Mittwoch, 31. Dezember 2014

Predigt am 31. Dezember 2014 (Altjahrsabend)

Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. Und wenn er kommt in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet’s so: selig sind sie. Das sollt ihr aber wissen: Wenn eine Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“
Lukas 12, 35-40



Seid bereit! – Immer bereit!
Pioniergruß.
Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt das.
Vor jeder Schulstunde das gleiche Ritual.
Und bei den zahlreichen Fahnenappellen in voller Form und Schönheit: Die Pioniere in ihren weißen Hemden und ihren blauen oder roten Halstüchern stehen stramm: Für Frieden und Sozialismus seid bereit! Und die Hände gehen über die Köpfe und alle brüllen: Immer bereit!
In der dritten Reihe – so dass man ihn möglichst nicht sah - stand einer ohne Halstuch, aber auch er im weißen Hemd, und auch seine Hand ging über den Kopf und auch seine Stimme vermeldete: Immer bereit!
Die roten wie schon zuvor die braunen Sozialisten hatten ihre Freude an solchen Ritualen:
wo sie alle in Reih und Glied stehen oder marschieren,
wo der einzelne in der Masse verschwindet,
wo gemeinsam die Ergebenheit an die größere Idee beschworen wird.
Bereit für Frieden und Sozialismus.
Oder für Führer, Volk und Vaterland.
Und der kleine Junge in der dritten Reihe, kann sich dem auch nicht entziehen.
Wo alle dasselbe brüllen, da fällt es schwer, aus der Reihen zu tanzen.
*
Seid auch ihr bereit!, sagt der Herr.
Und seine Christen stehen bereit.
Wie die Pioniere?
In Reih und Glied?
Die vorgegebenen Parolen nachbrüllend oder nachbetend?
Wo die einen Immer bereit! brüllten, sagen wir halt Amen und Halleluja und so weiter.
Und mancher aus der dritten Reihe hat sich längst davongestohlen, weil ihm die Parolen und Rituale hohl geworden sind.
Weil er nicht einfach mitmarschieren will in Reih und Glied.
Seid bereit!
Ich bin nicht bereit.
Sagen immer mehr.
Ich bin nicht bereit:
alles nachzubeten,
Ja und Amen zu sagen,
den Bischöfen oder Kirchenleitungen zu folgen.
2014: Ca. eine viertel Million Menschen werden in Deutschland wieder aus der Kirche ausgetreten sein. Weil sie nicht mehr bereit sind, da mitzumachen.
Oder weil sie schon lange nicht mehr mitmachen und nun auch nicht mehr bereit sind, das System Kirche mitzufinanzieren.
2015 wird es nicht anders werden.
*
Seid bereit!, sagt der Herr.
Ich komme. Stellt euch drauf ein.
Ob ihr in die Kirche geht oder nicht.
Ob ihr nachbetet, mitbetet oder gar nicht betet.
Ob ihr es glaubt oder nicht.
Ich komme.
Stellt euch drauf ein.
Seid bereit!
*
Kommt er 2015?
Der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.
Vielleicht kommt er für alle sichtbar mit den Wolken.
Vielleicht kommt er nur für mich sichtbar,
nimmt mich an die Hand und sagt:
„Es ist so weit; komm mit!“
Vielleicht kommt er unsichtbar,
und ich höre nur sein Klopfen an der Tür.
Lasse ich ihn ein?
Öffne ich die Tür?
Bin ich bereit?
*
Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.
Bin ich so ein Hausherr, zu dem der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht?
Und ich lasse ihn nicht herein?
Nicht einbrechen in mein Leben?
Mein wohlgeordnetes, chaotisches Leben?
Wenn Besuch kommt, räume ich erst auf.
Mache mir viel Arbeit.
Mache was zu essen.
Er soll es schön haben.
Und das Wichtigste: Ich will einen guten Eindruck machen.
Wenn ich wegfahre, räume ich auch auf.
Was sollen denn die Einbrecher denken!
Oder die Hinterbliebenen, falls mir was zustößt.
Das Wichtigste: Einen guten Eindruck machen.
Er kommt.
Und er sagt nicht: Macht einen guten Eindruck!,
sondern: Seid bereit!
*
Lasst eure Lichter brennen!
Das gefällt mir besonders gut am Ende eines Jahres, in dem dieses Video so populär wurde:
Die Tochter kommt nach Hause, im Wohnzimmer brennt Licht, und die Eltern haben Sex.
Und die Botschaft – spießiger geht’s nicht mehr: Licht aus!
Lasst eure Lichter brennen!, sagt Jesus.
Keine falsche Sparsamkeit!
Keine falsche Prüderie!
Keine falsche Korrektheit!
Lasst das Licht an!
Damit alle sehen, dass ihr noch lebt, dass ihr noch da seid.
Und damit ihr selber wach bleibt.
Und das Klopfen an der Tür nicht verschlaft und überhört.
Wenn der Herr klopft, dann möchte ich ihm gerne selber öffnen und nicht warten, bis er sich als Einbrecher selber Einlass verschafft. (Übrigens er darf das, denn mein Lebenshaus gehört ja ihm.)
*
Und wenn ich gerade noch nicht fertig bin mit Aufräumen und Kochen?
Was soll der Herr dann von mir denken?
Nun, er wird denken:
Dass ich eben noch nicht fertig bin.
Und wenn ich mich entschuldigen will, dann wird er sagen: „Wenn ich warten wollte, bis du dein ganzes Leben in Ordnung gebracht hast,
dann könnte ich ja nie zu dir kommen.“
Und dann wird er mich nach einer Schürze fragen und sich mit mir in die Küche stellen, und wenn alles fertig ist, dann lassen wir das dreckige Geschirr stehen, setzen uns an den Tisch und halten miteinander Abendmahl.

Kommt, es ist alles bereit, sagt der Herr.
Und du, bist du auch bereit?
Immer bereit, antworte ich.

Donnerstag, 25. Dezember 2014

'n Jesus seine Geburt off Sächssch

Kurz vor Weihnachten noch bat mich eine Pfarrkollegin und Facebookfreundin um eine sächsische Fassung der Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2. Kurz entschlossen habe ich mich hingesetzt und eine verfasst. Wohl wissend, dass Sächsisch da und dort ein bisschen unterschiedlich klingt, und dass auch mein Sächsisch, das ich eher selten in Reinform spreche, nicht perfekt ist. Dazu kommt, dass die Verschriftung immer etwas schwierig ist. Es muss halt noch die richtige Klangfarbe und der richtige Härtegrad zum Beispiel des D/T-Lautes dazukommen...
Ich möchte den geschätzten Lesern des Inselpfarrer-Blogs diese Fassung aber nicht vorenthalten.




Zu där Zeid dad dor Gaiser Augusdus ä Gesetz machn, danach mussdn sisch alle Leude bei de Steuerämdor eidraachn lassn. Das war das erschde Maa, dass där off so’ne vorrückde Idee gegomm is; da war ooch grade der Quirinschus Minisderpräsident in Syrien. Und nu mussde jeder losrammeln in die Stadt, wo er ähmd geborn war. Und oh dor Josef mussde los, und der hadde’s nu ganz besonders weit: der mussde aus Nazaret in Galilea nundermachn bis na Beedlehäm; das is de Stadt vom Geenisch Dafid. Dor Josef, das war nämisch ä äschdor Nachgomme vom aldn Dafid. Und desweeschn mussde där sisch nu ähmd in Beedlehäm eidraachn lassn, zusamm mit seiner Vorlobtn, dor Maria, die ze allm Ieborfluss oh noch schwangor. Als die beedn nu endlisch dort undn angegomm warn, ging’s ooh schon los mit de Wehn. Und in nullgommanischt hat se ihrn erschden Sohn zor Welt gebracht, hatm ä por alde Labbn als Windln drumgemacht und’n in enne Fuddorgribbe neigeleescht; weil se nämisch ieberhaupt nischt gefunden haddn, wo se häddn bleiben genn – außer ähmd in ‘nem Schdall.
Dort in dor Nähe warn oh Schafhirdn draußn offm Feld, die mussdn da in dor Nacht off ihre Viehscher offbassn. Abor off ehma gaam ä Engl zu ihn und es wurde wahnsinnisch hell mit Lischt von Gott, und da grischden die ganz scheenes Fraggsausn. Abor dor Engl fing glei an zu reedn: „Ihr müsst geene Angst ham! Ich saach eusch nämisch was ganz Scheenes, was fier alle rischdsch gud is: Heude is dor Heiland geborn worden – wisstor, dor Christus – und zwar glei hier bei eusch in dem alden Dafid seinr Stadt. Und isch saach eusch oh glei, an was ihr das Gind ergenn gennt: Das liescht eigewigglt in alde Labbn in ennor Fuddorgribbe.“ Und bevor de Hirtn ooch nur ihre offnen Guschn wiedor zu grischden, war da ä riesn Haufn von Engln, die machdn ä mäschdsches Geschrei: „Gott im Himmel is dor allergreeßte! Und off dr Erde soll ändlisch Friedn sein bei de Menschn, die er gud leidn gann.“
Und dann warn de Engl wieder weg und de Hirdn saachden eenor zum andorn: „Gommt, mir gehn na Bethlehem nei, und guggn uns die Geschischde ma an, die Gott uns da hat saachn lassn.“ Und off ehma haddn se’s ganz eilisch und fandn ooch de Maria mit ihrn Josef und nadierlisch das Gind, das dadsäschlisch in enner Fuddorgribbe laach. Und nachdem se das gesehn haddn, erzähldn se glei ieberall rum, was dor Engl ihn ieber das Kind gesaacht hadde. Abor die Leude, die das hördn, fandn das alles sehr merkwürdisch. De Maria aber, die hat sisch jedes Wort genau gemerkt und noch lange dadrieber nachgedacht. Und die Hirdn, die ging wieder zurick zu ihrn Schafn und warn ganz freelisch und sang Loblieder fier Gott, weil se das alles geheert und gesehn haddn, genau wie dor Engl das gesaacht hadde.

Roland Herrig CC-BY-NC

Predigt am 25. Dezember 2014 (Christfest)

Radikal verschlankte Neufassung einer Predigt von 2008

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch in glaubten. Er war nicht das Licht, sonder er sollte zeugen von dem Licht.
Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Johannes 1, 1-14


Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Sagte Hermann Hesse. Ihr kennt das sicher.
Weihnachten ist ein neuer Anfang. Und darum ist Weihnachten auch so zauberhaft.
Am Anfang ist alles offen. Eine offene Tür. Ein weiter Raum. Alles ist möglich.
Ein Menschenleben beginnt. Was wird aus diesem Anfang? Aus diesem Menschenleben? Alles ist offen. Alles ist möglich.
Eine Liebe beginnt. Zwei Menschen entdecken einander, und ihr Leben gewinnt eine ungeheure Weite. Ein großer neuer Raum öffnet sich. Gemeinsam wollen sie ihn entdecken und bewohnen. Alles ist möglich.
Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Eine neue Arbeit. Ein neuer Wohnort. Vielleicht hier auf der Insel. Neue Wege, neue Menschen, neue Herausforderungen. Dinge ausprobieren, die wir noch nie getan haben. Alles ist möglich.
Der Zauber des Anfangs.
*
Aber nicht immer ist Anfang. Anfänge verbrauchen sich. Mit jedem Schritt, den wir weiter gehen, weg vom Anfang, wird der offene Raum der Möglichkeiten kleiner.
Die neue Arbeit wird zur Routine. Und der neue Wohnort zur vertrauten Umgebung. Die neuen Wege treten sich aus. Wir schauen schon gar nicht mehr rechts und links.
Liebe wird alt. Man hat sich aneinander gewöhnt, den andern erkannt, durchschaut. Gemeinsamer Alltag heißt: All Tag dasselbe. An den ersten Kuss erinnern wir uns noch nach Jahrzehnten. An den hundertsten oder tausendsten nicht mehr. Der ist halt wie alle andern. Aber schön, wenn wir uns überhaupt noch küssen!
Kinder werden groß. Machen Freude, machen Sorgen, gehen ihre eigenen Wege. Treffen ihre eigenen Entscheidungen. Manchmal träumen Eltern davon, dass ihre Kinder noch mal ganz klein wären. Sie sind es nicht.
Wir sind nicht mehr am Anfang. Meistens nicht. Wir sind irgendwo zwischendrin. In den Routinen. Auf den ausgetretenen Wegen. Haben uns aneinander gerieben und aneinander gewöhnt. Haben Entscheidungen für unser Leben getroffen, die gut waren oder auch nicht. Wir sind, die wir geworden sind.
Und wir feiern Weihnachten zum einundfünfzigsten Mal – oder auch zum einundsiebzigsten.
Auch unsere Weihnachten sind keine neuen Anfänge mehr.
Das Wasser, das du in den Wein gossest, kannst du nicht mehr herausschütten. Sagte Bertolt Brecht.
*
Manchmal wird unsere Sehnsucht nach einem neuen Anfang ganz groß. Dann packen wir unsere Sachen und ziehen an einen anderen Ort. Gehen auf die Insel. So war das bei uns – vor vier Jahren.
Manche hängen ihren alten Beruf an den Nagel und fangen noch mal was ganz Neues an. Nach zwanzig oder dreißig Jahren.
Manche hängen auch ihre alte Liebe an den Nagel, um noch mal den Zauber des Anfangs zu erleben in einer neuen Liebe.
Und manche setzen sogar noch mal ein Kind in die Welt, nachdem die ersten Kinder schon aus dem Haus sind.
Wieder ist Anfang. Wieder ist alles offen. Ein weiter Raum der Möglichkeiten.
Aber auch diese Anfänge werden sich verbrauchen. Der Zauber verfliegt. Schneller wahrscheinlich als beim ersten Mal. Möglichkeiten verbrauchen sich. Türen schließen sich.
Irgendwann sind die Wege zu Ende gegangen und nur noch eine Tür zu durchschreiten. Und hoffentlich können wir es sehen, dass dort der Zauber des Anfangs neu auf uns wartet – im großen Raum der Ewigkeit.
*
Gott fängt neu an. Eine ganze Welt. Ein ganzes Universum.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, steht als erster Satz in der Bibel.
Am Anfang war das Wort, steht als erster Satz im Johannesevangelium.
Gottes erstes Wort hieß: Es werde Licht! So steht es auf der ersten Seite der Bibel.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. So steht es wieder bei Johannes.
Mit Gottes Wort fängt alles an. Und mit dem Licht.
Eine neue Schöpfung. Ein weiter Raum. Alles ist möglich. Der Zauber des Anfangs.
Aus dem Tanz der Elementarteilchen werden Sterne und Galaxien.
In den Verbindungen der Moleküle ist da auf einmal Leben. Leben, das weiter leben will und sich selbst erhält und vermehrt und verändert und anpasst an die unterschiedlichsten Lebensbedingungen. Hinein in den weiten Raum der Möglichkeiten.
Und dann sind da lebendige Wesen, die über sich und das Leben nachdenken können. Die aus eigener Kraft neue Lebensräume schaffen können. Die selber etwas Neues anfangen können. Die selber Schöpfer sind: Menschen, die das Licht sehen und das Leben bestaunen und eigene Worte sprechen. Ant-worten auf Gottes Wort.
*
Auch Gottes erster Anfang ist vergangen. Sein Zauber ist verloren gegangen.
Schon bald hörten die Menschen auf, auf Gottes Wort zu hören und ihm zu antworten. Sie gewöhnten sich an diese Welt und ihre Wunder. Sie hörten auf zu staunen über das Wunder des Lebens. Ihnen schien der Raum der eigenen Möglichkeiten so eng, dass sie ihresgleichen aus diesem Raum des Lebens zu verdrängen suchten, ihre Mitmenschen töteten, vertrieben, verachteten, bekämpften. Davon lesen wir schon auf den nächsten Seiten der Bibel. Und es ist noch heute so.
Der Zauber des Anfangs ist verloren gegangen. Das Wasser, das wir uns in den Wein gegossen haben, können wir nicht wieder herausschütten.
Unsere Welt ist alt geworden und wir mit ihr. Wir können nicht mehr neu anfangen. Wir nicht.
*
Aber Gott. Gott fängt neu an. Eine ganze Welt. Ein Universum. Eine neue Schöpfung.
Am Anfang ist sein Wort: Es werde Licht! Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
So erzählt Johannes die Weihnachtsgeschichte.
Gott fängt neu an. Nicht ganz von vorne. Er vernichtet nicht einfach die alte Welt und schafft eine neue. Er vernichtet nicht einfach den Menschen, den er doch geschaffen hat.
Er lässt sein Wort vom Anfang noch mal neu in die alte Welt hineingehen. Er lässt es Fleisch werden. Er lässt es als Mensch unter den Menschen wohnen.
Er sagt aufs Neue: Es werde Licht!
Und da ist Jesus Christus, der sagt: Ich bin das Licht.
*
So erzählt uns Johannes die Weihnachtsgeschichte: Ohne Stall und Krippe. Ohne Maria und Josef. Ohne Hirten und Könige. Ganz abstrakt. Hochtheologisch.
Ich bin froh, dass es auch die anderen Weihnachtsgeschichten gibt: die vom Stall und der Krippe, von Maria und Josef, von den Hirten und Königen. Da haben wir was zu sehen. Da können wir uns was vorstellen. Und es ist allemal dieselbe Geschichte:
Ein Kind wird geboren, und das Leben fängt neu an. Es wird Licht bei den Hirten, und sie machen sich auf den Weg zu dem Kind.
Ein Stern geht auf, und die Könige gehen los, weil er ihnen einen neuen Anfang verheißt.
Gott fängt neu an. Und in ihrem Leben fängt etwas Neues an, als sie da vor der Krippe knien.
Weihnachten ist ein neuer Anfang. Und es ist zauberhaft.
*
Gott fängt neu an. Vielleicht auch mit dir.
Du musst nicht nochmal umziehen. Du musst nicht noch eine neue Liebe suchen. Du musst nicht den verpassten Gelegenheiten nachtrauern und über das Wasser im Wein deines Lebens klagen.
Irgendwann werden die Wege deines Lebens zu Ende gegangen sein. Und du wirst nur noch eine Tür durchschreiten.
Aber vielleicht kannst du heute schon hineinsehen in diesen großen weiten Raum der Ewigkeit.
Denn diese Tür steht heute offen. Es ist die Tür des Stalls von Bethlehem. Da siehst du Gottes zauberhaften neuen Anfang. Auch mit dir.

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Predigt am 24. Dezember 2014 (Heiligabend)

Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
Lukas 2, 7


Weihnachtskrippe in der Kirche San Eugenio


Ein paar Bretter von alten Paletten, zurechtgesägt, neu zusammengesetzt – und schon war sie fertig, unsere neue Krippe.
Jedes Jahr musste ich Weihnachten an unsere Kirchen in Sachsen denken, wo es immer für Weihnachten auch eine Krippe gab. Wenn das Krippenspiel bei der Geburt Jesu angekommen war, zündete die jeweilige Maria die Kerze in der Krippe an: Jesus, das Licht der Welt, hatte das Licht der Welt erblickt. An den Weihnachtsfeiertagen, bis Epiphanias, stand dann die Krippe mit der Kerze immer noch in der Kirche. Das fand ich schön. Und hier habe ich es vermisst.
Wir haben hier kein Krippenspiel. (Vielleicht sollte ich ja nächstes Jahr mal ein Seniorenkrippenspiel einstudieren.) Aber in diesem Jahr haben wir eine Krippe. Vor ein paar Tagen ist es mir wieder eingefallen, und ich habe Uwe gefragt, ob er uns nicht eine Krippe bauen könnte. Ja, hat er gesagt, und ein paar Bretter von alten Paletten zurechtgesägt und neu zusammegesetzt – und schon war sie fertig, unsere neue Krippe.
Sie ist nicht perfekt; nicht auf den Millimeter ausgemessen, nicht mit Zapfen oder Dübeln verbunden, nicht glatt gehobelt. Einfach nur zusammengesetzt, so dass man Viehfutter reintun könnte und ein Ochse oder Esel daraus fressen könnte.
Denn dazu war sie ja damals auch gedacht, die Krippe, in die sie den kleinen Jesus reingelegt haben.
Das war eben keine Kinderkrippe, sondern eine Futterkrippe.
Aber sie hatten nichts anderes.
Was sie hatten, war ein Dach über dem Kopf in einem Viehstall.
Ein paar Tücher, in die sie das Kind einwickelten, wie man das eben machte. (Vielleicht müssen wir der jüngeren Generation bald erklären, dass mit Windeln keine Pampers gemeint sind.)
Ein bisschen Wasser werden sie gehabt haben; und sicher auch was zu essen.
Die Wärme von den Tieren, falls die denn wirklich in der Stallhöhle anwesend waren, als Jesus zur Welt kam.
Und die Futterkrippe als Ersatz für eine Kinderwiege.
Als das Gotteskind zur Welt kam, waren die Umstände denkbar schlecht. Dafür steht heute symbolisch diese Krippe. Eine Futterkrippe – und sie ist doch zur Kinderkrippe geworden.
Und das Kind in der Krippe – es ist groß geworden. Zwar in der Fremde geboren, zwar schon als Baby auf der Flucht, zwar in einfachen Verhältnissen. Aber es ist groß geworden. Ganz groß.
Damals war alles anders als bei uns heute.
Heute muss erst alles stimmen, bis Eltern ein Kind in die Welt setzen. Ohne abgeschlossene Ausbildung, ohne Wohnung und Kinderzimmer und ohne Krippenplatz geht da nichts. Und trotzdem fragen sich Eltern voller Sorge, ob sie das alles schaffen werden und ob auch ja alles so ist, dass das Kind gut aufwachsen kann.
Damals war alles anders. Alles provisorisch. Alles ärmlich. Alles unsicher. Und für das Kind gab’s nur die Futterkrippe.
Gott sei Dank, hat Gott nicht gewartet, bis alles perfekt war!
Gott sei Dank, hat Gott sich nicht eine heile Familie von heute ausgesucht, die Eltern mit abgeschlossener Ausbildung, eingerichtetem Kinderzimmer und vorbestelltem Krippenplatz, um so zur Welt zu kommen! – Wahrscheinlich hätten wir es nicht mal gemerkt, wenn Gott so zur Welt gekommen wäre.
Nein, Gott ist genau dorthin gegangen, wo die Eltern eines Kindes nicht mal wussten, wo sie es zur Welt bringen sollen, und wo es nichts als eine schäbige Futterkrippe gab, um es da hineinzulegen.
Gott hat sich auf das Provisorische, das Einfache, Arme und Unvollkommene eingelassen.
Und genau das ist der eigentliche Sinn von Weihnachten:
Gott kommt nicht dorthin, wo alles schon perfekt ist. Was sollte er da; dort wird er ja nicht mehr gebraucht!
Gott kommt dahin, wo es ungehobelt, provisorisch, einfach und arm zugeht.
Gott kommt zu den Flüchtlingen und Heimatlosen – wie Maria und Josef.
Gott kommt zu den Armen und Schlichten – wie den Hirten auf dem Felde.
Gott kommt zu den Suchenden – wie den Weisen aus dem Osten.
Gott kommt zu mir:
der ich nicht richtig gesund bin;
der nicht alles im Leben erreicht hat, was er wollte;
dessen Ehe und Familie zerbrochen ist.
Gott kommt zu mir:
der nicht auf alle Fragen die richtige Antwort weiß;
der mehr an sich selbst denkt als an alle anderen;
der manchmal gar nicht weiß, ob es diesen Gott überhaupt gibt.
Gott kommt zu allen, deren Leben so unvollkommen und provisorisch aussieht wie diese Krippe.
Er legt sich da hinein – in unser Leben.
Und dann ist er da, bei uns: Als Kind, ganz sanft, ganz friedlich, ganz Licht.
Er ist da bei uns, und alles ist gut.
Nicht perfekt, aber gut.