Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
Mitte der achtziger Jahre – lang ist’s her – haben wir eine russische Vokabel gelernt: glasnost’. Man kann das mit Offenheit, Öffentlichkeit oder auch Transparenz übersetzen.
Glasnost’ stand für den Prozess der Öffnung der geschlossenen kommunistischen Gesellschaft in der damaligen Sowjetunion. Nach fast siebzig Jahren Gleichschaltung, in denen nur geschrieben, gesagt und gedacht werden durfte, was die allwissende und allmächtige Partei verordnete, wurde es auf einmal möglich eigene Gedanken zu denken und auszusprechen, Fragen zu stellen und über Dinge zu schreiben, die es zuvor gar nicht geben durfte. Probleme wie der marode Zustand der Wirtschaft und der Versorgung wurden erstmals öffentlich thematisiert. Über die Verbrechen der Stalin-Zeit wurde öffentlich debattiert. Archive wurden geöffnet und vieles mehr. Wir haben das damals als eine ungeheure Befreiung empfunden: Menschen, konnten sich frei äußern; Probleme wurden offen diskutiert; den Regierenden konnte man auf die Finger sehen und sie mussten sich verantworten, für das, was sie taten oder auch nicht. Glasnost’ entwickelte eine Eigendynamik, die letztlich zum Zusammenbruch des ganzen Sowjetsystems, des Ostblocks und auch der DDR führte. Gedanken, Informationen, Meinungen lassen sich auf die Dauer nicht verbieten oder einsperren. Sie werden sich früher oder später Bahn brechen.
Für uns sind Meinungsfreiheit, Öffentlichkeit und Transparenz selbstverständlich geworden. Zur Zeit erleben wir, wie durch das Internet die Öffentlichkeit noch mal eine neue Qualität erhält, nicht zuletzt dadurch, dass heute jeder leichten Zugang zu Informationen hat, die früher mitunter schwer zu beschaffen waren, und auch dadurch, dass jeder sich zu einem Teil dieser Öffentlichkeit machen kann – vom Leserkommentar bei Spiegel online bis hin zum eigenen Blog.
Das heutige Wort aus den Herrnhuter Losungen nimmt Offenheit und Transparenz vorneweg. Jesus sagt: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden soll, und ist nichts geheim, was nicht an den Tag kommen soll (Markus 4, 22). – Und er meint damit, dass wir uns mit unserem Glauben, mit unseren Überzeugungen in der Öffentlichkeit nicht zu verstecken brauchen. Die freie Gesellschaft bietet alle Chancen dazu.
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