Montag, 26. März 2012

Predigt am 25. März 2012 (Judika)

Die Israeliten brachen auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: "Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise." Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: "Wir haben gesündigt, dass wir wieder den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme." Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: "Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und siehst sie an, der soll leben." Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die ehern Schlange an und blieb leben.
4. Mose (Numeri) 21, 4-9




Liebe Schwestern und Brüder,

sie hatten geträumt vom Gelobten Land und sind aufgewacht in der Wüste. Sie hatten sich überreden lassen zur Freiheit, damals als alles besser erschien als die Sklaverei in Ägypten, und erlebten nun einen täglichen Kampf ums Überleben. Damals waren sie wohl versorgt; denn Sklaven lässt man nicht verhungern, sie sollen ja ihre Arbeitsleistung bringen. Jetzt mussten sie für sich selber sorgen. Keiner stellte ihnen Fleischtöpfe bereit. Niemand baute ihnen ein Dach über den Kopf.

Sie waren frei, aber die Freiheit war mühsam. Jeden Tag führte der Weg ein Stück weiter ins Unbekannte. Jeden Morgen fanden sie den süßen Tamariskenhonig unter den Sträuchern – Manna hatten sie ihn genannt, und es war ihnen erschienen, als hätte Gott es persönlich vom Himmel fallen lassen. Unterwegs war ihnen immer wieder Gott begegnet: War ihnen als Wolke und als Feuer Wegweiser und Schutz. Hatte sie durch ein unglaubliches Wunder vor dem ägyptischen Heer errettet, das ihnen nachsetzte. Hatte sie vor Hunger und Durst, vor Feinden und Irrwegen bewahrt. Hatte ihnen Gebote und Ordnungen zum Leben gegeben. Und hatte ihnen versprochen, dass sie eines Tages ankommen würden im Gelobten Land.

Sie waren frei. Sie waren auf sich gestellt. Nein, sie waren auf Gott gestellt. Der Weg in die Freiheit war ein Weg des Glaubens, des Gottvertrauens.

Und das war ihnen unterwegs abhanden gekommen. Das unbehauste Unterwegssein wurde ihnen unerträglich. Das Brot vom Himmel, das Manna, ekelte sie. Der Weg ins Gelobte Land war ihnen nur noch ein Irren durch die Wüste. Und die Bewahrung, die sie erlebt hatten, war ihnen doch nur ein Hinausschieben des unausweichlichen Todes.

Als sich dann die Wegrichtung wieder änderte, weg vom Ziel, dahin zurück, wo sie schon gewesen waren, da brach sich der Verdruss Bahn in offenem Protest gegen Gott und seinen Mittelsmann, Mose: „Warum? Wären wir doch nie losgegangen! Hätten wir doch nie auf dich gehört!“

Es war ein sinnloser Protest. Denn ein Zurück gab es nicht. Bis hierher und nicht weiter, ging auch nicht, denn die Wüste ist kein Ort zum Bleiben. Es musste ja weiter gehen.

Es war vor allem eines: Die Aufkündigung des Gottvertrauens. Bis hierher hat mich Gott gebracht, aber hierher wollte ich nicht. Also jetzt weiter ohne ihn!

Dann seht zu, wie ihr weiter kommt ohne mich, sagte Gott. Und er schickte die Schlangen. Giftige Schlangen, deren Biss tödlich ist. Sterben in der Wüste – das könnt ihr haben, sagte Gott. Bis hierher habe ich euch bewahrt und am Leben erhalten, nun seht zu, wie ihr ohne mich leben könnt!

Was haben sie denn getan, dass Gott ihnen sogleich die tödliche Strafe schickt? – Nun, sie haben ihr Vertrauen weggeworfen, ihr Gottvertrauen, ihren Glauben. Das ist die eigentliche Sünde. Sünde ist nicht: zu viel Torte essen. Sünde ist nicht: fremden Frauen hinterhersehen. Sünde ist nicht: fragen und zweifeln. Sünde ist: Gott absagen und verzweifeln. Sünde ist: Vergessen, was Gott dir Gutes getan hat, und nichts Gutes mehr von ihm erwarten. – Das ist Sünde!

Sie bekommen, worauf sie vertrauen: den Tod in der Wüste statt das Leben in der Freiheit. Der Sünde Sold ist der Tod, heißt es im Neuen Testament bei Paulus (Römer 6, 23). Ohne Gott ist kein Leben, und wer die Quelle des Lebens verlässt, dem bleibt nur der Tod. Dem wird Gottes gute Schöpfung zur lebensfeindlichen Wüste. Das Leben, das seinen Ort und sein Ziel nur im Hier und Jetzt hat, endet tödlich. Leben ohne Transzendenz, Leben ohne Gott ist Sein zum Tode – mehr nicht.

Feurige Schlangen: Sie stehen für diese Ambivalenz der Schöpfung. Das, was in Gottes Augen gut war, ist für den Menschen nicht gut, jedenfalls nicht moralisch gut. Die Schlange steht für die bedrohliche Natur: Dem tödlichen Biss kann der Mensch kaum etwas entgegensetzen. Und sie steht doch auch für die beherrschbare und nutzbare Natur: Die Schlange ist Symbol der Heilung, und selbst Schlangengift kann heilen und Leben retten.

Als die Schlangen kommen und das Sterben anhebt, beginnt auch das Begreifen, das Umdenken, die Buße: Wir haben gesündigt. – Sündenerkenntnis. Sie kommt daher, dass die Konsequenz der Sünde sofort spürbar wird: Wer Gott verlässt, der ist von Gott verlassen.

Der strafende Gott ist der, der die Menschen zur Umkehr bewegen will. Der richtende Gott gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Vielleicht wäre es ja eine größere Gnade, auch wir würden es deutlicher spüren, dass Gott unsere Gottlosigkeit richtet und straft, als dass wir in unserem Wohlleben ständig das Gefühl haben: Es geht auch ohne Gott, und vielleicht sogar besser ohne ihn!

Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und gegen dich geredet haben. Wir haben gesündigt mit Gedanken, Worten und Werken. Bitte für uns! – Das Wunderbare ist, dass die Umkehr möglich ist. Glaube, dass Gott ja doch noch helfen kann. Hoffnung, dass nicht alles verloren ist.

Der strafende Gott wird zum rettenden Gott. Nein, er ist schon von Anbeginn der rettende Gott. Der seine Menschen befreit, geführt, bewahrt hat – so lange, bis sie selber dessen überdrüssig waren. Der rettende Gott zeigt mit seinem Strafen an, dass er der rettende Gott sein und bleiben will.

Wo Einsicht ist, ist Umkehr möglich. Wo Umkehr ist, ist Rettung möglich.

Freilich anders als erdacht: Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme! – Das hat er nicht getan.

Gott gab Mose eine merkwürdige Anweisung: eine Schlange aus Kupferbronze sollte er verfertigen und diese an einer Stange hoch sichtbar für alle aufstellen. Wer dann auf diese Schlange sah, sollte gerettet werden.

Was war der Sinn dahinter?

Vielleicht dieser: Sie sollten wieder Gott glauben. Statt auf die reale Gefahr, auf die lebendigen Schlangen da unten zu starren, sollten sie nun auf die künstliche Schlange da oben sehen. Das sollte ihre Rettung sein. Glaube nicht an die Gefahr, glaube an die Rettung! Und glaube dem Wort Gottes, auch wenn es unsinnig und unwahrscheinlich klingt! Die eherne Schlange war eine Anleitung zum Glauben.

Und vielleicht noch ein Sinn dahinter: Die andere Seite des Schlangensymbols wird hervorgekehrt: die Heilung und das Leben. Schöpfung wie sie sein soll. Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen des Lebens.

Schon in der Bibel, im Neuen Testament, ist diese Geschichte typologisch auf Jesu Kreuzigung gedeutet worden: Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Johannes 3, 14f) – Diese Typologie ist natürlich auch der Grund, weshalb uns an diesem Passionssonntag dieser Predigttext gegeben ist.

Ja, so wie mit der erhöhten Schlange so ist es auch mit dem gekreuzigten Christus: Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen des Lebens. Wenn wir auf das Kreuz Jesu sehen, dann sehen wir unser Leiden, unser Sterben, unseren Tod. Wir sehen es in seiner härtesten Form. Und ich bin dankbar, dass wir es hier in dieser katholischen Kirche so wie auch in unseren lutherischen Kirchen gestalthaft als Kruzifix vor Augen haben, nicht nur als abstraktes Symbol. Hier sehen wir den leidenden Menschen, der den Tod des Sünders stirbt. – Und in diesem Blick zum Kreuz, in diesem Blick, der Leiden, Sterben und Tod standhält, in diesem Blick, der darin zugleich Gottes Liebe erblickt, in diesem glaubenden Blick, ist unser Leben.


Liebe Schwestern und Brüder, wir träumen immer noch vom Gelobten Land. Und sind immer noch unterwegs durch Wüsten. Wir haben es uns inzwischen ganz gemütlich gemacht in unseren Wüsten, kommen oft auch ganz gut zurecht mit der Freiheit, selber unser Leben zu gestalten. Aber manchmal kommen wir uns fürchterlich unbehaust vor, merken, dass wir Mängelwesen sind. Stoßen an unsere Grenzen. Scheitern an den zerstörenden Kräften der Natur – außerhalb unser, wenn Naturkatastrophen zuschlagen; innerhalb unser, wenn Krankheit uns befällt. Scheitern jedenfalls irgendwann zwangsläufig an der Macht des Todes. – Und scheitern mit unserem Glauben: Wenn wir nicht mehr sehen, dass Gott uns befreit und bewahrt. Wenn wir das Ziel aus den Augen verlieren oder wenn wir unsere gemütliche Wüste schon für das Paradies halten und verzweifeln, wenn wir feststellen, das ist es nicht.

Manchmal haben wir das Glück, das Gott sich in Erinnerung bringt. Nicht immer auf die angenehme Art, mitunter auch mit feurigen Schlangen, wie auch immer die für uns aussehen mögen. Wenn wir uns dann wieder an Gott wenden, dann sind wir gerettet. Wenn wir aufschauen zum Kreuz Jesu, dann sind wir gerettet. Wenn wir wieder gewiss werden, dass Gott alles, aber auch alles getan hat, damit wir unser Ziel erreichen, dann sind wir gerettet, dann haben wir das Leben.

Sonntag, 18. März 2012

Predigt am 18. März 2012 (Lätare)


Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen offenbar geworden, und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden, das Wort zu reden ohne Scheu. Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Philipper 1, 12-21

Liebe Schwestern und Brüder,

für mich ist heute ein Freudentag. Für viele andere auch. Heute wird Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Ich freue mich nicht so sehr deswegen, weil Gauck ein Mann aus dem Osten ist oder weil er ein Pfarrer ist. An guten Leuten aus dem Osten mangelt es auch so nicht. Und andererseits würde ich nicht jeden Pfarrer, der sich in der Wendezeit als Bürgerrechtler profiliert hat, heute gerne als Bundespräsidenten sehen. – Aber Joachim Gauck, sehr wohl. Weil er ein großes Thema hat: die Freiheit. Freiheit in Verantwortung. Das ist auch für mich ein ganz großes Thema. Und mehr noch: weil für ihn die Freiheit im Grunde aus dem Glauben kommt. Seine Freiheit ist die Freiheit eines Christenmenschen.

So hoch er die politische Freiheit und die konkreten Freiheiten, die wir in einem demokratischen Rechtsstaat haben, schätzt, die eigentliche Freiheit, die innere Freiheit, die hatte er schon unter den schwierigen Bedingungen in der DDR: Die Freiheit, nicht mitmachen zu müssen, was von allen erwartet wurde. Die Freiheit, sich eine eigene Meinung zu bilden und sie zu vertreten. Die Freiheit, zu glauben, was ihm glaubwürdig war, und nicht, was uns an kommunistischen Glaubenssätzen eingetrichtert wurde. Und genau diese Freiheit, die hat Gauck in der christlichen Kirche und in der biblischen Botschaft gefunden.

Nein, er wollte ursprünglich sicher nicht Pfarrer werden, lieber Journalist. Aber das ging nicht. Er studierte Theologie, die wohl letzte Möglichkeit freier akademischer Bildung im sozialistischen Zwangssystem. Und selbst die noch mit dem Zwang zum Grundstudium des Marxismus-Leninismus – jedenfalls an der staatlichen Universität, wo Gauck studierte. – Obwohl es nicht der Weg war, zu dem er sich unbedingt berufen fühlte, ist er doch kein ungläubiger Pfarrer geworden. Im Gegenteil: Wenn man in seiner Autobiographie liest, dann erfährt man, wie er seiner Berufung nach und nach gewiss wurde, indem er Glauben lernte und im Glauben die Wahrheit fand, die frei macht.

Es war eine Wahrheit, die sich nicht von selbst verstand, die durchlebt und durchzweifelt werden musste, und dann doch da war als die tiefe Gewissheit: Ja, ich bin getragen, was immer auch geschieht.

Ich habe vieles anders erlebt als Joachim Gauck, aber das habe ich auch erlebt: Der christliche Glaube, die Rückbindung an Gott, den Grund meines Lebens, die Menschen in den kirchlichen Räumen, sie haben mich die Freiheit gelehrt. In unseren Jugendkreisen haben wir geredet und gefragt, diskutiert und gezweifelt, und wir waren darin frei. Wir haben uns entschieden für einen Weg, der nicht angepasst war, und der am Ende doch aus vielen Kompromissen bestand. Ich habe mit vielen anderen die Schikanen auf mich genommen, die man als Wehrdienstverweigerer bei den Bausoldaten erleben musste, und doch habe ich selten so viel geistige Freiheit erlebt, wie in der Gemeinschaft dieser ganz unterschiedlichen kritischen jungen Männer.

Auch ich habe Theologie studiert und habe es an der Kirchlichen Hochschule nachgerade als Erweckungserlebnis erfahren, wie freies, kritisches Denken aussehen kann. Z.B. als unser Philosophie-Lehrer Richard Schröder, dann auch einer der wichtigen Politiker von 89/90, mit uns die marxistischen Lehrsätze demontiert hat und uns richtige Philosophie gezeigt hat.

Nein, es ist kein Zufall, dass die Freiheitsbewegung von 1989 aus den Kirchen kam. Es war nicht nur der schützende Raum der letzten unabhängigen Großorganisation in der DDR; es war vor allem das, was diesen Raum ausmachte: Es war ja ein Raum der Begegnung, des Vertrauens, der Freiheit – inmitten einer uniformierten Gesellschaft, die vom Misstrauen gezeichnet war. Hier wuchs die innere Freiheit, die nach außen drängte. Denn die Freiheit des Geistes, die ihren Grund in Gott hat, sie machte die Freiheitsbewegung, das Eintreten für die äußere Freiheit erst möglich.

Es ist paradox: Wo wir geneigt sind zu denken, wir brauchten erst die äußere Religions- und Glaubensfreiheit, um dann frei glauben zu können, da zeigt sich: Die innere Freiheit des Glaubens ist auch schon da, wo Zwang und Unfreiheit ist, und erkämpft für sich und andere dann auch die Freiheit, in der wir ungezwungen glauben und leben können.

Es ist die Erfahrung, die die christliche Kirche immer wieder gemacht hat: Fast 300 Jahre Unterdrückung und Verfolgung haben die innere Freiheit der Christen nicht ausgelöscht, sondern haben das Christentum zur stärksten und einflussreichsten Religion im Römischen Reich werden lassen, die schließlich nicht mehr ignoriert werden konnte. Sie wurde schließlich von Kaiser Konstantin den anderen Religionen gleichgestellt und bald sogar bevorzugt. – Man kann die Konstantinische Wende im Nachhinien beurteilen wie man will: Für die Christen war das eine unglaubliche Befreiungserfahrung.

Drohungen, Zwang, Unterdrückung und Religionskriege haben die evangelische Wahrheit in der Reformationszeit und danach nicht zum Verstummen gebracht. Heute können wir in großer Freiheit evangelisch glauben und bekennen, auch in einst katholischen Landen. Für evangelische wie katholische Christen ist Religionsfreiheit zur Selbstverständlichkeit geworden.

Die Freiheit des Glaubens trotz Zwang, die Freiheit des Glaubens, die nach außen drängt, die sich nicht aufhalten lässt – darüber schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper.

Es ist ein Gefängnisbrief. Gefängnis heißt eigentlich Freiheitsentzug. Paulus, sonst immer unterwegs, immer aktiv in Sachen Glauben und christliche Freiheit, kann nicht, wie er will, sitzt fest. Muss zusehen, wie es ohne ihn läuft. Wie wir seinen Worten entnehmen können, muss er sogar mit dem Schlimmsten rechnen – der Todesstrafe. Aber Paulus schreib: Ich freue mich. Und selbst durch seinen Tod, werde ja noch Christus verherrlicht, und für ihn, dessen Leben, dessen Lebensinhalt Christus ist, ist auch Sterben letztlich noch Gewinn.

Ich freue mich, und ich werde mich auch weiterhin freuen. – Der ganze Philipperbrief ist ein Brief der Freude. Nirgendwo sonst kommt die Wörter freuen und Freude häufiger vor in der Bibel als hier. Diese Freude hat mit der Freiheit zu tun, mit der inneren Freiheit, der keine Ketten, kein Gefängnis, keine Mauer etwas anhaben kann.

Während Paulus im Knast sitzt, läuft draußen Gottes Wort weiter. Paulus kann nicht mehr öffentlich reden und wirken. Dafür tun es andere. Nicht immer aus lauteren Motiven, aber egal, so lange sie das Evangelium von Christus, das Evangelium von der Freiheit verkündigen, ist alles gut.

Und drinnen im Knast, da läuft es auch. Da macht Paulus selber Eindruck durch seine innere Freiheit, die er ausstrahlt. Alle wissen, warum er da ist: für Christus, für das Evangelium. Wer unter dem Wachpersonal vorher noch keine Ahnung hatte, was es damit auf sich hat, der weiß es inzwischen.

Man wollte Gottes Wort in Gestalt des Apostels einsperren, und nun läuft es noch viel besser als zuvor.
Das ist dieselbe Erfahrung, von der ich gesprochen habe: Die christliche Freiheit lässt sich nicht unterdrücken und einsperren. Sie drängt nach außen. Sie schafft sich ihre Freiräume. Sie macht Menschen mutig und frei. Ja, sie führt letztlich auch in eine freie Gesellschaft, in der die Wahrheit Raum hat.

Es ist schon paradox. Man könnte fast meinen: Zu viel Freiheit tut der christlichen Botschaft nicht gut. Religionsfreiheit heißt eben auch: nicht glauben dürfen oder anders glauben dürfen oder gleichgültig sein dürfen. Diese Gleichgültigkeit macht uns heute zu schaffen. Wir haben so viele Möglichkeiten, dass uns der Glaube nur noch wenig berührt und die selbstverständliche Freiheit nicht mehr kostbar ist. – Manche sagen: Damals in der DDR, da haben wir treuer, überzeugter, vielleicht sogar mit größerer innerer Freiheit geglaubt. – Das mag vielleicht im Einzelfall so sein; aber sollten wir uns deshalb nach der Unfreiheit zurücksehnen? Und sollten wir deshalb vergessen, dass der Zwang Menschen auch unfrei gemacht hat in ihren Herzen? Dass manche dem Druck unterlegen waren und die christliche Freiheit nicht bewahren konnten? Und dass die Unfreiheit auch unsere Herzen und Seelen deformiert hat, weil wir uns unbewusst anpassten, weil wir Kompromisse machten? – Wären wir denn wirklich auch bereit gewesen, für unseren Glauben ins Gefängnis zu gehen? Und dann noch uns zu freuen, wie Paulus?

Ich freue mich, zumindest bin ich dankbar, dass es immer wieder Menschen gab und gibt, die das konnten und die das können. Menschen, in denen der Glaube so stark ist, dass er dem Zwang widersteht, selbst wenn es ans Leben geht.

Ich denke an einen anderen Pfarrer aus DDR-Zeiten: Siegfried Schmutzler. Er war in den 50-er Jahren Studentenpfarrer in Leipzig und hat dann vier Jahre im Gefängnis gesessen – dafür, dass er seine ganz normale Arbeit getan hat: jungen Menschen das Wort Gottes gesagt, so dass sie gemerkt haben, dass es das Wort der Freiheit ist, unter den bedrückenden Verhältnissen dieser Zeit, und er ist mit ihnen zusammen zu den Arbeitern und einfachen Leuten in der Industrieregion Böhlen gegangen und hat dort für den Glauben geworben. Das alles hat man ihm verübelt und ihn aus dem Verkehr gezogen. Gebrochen worden ist er dadurch nicht. Und das Wort von der christlichen Freiheit wurde auch nicht zum Verstummen gebracht.

Ich denke an die Schwestern und Brüder, die heute anderswo in der Welt für ihren Glauben leiden. Z.B. an die 26-jährige Shamim Bibi aus Pakistan, Mutter eines fünf Monate alten Kindes, die vor kurzem unter dem Vorwurf der Blasphemie verhaftet wurde, angezeigt von Nachbarn, sie hätte den Propheten Mohammed beleidigt. Sie hatte sich wohl nur geweigert, als Christin zum Islam überzutreten. Kein Einzelfall.

Menschen wie sie, Menschen, die für ihren Glauben mit dem Leben einstehen, die für ihre innere Freiheit ihre äußere Freiheit verlieren, sie sind diejenigen, durch die das Wort Jesu Christi läuft und Menschen frei macht, innerlich und äußerlich.

Montag, 12. März 2012

Predigt am 11. März 2012 (Okuli)

Nur geringfügig überarbeitete Fassung einer Predigt von 2006



Umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht ge­schrieben (3.Mose 19,2): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde weilt, in Gottesfurcht; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr
Glauben und Hoffnung zu Gott habt.
1. Petrus 1, 13­-21




Liebe Schwestern und Brüder,

Dietrich Bonhoeffer hatte einen französischen Freund, und sie sprachen miteinander über ihre Lebensziele. Der Franzose sagte einen sehr mutigen, anspruchsvollen Satz: „Ich möchte ein Heiliger werden.“ Dietrich Bonhoeffer entgegnete nach kurzem Überlegen: „Ich möchte lernen, ein Christ zu sein.“

Petrus schreibt an Christen: Auch ihr sollt heilig sein. – Heilig sein – das scheint mehr zu sein als „bloß“ ein Christ zu sein. Ein Heiliger ist ein besonders qualifizierter Christ. Bonhoeffer in protestantisch-deutscher Bescheidenheit und in dem gut lutherischen Bewusstsein, immer ein Sünder zu sein und zu bleiben, sieht schon im Christsein allein eine Aufgabe, die groß genug ist für ein ganzes Leben. Ein Heiliger werden? – Unmöglich!

Der Name des französischen Freundes ist heute weitgehend vergessen; ich weiß ihn jedenfalls nicht mehr. Dietrich Bonhoeffer aber ist ein Heiliger geworden, wenn es denn sowas wie evangelische Heilige gibt.

Was ist ein Heiliger oder eine Heilige?

Mir stehen bestimmte Beispiele von Heiligen vor Augen. Zum Beispiel die sicher für viele sehr abgelegene Gestalt des Heiligen Antonius, von dem ich vor einigen Monaten schon mal erzählt habe:

Ein junger Mann in einem ägyptischen Dorf des 3. Jahrhunderts. Er lebt in einer Welt, die aus seinem Dorf besteht und einem wahrscheinlich nur selten benutzten Weg zum nächsten Dorf. Es gibt ein paar durch Kanäle bewässerte Felder – bis hinunter zum großen Fluss, dem Nil. In die andere Richtung beginnt nur wenige Schritte hinter den letzten Hütten die Wüste. Die Wüste ist für damalige Menschen kein Ort von dieser Welt. Dort wohnt der Tod, hausen wilde Tiere und Dämonen. Am Rande der Wüste begrub man die Toten, aber hineingehen in die Wüste – das war unmöglich.

In dieser kleinen Welt ist Antonius einer der Größten. Von seinen Eltern, die früh verstorben sind, hat er ungefähr 80 Hektar Land geerbt. Er ist der Schwarm sämtlicher Mädchen des Dorfes. Aber er ist leider nicht zu haben. Denn er ist ein bisschen verrückt. Er hat sich der Keuschheit verschrieben. Absolut fremd in dieser wohl geordneten dörflichen Welt.

Aber damit nicht genug. Als er in der Kirche das Evangelium vom reichen Jüngling hört, dem Jesus sagt: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib‘s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben (Matthäus 19, 21), da geht er hin, verkauft seinen Besitz und verschenkt seine Ländereien an die Nachbarn. Erst arbeitet er noch im Dorf für seinen Lebensunterhalt, dann zieht er hinaus zu den Gräbern, dorthin wo die Wüste beginnt. Dort haust er in einer der Grabhöhlen. Ein Freund bringt ihm von Zeit zu Zeit noch getrocknete Brotfladen, von denen er sich ernährt.

Was tut ein Einsiedler in der Wüste? – Er kämpft gegen den Teufel und seine Dämonen, die versuchen ihn mit allen Mitteln – von sexueller Verführung bis hin zu handgreiflicher Gewalt – von der Askese abzubringen. Antonius ist der Pionier christlicher Askese, der dann auch als erster noch weiter, noch tiefer in die Wüste zieht. Der buchstäblich diese Welt hinter sich lässt. Der dorthin geht, wo er nur noch sich selbst und den Mächten des Lichtes und der Finsternis unmittelbar gegenübersteht. – Und dann weichen die Mächte der Finsternis und zurück bleibt ein Mensch in der Gegenwart Gottes. Der äußerlich nichts tut als Psalmen zu beten und Seile zu flechten. Das mönchische „Bete und arbeite!“, 200 Jahre später in der Regel des Benedikt von Nursia festgehalten, nimmt bei Antonius seinen Anfang.

Das Verrückte ist: Antonius wird zur Attraktion seiner Zeit. Nicht nur seine Dorfbekannten pilgern zu ihm in die Wüste, sondern weit nilabwärts, bis in die Metropole Alexandria und schließlich bis ins ferne Konstantinopel erschallt die Kunde von ihm. Und die Menschen machen sich auf, um ihn zu sehen, ein Wort von ihm zu hören als Wegweisung fürs Leben, eine Berührung von ihm zu erfahren zum Segen und zur Heilung.

Andere Aussteiger folgen seinem Beispiel und beginnen unweit von ihm mit ihren asketischen Übungen. Nur wenige Jahrzehnte später wimmeln die ägyptischen und palästinensischen Wüsten von Einsiedlern, die jetzt gar nicht mehr so einsam siedeln, sondern sich in Vorformen klösterlicher Gemeinschaften zusammenfinden.
Einige Jahrzehnte später gehen aus diesen Klöstern wieder einzelne Asketen hervor, „Athleten Gottes“, wie man sie damals nannten, die wieder nach neuen Formen für die besondere Gottesnähe suchten. Höhepunkt dieser Entwicklung – im wortwörtlichen Sinne – waren dann die sogenannten Säulenheiligen, die auf bis zu 20 m hohen Säulen lebten, als erster ein gewisser Simeon. – Sonderbare Heilige!

Wir könnten sie ins Kuriositätenkabinett der Kirchengeschichte stellen – und würden ihnen damit doch Unrecht tun. Sie haben zu ihrer Zeit eine ungeheure Anziehungskraft ausgeübt. Warum? – Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Antonius und die Wüstenväter, bis hin zu den Säulenheiligen gerade in dieser Zeit aufgetreten sind, als das Christentum seinen großen Umbruch von einer verfolgten Minderheitenreligion zur Staatsreligion durchlebte. Es war eine Zeit, in der Christsein nichts Besonderes mehr war, nichts Besonderes mehr sein musste. Man konnte ein alltägliches bürgerliches oder bäuerliches Leben führen und Christ sein – ohne Schwierigkeiten, ohne Nachteile. Aber da gab es diese sonderbaren Heiligen, die die Worte Jesu neu hörten und sie erschreckend wörtlich nahmen. Diese Worte, wie wir sie auch im heutigen Evangelium (Lukas 9, 57-­62) gehört haben: Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. – Folge mir nach! – Der Ruf Jesu in die Heimatlosigkeit. Lass die Toten ihre Toten begraben. – Der radikale Bruch mit Sitte und Tradition, und schließlich der radikale Bruch mit der Familie (das steht an einer anderen Stelle): Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert  (Matthäus 10, 37). Diese Worte waren für sie der Ruf in ein radikal anderes Leben. Ein weltfremdes Leben. Ein Leben, das sich allem, was normal und menschlich anmutet, entzieht: einer sättigenden und schmackhaften Ernährung, den eigenen vier Wänden, der eigenen Sexualität, der eigenen Familie und überhaupt der menschlichen Gemeinschaft. Aber eben gerade deshalb ein Leben ganz für Gott – ein heiliges Leben eben. Diese Art des Christseins war wieder etwas Besonderes. Und in diesem Besonderen lag eine erstaunliche Kraft der Erneuerung des Christentums.

Es gibt ein kleines frisch und frech geschriebenes Buch über diese sonderbaren Heiligen; das hat mich auch mit zu dieser Predigt inspiriert. Es heißt: „Als die Religion noch nicht langweiligwar. Die Geschichte der Wüstenväter“ von Hans Conrad Zander. Wahrscheinlich gehört das zu den größten Gefährdungen des Christentums in unserer Zeit, dass es zu einer Religion erstarrt ist, die langweilig geworden ist. Wo merkt man noch etwas davon, dass Nachfolge Jesu spannend ist, ein Abenteuer, etwas völlig Verrücktes und Weltfremdes – so verrückt wie der Aussteiger Antonius in der Wüste oder Simeon auf der Säule? Heute machen uns andere solche Verrücktheiten vor, vielleicht um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen, oder im Dschungel-Camp. Spannend ist es anderswo, bloß nicht in der Kirche.

Bei den Heiligen ging es immer spannend zu. Da gab es den Hl. Franziskus, auch so ein junger Mann, der plötzlich etwas völlig Verrücktes tut, seinen Besitz weggibt und betteln, der sogar das einzige Neue Testament, das die Bruderschaft besitzt, verkauft, um mit dem Geld einer einzelnen bedürftigen Witwe zu helfen, und der so verrückt ist, dass er sogar für die Vögel predigt.

Oder es gab die Hl. Elisabeth von Thüringen. Als kleines Mädchen war die ungarische Prinzessin nach Eisenach gekommen und dem künftigen Landgrafen Ludwig verlobt worden. Als junge Landgräfin machte sie sich Feinde, weil sie den höfischen Besitz großzügig für Arme und Kranke ausgab. Ihr junger Mann starb auf dem Weg zum Kreuzzug, zu dem der Kaiser ihn gerufen hatte. Ob der neue Regent sie von der Wartburg vertrieb oder sie nur rausekelte, ist nicht sicher. Aber schon bald sah man sie mit ihren drei kleinen Kindern unter den einfachen Menschen leben und sich um Arme und Aussätzige kümmern. Auf Geheiß ihres Beichtvaters musste sie die Kinder weggeben und lebte nun ganz für die Armen, zum Teil im Schweinestall. Später konnte sie mit Hilfe des Erbteils, das ihr als Witwe zustand, in Marburg ein Aussätzigenspital errichten. Mit nur 24 Jahren starb sie. Nur vier Jahre nach ihrem Tod wurde sie heilig gesprochen.

All diese Heiligen sind irgendwie sonderbare Heilige. Offenbar gehört es zur Heiligkeit dazu, sonderbar zu sein. Ganz normal, unauffällig und langweilig sind sie nie gewesen, diejenigen, die in der Kirche als Heilige verehrt werden.

Und nun haben wir dieses Wort aus dem 1. Petrusbrief gehört: Auch ihr sollt heilig sein. Will doch sagen: Auch ihr sollt sonderbar sein. Auffällig und aufregend. Keine spießigen Langweiler. Eher Leute wie Antonius oder Simeon, wie Franziskus oder Elisabeth. Oder ganz einfach: wie Jesus. Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Jesus hat schlicht und einfach in völliger Einheit und Übereinstimmung mit Gott gelebt. Und so war und ist er der eigentliche Heilige. Und wenn wir von Nachfolge sprechen, dann ist doch genau das gemeint: Werden wie Jesus – ganz an Gott hingegeben, in völliger Einheit und Übereinstimmung mit Gott leben.

Ich fühle mich überfordert. Wie kann ich ein solcher Heiliger werden? – Erinnern wir uns: Dietrich Bonhoeffer fühlte sich auch irgendwie überfordert und sagte, er wolle lernen, ein Christ zu sein. Und er ist ein Heiliger geworden. 

Ich glaube, das ist die Art von Heiligkeit, die Jesus von uns erwartet: Lernen als Christ zu leben. Denn es gibt keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen Christen und besonders qualifizierten Christen. Es gibt keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen Christen und gewöhnlichen Heiligen. Christen sind eben sonderbare Heilige. Sonderbar ist nur, wenn man uns davon nichts anmerkt, dass wir etwas Besonderes sind.

Das kann und muss, glaube ich, unsere tägliche Frage unser tägliches Bemühen sein: um Gottes Willen etwas Besonderes sein! Nicht zuletzt, damit die christliche Religion nicht mehr so langweilig ist. Damit auch in Zukunft wieder die Leute kommen und staunen und außergewöhnliche Worte hören und außergewöhnliche Taten sehen: so wie bei Antonius, Simeon, Franziskus und Elisabeth.

Findet ihr das alles ein bisschen sonderbar, mit diesen sonderbaren Heiligen und unserem Bemühen um Heiligkeit? Klingt euch Evangelischen unter uns das zu katholisch, zu sehr nach Werkgerechtigkeit? – Das täuscht. Echte Heiligkeit ist nie Werkgerechtigkeit gewesen. Die „Athleten Gottes“ wurden nicht gelobt ob ihrer frommen Leistungen, sondern immer und immer wieder wurde Gott gelobt für das, was er an diesen und durch diese Menschen getan hat. Heiligkeit ist letzten Endes – so wissen alle – Gottes Gabe, Gottes Gnade und nicht menschliche Leistung.

Schon unser Predigttext erinnert uns daran, woher Heiligkeit kommt: Ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. – Heilig können wir nur sein, weil wir erlöst sind. Wir sind schon was Besonderes. Denn Gott hat uns durch Jesus Christus schon zu etwas Besonderem gemacht: zu heiligen Gotteskindern. Was uns Petrus und die anderen neutestamentlichen Briefe sagen, ist nur immer wieder die Aufforderung: Lebt, was ihr seid! Lebt als Heilige, weil ihr Heilige seid. Lebt als Christen, weil ihr Christen seid. Man darf es euch ruhig anmerken: Ihr seid sonderbare Heilige! Amen.

Sonntag, 4. März 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 4. März 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ich muss Ihnen etwas gestehen: Ich bin ein sehr furchtsamer Mensch. Besonders im Umgang mit anderen Menschen. Da bin ich regelrecht schüchtern und manchmal auch feige. Zu feige nämlich, zu sagen, was ich wirklich denke und sagen sollte. – Eigentlich sind das keine guten Eigenschaften für einen Pfarrer. Der sollte doch lieber mutig und offen sein, auf die Menschen zugehen und klar sagen, was Sache ist. Eigentlich! Gut, dass es viele Pfarrer gibt, die so sind!


Ich bin es nicht. Ich bin anders, und ich habe es mir nicht ausgesucht. Ich habe es mir auch nicht ausgesucht, Pfarrer zu werden. Das wollte Gott; ich hatte was anderes vor. Nun muss er mit einem schüchternen und furchtsamen Pfarrer zurechtkommen.


Der Apostel Paulus hatte offenbar einen Mitarbeiter, dem es ähnlich ging und der auch Aufgaben der Gemeindeleitung hatte, die man mit denen eines Pfarrers vergleichen kann. In einem Brief an diesen Mitarbeiter – Timotheus hieß er – merkt man, wie Paulus regelrecht gegen die Furchtsamkeit und Schüchternheit seines jungen Freundes angeschrieben hat. Und mittendarin fällt ein wunderbarer Satz, der nun heute in den Herrnhuter Losungen steht: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2. Timotheus 1, 7).


Diesen Satz kenne und liebe ich schon seit Jahrzehnten, denn er ist ein Satz, wie für mich geschrieben.



Er erinnert mich an Gottes Geist, der bei mir und in mir ist. Er ist kein Geist der Furcht. Wenn Gott bei mir ist, wenn sein Geist mich leitet, brauche ich mich überhaupt nicht zu fürchten.

Und dabei ist Gottes Geist nicht einfach nur der Geist der Furchtlosigkeit, nein, er ist auch der Geist der Kraft: Mit ihm habe ich die nötige Energie für die Aufgaben, die ich zu tun habe, und – wichtiger noch – für die Menschen, mit denen ich zu tun habe. 



Er ist der Geist der Liebe: Mit ihm kann ich die Menschen so sehen, wie sie sind, wie sie sein wollen, wie sie sein können.


Und er ist der Geist der Besonnenheit: Mit ihm werden meine Gedanken und Gefühle klar. Und vielleicht ist gerade das wichtig: Besonnenheit ist das positive Gegenstück zu Feigheit und Schüchternheit. Ich muss nicht schüchtern und feige sein, aber ich bin zurückhaltend und besonnen.

Ich habe gelernt: Gottes Geist formt mich zu dem Menschen, den Gott brauchen kann.



Und das tut er nicht nur mit mir, sondern mit jedem, der sich auf ihn einlässt.

Samstag, 3. März 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Samstag, dem 3. März 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Jesus von Nazareth hat während seiner kurzen Wirkungszeit auf Erden im wesentlichen zwei Dinge getan: Er hat geredet – wir kennen viele seiner Reden, seiner Gleichnisse und seiner Gespräche mit anderen Menschen – und er hat geheilt. Heute lesen wir in den Herrnhuter Losungen eine Zusammenfassung über das Heilen Jesu: Wo Jesus in Dörfer, Städte und Höfe hineinging, da legten sie die Kranken auf den Markt und baten ihn, dass diese auch nur den Saum seines Gewandes berühren dürften; und alle, die ihn berührten, wurden gesund (Markus 6, 56).


Offenbar sind die Geschichten von Heilungen einzelner Menschen nur herausgegriffene Einzelfälle, und es waren noch viel mehr, die sich von Jesus Heilung erwartet und bei ihm Heilung gefunden haben.


Ich betone es gerne, habe es auch an dieser Stelle schon getan, dass Gesundheit nicht das Höchste und Wichtigste im Leben sein soll, denn das Höchste und Wichtigste ist Gott. Trotzdem ist Gesundheit nichts Unwesentliches, ganz im Gegenteil. Denn Kranksein beeinträchtigt uns, belastet uns, macht uns das Leben schwer. Jesus, den viele gern den Heiland nennen, bringt nicht nur das ewige Heil für die Seele, sondern auch Heilung für den Leib.


Darum fühlen wir uns als Christen auch besonders dafür verantwortlich, dass Kranke Heilung erfahren können. Es waren häufig bewusste Christen, die sich ganz der Krankenpflege hingegeben haben. Das merken wir noch heute, wenn wir den Ausdruck “Krankenschwester” gebrauchen, denn die “Schwester”, das war eben die Nonne oder die Diakonisse.


Eine Form der besonderen Zuwendung zu Kranken ist der Krankenbesuch. Und das Krankengebet. Wir beten für unsere Kranken. Denn wir sind überzeugt, dass die heilende Kraft, die von Jesus ausgegangen ist, auch unter uns wirken kann.



Kranken werden sie die Hände auflegen, so wird’s besser mit ihnen (Markus 16, 18), hat Jesus denen versprochen, die an ihn glauben.

Da, wo ich früher in Deutschland Pfarrer war, haben wir das auch regelmäßig im Gottesdienst getan: für Kranke gebetet und sie mit Handauflegung gesegnet. Die wenigsten sind dadurch sofort und spürbar geheilt worden. Aber die meisten haben Kraft und Zuversicht empfangen und sind so der Heilung näher gekommen.


Was tun wir nicht alles für die Gesundheit. Versuchen wir es doch auch mal mit Beten.

Freitag, 2. März 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 2. März 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Mitte der achtziger Jahre – lang ist’s her – haben wir eine russische Vokabel gelernt: glasnost’. Man kann das mit Offenheit, Öffentlichkeit oder auch Transparenz übersetzen.



Glasnost’ stand für den Prozess der Öffnung der geschlossenen kommunistischen Gesellschaft in der damaligen Sowjetunion. Nach fast siebzig Jahren Gleichschaltung, in denen nur geschrieben, gesagt und gedacht werden durfte, was die allwissende und allmächtige Partei verordnete, wurde es auf einmal möglich eigene Gedanken zu denken und auszusprechen, Fragen zu stellen und über Dinge zu schreiben, die es zuvor gar nicht geben durfte. Probleme wie der marode Zustand der Wirtschaft und der Versorgung wurden erstmals öffentlich thematisiert. Über die Verbrechen der Stalin-Zeit wurde öffentlich debattiert. Archive wurden geöffnet und vieles mehr. Wir haben das damals als eine ungeheure Befreiung empfunden: Menschen, konnten sich frei äußern; Probleme wurden offen diskutiert; den Regierenden konnte man auf die Finger sehen und sie mussten sich verantworten, für das, was sie taten oder auch nicht. Glasnost’ entwickelte eine Eigendynamik, die letztlich zum Zusammenbruch des ganzen Sowjetsystems, des Ostblocks und auch der DDR führte. Gedanken, Informationen, Meinungen lassen sich auf die Dauer nicht verbieten oder einsperren. Sie werden sich früher oder später Bahn brechen.

Für uns sind Meinungsfreiheit, Öffentlichkeit und Transparenz selbstverständlich geworden. Zur Zeit erleben wir, wie durch das Internet die Öffentlichkeit noch mal eine neue Qualität erhält, nicht zuletzt dadurch, dass heute jeder leichten Zugang zu Informationen hat, die früher mitunter schwer zu beschaffen waren, und auch dadurch, dass jeder sich zu einem Teil dieser Öffentlichkeit machen kann – vom Leserkommentar bei Spiegel online bis hin zum eigenen Blog.


Das heutige Wort aus den Herrnhuter Losungen nimmt Offenheit und Transparenz vorneweg. Jesus sagt: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden soll, und ist nichts geheim, was nicht an den Tag kommen soll (Markus 4, 22). – Und er meint damit, dass wir uns mit unserem Glauben, mit unseren Überzeugungen in der Öffentlichkeit nicht zu verstecken brauchen. Die freie Gesellschaft bietet alle Chancen dazu.

Donnerstag, 1. März 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 1. März 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

einmal im Monat fahre ich mit der Fähre rüber nach La Gomera, um dort Gottesdienst zu feiern und Gemeindeglieder zu treffen.



So eine Schifffahrt, habe ich gleich beim ersten Mal gemerkt, ist eine schauklige Angelegenheit – anders als bei den Raddampfern auf der Elbe, die ich aus meiner sächsischen Heimat kenne. Wenn ich während der Fahrt übers Deck laufe, dann komme ich mir vor wie schwer alkoholisiert: ich eiere von einer Seite auf die andere und muss aufpassen, dass ich senkrecht bleibe. Jedenfalls, wenn etwas schwerere See ist; aber auch sonst ist es zu spüren. Weil das nicht nur mir so geht, sind zum Glück überall Handläufe angebracht, an denen ich mich festhalten kann. Ich falle nicht, weil ich einen Halt habe.

So eine Schifffahrt ist keine ganz ungefährliche Sache. Jedenfalls gefährlicher als mit dem Flugzeug zu fliegen. Wir sehen noch die Bilder des italienischen Kreuzfahrtschiffs vor uns, das vor wenigen Wochen auf Klippen gelaufen war. Im Falle einer Schiffskatastrophe ist es elementar wichtig, rechtzeitig rauszukommen, von Bord zu kommen, ein Rettungsboot zu haben, und falls man doch im Wasser landen sollte, dann einen Rettungsring oder irgend etwas anderes, woran man sich festhalten kann. Denn wir haben selbst nicht genügend Kraft, uns längere Zeit über Wasser zu halten. Wir brauchen einen Halt, der uns hält.


Für mich sind das Bilder für den christlichen Glauben, für die christliche Hoffnung. Solange wir mit unserem Leben in ruhiger See unterwegs sind, können wir uns ganz gut aus eigener Kraft aufrecht und über Wasser halten. Wenn es stürmisch wird, sind Haltestangen und Handläufe hoch willkommen. Und wenn wir gar Schiffbruch erleiden sollten, dann hängt unser Leben davon ab, dass wir etwas haben, an dem wir uns festhalten können. Der Glaube, das Bekenntnis zu Gott, die Hoffnung auf ihn – das könnte unsere Rettung sein.


Daran musste ich denken, als ich das Wort für den heutigen Tag in den Herrnhuter Losungen gelesen habe: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat (Hebräer 10, 23)


Möge der treue Gott auch für  Sie der feste Halt sein in allen Stürmen des Lebens.