dem Tal der Todesschatten – ins Leben.
*
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“
Brot ist gut. Brot ist elementar fürs Leben. Wir bitten um das tägliche Brot. Wir sorgen uns, dass es genug Brot für die Welt gibt. Das ist uns wichtig. Gottes Wort für die Welt, christliche Mission also, ist uns dagegen ein bisschen peinlich. Brot für die Welt ist ok.
Die Grundbedürfnisse müssen befriedigt werden: Nahrung, Kleidung, Gesundheit, soziale Kontakte, Sexualität.
Bei den Grundbedürfnissen setzt der Teufel an. Beim täglichen Brot.
Jesus braucht Brot – nach vierzig Tagen Fasten. „Mach dir doch welches“, sagt der Teufel. „Wenn du Gottes Sohn bist, dann kannst du das doch! Oder stimmt es etwa nicht? Bist du gar nicht Gottes Sohn? Kannst du gar keine Steine in Brot verwandeln? Bist du am Ende doch nur ein normaler Mensch? Ein gewöhnlicher Hungerleider?“
„Und du, Christenmensch, wenn du Gottes Kind bist, dann kannst du auch erwarten, dass Gott dich mit allem versorgt, was du brauchst. Dass er dich bevorzugt behandelt. Dass er deine Bedürfnisse befriedigt, deine Krankheiten heilt, es dir gut gehen lässt. Und wenn nicht, dann stimmt wohl mit deinem Glauben was nicht – oder mit deinem Gott?“
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sagt die Schrift, sagt Jesus. Der Mensch lebt von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.
Wenn du Gott brauchst, um deine materiellen und kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen – vergiss es. Wenn du Gott brauchst, damit es dir besser geht als anderen – vergiss es. Im Reich Gottes gibt es keine Privilegien.
Wenn du Gott aber brauchst, weil deine Seele hungrig ist; wenn du Gott brauchst, weil seine Worte dich trösten und dir Kraft geben, gerade wenn du in der Wüste bist; wenn du Gott brauchst, weil er dir das Leben gibt in dieser Zeit und in Ewigkeit, dann bist du bei ihm richtig.
Wenn du zuerst betest, dass sein Reich komme und sein Wille geschehe, dann darfst du ihn auch um dein tägliches Brot bitten. Das tägliche Brot, das ist das, was du wirklich brauchst; nicht mehr. Einen Anspruch auf Privilegien und Sonderverpflegung hast du nicht.
*
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ,Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.‘“
Der Teufel ist ein Theologe. Man sollte meinen, er scheut das Wort Gottes. In Wahrheit kennt er es ganz genau. Um es gegen uns zu verwenden. Er reißt die Sätze aus dem Zusammenhang. Er haut uns Bibelsprüche um die Ohren, dass uns Hören und Glauben vergehen.
Hier ist es ausgerechnet einer unserer Lieblingssprüche, den der Teufel zitiert: Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir… Seit Jahren der Lieblingstaufspruch, den Eltern für ihre Kinder auswählen. Er passt auch gut in diese Zeit, wo Eltern ihre Kinder zum Spielplatz begleiten und mit dem Auto zur Schule bringen und sie möglichst keinen Augenblick unbeaufsichtigt lassen. Sie wollen sie ja am liebsten selber auf den Händen tragen, damit sie ihren Fuß auch ja nicht an einem Stein stoßen, geschweige denn sich mal die Knie aufschlagen. Aber sie ahnen, dass sie das nicht immer schaffen und so müssen dann Gottes Engel herhalten, dass sie die Behütungsdefizite der Helikoptereltern ausgleichen.
Das ist – sage ich mal – grenzwertig. Dass wir von Gott erbitten, dass seine Engel uns in Gefahr bewahren, das ist schon gut und richtig. Aber dass Gott und Engel und christliche Taufe am Ende nur dazu da sind, dass wir und unsere Kinder unbeschadet und unverletzt durchs Leben gehen, als eine Art himmlische Versicherung, das ist dann eben nicht mehr gut und richtig. Da haben wir was verwechselt. Gott ist nicht für uns da, sondern wir sind für Gott da. Gott ist nicht dafür da, um unsere Bitten zu erhören, sondern wir sind da, um auf Gottes Wort zu hören.
Für Jesus heißt es wieder: Wenn du Gottes Sohn bist..., Wenn du Gottes Sohn bist, dann kannst du doch auch von der Zinne des Tempels springen. Du bist Superman, du kannst fliegen.
Da haben wir es wieder: Wenn du Gottes Sohn bist. Gottes Sohn zu sein gibt Jesus keine Privilegien. Nichts für sich selbst. Wunder gibt’s nur für andere. Für ihn bleibt das Kreuz. Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig doch herab vom Kreuz, sagen sie später. Es ist dieselbe Stimme des Versuchers.
Und wenn du Gottes Kind bist, dann bist du auch nicht Superman. Dann stehst du nicht über den anderen, sondern eher unter den anderen. Du bist nicht dazu berufen, von Gottes Engeln auf den Händen getragen zu werden, sondern selber Gottes Engel zu sein, der andere davor bewahrt, dass sie ihren Fuß an einem Stein stoßen.
Da sprach Jesus zu ihm: „Wiederum steht auch geschrieben: ,Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen.‘“
Also: Wer wen? Versucht Gott uns? – Nein. Versuchen wir Gott? – Besser nicht!
Gott versuchen, heißt: ihn zwingen zu wollen, ihn manipulieren zu wollen, ihn den eigenen Zwecken dienstbar machen wollen. Aber Gott ist nicht für uns da und für unsere Zwecke und Bedürfnisse. Wir sind für Gottes Zwecke da.
*
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Am Ende geht es um die Machtfrage. Der Teufel bietet Jesus die Macht an über die ganze Welt, wenn Jesus nur ihn anbetet: „Das willst du doch, Jesus, die Macht über die ganze Welt, die dir jetzt nicht folgt und gehorcht. Du kannst die Welt verbessern, du kannst alles so machen, wie du es dir vorstellst. – Einem allein musst du dich unterwerfen. MIR.“ Sagt der Teufel.
Wenn du Gottes Sohn bist… - davon ist jetzt keine Rede mehr. Jesus soll die Seiten wechseln. Nicht mehr: Wenn du Gottes Sohn bist, sondern: wenn du niederfällst und MICH anbetest.
Der Teufel ist ein Lügner. Die Welt gehört ihm nicht. Er kann sie niemandem geben. Die Welt gehört Gott. Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen, heißt es im Psalm (24,1). Jesus ist in die Welt gekommen, die schon sein Eigentum ist (Johannes 1, 11), auch wenn ihn noch nicht alle als ihren Herrn anerkennen.
Am Ende geht es um die Machtfrage. Wer hat die Macht über unser Leben? Auf wen oder was setze ich mein Vertrauen und meine Hoffnung? Auf Besitz, Reichtum, Ruhm, Gesundheit…? Auf den Teufel? Oder auf Gott?
Da sprach Jesus zu ihm: „Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: ,Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.‘“
Es geht um das erste Gebot. Wenn wir Gottes Kinder sein und bleiben wollen, dann müssen wir auch Gott unseren Vater sein und bleiben lassen. Ihn anbeten, ihm allein dienen.
*
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Die Machtfrage ist geklärt. Der Teufel hat Jesus nichts zu sagen. Jesus hört auf Gott, und Gottes Engel dienen ihm.
Und wir? Gottes Kinder, Gottes Söhne und Töchter? Wir gehen, wie Gott uns führt. Wenn es sein muss in die Wüste. Wenn es sein muss, auch durch Versuchungen. Der Versucher wird es wohl immer wieder versuchen, uns in die Irre zu führen und von Gott wegzubringen. An Jesus aber hat er sich die Zähne ausgebissen. Ja, ausgebissen. Das ist wichtig zu wissen: Er ist zahnlos. Er kann uns nichts Ernsthaftes mehr antun. Selbst wenn wir den Versuchungen des Teufels erlegen waren, können wir jederzeit zu Jesus umkehren. Die Machtfrage ist geklärt. Jesus hat uns aus der Gewalt des Teufels befreit. Ein für allemal. Und wir gehen an seiner Seite: durch Wüsten, durch Versuchungen, über Höhen und Tiefen, durch Schuld und Vergebung, durch Leiden und Tod – ins Leben.

Sonntag, 15. Februar 2015

Predigt am 15. Februar 2015 (Sonntag Estomihi)

Jesus fing an, seine Jünger zu lehren:
„Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“
Und er redete das Wort frei und offen.
Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach:
„Geh weg von mir, Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen:
„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.
Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“
Markus 8, 31-38

Liebe Schwestern und Brüder,
in wenigen Wochen, am 9. April, um genau zu sein, jährt sich der Todestag von Dietrich Bonhoeffer zum 70. Mal. Nach einem kurzen Prozess am Vortag, ohne Protokoll, ohne Zeugen wurde er hingerichtet. Wenige Wochen noch vor Kriegsende.
Bonhoeffer musste sterben, weil er mit anderen zusammen für das Ende der Naziherrschaft gearbeitet hatte und auch mit den Attentätern vom 20. Juli 1944 in Verbindung stand.
Wir werden demnächst bei uns auch den Bonhoeffer-Film zeigen. Darin gibt es unter anderem zwei beeindruckende Schlüsselszenen:
Ganz am Anfang erleben wir Bonhoeffer in Amerika. Er bekommt das Angebot eines theologischen Lehrstuhls, er könnte dort bleiben. Aber er lehnt ab. Er geht nach Deutschland zurück. Dort, meint er, werde er nötiger gebraucht.
Die zweite Szene ist fiktiv, hat sich so direkt nicht zugetragen in seinem Leben. In der Haft, nachdem die Dokumente über den Widerstand gefunden worden waren, in denen auch sein Name stand, bekommt er das Angebot, ab jetzt für die Nazis zu arbeiten und so sein Leben zu retten. Bonhoeffer lehnt ab.
Indirekt hat sich diese Szene natürlich doch zugetragen. Er hätte sich jederzeit auf die andere Seite schlagen können und sein Leben retten. Er wollte es nicht, und er konnte es nicht. Weil es für ihn mehr gab und Wertvolleres gab als das eigene leibliche Leben.
Dietrich Bonhoeffer war Christ, Pfarrer, Theologe. Zehn Jahre zuvor hatte er ein Buch geschrieben mit dem Titel „Nachfolge“. Darin hatte er auch den Abschnitt ausgelegt, der uns heute Predigttext ist: die Leidensankündigung Jesu und seine Worte über die Nachfolge. Bonhoeffer schrieb dazu:
Nachfolge ist Bindung an den leidenden Christus. Darum ist das Leiden der Christen nichts Befremdliches. Es ist vielmehr lauter Gnade und Freude. Die Akten der ersten Märtyrer der Kirche bezeugen es, daß Christus den Seinen den Augenblick des höchsten Leidens verklärt durch die unbeschreibliche Gewissheit seiner Nähe und Gemeinschaft.
Eigentlich zu große Worte für einen damals 29-Jährigen. Und dann ist er selber hineingewachsen in diese großen Worte. War sich der Nähe und Gemeinschaft mit Christus in der Stunde des Todes gewiss. Jedenfalls berichtete der Lagerarzt, der seinen Tod bezeugen musste, später, Bonhoeffer habe sich ruhig von seinen Mithäftlingen verabschiedet, habe noch ein Gebet gesprochen und sei dann ruhig und gefasst in den Tod gegangen; so habe er keinen anderen sterben sehen.
Dabei hatte Bonhoeffer lange innerlich darum gekämpft, ob sein Weg in den Widerstand, ob die Unterstützung von Attentätern wirklich ein von Gott gebotener Weg wäre oder eine Tat, bei der man zum Sünder würde. Aber sein Gewissen sagte ihm, dass er diesen Weg gehen MUSSTE. Und sein Glaube sagte ihm, dass Gott dem Sünder vergeben würde. Am Ende aber war es wohl doch genau das: nicht Sünde, sondern Nachfolge. Kreuzesnachfolge. In seiner konkreten Situation.
Bonhoeffer hat sich den Weg in den Widerstand, den Weg ins Gefängnis und zuletzt den Weg an den Galgen nicht ausgewählt. Aber es war sein Weg, er MUSSTE ihn gehen. Hätte er versucht sein Leben zu erhalten, dann hätte er sich selbst verloren, hätte Schaden genommen an seiner Seele. Hätte sich und seinen Herrn verleugnet. – Ein tragischer Weg, ein tödlicher Weg, aber der richtige Weg und darum auch ein guter Weg.
*
Bonhoeffer ist nur einer. Einer unter vielen, die ihr Leben gegeben haben für das, was im Ernstfall mehr zählt als das eigene Leben. Bonhoeffer war nicht allein im Widerstand, und er war nicht der einzige, der an diesem Tag und an vielen anderen Tagen dafür hingerichtet wurde. Viele von ihnen waren auch Christen, und haben die Wachheit ihres Gewissens und die Kraft, dafür mit dem Leben einzustehen, aus ihrem Glauben empfangen.
Heute bezahlen Tausende mit ihrem Leben nur dafür, dass sie Christen sind und Christen bleiben wollen. Wie leicht ließe sich dieser Satz sagen: „Allah ist Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“ Und schon hätten sie ihr Leben gerettet. – Aber sie können diesen Satz nicht sagen. Weil sie Christus, ihren Herrn nicht verleugnen können. So werden sie zu Märtyrern.
Ich habe bewusst im aktuellen Gemeindebrief an die verfolgten Christen in aller Welt erinnert. Manchmal ist es staatliche Verfolgung, wie in Nordkorea. Und oft ist es die Verfolgung durch islamistische Terrorgruppen, wie in Nigeria oder Somalia, im Irak oder in Syrien. – Jesus nachfolgen, kann einen hohen Preis kosten – den Preis des eigenen Lebens.
Das ist die Extremsituation der Christusnachfolge. Ich bin jeden Tag unendlich dankbar, dass uns diese Extremsituation bis heute erspart geblieben ist.
*
John Lennon träumte in seinem Lied „Imagine“ einst von einer Welt, in der es nichts mehr gäbe, wofür man töten oder sterben müsste. Das klingt nach einem schönen Traum. Ich habe dazu einmal einen großen Gedanken gelesen: In Wahrheit wäre es eine schreckliche Welt, wenn es nichts mehr gäbe, das einem Menschen mehr wert wäre als das eigene Leben. Wenn Menschen nicht mehr bereit wären für einen anderen, den Geliebten, die Kinder oder vielleicht sogar ganz Fremde ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen; wo Menschen nicht mehr bereit wären, für ihre Überzeugungen, für die Freiheit, die Wahrheit, den Glauben schlimmstenfalls auch das Leben zu lassen. In so einer Welt würde man für seine nackte Haut alles andere verkaufen: seinen Glauben, seine Hoffnung, seine Liebe. Das kann ich nicht wollen. Man würde sein Leben erhalten und doch seine Seele verlieren. Man würde seine Menschlichkeit verlieren, die uns bereit macht, um Gottes und der Menschen willen etwas zu opfern, im schlimmsten Ernstfall auch das eigene Leben.
*
Es gibt dieses MUSS. Bonhoeffer MUSSTE den Weg von Widerstand und Ergebung gehen. Die verfolgten Christen MÜSSEN ihrem Herrn die Treue halten.
Jesus selber stand unter diesem MUSS. Es konnte gar nicht anders sein, wenn Gott in die Welt kommt, dass er da auf Widerstand, auf Ablehnung, auf Unverständnis und Hass trifft. Und es konnte gar nicht anders sein, als dass er sich dem nicht beugte. Nicht nachgab. Den Glauben, die Hoffnung, die Liebe nicht verriet, um sein eigenes Leben zu retten. Er hätte sich selbst verraten, und er hätte uns verraten. Der Menschensohn MUSSTE leiden und verworfen werden und getötet werden.
Er MUSSTE sein Leben verlieren, und er MUSSTE es gerade so erhalten: am dritten Tage auferstehen.
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Und wir? – Das eigene Leben geben in der Nachfolge Jesu – das ist die Extremsituation. Gott sei Dank, wird sie nicht allen immer abverlangt. Und ich bitte Gott, dass er uns alle vor dieser Extremsituation bewahren möge. Aber mehr noch bitte ich ihn, dass er unsere Seelen bewahren möge, falls es für uns doch zum Äußersten käme.
Wir haben uns von Christus in seine Nachfolge rufen lassen. Manchmal ist das leicht und schön. Manchmal ist der Weg mit ihm richtig gut, weil es so wunderbar ist, dass er mit uns geht, uns voran geht auf der Lebensbahn. Manchmal ist der Weg mit ihm aber auch schwer, richtig schwer. Gott sei Dank, sehen wir ihn vor uns, wie er uns vorangeht. Wie er das Schwerste durchsteht und wie er durch den Tod ins Leben geht. Er nimmt uns mit – auch durch das Schwerste, durch den Tod – ins Leben.
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Dietrich Bonhoeffer ließ vor seiner Hinrichtung seinem englischen Freund und Glaubensbruder, Bischof George Bell von Chichester, die Worte ausrichten: Für mich ist dies das Ende, aber auch der Anfang des Lebens.

Sonntag, 8. Februar 2015

Predigt am 8. Februar 2015 (Sonntag Sexagesimä)

Als eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu Jesus eilten, redete er in einem Gleichnis:
„Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.“ Als er das sagte, rief er: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
Es fragten ihn aber seine Jünger, was dieses Gleichnis bedeutete. Er aber sprach: „Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.
Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in feinem, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.“
Lukas 8, 4-15

I. Säen

Wir pflügen und wir streuen
den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen
steht in des Himmels Hand.
So geht das schöne Erntedanklied von Matthias Claudius.
Es ging ein Säman aus, zu säen seinen Samen, erzählt Jesus. Der Sämann streut den Samen auf das Land. Er streut großzügig: auch auf den Weg, der zwischen den Feldern festgetrampelt ist, auch zwischen die Dornen und die Hecken am Feldrand, auch auf den Haufen Steine dort am Rand, die er im Laufe der Jahre vom Acker aufgelesen hat. Er streut großzügig. Denn es soll viel wachsen; keine Ecke seines kleinen Stücks Land soll brach liegen. Lieber zu viel als zu wenig.
Wer kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen (2Ko 9,6). So hat es der Apostel Paulus ein paar Jahre später geschrieben.
Ist das zu großzügig, den Samen auch auf den Weg, in die Hecken und auf die Steine zu streuen? Verschwenderisch? – Nein, ist es nicht, denn knapper als das Saatgut ist die Fläche.
Ja, das ist zu allen Zeiten das Wichtigste in der Landwirtschaft: auf knapper Fläche, so viel Ertrag wie möglich zu bekommen.
Das ist es heute auch im ganz großen Maßstab. Die Ernährung von 10 Milliarden Menschen auf der Erde ist möglich. Aber nur, wenn die knappen landwirtschaftlichen Flächen möglichst hohe Erträge erzielen. Namentlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es da gewaltige Fortschritte gegeben. Eine grüne Revolution durch Fortschritte in der Pflanzenzucht, durch zielgenaues Düngen und auch durch grüne Gentechnik. Wenn heute landauf landab die kleinbäuerliche und so genannte biologische oder ökologische Landwirtschaft gelobt und gefördert wird, so dient das gerade nicht dem Fortschritt bei der Ernährungsfrage. Und wenn Entwicklungsorganisationen, wie – leider auch – Brot für die Welt, die kleinbäuerliche Landwirtschaft in den schwach entwickelten Ländern fördern, so dient das gerade nicht der Ernährungssicherheit. Offenbar haben wir aus unserem Gedächtnis getilgt, dass die Zeiten dieser ineffektiven, flächen- und ressourcenfressenden Landwirtschaft vergangener Jahrhunderte eben auch Zeiten von Knappheit, Hungersnöten und zumindest hoher Lebensmittelpreise waren. Auch Afrika braucht eine moderne Hochleistungslandwirtschaft, keine dörfliche Kleinfeldwirtschaft.
Also darum geht’s: um viel Frucht, einen großen Ertrag auf kleiner Fläche. Und da zählt jeder Quadratzentimeter.
Nicht überall, wo ein Samenkorn hinfällt, geht etwas auf. Aber überall, wo kein Samenkorn hinfällt, da geht garantiert nichts auf. Deshalb sät der Säman reichlich, großzügig – und so sät er im Segen.
Der Same ist das Wort Gottes. Und jeder Quadratzentimeter dieser Welt, jedes Menschenherz soll erreicht werden. Das geht nur, wenn reichlich gesät wird, selbst dorthin, wo wir wenig Hoffnung haben, dass etwas aufgeht.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!

II. Wachsen lassen
Wir pflügen und wir streuen
den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen
steht in des Himmels Hand.
Steht Wachstum und Gedeihen wirklich in des Himmels Hand, in Gottes Hand? Ausschließlich?
Ich denke an unseren Garten – Garten konnte man es eigentlich nicht wirklich nennen – in Augustusburg, unserer früheren Pfarrstelle. Unser Pfarrhaus und der Pfarrgarten lagen auf einem Berg, nur das Schloss Augustusburg lag noch höher. Und wo unser Garten war, da hatte man beim Bau des Schlosses den Bauschutt und das Felsgestein, das beim Bau im Wege war, abgelagert, damals vor vielen Jahrhunderten. Unter der Rasenfläche war alles voller Steine. Am Rande, an einer Mauer gab es so was wie eine Blumenrabatte, ein kleines Beet. Dort wollten wir ein paar Zierpflanzen wachsen lassen. Erst konnten wir kaum was pflanzen oder säen, weil alles voller Steine war. Ein junger Mann aus unserer Gemeinde hat dann tagelang damit zugebracht, die auszugraben. Das war ein großer Haufen, aber als wir ein paar Pflanzen einpflanzen wollten, da war der Boden immer noch voller Steine. Die Pflege auf dem steinigen Boden war schwierig. Und dann machte sich das Unkraut breit, so hässliche Disteln, bis wir dessen nicht mehr Herr wurden. – Irgendwann war die ganze Rabatte grün überwuchert; nur ein paar wenige von unseren Blümchen blühten noch zwischen den Wildkräutern. – Natürlich, wir waren da nicht konsequent genug und nachlässig bei der Pflege; Gartenarbeit war noch nie so mein Ding. Säen, Pflanzen und Ernten schon, aber Pflegen, Jäten, Umgraben … eher nicht. Aber ohne Pflege und Bodenbearbeitung geht es nicht; da wächst nicht viel oder nur das Verkehrte.
Bei Jesus klingt das manchmal so, als ob eigentlich gar keine Pflege nötig wäre. Einmal erzählt er davon, wie die Saat von selber aufgeht, nachdem sie ausgesät worden ist, und der Bauer tut gar nichts weiter dazu, lässt es einfach nur wachsen bis zum Tag der Ernte (Markus 4, 26-29). Ein andermal spricht er davon, dass es besser sei, das Unkraut unter dem Weizen wachsen zu lassen , weil man beim Ausreißen des Unkrautes den guten Weizen ja mit ausreißen könnte (Matthäus 13, 24-30).
Aber hier in dieser Gleichnisgeschichte, da kommt es zumindest auch auf die Bodenbearbeitung und die Bodenqualität an: Steine kann man beseitigen – freilich, vor dem Säen. Unkraut kann man wegmachen. Vor oder nach der Aussaat, je nach Methode.
Wahrscheinlich war das mit dem Weg und dem Unkraut früher sogar so, dass das alles mitsamt dem Samen nach der Aussaat untergepflügt wurde. Dann hatten auch die Samenkörner eine Chance, die auf dem Weg gelandet waren, sofern die Vögel nicht schneller waren.
Wenn der Same das Wort Gottes ist, dann ist Säen nicht alles. Dann ist Gottesdienst, Predigt und, was der Verkündigung des Wortes Gottes mehr ist, nicht alles.
Manchmal klingt da oder dort eine leise Anfrage auf: Was wir da alles so machen – Tanzen, Spielen, Literatur, Film, Konzerte oder Kabarett – das hat doch mit dem Wort Gottes, mit dem Evangelium gar nichts zu tun! – Nun ja, ich glaube, es ist zumindest so was wie Bodenbereitung für das Wort Gottes. Wer Freitag in der Geselligen Runde war, ist am Sonntag vielleicht bodenmäßig aufgelockert für den Samen des Wortes.
Säen ist das Wichtigste, aber damit etwas wächst, braucht es noch mehr. Ja, Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand. Aber nicht allein. Wir sind Gottes Mitarbeiter.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!

III. Frucht bringen
Pflanzen bringen Früchte, um sich zu vermehren. Das ist das Wichtigste: neuer Samen, damit neue Pflanzen heranwachsen können, immer und immer wieder.
Pflanzen bringen Früchte, damit andere, Mensch und Tier, davon leben können. Sie bringen einen gewaltigen Überschuss hervor: aus einem Samenkorn können hundert werden, sagt Jesus.
Theoretisch reicht es, wenn eines von den hundert Körnern wieder ausgesät wird, um wieder genug Weizen für die nächste Ernte zu bringen. Praktisch gibt es ein paar Verluste – auf dem Weg und zwischen den Steinen – und die Unsicherheit, ob die nächste Ernte wieder genauso gut wird. Deshalb tun wir vielleicht zwei oder drei von hundert Körnern zurück – als Saatgut.
Der Rest wird Mehl, Brot, Lebensmittel.
Wenn bei uns der Same des Wortes Gottes aufgeht, dann ist der Großteil Lebensmittel für uns, für unseren Glauben, damit wir im Glauben wachsen und bestehen.
Und dann gibt es noch einen kleinen Überschuss, den wir wieder aussäen können, damit neue Frucht wächst. Ein Korn oder zwei Körner. Es würde reichen für den Bestand der Kirche, wenn jeder von uns in seinem Leben nur in zwei oder drei Menschen den Glauben weckt.
Gott sei Dank, kann man das nicht so genau sehen und verrechnen! Wir wissen heute nicht, was morgen aufgeht. Wir können den Halm, der da wächst, meistens nicht mehr einem bestimmten Samenkorn zuordnen. Aber darauf kommt es ja auch nicht an.
Schlimm wäre es nur, wenn das Saatgut, der geringe Überschuss mit aufgezehrt würde. So wie es in Notzeiten manchmal gewesen ist: Der Hunger war so groß, dass nicht genügend Saatgut für die neue Aussaat blieb.
Manchmal komme ich mir vor wie in so einer geistlichen Hungersnot. Wir bereiten den Boden, wir säen und wir ernten, aber irgendwie reicht es nicht, um genügend Frucht zu bringen, um alle satt zu bekommen und genug für die neue Aussaat zu haben.
Aber dann denke ich auch wieder daran, wer eigentlich der Sämann ist und wer eigentlich Wachstum und Gedeihen gibt und wer eigentlich der Herr der Ernte ist. Und dann weiß ich: Was wir auch tun, es ist nur Mitarbeit auf dem Feld des Herrn: hier ein bisschen säen, dort ein bisschen pflegen, da ein wenig ernten.
Lasst uns das miteinander tun – in Gelassenheit und Geduld.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!