Dienstag, 31. Dezember 2013

Predigt am 31. Dezember 2013 (Altjahrsabend)

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.
Hebräer 13, 8-9b

Liebe Schwestern und Brüder,
die Zeiten ändern sich, und Jesus Christus bleibt derselbe. Die Jahre kommen und vergehen. Die Trends und Moden wandeln sich, Gottes Wort steht fest. Wo alles in Bewegung ist, da bleibt wenigstens ein Halt: der christliche Glaube! – So könnte man dieses kurze Bibelwort verstehen und sich am Jahreswechsel die kalten Füße dran wärmen.
Es mag sein, dass alles fällt, / dass die Burgen dieser Welt / um dich her in Trümmer brechen. / Halte du den Glauben fest, / dass Gott dich nicht fallen lässt: / er hält sein Versprechen. – So dichtete Rudolf Alexander Schröder 1939 in bewegter Zeit.
Und daran ist nichts falsch; im Gegenteil: Es ist genau richtig, dass wir unseren festen Halt im Wandel der Zeiten dort und nur dort suchen und finden – bei Jesus Christus.
Und trotzdem wollen solche Worte eingeordnet sein. Sie stehen nicht im luftleeren Raum. Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit – dieser Glaubenssatz selber steht nicht im luftleeren Raum. Sondern im Hebäerbrief, im 13. Kapitel. Mitten unter anderen Sätzen. Sätzen, in denen das Leben konkret wird: Sätzen über Gastfreundschaft – wörtlich: Fremdenfreundlichkeit, über die Solidarität mit Gefangenen und Misshandelten, über die Reinheit der Ehe, die Schädlichkeit der Geldgier und über den zweifelhaften Nutzen von Ernährungsvorschriften. Das sind die Alltagsthemen, in denen Glauben konkret werden kann, damals wie heute: Kein Jesus Christus, der als Lehrgebilde über den Wolken schwebt, sondern Jesus Christus, der im gelebten Glauben lebendig und gegenwärtig ist. Und dann steht da ein Satz, den wir gut kennen, vielleicht noch im Ohr haben – als Jahreslosung dieses zu Ende gehenden Jahres 2013: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Wenn es also um den festen Halt des christlichen Glaubens, um das Festhalten an Jesus Christus geht, dann hat das wenig mit einem starren und unbeweglichen Felsen in der Brandung der Zeiten zu tun. Es hat viel mehr mit dem zu tun, der mit uns unterwegs ist auf dem Weg zur Ewigkeit. Das Bild für die christliche Gemeinde, das der Hebräerbrief uns vor Augen malt, ist das Bild vom wandernden Gottesvolk: Wir sind unterwegs. Und unterwegs, da bleibt nichts, wie es ist. Da gibt es keine bleibende Stadt, keinen Ort, wo wir auf Dauer bleiben können, keinen Felsen, an dem wir uns ständig festhalten könnten – denn dann kämen wir nicht mehr voran.
Ich habe nach einem anderen Bild gesucht für den festen Halt auf unserer Wanderung. Und da ist mir der Wanderstab eingefallen: Stab, an dem ich geh. – Ich fand das ja früher albern, wenn die Leute mit Skistöcken durch die Landschaft gelaufen sind. Im ersten Jahr auf der Insel haben wir uns dann doch selber solche Wanderstöcke gekauft. Ich habe sie ausprobiert und war begeistert: Es läuft sich leichter und ich habe wirklich besseren Halt. – Das wäre ein Bild für uns: der Glaube an Jesus Christus als unser Wanderstab, wenn wir unterwegs sind durch die Zeiten. Er ist dabei, er entlastet uns, er gibt uns Halt.
Aber noch wichtiger ist mir, wenn ich unterwegs bin, die Begleitung: dass einer dabei ist, der mich im Ernstfall auch stützen und festhalten kann, wenn es zu steil oder zu schwierig wird. Und so könnte ich mir Jesus auch vorstellen: als Wanderführer, als mein Freund, Begleiter und Helfer auf meinem Weg durch die Zeiten: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Ja, er ist und bleibt derselbe; und doch ist und bleibt er vor allem der Lebendige. Und lebendig ist, wer sich verändert. Jesus Christus bleibt derselbe, indem er sich verändert. Indem er sich auf uns und auf unsere jeweilige Situation einstellt. Wenn unser Wanderweg eben und einfach ist, dann ist er vielleicht ein guter Geprächspartner oder einer, neben dem man auch mal eine Weile schweigend gehen kann oder von dem man sich mal ein paar Meter entfernen kann – so lange man auf Sichtweite bleibt. Wenn es schwierig wird, dann muss er uns Mut machen oder uns an die Hand nehmen. Im Extremfall wird er uns stützen und weiter tragen, dass wir nur ja nicht auf der Strecke bleiben, dass wir nur ja unser Ziel erreichen. Mit ihm zusammen.
Jesus Christus – ich staune, auf wie vielfältige Weise er uns begegnet, für uns da ist. Weihnachten ist er uns das Kind in der Krippe. Dann ist er der Lehrer und Geschichtenerzähler; der Heiler und Helfer; er ist der Rebell, der sich gegen die althergebrachte Ordnung stellt und der die Händler aus dem Tempel jagt, und dann ist er der, der sich abführen, verhören, verspotten und kreuzigen lässt, der leidende Gottesknecht, Gottes Lamm; er ist es, der hinabsteigt ins Totenreich, in die Hölle, und er ist es der hinauffährt zum Himmel, der an Gottes Seite sitzt, der König ist und Richter über alle Welt, der wiederkommen wird am Ende der Zeiten; und dann doch einfach wieder mein Freund und Bruder, mein Gefährte und mein Helfer auf der Wanderung durchs Leben. Jesus Christus – immer derselbe, und doch immer wieder ganz anders. So wie es für uns gut ist. Manchmal so, dass wir uns ganz eins wissen mit ihm. Manchmal ganz anders, so dass wir ihn nicht verstehen.
Jesus Christus – derselbe, ja. Aber er lässt sich nicht festnageln auf eine bestimmte Rolle. Er lässt sich nicht einfangen in Glaubenslehren und einsperren in Kirchenmauern.
Das Wichtige, das Entscheidende für uns ist, dass er die Hauptperson unseres Glaubens und Lebens bleibt. Wir sollen uns nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben lassen. Denn wir haben an ihm genug, mehr als genug. Wenn manche meinen, Jesus reicht nicht, wir brauchten auch noch ein bisschen Buddha und Mohammed dazu oder wen auch immer, dann möchte ich sagen: Werde erstmal mit Jesus fertig, habe ihn wirklich verstanden, habe ihn im Herzen und lebe mit ihm – und dann kannst du dich immer noch anderswo umschauen, ob du etwas Besseres findest. – Ich bin mit Jesus noch lange nicht fertig. Ich möchte ihn weiter und besser kennenlernen, in seiner ganzen Größe und Vielfalt, in seiner Menschlichkeit, in seiner Göttlichkeit.
Unser Herz soll fest werden durch Gnade. Das darf man nicht verwechseln: Unser Herz soll nicht hart werden. Also auch hier taugt das Bild vom Felsen nicht so viel. Unser Herz wird fest, wenn wir einem anderen vertrauen. Unser Herz wird fest, wenn wir diesem Jesus Christus vertrauen. Dass er in seiner Größe und Vielfalt für uns da ist. Dass er mit uns geht. Und dass er uns ans Ziel bringt. Zur bleibenden Stadt unseres Gottes.
Zur Größe und Vielfalt Jesu gehört es, dass er uns seine unmittelbare Nähe anbietet in seinem Wort und Sakrament. Nicht, dass er eingesperrt wäre in den Worten der Bibel oder den Gaben des Abendmahls. Nein, er ist viel größer. Aber hier lässt er sich finden, hier will er bei uns sein. Hier will er unser Herz fest machen durch seine Gnade. Gestern und heute und in Ewigkeit. Darum werden wir zu allen Zeiten Gottesdienst feiern, sein Wort hören und sein Mahl halten. Das wird auch im neuen Jahr nicht anders sein, was immer auch kommen mag. Amen.

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 31. Dezember 2013

Guten Morgen liebe Hörer,

kennen Sie die größte Lüge im Evangelischen Gesangbuch? Sie steht unter Nummer 63 und heißt: Das Jahr geht still zu Ende. – Falls das früher mal so gewesen sein sollte, unsere Silvesterbräuche sind inzwischen anders. Das Jahr geht laut zu Ende und feuchtfröhlich.

Und es gibt viele Gründe, Silvester so zu feiern:
Wenn das alte Jahr gut war – warum soll man es dann nicht mit einer fröhlichen Party verabschieden! Wenn das alte Jahr nicht so gut war – warum sollte man es sich dann nicht am letzten Abend noch schön trinken! Wenn wir hoffnungsvoll ins neue Jahr aufbrechen, warum sollen wir dann nicht drauf anstoßen! Und wenn uns das neue Jahr eher wenig Gutes verheißt, dann wollen wir es uns wenigstens heute noch gut gehen lassen!

Trotzdem finde ich es gut, wenn dieser letzte Tag auch seine stillen Momente hat. In unseren Kirchen feiern wir Gottesdienst, um uns daran erinnern zu lassen, was bleibt und ewigen Wert hat im Wandel der Zeiten. Silvestergottesdienste sind eher ernst und besinnlich.

Und auch die ersten Augenblicke des Neuen Jahres habe ich schon manches Mal eher stille erlebt. Bevor das Feuerwerk anhebt und die Böller krachen, ist da ein Moment der Stille, da ist der Kuss und der gute Wunsch für den liebsten Menschen, und dann beginnen draußen die Kirchenglocken zu läuten in die Stille hinein. Manchmal standen wir in unserer alten Heimat in Deutschland auf dem Kirchturm in Eis und Schnee, und während es um uns herum krachte und blitzte und neben uns die Glocken dröhnten, hielten wir uns an der Hand und waren einander und der Ewigkeit nahe. Auch das ist für mich Silvester.

Ich wünsche Ihnen frohes Feiern, viel Spaß, einen guten Rutsch. Und ich wünsche Ihnen auch ein paar Augenblicke der Stille, der Besinnung, der Liebe und der Dankbarkeit.

Montag, 30. Dezember 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 30. Dezember 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

der vorletzte Tag des Jahres ist angebrochen. Die meisten Jahresrückblicke sind schon gesendet.

Ja, das sind die großen Rückblicke auf Politik und Zeitgeschehen. Unser eigener Jahresrückblick sieht meistens ganz anders aus.

Dass Marcel Reich-Ranicki und Nelson Mandela gestorben sind, das mag ja ganz interessant sein. Wirklich berührt haben uns andere Todesfälle in diesem Jahr. Namen, die nie in irgendwelchen Nachrichten aufgetaucht sind und niemals in den Geschichtsbüchern stehen werden. Aber uns waren sie nahe und wichtig, und nun sind sie in diesem Jahr von uns gegangen.

Stürme wie auf den Philippinen sind schrecklich. Solche Katastrophen berühren auch uns – gerade in einer klein gewordenen Welt. Und doch bewegen uns viel mehr andere Stürme, die durch unser Leben gefegt sein mögen: Krisen, Katastrophen, Unfälle in unserem Umfeld. Ehen und Beziehungen, die zerbrochen sind; Pläne, die gescheitert sind; Krankheiten, die uns unsere Grenzen aufgezeigt haben. Jeder wird in seiner näheren oder weiteren Umgebung solche Stürme erlebt haben.

Neuwahlen, Regierungswechsel – die Folgen politischer Entscheidungen berühren uns meistens nicht unmittelbar, auch wenn sie mittelfristig Auswirkungen haben werden auf unser Leben und unsere Lebensqualität. Viel wichtiger, als wer für uns im Bundestag sitzt und Reden hält, ist, wer mit uns am Tisch sitzt, mit wem wir in diesem Jahr geredet haben, Freude und Leid geteilt, gelacht und geweint haben.

Ich möchte Sie einladen, bevor Sie sich morgen in die Silvesterfeiern stürzen, heute so was wie einen persönlichen Jahresrückblick zu halten. Was ist nach diesem Jahr 2013 anders in meinem Leben als es Ende 2012 war? Wer war für mich in diesem Jahr der wichtigste Mensch? Wer hat mir am meisten gegeben, und wer hat mir am meisten abverlangt? Von wem musste ich Abschied nehmen? Und wer ist neu in mein Leben getreten? Und ich selber: Bin ich noch der Alte von vor einem Jahr, oder habe ich mich verändert?

Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei Ihrem persönlichen Jahresrückblick auch Gutes entdecken können. Und dass Sie Gott dafür danken können.

Mittwoch, 25. Dezember 2013

Predigt am 25. Dezember 2013 (Christfest)

Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines  Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: „Abba, lieber Vater!“ So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Galater 4, 4-7


Liebe Schwestern und Brüder,
Weihnachten werden wir wieder zu Kindern. Nichts verbindet uns so mit unserer Kindheit wie das Weihnachtsfest. Wir erinnern uns an die kindliche Aufregung, das kindliche Staunen und die kindliche Freude, die wir damals verspürt haben. Und ein bisschen von dem wird wieder lebendig, wenn wir am Heiligen Abend in der Kirche sitzen, wenn unsere Weihnachtskerzen brennen, wenn wir Geschenke verteilen und empfangen, wenn Plätzchen und Stollen schmecken und wenn der Duft des Weihnachtsbratens durch die Räume zieht. Manches ist hier nicht ganz so, ich weiß. Aber wenn es ein kleines bisschen so ist wie früher, wie in Kindertagen, dann haben wir das Gefühl: Es ist wirklich Weihnachten, und es ist gut.
Weihnachten werden wir wieder zu Kindern. Es klingen die kindlichen Weihnachtslieder: Alle Jahre wieder und Ihr Kinderlein kommet. Und Große werden wieder klein, wenn die alte Geschichte von Maria und Josef und dem Kind im Stall gespielt oder – wie bei uns – gelesen wird.
Und damit sind wir ganz nahe dran am Sinn von Weihnachten: Weihnachten macht uns zu Kindern. Zu Gottes Kindern.
Genau davon spricht unser Predigtwort. Es ist, wenn man so will der älteste Weihnachtstext im Neuen Testament. Viele Jahre bevor Lukas seine ausführliche Erzählung von der Geburt im Stall und den Hirten und den Engeln aufgeschrieben hat, lange bevor Matthäus von dem Stern und den Weisen aus dem Osten zu berichten wusste, hat Paulus die Weihnachtsbotschaft in diesen wenigen Sätzen zusammengefasst:
Die Zeit war reif, und Gott sandte sein Kind. Er wurde von einer Frau geboren. Für ihn galten die Regeln und Gesetze, die für alle anderen Menschen auch gelten. Genau dadurch sind wir befreit worden vom Zwang dieser Gesetze und sind selber Gottes Kinder geworden. Gottes Geist ist in uns und lässt uns zu Gott „Lieber Vater“ sagen. Darum bist du kein Sklave mehr, sondern Gottes Kind. Und wenn du sein Kind bist, dann bist du sogar sein Erbe.
Gott sandte sein Kind, damit wir Gottes Kinder werden.
Es ist ganz in Ordnung, dass wir Weihnachten wieder zu Kindern werden – angesichts des Kindes in der Krippe. So war es gedacht.
Die Evangelisten erzählen uns Kindergeschichten von der Geburt Jesu. Sie erzählen uns von Menschen, die sich wie die kleinen Kinder freuen über das Kind in der Krippe und die kindlich und ohne Argwohn sind: Josef, der es seiner Verlobten abnimmt, dass ihr ein Engel erschienen und der Heilige Geist der Vater ihres Kindes sein soll. Die Hirten, die kein Problem haben, an Engel zu glauben und im Ernstfall ihre Herde zurücklassen, um ein neu geborenes Baby zu sehen. Die Magier, die einem Stern hinterherlaufen, um einen neu geborenen König zu finden, und die nicht misstrauisch werden, als ein alter Königs sie als Spione missbrauchen will. Aber Gott sei Dank sind sie auch kindlich genug, um auf die Botschaft des Engels in ihren Träumen zu hören! – Ja, sind das nicht Kindergeschichten?
Paulus erzählt uns keine Kindergeschichten. Aber auch er spricht vom Kind, das uns zu Kindern macht.
Denn Gottes Kind bleibt Gottes Kind, auch wenn es erwachsen wird. Aus dem süßen Jesulein wird Jesus von Nazareth und aus Jesus von Nazareth wird Jesus der Christus. Und das alles, weil er Gottes Kind bleibt. Er bleibt seines Vaters Sohn. Ist voller kindlichem Gottvertrauen. Nennt Gott seinen Papi – Abba, lieber Vater! Traut ihm alles zu: jedenfalls zu helfen, zu heilen, zu retten und vom Tod zu erwecken.
Es zieht ihn zu den Kindern: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht! (Matthäus 19,14) Und den Großen sagt er, dass sie wieder wie die Kinder werden sollen, um in den Himmel zu kommen, und dass nur ja niemand einen von diesen Kleinen von seinem kindlichen Gottvertrauen abbringen soll (Matthäus 18, 3-6)!
Paulus sagt uns dasselbe: dass auch wir Kinder werden und Kinder bleiben sollen. Dass auch wir Gott unseren Papi nennen können – Abba, lieber Vater!, dass wir Gott vertrauen dürfen wie Kinder.
Kinder wissen sich von ihrem Vater geliebt. Nicht weil sie so großartig sind, nicht weil sie immer brav sind, nicht weil sie nur gute Zensuren nach Hause bringen, sondern einfach weil sie seine Kinder sind. – Ich weiß, bei manchen menschlichen Vätern ist das nicht so. Aber es sollte so sein. Und bei Gott unserem Vater ist es so.
Das ist genau das, was Paulus so wichtig geworden ist, dass er es vor allen den Galatern und den Römern ins Stammbuch – und damit uns in die Bibel – geschrieben hat: Ihr werdet nicht dadurch Gottes Kinder, dass ihr euch ihm gegenüber wohlverhaltet, euch an Gesetze und Regeln haltet. Sondern ihr seid Gottes Kinder, weil Jesus euer Bruder ist. Und so lebt einfach als Kinder: in kindlichem Gottvertrauen: Gott der Vater hat euch lieb – nicht weil ihr das tut, was ihr tut, sondern weil ihr die seid, die ihr seid: Gottes Kinder.
Manche fühlen sich Gott gegenüber nicht wie Kinder, eher wie Knechte, Arbeitssklaven, Dienstboten, Angestellte, die für ihren Chef funktionieren müssen. Sie fragen: Was muss ich tun, um ein guter Christ zu sein? Was verlangt Gott von mir? Was ist mir erlaubt und was ist mir verboten? – Ich sage euch: Da stimmt was nicht. Gott gegenüber bist du nicht mehr Knecht, sondern Kind, schreibt Paulus.
Bei Gott musst du nicht funktionieren. Gottes Liebe und Anerkennung musst du dir nicht durch Leistungen verdienen.
Bei Gott ist einfach Weihnachten. Da darfst du hingehen, den ganzen Stress hinter dir lassen, sehen, staunen, danken, anbeten – und auch Geschenke auspacken. Du darfst Kind sein. Darfst Jesus das Christkind nennen, das dir zur Seite ist, still und unerkannt. Darfst Gott deinen Vater nennen, der dich liebhat, dir zuhört, dich versteht, dich bewahrt und dich trägt. Der dich sogar erträgt, wenn du ein unzufriedenes, nörgeliges und quengeliges Kind bist.
Hauptsache, du bist ein Kind vor Gott! Hauptsache, du bist Gottes Kind!
So wie der Kleine in der Krippe. Und so wie der Große, der uns gelehrt hat, die Welt mit kindlichen Augen zu sehen. So wie Maria und Josef mit ihrem kindlichen Glauben. So wie die Hirten in ihrer schlichten Weihnachtsfreude. So wie die Weisen, die trotz aller ihrer Gelehrsamkeit Gott gefunden haben. So wie die vielen Menschen, die seither bei Jesus Hilfe und Heil für ihr Leben gefunden haben.
Weihnachten macht uns zu Kindern. Lasst uns einfach miteinander Gottes Kinder sein!

Dienstag, 24. Dezember 2013

Predigt am 24. Dezember 2013 (Christvespern am Heiligen Abend)

Liebe Gemeinde,
Weihnachten ist ein geheimnisvolles Fest. Früher jedenfalls, in Kindestagen und auch später noch, war es so, dass wir mit gespannter Erwartung den Geheimnissen entgegensahen, die sich uns offenbaren sollten: in jener verwandelten Stube, in die das Christkind seine Geschenke gelegt hatte. – So jedenfalls bei uns. Bei anderen war es vielleicht der Weihnachtsmann, aber auch der war sehr geheimnisvoll und brachte mit, was wir ersehnten und von dem wir doch nicht wussten, was es war. – Völlig unverständlich war mir, wenn andere schon Wochen vorher sagen konnten, was sie zu Weihnachten bekommen würden. Das war doch ein Geheimnis, das nicht zu früh gelüftet werden durfte, um die Weihnachtsfreude nicht zu schmälern. Überraschungen gehörten dazu. Man wusste nie, ob man bekommt, was man sich gewünscht hatte – oder vielleicht noch etwas viel Schöneres, was man sich nicht zu träumen gewagt hätte. So wie an jenem unvergesslichen Weihnachtsabend, als ich mit sechs Jahren staunend vor einer Modellbahnplatte stand, auf der richtige Züge fuhren. Geheimnisvoll war es gewesen, was der Vater im Schlafzimmer zu werkeln hatte. Aber das Geheimnis wurde erst an jenem Abend gelüftet. – Noch heute ist es am schönsten, wenn es noch Weihnachtsgeheimnisse gibt und wir einander noch überraschen können.
Das eigentliche Weihnachtsgeschenk, die eigentliche Weihnachtsüberraschung, das große Weihnachtsgeheimnis war und ist das Kind im Stall von Bethlehem. Eigentlich ist es ja so, dass wir uns nur deshalb beschenken und überraschen, weil Gott uns zuerst mit seinem Geschenk überrascht hat. Daraus ist dann erst unser Fest der Geschenke geworden.
Genau davon spricht ein kleiner Weihnachtstext im 1. Brief an Timotheus im 3. Kapitel unter der Überschrift: Geheimnis des Glaubens:
Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.
Die größten Geheimnisse, liebe Gemeinde, sind die, die noch dann Geheimnisse sind, wenn sie sich uns enthüllt haben. Ein Kind wird geboren. Wir wissen, wie es entstanden ist, wir haben sein Heranwachsen im Mutterleib verfolgt, wir waren bei seiner Geburt dabei. Und am Ende ist es doch ein Wunder, und es bleibt ein großes Geheimnis: Da ist ein Mensch, wo vorher keiner war. Leben, Lächeln, Lieben – das zuvor nicht da war. Das Geheimnis des Lebens – offenbart im Fleisch.
Und noch größer das Geheimnis dieses Kindes: Euch ist heute der Heiland geboren. – Man sieht es ihm nicht an der Nasenspitze an. Es steht ihm nicht an der Stirn geschrieben. Und der Heiligenschein, wie ihn die alten Bilder zeigen, ist auch nicht für die Augen sichtbar. Und doch ist es ja wahr: Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund! – Das Geheimnis der Liebe – gerechtfertigt im Geist.
Engel sind erschienen – bei den Hirten. Und auf den Weihnachtsbildern – denen mit den Heiligenscheinen, die unsere Augen nicht sehen können – sind sie auch zu sehen: Gottes Boten, die Engel, die die Weihnachtsszene umschwirren, bejubeln und bewachen. Denn mit diesem Kind ist der Himmel auf die Erde gekommen – die himmlischen Heerscharen bezeugen es. In ihm ist das Geheimnis des Himmels – erschienen den Engeln.
Und dann kamen die Weisen aus dem Osten, bekannt geworden als die Heiligen Drei Könige. Sie haben die Botschaft eines Sternes entschlüsselt und verstanden und haben sich auf den Weg gemacht. Eine geheimnisvolle Geschichte. Bis heute wissen wir nicht, was es wirklich mit diesem Stern auf sich hatte. Aber sie waren die ersten Vertreter aus den Völkern und Nationen der Welt, die den König der Juden gefunden und als ihren Retter erkannt haben – gepredigt den Heiden.
Später haben immer mehr Menschen an ihn geglaubt. Obwohl er nicht als König zu erkennen war. Obwohl er arm geboren und elend gestorben ist. Er hat seine Anhänger gefunden. Wir gehören dazu, die wir weltweit Weihnachten feiern, heute und morgen und alle Jahre wieder. Christus der Retter ist da – das bekennen heute rund zwei Milliarden Menschen. Das ist das Geheimnis der Kirche – geglaubt in der Welt.
Das Geheimnis seiner Geburt, seines Lebens und Sterbens, es vollendet sich im Geheimnis seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Er ist von Gott gekommen und kehrt zu Gott zurück. Und er nimmt uns mit. Wir sind zu ihm gekommen in seiner Geburt. Wir sind bei ihm in seinem Leiden und Sterben. Und wir werden sein, wo er ist – in Gottes Herrlichkeit. Das ist das Geheimnis der Auferstehung – aufgenommen in die Herrlichkeit.

Weihnachten ist ein geheimnisvolles Fest. Weil es uns mitnimmt in die geheimnisvolle Geschichte Gottes. An diesem Abend sehen wir es besonders deutlich: das Geheimnis des Glaubens. Gottes Geschenk an uns.

Sonntag, 22. Dezember 2013

Predigt am 22. Dezember 2013 (4. Sonntag im Advent)

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: „Dein Gott ist König!“ Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
Jesaja 52, 7-10

Liebe Schwestern und Brüder,
Vorfreude, schönste Freude, Freude im Advent. Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt dieses Kinderadventslied, das zwar vom eigentlichen Inhalt von Weihnachten vollständig befreit ist, aber wenigstens noch das christliche Wort Advent aufbewahrt hat. Und eben die Vorfreude. Ja, Vorfreude ist schön. Vorfreude ist Freude auf die Freude. Nicht nur Freude auf die eigene Freude, sondern auch Freude auf die Freude der anderen. Was wird der für Augen machen! Ich freue mich jetzt schon darauf, wie er sich dann freuen wird. Freude wächst und vervielfältigt sich. Freude im Advent!
Vorfreude heißt: Ich sehe etwas kommen. Etwas, was noch nicht da ist, aber es kommt, ganz gewiss. Ich sehe, was ich eigentlich noch gar nicht sehen kann. Ich sehe es vor meinem inneren Auge. Ich stelle mir vor, wie sich die Tür zur Weihnachtsstube öffnet und ich eintrete, schon Tage und Wochen vorher. Ich sehe es vor mir, wie ein anderer mein Geschenk auspackt, ich sehe die Freude und Überraschung auf seinem Gesicht. Schon jetzt, bevor es geschieht.
Zu Weihnachten gehört die Vorfreude.
Die Hirten auf dem Feld von Bethlehem freuen sich wie verrückt und laufen los nach Bethelehem. Vorfreude auf das Kind. Vorfreude auf die Erlösung!
Die Weisen aus dem Morgenland freuen sich, als ihnen der Stern erscheint und laufen los nach Bethlehem. Vorfreude auf das Kind. Vorfreude auf die Erlösung!
Und natürlich Maria, deren Lobgesang wir in der Lesung gehört haben: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Vorfreude auf das Kind. Die Vorfreude einer werdenden Mutter auf auf das Kind. Und noch viel mehr: auf dieses Kind, auf Gottes Kind, auf die Erlösung!
Ja, das ist überhaupt das beste Beispiel für Vorfreude: Wir erwarten ein Kind. Da sind Fragen, Ängste, Ungewissheiten. Da bereiten wir uns vor, dass Kleidung, Windeln, Wiege, Kinderzimmer bereit ist. Und da sind in uns im Voraus die Bilder, wie wir das Neugeborene im Arm halten werden, vielleicht auch weiter, wie es heranwachsen wird, uns anlächeln, die ersten Worte, die ersten Schritte und noch viel mehr. Vor unserem inneren Auge laufen ganze Filme ab, lange bevor sie Realität werden. Vorfreude, schönste Freude!
Um so schrecklicher, wenn diese Freude abgebrochen wird. Wenn ein Kind noch vor oder bei der Geburt stirbt. Die Wiege und das Kinderzimmer leer bleiben.
Aber so ist es Weihnachten nicht. Das Kind kommt an. Was erst nur Erwartung und Vorstellung war, ist Realität – Realität im Stall von Bethlehem. Die Erwartungen wurden erfüllt. Maria gebar ihren ersten Sohn, wie es ihr der Engel verkündet hatte. Die Hirten fanden das Kind, wie es ihnen die Engel gesagt hatten. Die Weisen fanden das Kind, wie es ihnen der Stern angekündigt hatte. Die Vorfreude hat ihr Ziel gefunden. In der Weihnachtsfreude.
Unser Predigtwort kommt aus einer Zeit vor Weihnachten. Also aus der Adventszeit der Welt. Der Zeit der Erwartung und der Vorfreude. Er spricht in Bildern von der Vorfreude. Die Botschafter der Freude rufen es von den Bergen: Bald gibt’s was zu sehen für alle. Und die Wächter rühmen es auf den Zinnen: Wir sehen es schon von weitem kommen. Keine Bedrohung, keine Gefahr, sondern Grund zur Freude. Gott kommt.
Stellt euch das vor: In einer Glaubenswelt, in der man sich kein Bild und keine Vorstellung von Gott macht – weil Gott größer ist als alle Bilder und Vorstellungen – in einer Glaubenswelt, in der Gott unsichtbar ist und bleiben muss – da verkündigen Gottes Boten: Wir sehen ihn. Und aller Augen sollen ihn sehen. Alle Welt soll ihn sehen – unsern Gott! Der unsichtbare Gott wird sichtbar!
Adventszeit der Welt – das ist die Zeit, da Gott nicht zu sehen ist.
Das ist auch unsere Adventszeit: Wir leben im Glauben und nicht im Schauen, wie es in der Bibel heißt (2. Korinther 5,7). Wir kennen die Ungewissheit und den Zweifel: Gibt es Gott wirklich, von dem wir nie etwas sehen? Kommt er uns zu Hilfe, wenn wir ihn brauchen? Was wird aus uns, wenn unsere Welt in Trümmern liegt – so wie Jerusalem in Trümmern lag, damals zur Zeit des Propheten?
Mitten in unsere Adventszeit hinein schickt Gott seine Freudenboten, die sagen: Wir sehen ihn schon kommen. Ja, Gott kommt. Freut euch auf die Stunde! – Es ist Zeit der Vorfreude!
Wenn die Adventszeit zu Ende geht, kommt Weihnachten. Das Wunder von Weihnachten ist genau das: Gott kommt sichtbar zu uns. Als Kind, als Mensch, als kleiner König – im Stall und in der Krippen. Alle Welt kann es sehen: Hirt und König, Groß und Klein, Kranke und Gesunde – so werden wir es dann singen.
Die Weisen aus dem Osten bzw. die Heiligen Drei Könige, wie sie gerne genannt werden, sind zum Symbol dafür geworden, dass aller Welt enden das Heil unsres Gottes sehen. Sie stehen ja zeichenhaft für die Völker der ganzen Welt.
Weihnachten hat sich die Vorfreude der Welt erfüllt. Gott ist zu uns Menschen gekommen.
Gleichzeitig ist immer noch Advent. Denn – man könnte sagen: Gott hat sich wieder in seine Unsichtbarkeit zurückgezogen. Wir leben im Glauben und nicht im Schauen. Wir kennen die Ungewissheit und den Zweifel. Wir warten auf Gott. Manchmal freuen wir uns vielleicht sogar auf Gott.
Aber Gott sei Dank. Auch heute hat Gott seine Freudenboten, die sagen: Wir sehen ihn schon kommen. Freut euch auf die Stunde!
Freudenboten – das sind die, die schon etwas von dem gesehen haben, was kommen wird. In biblischen Zeiten waren das Engel: Himmlische Boten, die in Gottes Welt zu Hause sind und dort schon gesehen haben, worauf wir uns freuen dürfen. Und es waren Propheten: Menschliche Boten, die Einblicke in Gottes Welt erhalten haben und davon mitgeteilt haben, worauf wir uns freuen dürfen.
Und dann kam Weihnachten, und das war für jeden, der es sehen wollte der Blick in Gottes Welt, in Gottes Himmel, in Gottes Herz. Wer das Kind in der Krippe gesehen hat, der hat schon gesehen, was kommen wird. Wer Jesus begegnet ist, der hat schon gekostet von der Vorfreude auf das Kommen Gottes. Und der wird selber zum Freudenboten.
Die Kirche Jesu Christi, wir als christliche Gemeinde, wir sind heute die Freudenboten Gottes. Zumindest sollen wir es sein. Wir sind heute die Wächter auf den Zinnen, die weiter sehen als andere, die sehen: der Herr, der gekommen ist, ist der Herr, der kommen wird. Und aller Welt Enden werden sehen das Heil unseres Gottes.
Darum: Seid fröhlich und rühmt miteinander! Mitten in den Trümmern eures Lebens tanzt den Freudentanz der Erlösten, denn Gott kommt. Ihr werdet es sehen!

Sonntag, 15. Dezember 2013

Predigt am 15. Dezember 2013 (3. Sonntag im Advent)

Dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Offenbarung 3, 1-6

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Schwestern und Brüder, wie schon vergangene Woche, so ist auch heute eines der sieben Sendschreiben Jesu Christi aus der Offenbarung dran. Und weil diese sieben Gemeinden symbolisch für die ganze Kirche stehen, darum tun wir gut daran, auch hier und heute genau darauf zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt.
Und dieses Mal wird es ernst. Sehr ernst. Es geht um Leben und Tod. Um Leben und Tod der christlichen Gemeinde: Lebst du noch oder stirbst du schon?, fragt der Herr seine Kirche.
Manchmal habe ich, haben wir das Gefühl einem Sterbeprozess der christlichen Kirche beizuwohnen. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland wieder fast 140.000 Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Aus der katholischen knapp 120.000. Und kontinuierlich sterben viel mehr Christen, als neu Getaufte hinzukommen. In wenigen Jahren werden die Christen eine Minderheit sein. Faktisch sind sie es jetzt schon.
Aber das sind nur Zahlen. Manchmal erleben wir die Sterbeprozesse am eigenen Leib. Am Mittwoch im Bibelgespräch wurde erzählt von brutalen Erfahrungen mit Konfirmanden und Religionsschülern, um die wir uns mit unserem Unterricht mühen und die uns das mit Spott und offener Ablehnung danken. Und das Schlimmste: Die Eltern stehen dabei hinter ihnen. Die Weitergabe von Glauben und Glaubenspraxis in den Familien findet fast überhaupt nicht mehr statt. Entsprechend sehen unsere Gemeinden aus: Schon rein biologisch sind es häufig sterbende Gemeinden.
Wie ist es bei uns? – Wir machen einen ganz lebendigen Eindruck mit unseren täglichen Aktivitäten, unserer gut gefüllten Kirche und unserem kräftigen Gesang. Tatsache ist: Wir sind eine Seniorengemeinde. Wenn mal eine junge Familie mit Kindern auftaucht, stellt uns das vor Probleme. Wir haben keine passenden Angebote für sie. Weil sie nur selten genutzt werden, logisch. Aber wenn es sie gar nicht erst gibt, kommen auch diejenigen nicht, die sie nutzen würden. Ein Teufelskreis… Und unsere Konfirmanden vom Frühjahr sind nun auch erst mal wieder von der Bildfläche verschwunden… (was ja auch in unseren Gemeinden in Deutschland der Normalfall ist).
Soziologen und Theologen sind damit beschäftigt diese Sterbeprozesse zu analysieren und zu begleiten. Sie stehen gewissermaßen am Sterbebett, zumindest am Krankenbett unserer Kirche und versuchen eine Diagnose zu stellen. Es scheint so zu sein, dass unser Wohlstand, unser Standard an Sicherheit und Freiheit – eigentlich alles gute Sachen – dazu beitragen, dass wir ganz gut ohne Gott leben können. Wenn wir hier auf Erden alles haben und uns den Himmel auch nicht schöner vorstellen können, wenn der liebe Gott sowieso ein frommer Mann ist, der gewiss niemanden zur Hölle fahren lässt, warum sollen wir uns dann noch groß um ihn kümmern? – Relevanzverlust der Religion heißt die Diagnose in ihrer wissenschaftlichen Sprache.
Und nun ist die Frage: Gibt es eine Therapie? Und wenn ja welche? – Da streiten sich die Geister. Modernisierung sagen die einen – Fortschritt. Bewahrung des Alten sagen die anderen. Das war unser Thema letzte Woche. Und ich habe gesagt, wir brauchen beides: Fortschritt und Bewahrung des Bewährten.
Freilich, der Herr stellt seiner Gemeinde – zumindest der in Sardes – eine noch viel schlimmere Diagnose: Ihr seid schon tot. Obwohl es so aussieht, als lebtet ihr noch. – Es ist eine ganz schauerliche Diagnose. Denn Tote, die sich noch bewegen wie Lebende – das sind Zombies. Die haben ihren Platz in Horrorfilmen. – Sind wir also eine Zombie-Kirche? Eine Kirche von Untoten?
Was macht den Unterschied aus zwischen Leben und Tod? – Die alten Philosophen, ja eigentlich schon die Bibel, haben eine einfache Antwort auf diese Frage gefunden: es ist die Seele. Ein Körper ohne Seele ist tot. Er ist ein leeres Gehäuse, das verfällt, sobald die Seele es verlassen hat. Zombies sind Körper ohne Seele, in denen die Körperfunktionen noch weiter da sind, aber die Seele ist raus. Vielleicht haben wirklich manche kirchlichen Aktivitäten so was Zombiehaftes. Es bewegt sich noch was, so wie das Huhn noch weiterläuft, dem man schon den Kopf abgeschlagen hat. Gruslig!
Die Therapie für so eine untote Gemeinde kann es nur sein, ihr ihre Seele zurückzugeben. Und die Therapie für eine kranke, halbtote, sterbende Kirche kann es nur sein, ihr ihre Seele zurückzugeben.
Werde wach und stärke das andre, das sterben will!
Das ist das Entscheidende: Dass die Kirche, dass unsere Gemeinde, dass wir selber Seele haben. Dass wir nicht nur funktionieren, sondern dass wir beseelt sind.
Die Seele einer Gemeinde, die Seele der Kirche, das sind Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei.
Wenn der Glaube sich auflöst, wenn die Hoffnung sinkt, wenn die Liebe erkaltet, dann verlieren wir das Entscheidende, das, was uns am Leben erhält.
Darum ist das die einzig mögliche Therapie für unsere kranke Kirche: Glauben stärken, Hoffnung machen und Liebe üben.
Glaube, Hoffnung, Liebe – die kommen nicht aus Kirchenämtern und Bischofskanzleien, die stehen nicht in päpstlichen Lehrschreiben und kirchlichen Orientierungshilfen, die kann man nicht verordnen und organisieren. Die kommen aus unserem Herzen.
Und wie kommen sie dort hinein, in unsere Herzen? – Ja, woher kommt denn die lebendige Seele? – Von Gott, der das Leben gibt, der tote Leiber lebendig macht, der seine Geschöpfe beseelt und seine Menschen begeistert.
Tue Buße, sagt der Herr. Und er sagt damit nichts anderes als: Kommt zu Gott, der Quelle des Lebens! Kommt zu Gott und lasst euch begeistern, damit ihr wieder beseelt werdet von Glauben, von Hoffnung, von Liebe.
Und das wollen wir tun. Das ist unsere Aufgabe als Kirche, als Gemeinde. Und das merken wir ja auch deutlich: Wo Menschen beseelt sind, wo sie Glauben glaubwürdig leben, wo sie Hoffnung verbreiten, wo sie Liebe üben, da wird die Kirche auf einmal anziehend und wichtig.
Ich bin froh über alle großen und kleinen Beispiele, wo solche Lebendigkeit da ist.
In den letzten Tagen bewegen mich zum Beispiel die Nachrichten aus der Ukraine, aus Kiew. Und was mich da besonders berührt und freut, ist, dass die Kirche, die Kirchen dort so eine wichtige Rolle spielen. Ähnlich wie damals in der DDR und auch wieder ganz anders sorgen sie für eine Atmosphäre der Gewaltlosigkeit. Mein deutscher Kollege Ralf Haska, mit dem ich zusammen studiert habe, hat in der vergangenen Woche in den deutschen Medien berichtet, wie verschiedene Kirchen mitten auf dem Maidan ein Gebetszelt errichtet haben. Ralf sagt, das ist das wichtigste der Zelte. Die Kirchen sind geöffnet zum Beten, zum Aufwärmen, und viele Freiwillige verteilen Tee, Brote und warme Mahlzeiten – an Demonstranten wie an Polizisten. So auch in der zentral gelegenen deutschen St. Katharinenkirche. Als die Lage am Montag zu eskalieren drohte, standen Priester zwischen den Fronten und haben Gebete gesungen. Und als offenbar gewaltbereite Demonstranten direkt vor Ralfs Kirche den Milizen gegenüberstanden, hat er mit dem Mut der Verzweiflung seinen Talar angezogen und hat sich dazwischen gestellt und hat ihnen gesagt, wie es damals in der DDR war, dass die Revolution nur siegen konnte, weil sie gewaltfrei blieb. – Das hat mich sehr beeindruckt. Da war Gottes Geist. Und da hatte Kirche auf einmal wieder Seele. Da ist Glaube – Gottvertrauen, da ist Hoffnung – es kann sich etwas zum Guten verändern, da ist Liebe – wir sind für unsere Nächsten da, so gut wir können.
Ja, es gibt sie noch, echte Lebenszeichen der christlichen Kirche. Und ich glaube, was wir zur Zeit erleben, ist kein Sterbeprozess. Mag sein, dass da oder dort was krank ist am Leib Christi. Mag sein, dass wir in Deutschland und Europa zur Zeit eher weniger werden. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit und schon gar nicht das letzte Wort. Der Herr hat uns zum Leben berufen und belebt uns neu, wo wir zu ermatten drohen.
Es ist Advent. Lasst uns ihm entgegen gehen und von ihm Glauben, Hoffnung und Liebe immer neu empfangen.

Sonntag, 8. Dezember 2013

Predigt am 8. Dezember 2013 (2. Sonntag im Advent)

Dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe:
Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut und niemand schließt zu, der zuschließt und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke.
Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.
Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.
Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.
Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!
Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Offenbarung 3, 7-13



Liebe Schwestern und Brüder,
ist Kirche progressiv oder konservativ? Sind Christen fortschrittlich, ja vielleicht revolutionär, ihrer Zeit voraus? Oder sind sie rückschrittlich, reaktionär, zurückgeblieben?
Ich erlebe oft eine Kirche, die fortschrittlich sein will. Eine Kirche, die die Welt verändern will und sich dabei gerne an die Seite säkularer Weltverbesserer stellt: ökologisch, sozial, gendergerecht.
Und ich höre und lese immer wieder, wie die säkularen Weltverbesserer ihrerseits die Kirche für konservativ und überholt halten: Religion, Glaube, Gott – es geht auch ohne.
Ich lese von einer Theologie, die sich diese Kritik zueigen macht, sich von den eigenen kirchlichen Traditionen verabschieden und das Christentum als Glauben ohne Religion neu erfinden möchte.
Auf der anderen Seite erlebe ich auch einen starken konservativen Zug, vor allem im Leben der Gemeinden selbst. Ein kräftiges „Das war schon immer so“. Oder gar „Früher war alles besser“. Eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit.
Ich nehme auf der einen Seite die Sorge wahr, nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein, die Menschen nicht mehr zu erreichen, bei den Veränderungen nicht mehr mitzukommen. Auf der anderen Seite die Angst, dass das, was unseren Glauben ausmacht, auf der Strecke bleibt.
Und es bewegt mich die Frage: Welche Fortschritte, welche Veränderungen kommen von Gott, sind vom Heiligen Geist angestoßen? Welche Veränderungen sind Schritte von Gott weg, sind Lüge und Verführung, kommen letztlich vom Teufel?
Liebe Schwestern und Brüder, diese Fragen sind nicht neu, sie sind im Grunde genommen so alt wie die christliche Kirche selbst. Marschiert die Kirche an der Spitze des Fortschritts oder ist sie die Hüterin des Althergebrachten? Da sind zum Beispiel diese sieben christlichen Gemeinden, erst wenige Jahrzehnte alt, denen Johannes seine Offenbarung schickt. Weil Jesus Christus selber, der Herr der Kirche, ihnen etwas Wichtiges zu sagen hat. Eine dieser sieben Gemeinden ist Philadelphia.
Jesus sagt seiner Gemeinde in Philadelphia zwei Dinge. Das erste: Seid fortschrittlich, geht voran! Und das zweite – ihr ahnt es schon –: Seid konservativ, bewahrt, was ihr habt!
Der Herr sagt: Seid fortschrittlich, geht voran! Ich habe vor dir eine Tür aufgetan. (Ihr merkt, das schließt wunderbar an die Predigt von letzter Woche an.) Ich habe vor dir eine Tür aufgetan. Du sollst nicht davor stehen bleiben, sondern du sollst hindurchgehen. Geh, schreite voran! Nutze die Chancen, die offenen Türen, die Möglichkeiten!
Ich glaube, das sagt der Herr auch uns heute: Geht voran! Nutzt eure Möglichkeiten! Die Türen, die vor euch offenstehen!
Offene Türen. Nutzt die Freiheit, euren Glauben zu leben und zu verbreiten!
Was bin ich froh, dass wir so viel tun können, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen! Was bin ich froh, dass wir diese Kirche haben, wo wir Gottesdienst feiern, unser Gemeindezentrum, unsere Feste, unsere Veranstaltungen! Wir öffnen unsere Türen, und Menschen treten ein. Wir sind offen, und niemand hindert uns daran. – Ich denke an christliche Gemeinden, die sich heimlich und versteckt hinter verschlossenen Türen, in Wohnstuben und Hinterhöfen treffen müssen. Anderswo in dieser Welt. – Wie haben wir es gut! Was sind uns für offene Türen gegeben!
Was bin ich froh, dass wir uns mit unseren Möglichkeiten selber finanzieren können, und darin weitgehend unabhängig sind!
Was bin ich froh, über unsere Möglichkeiten, Glauben und Leben über moderne Medien und Netze zu teilen! Teilen – to share – das ist das entscheidende Konzept in Twitter, Facebook usw. Und genau das – teilen – die Botschaft von Jesus verbreiten, was wir glauben und was wir haben, mit anderen teilen – das ist auch unser Auftrag. Da passt was zusammen. An der Stelle bin ich ganz fortschrittlich.
Ja, seid fortschrittlich, schreitet voran! Auch persönlich, in eurem Glauben! Glauben ist nichts, was man hat, ein für allemal, sondern Glaube wächst, entwickelt sich. Nutzt die Möglichkeiten, die offenen Türen, um in eurem Glauben Fortschritte zu machen!
Denn beim Fortschreiten kommt es darauf an, wohin die Reise geht. Man kann auch in die falsche Richtung gehen. Man kann das für Fortschritt halten, und merkt vielleicht – hoffentlich! – irgendwann: Es war Rückschritt. Jesus gibt die Richtung vor: der Tempel Gottes, das neue Jerusalem – das sind die Bilder hier im Buch der Offenbarung für Gottes ewiges Reich. Dort, bei Gott, dort sollt ihr einmal ankommen. Schreitet voran, dem Herrn entgegen!
Das wäre dann die Testfrage zum Fortschritt: Führt er ins Reich Gottes? Führt er hin zu Gott? Oder führt er von Gott weg? Alles, was zu Gott hinführt, ist echter Fortschritt. Alles, was von Gott wegführt, trägt vielleicht diesen Namen, ist aber in Wahrheit Rückschritt. In diesem Sinne: Seid fortschrittlich!
Und dann sagt der Herr: Seid konservativ! Bewahrt das Bewährte! Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Lasst dir nicht die Butter vom Brot nehmen! Lass dir nicht den Schneid abkaufen! Und vor allem: Bewahre mein Wort!
Die Gefahr beim Fortschreiten ist, dass man das Lebensnotwendige als Ballast abwirft. Und wenn es drauf ankommt, fehlt das Entscheidende.
Es ist wie bei einer Wanderung. Du musst voran gehen. Der Weg ändert sich, nach jeder Biegung sieht es anders aus. Wenn du nicht gehst, kommst du nicht ans Ziel. Aber du musst auch was mitnehmen in deinem Rucksack: Proviant, Wasser und Brot, eine Wanderkarte – oder ein Navi – damit du dich nicht verläufst, Kleidung, die dich vor den Unbilden der Witterung schützt. Karte, Proviant und warme Kleidung wegzuschmeißen, ist ziemlich dumm. Du kannst zwar erst mal schneller fortschreiten. Aber irgendwann vielleicht gar nicht mehr.
So ist das auch auf unserem Weg ins Reich Gottes. Wir sollten die wichtigsten Dinge mitnehmen und nicht wegschmeißen: Vor allem, sagt Jesus, das Wort Gottes nicht. Es ist das Entscheidende, was wir brauchen: Nahrung für Geist und Seele, Karte und Navi für unseren Lebensweg, Schutz und Schirm vor allem Übel.
Da bin ich ganz konservativ. Fortschreiten ja. Aber das Entscheidende bewahren: Gottes Wort.
Ja, wir sind unterwegs durch die Zeit. Die Formen, in denen wir unseren Glauben ausdrücken und gestalten, wandeln sich. Wir sprechen die Sprache von heute. Wir singen neue Lieder. Wir feiern Gottesdienst anders als noch vor 50 oder 100 Jahren. Aber das sind Formen. Das sind die modernen Rucksäcke, in denen wir dann doch immer wieder das Bewährte bewahren, das uns auf unserer Wanderung durch die Zeit bewahrt.
Ich bin gerne fortschrittlich, wenn es um moderne Formen geht, das Evangelium zu kommunizieren. Aber ich bin konservativ, wenn es um Gottes Wort geht. Ich glaube nicht, dass wir da Abstriche machen können, etwas davon wegschmeißen sollten, weil es nicht mehr in die Zeit passt. Vielleicht verstehen wir nicht alles gleich gut. Vielleicht brauchen wir das eine oder andere heute weniger, so wie man auf der Wanderung nicht jederzeit die Regenjacke braucht. Aber wahrscheinlich kommt die Zeit der Regenjacke mal wieder. – Ja, das befürchte ich sogar: dass die leichten Zeiten für den christlichen Glauben sich dem Ende zuneigen. Die Horizonte verdunkeln sich schon. – Und dann ist es wichtig, dass wir sein Wort bewahrt haben, das uns bewahrt.
Damit wir hören, was der Geist den Gemeinden sagt.
Amen.