Umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben (3.Mose 19,2): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde weilt, in Gottesfurcht; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr
Glauben und Hoffnung zu Gott habt.
1. Petrus 1, 13-21
Liebe Schwestern und Brüder,
Dietrich Bonhoeffer
hatte einen französischen Freund, und sie sprachen miteinander über
ihre Lebensziele. Der Franzose sagte einen sehr mutigen,
anspruchsvollen Satz: „Ich möchte ein Heiliger werden.“ Dietrich
Bonhoeffer entgegnete nach kurzem Überlegen: „Ich möchte lernen,
ein Christ zu sein.“
Petrus schreibt an
Christen: Auch ihr sollt heilig sein. – Heilig sein – das
scheint mehr zu sein als „bloß“ ein Christ zu sein. Ein Heiliger
ist ein besonders qualifizierter Christ. Bonhoeffer in
protestantisch-deutscher Bescheidenheit und in dem gut lutherischen
Bewusstsein, immer ein Sünder zu sein und zu bleiben, sieht schon im
Christsein allein eine Aufgabe, die groß genug ist für ein ganzes
Leben. Ein Heiliger werden? – Unmöglich!
Der Name des
französischen Freundes ist heute weitgehend vergessen; ich weiß ihn
jedenfalls nicht mehr. Dietrich Bonhoeffer aber ist ein Heiliger
geworden, wenn es denn sowas wie evangelische Heilige gibt.
Was ist ein
Heiliger oder eine Heilige?
Mir stehen
bestimmte Beispiele von Heiligen vor Augen. Zum Beispiel die sicher
für viele sehr abgelegene Gestalt des Heiligen Antonius, von dem ich vor
einigen Monaten schon mal erzählt habe:
Ein junger Mann in
einem ägyptischen Dorf des 3. Jahrhunderts. Er lebt in einer Welt,
die aus seinem Dorf besteht und einem wahrscheinlich nur selten
benutzten Weg zum nächsten Dorf. Es gibt ein paar durch Kanäle
bewässerte Felder – bis hinunter zum großen Fluss, dem Nil. In
die andere Richtung beginnt nur wenige Schritte hinter den letzten
Hütten die Wüste. Die Wüste ist für damalige Menschen kein Ort
von dieser Welt. Dort wohnt der Tod, hausen wilde Tiere und Dämonen.
Am Rande der Wüste begrub man die Toten, aber hineingehen in die
Wüste – das war unmöglich.
In dieser kleinen
Welt ist Antonius einer der Größten. Von seinen Eltern, die früh
verstorben sind, hat er ungefähr 80
Hektar Land geerbt. Er ist der Schwarm sämtlicher Mädchen des Dorfes. Aber er
ist leider nicht zu haben. Denn er ist ein bisschen verrückt. Er hat
sich der Keuschheit verschrieben. Absolut fremd in dieser wohl
geordneten dörflichen Welt.
Aber damit nicht
genug. Als er in der Kirche das Evangelium vom reichen Jüngling
hört, dem Jesus sagt: Willst du vollkommen sein, so geh hin,
verkaufe, was du hast, und gib‘s den Armen, so wirst du einen
Schatz im Himmel haben (Matthäus 19, 21), da geht er hin, verkauft seinen Besitz
und verschenkt seine Ländereien an die Nachbarn. Erst arbeitet er
noch im Dorf für seinen Lebensunterhalt, dann zieht er hinaus zu den
Gräbern, dorthin wo die Wüste beginnt. Dort haust er in einer der
Grabhöhlen. Ein Freund bringt ihm von Zeit zu Zeit noch getrocknete
Brotfladen, von denen er sich ernährt.
Was tut ein
Einsiedler in der Wüste? – Er kämpft gegen den Teufel und seine
Dämonen, die versuchen ihn mit allen Mitteln – von sexueller
Verführung bis hin zu handgreiflicher Gewalt – von der Askese
abzubringen. Antonius ist der Pionier christlicher Askese, der dann auch als erster noch weiter, noch tiefer in die Wüste zieht. Der
buchstäblich diese Welt hinter sich lässt. Der dorthin geht, wo er
nur noch sich selbst und den Mächten des Lichtes und der Finsternis
unmittelbar gegenübersteht. – Und dann weichen die Mächte der
Finsternis und zurück bleibt ein Mensch in der Gegenwart Gottes. Der
äußerlich nichts tut als Psalmen zu beten und Seile zu flechten.
Das mönchische „Bete und arbeite!“, 200 Jahre später in der
Regel des Benedikt von Nursia festgehalten, nimmt bei Antonius seinen
Anfang.
Das Verrückte ist:
Antonius wird zur Attraktion seiner Zeit. Nicht nur seine
Dorfbekannten pilgern zu ihm in die Wüste, sondern weit nilabwärts,
bis in die Metropole Alexandria und schließlich bis ins ferne
Konstantinopel erschallt die Kunde von ihm. Und die Menschen machen
sich auf, um ihn zu sehen, ein Wort von ihm zu hören als Wegweisung
fürs Leben, eine Berührung von ihm zu erfahren zum Segen und zur
Heilung.
Andere Aussteiger
folgen seinem Beispiel und beginnen unweit von ihm mit ihren
asketischen Übungen. Nur wenige Jahrzehnte später wimmeln die
ägyptischen und palästinensischen Wüsten von Einsiedlern, die
jetzt gar nicht mehr so einsam siedeln, sondern sich in Vorformen
klösterlicher Gemeinschaften zusammenfinden.
Einige Jahrzehnte
später gehen aus diesen Klöstern wieder einzelne Asketen hervor,
„Athleten Gottes“, wie man sie damals nannten, die wieder nach
neuen Formen für die besondere Gottesnähe suchten. Höhepunkt
dieser Entwicklung – im wortwörtlichen Sinne – waren dann die
sogenannten Säulenheiligen, die auf bis zu 20 m hohen Säulen
lebten, als erster ein gewisser Simeon. – Sonderbare Heilige!
Wir
könnten sie ins Kuriositätenkabinett der Kirchengeschichte stellen
– und würden ihnen damit doch Unrecht tun. Sie haben zu ihrer Zeit
eine ungeheure Anziehungskraft ausgeübt. Warum? – Ich glaube, es
ist kein Zufall, dass Antonius und die Wüstenväter,
bis hin zu den Säulenheiligen gerade in dieser Zeit aufgetreten
sind, als das Christentum seinen großen Umbruch von einer verfolgten
Minderheitenreligion zur Staatsreligion durchlebte. Es war eine Zeit,
in der Christsein nichts Besonderes mehr war, nichts Besonderes mehr
sein musste. Man konnte ein alltägliches bürgerliches oder
bäuerliches Leben führen und Christ sein – ohne Schwierigkeiten,
ohne Nachteile. Aber da gab es diese sonderbaren Heiligen, die die
Worte Jesu neu hörten und sie erschreckend wörtlich nahmen. Diese
Worte, wie wir sie auch im heutigen Evangelium (Lukas 9, 57-62) gehört haben: Der
Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. – Folge mir
nach! – Der Ruf Jesu in die
Heimatlosigkeit. Lass die Toten ihre Toten begraben. –
Der radikale Bruch mit Sitte und Tradition, und schließlich der
radikale Bruch mit der Familie (das steht an einer anderen Stelle):
Wer Vater oder Mutter
mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder
Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert (Matthäus 10, 37). Diese
Worte waren für sie der Ruf in ein radikal anderes Leben. Ein
weltfremdes Leben. Ein Leben, das sich allem, was normal und
menschlich anmutet, entzieht: einer sättigenden und schmackhaften
Ernährung, den eigenen vier Wänden, der eigenen Sexualität, der
eigenen Familie und überhaupt der menschlichen Gemeinschaft. Aber
eben gerade deshalb ein Leben ganz für Gott – ein heiliges Leben
eben. Diese Art des Christseins war wieder etwas Besonderes. Und in
diesem Besonderen lag eine erstaunliche Kraft der Erneuerung des
Christentums.
Es gibt ein kleines frisch und frech geschriebenes Buch über diese
sonderbaren Heiligen; das hat mich auch mit zu dieser Predigt
inspiriert. Es heißt: „Als die Religion noch nicht langweiligwar. Die Geschichte der Wüstenväter“ von Hans Conrad Zander. Wahrscheinlich gehört das zu den größten Gefährdungen
des Christentums in unserer Zeit, dass es zu einer Religion erstarrt
ist, die langweilig geworden ist. Wo merkt man noch etwas davon, dass
Nachfolge Jesu spannend ist, ein Abenteuer, etwas völlig Verrücktes
und Weltfremdes – so verrückt wie der Aussteiger Antonius in der
Wüste oder Simeon auf der Säule? Heute machen uns andere solche
Verrücktheiten vor, vielleicht um ins Guinness-Buch der Rekorde zu
kommen, oder im Dschungel-Camp. Spannend ist es anderswo, bloß nicht in der Kirche.
Bei den Heiligen ging es immer spannend zu. Da gab es den Hl.
Franziskus, auch so ein junger Mann, der plötzlich etwas völlig
Verrücktes tut, seinen Besitz weggibt und betteln, der sogar das
einzige Neue Testament, das die Bruderschaft besitzt, verkauft, um mit
dem Geld einer einzelnen bedürftigen Witwe zu helfen, und der so
verrückt ist, dass er sogar für die Vögel predigt.
Oder es gab die Hl. Elisabeth von Thüringen. Als kleines Mädchen
war die ungarische Prinzessin nach Eisenach gekommen und dem
künftigen Landgrafen Ludwig verlobt worden. Als junge Landgräfin
machte sie sich Feinde, weil sie den höfischen Besitz großzügig
für Arme und Kranke ausgab. Ihr junger Mann starb auf dem Weg zum
Kreuzzug, zu dem der Kaiser ihn gerufen hatte. Ob der neue Regent sie
von der Wartburg vertrieb oder sie nur rausekelte, ist nicht sicher.
Aber schon bald sah man sie mit ihren drei kleinen Kindern unter den
einfachen Menschen leben und sich um Arme und Aussätzige kümmern.
Auf Geheiß ihres Beichtvaters musste sie die Kinder weggeben und
lebte nun ganz für die Armen, zum Teil im Schweinestall. Später
konnte sie mit Hilfe des Erbteils, das ihr als Witwe zustand, in
Marburg ein Aussätzigenspital errichten. Mit nur 24 Jahren starb
sie. Nur vier Jahre nach ihrem Tod wurde sie heilig gesprochen.
All diese Heiligen sind irgendwie sonderbare Heilige. Offenbar gehört
es zur Heiligkeit dazu, sonderbar zu sein. Ganz normal, unauffällig
und langweilig sind sie nie gewesen, diejenigen, die in der Kirche
als Heilige verehrt werden.
Und nun haben wir dieses Wort aus dem 1. Petrusbrief gehört: Auch
ihr sollt heilig sein. Will doch sagen: Auch ihr sollt sonderbar
sein. Auffällig und aufregend. Keine spießigen Langweiler. Eher
Leute wie Antonius oder Simeon, wie Franziskus oder Elisabeth. Oder
ganz einfach: wie Jesus. Wie der, der euch berufen hat, heilig
ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Jesus hat
schlicht und einfach in völliger Einheit und Übereinstimmung mit
Gott gelebt. Und so war und ist er der eigentliche Heilige. Und wenn
wir von Nachfolge sprechen, dann ist doch genau das gemeint: Werden
wie Jesus – ganz an Gott hingegeben, in völliger Einheit und
Übereinstimmung mit Gott leben.
Ich fühle mich überfordert. Wie kann ich ein solcher Heiliger
werden? – Erinnern wir uns: Dietrich Bonhoeffer fühlte sich auch
irgendwie überfordert und sagte, er wolle lernen, ein Christ zu
sein. Und er ist ein Heiliger geworden.
Ich glaube, das ist die Art von Heiligkeit, die Jesus von uns
erwartet: Lernen als Christ zu leben. Denn es gibt keinen Unterschied
zwischen gewöhnlichen Christen und besonders qualifizierten
Christen. Es gibt keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen Christen
und gewöhnlichen Heiligen. Christen sind eben sonderbare
Heilige. Sonderbar ist nur, wenn man uns davon nichts anmerkt, dass
wir etwas Besonderes sind.
Das kann und muss, glaube ich, unsere
tägliche Frage unser tägliches Bemühen sein: um Gottes Willen
etwas Besonderes sein! Nicht zuletzt, damit die christliche Religion
nicht mehr so langweilig ist. Damit auch in Zukunft wieder die Leute
kommen und staunen und außergewöhnliche Worte hören und
außergewöhnliche Taten sehen: so wie bei Antonius, Simeon,
Franziskus und Elisabeth.
Findet ihr das alles ein bisschen sonderbar, mit diesen sonderbaren
Heiligen und unserem Bemühen um Heiligkeit? Klingt euch Evangelischen unter uns das zu
katholisch, zu sehr nach Werkgerechtigkeit? – Das täuscht. Echte
Heiligkeit ist nie Werkgerechtigkeit gewesen. Die „Athleten Gottes“
wurden nicht gelobt ob ihrer frommen Leistungen, sondern immer und
immer wieder wurde Gott gelobt für das, was er an diesen und durch
diese Menschen getan hat. Heiligkeit ist letzten Endes – so wissen
alle – Gottes Gabe, Gottes Gnade und nicht menschliche Leistung.
Schon unser Predigttext erinnert uns daran, woher Heiligkeit kommt:
Ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold
erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise,
sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und
unbefleckten Lammes. – Heilig können wir nur sein, weil wir
erlöst sind. Wir sind schon was Besonderes. Denn Gott hat uns
durch Jesus Christus schon zu etwas Besonderem gemacht: zu heiligen
Gotteskindern. Was uns Petrus und die anderen neutestamentlichen
Briefe sagen, ist nur immer wieder die Aufforderung: Lebt, was ihr
seid! Lebt als Heilige, weil ihr Heilige seid. Lebt als Christen,
weil ihr Christen seid. Man darf es euch ruhig anmerken: Ihr seid
sonderbare Heilige! Amen.
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