Sonntag, 24. April 2016

Predigt am 24. April 2016 (Sonntag Kantate)

Kleider machen Leute. Das ist nicht nur ein Sprichwort, sondern auch eine bekannte Novelle von Gottfried Keller, Schweiz, 19. Jahrhundert; wir mussten das in der Schule lesen.
Kleider machen Leute: Da kleidet sich einer besser, als es seinem Stand entspricht, und schon wird er für einen Grafen gehalten. Und da er in Wirklichkeit nur ein Schneider ist, wird das zum Problem für ihn.
Sicher hat sich die Kleidungsordnung nivelliert. Ob einer Schneider oder Graf ist, sieht man ihm nicht mehr so einfach an. – Trotzdem gibt es immer noch Kleiderordnungen und Dresscodes. Was wir anziehen, sagt was über uns. (Oder was wir ausziehen; wenn ich z. B. an die Herren da draußen denke, die ihr T-Shirt in der Hand tragen, um ihre nackten Bäuche der Sonne und dem Publikum zu präsentieren.)
Was wir anziehen, will überlegt sein (was wir ausziehen, auch).
Warum steht die Frau vor dem Kleiderschrank und zieht sich noch dreimal um, bevor wir gehen? Warum muss ich ihre Frage beantworten: „Kann ich das anziehen?“ Es geht bei unserer Kleidung immer auch darum, wer wir sind oder als wer wir uns zeigen wollen.
Dabei befinden wir uns in diesem eigenartigen Spannungsfeld zwischen Individualismus und kollektiver Norm. Mode: Was trägt man jetzt, und was geht gar nicht? – Das ist die kollektive Norm. Und auf der anderen Seite: Wie schrecklich, wenn eine andere genau das gleiche Kleid anhat, wie ich! – Am liebsten würde ich ein Unikat tragen, ein Kleidungsstück, das nur ich allein habe und was meine besondere Persönlichkeit zum Ausdruck bringt, ganz individuell; aber gleichzeitig soll es etwas sein, das man tragen kann. Ich möchte dazugehören und mich doch unterscheiden von allen anderen.
Kleider machen Leute. Gerade, wo es sich um Dienstkleidung handelt. Der weiße Kittel macht den Arzt. Die Uniform macht den Polizisten. Der Blaumann macht den Handwerker. Der Talar macht den Pfarrer. Ich trage ja nicht so häufig das Kollarhemd (also das mit der weißen Kragenleiste), aber wenn, dann werde ich – zumindest von den Einheimischen sofort anders behandelt, respektvoller, werde nicht mehr als Tourist, sondern als Padre angeredet.
Kleider machen Leute. Im Idealfall sagt unsere Kleidung etwas darüber, wer wir sind. Oder wer wir sein wollen.
*
Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Kolosser über die Kleidung der Christen:
Zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertragt einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
Kolosser 3, 12-17
*
Im Idealfall sagt unsere Kleidung etwas darüber, wer wir sind. Etwas darüber, dass wir Christen sind.
Sie sagt aus, dass wir Auserwählte Gottes sind – etwas ganz Besonderes.
Du bist ein Königskind Gottes – das soll man dir ruhig ansehen.
Du bist ein Heiliger – das soll man auch äußerlich merken.
Du bist geliebt – das muss doch nach außen strahlen.
Was soll ich anziehen: als Christ, als Gotteskind, als Heiliger und Geliebter?
Gibt es eine spezifisch christliche Kleidung – mal abgesehen von der Dienstkleidung von Pfarrern oder der Tracht von Ordensleuten?
Ich kenne noch so Sondergemeinschaften (man kann auch Sekten dazu sagen) oder extrem pietistische Gruppen, wo die Frauen Röcke tragen mussten (aber natürlich nicht etwa mini, sondern weit übers Knie) und die Haare zur Glaubenszwiebel gesteckt hatten. Aber das ist in Wahrheit nicht besonders christlich, sondern besonders verklemmt. – Das sieht nicht aus wie auserwählt und geliebt, und wenn das heilig sein soll, dann möchte ich das gar nicht sein.
Was soll ich anziehen?
Paulus öffnet den christlichen Kleiderschrank. Da liegen und hängen statt Hemd und Hose, Socken und Jacke: Barmherzigkeit und Freundlichkeit – in unterschiedlichen Farben und Größen, Sanftmut und Geduld - frisch gewaschen und gebügelt, Demut – noch in der ungeöffneten Originalverpackung, und daneben die Toleranz, die ich so gerne trage.
Zieh das an, sagt der Apostel. Ist vielleicht ein bisschen altmodisch, aber es steht dir gut.
Und darüber dann noch die Liebe. Du meinst, dass das zu viel ist? Zu dick? – Nein, die Liebe brauchst du schon; ohne Liebe wirkt das andere alles nicht so richtig.
Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Toleranz, Vergebungsbereitschaft und Liebe. Das ist die Kleidung, an der man Christen erkennt. Oder erkennen sollte.
Manchmal tragen wir eben auch andere Klamotten, selbst wenn die uns nicht so gut stehen. So was wie: Härte, Ungeduld, Unfreundlichkeit, Intoleranz, Egoismus. – Aber muss das sein?
Und manchmal tragen andere, die sonst mit Gott und Jesus nicht so viel am Hut haben, diese schönen Sachen aus dem christlichen Kleiderschrank. Vielleicht einfach deshalb, weil dieser Schrank allen offen steht. Jeder darf sich bedienen. Und vielleicht auch deshalb, weil wir Christen über Jahrhunderte hinweg die Kleidungsordnung mitbestimmen durften. Da ist noch was übrig geblieben von der christlichen Mode. Ich freue mich, wenn ich sie auch bei anderen sehe.
Was Christen gut tragen können, das ist durchaus nicht monoton oder uniform. Die Farben und die Schnitte sind verschieden. Freundlichkeit kann man in einem ernsten oder auch in einem humorvollen Ton tragen. Geduld kann ganz schlicht als stilles Abwarten geschnitten sein oder aber sehr aufwändig mit viel Action und interessanten Versuchen ein Ziel zu erreichen. Toleranz kann so viele Farben haben, wie es verschiedene Menschen gibt. Und Liebe gibt’s in der ganz großen Ausführung oder auch ganz kleinteilig.
Und wo bekommt man nun diese christliche Mode her?
Zunächst müssen wir sie uns nicht selber schneidern. Das hat Gott schon gemacht.
Wir müssen sie uns auch nicht selber kaufen. Wir müssen nicht dafür arbeiten und sie nicht teuer bezahlen.
Wir müssen nur den Kleiderschrank für unsere Seele aufmachen und uns herausnehmen, was zu uns passt, es anprobieren und dann tragen.
Gott hat schon alles hineingelegt, was zu uns passt.
Und wo steht dieser Kleiderschrank?
Nun, vielleicht auch hier, in dieser Kirche, in dieser Gemeinde. Und in jeder anderen auch. Hoffe ich. – Also bedient euch!
Probiert es an! Und dann sagt euch gegenseitig, was euch steht, was zu euch passt, was gut aussieht. Und auch, was nicht so toll ist.
Kleider machen Leute.
Und diese Kleider, Gottes Kleider, machen euch zu attraktiven Christenleuten.
Sie zeigen, wer ihr seid: Auserwählte, Heilige, Geliebte.

Sonntag, 17. April 2016

Predigt am 17. April 2016 (Sonntag Jubilate)

Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, Gottes Sohn, der ist aus Gott geboren. Und ein Kind, das seinen Vater liebt, liebt auch die anderen Kinder des Vaters, denn es sind seine Geschwister. Aber auch umgekehrt: Dass wir die Kinder Gottes lieben, merken wir daran, dass wir Gott lieben und nach seinen Geboten leben. Unsere Liebe zu Gott zeigt sich nämlich darin, dass wir nach seinen Geboten leben. Und seine Gebote sind nicht schwer. Denn jeder, der aus Gott geboren ist, siegt über die Welt. Das ist der Sieg, der die Welt besiegt: unser Glaube. Wer erringt also den Sieg über die Welt? Der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist!
1. Johannes 5, 1-5

Manchmal denke ich an Deutschland, an Sachsen, ans Erzgebirge. Ich mache die Augen zu und sehe die Orte, wo ich mal zu Hause war, die Menschen, die dort lebten und immer noch leben.
Manchmal denke ich an diese schönen Abende, als es Sommer wurde und wir draußen saßen. Im warmen Abendlicht. Und die Schwalben flogen.
Und wenn es besonders schön und ruhig war, dann flogen auch die Ballons: Heißluftballons. Manchmal ganz dicht über unseren Kirchturm. Wir haben den Leuten da oben zugerufen und gewinkt und sie uns. Langsam schwebten sie über unser Städtchen dahin. Sommerleicht. Ganz ruhig. Nur hin und wieder hörte man das Röhren des Gasbrenners. Ein Heißluftballon braucht Wärme, um da oben zu bleiben.
An anderen Abenden waren es nicht die Ballons, sondern die Freizeitpiloten. Einer aus unserem Ort hatte ein Ultraleichtflugzeug und eine bucklige Start- und Landebahn hinter seinem Haus. Oft drehte er an so einem schönen Abend seine Runden. Manchmal winkte er mit den Tragflächen. Einmal bin ich mitgeflogen: unvergesslich.
Fliegen oder Schweben zwischen Himmel und Erde: das ist ein Wunder. Wir überwinden die Schwerkraft und alles wird leicht. Früher haben sie geglaubt, wir müssten erst Engel werden, um das zu erleben; heute ist es möglich, einfach so.
Ja, die Schwerkraft: das ist das, was uns nach unten zieht. Das, was uns am Boden festhält. Das, was uns hindert zum Himmel aufzusteigen.
Schwerkraft, das hat mit Masse zu tun: mit dem Gewicht der Erde. Mit der Last der Welt.
Ja, ich weiß, es ist physikalisch nicht korrekt, statt Masse, von Gewicht zu sprechen. Das Gewicht ist die Kraft, die Massen aufeinander ausüben. Wir und die Erde wir ziehen uns an, und das ist das Gewicht, die Last unseres Daseins. Es zieht uns nach unten.
Physikalisch korrekt ist es, von der Krümmung der Raumzeit zu sprechen. Große Massen verkrümmen das Universum. Aus geradlinigen Bewegungen werden Parabeln und Ellipsen. Der Stein, den ich werfe, fliegt in einem Bogen auf die Erde zurück. Der Satellit, der in den Himmel geschossen wird, wird von der Erde in eine Kreisbahn eingefangen.
Und wir, die wir gelegentlich zu Höhenflügen ansetzen, werden auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Ballons schweben. Flugzeuge fliegen. Sie überwinden die Schwerkraft. Sie haben ihr etwas entgegenzusetzen.
Beim Ballon ist es heiße Luft. Sie ist leichter, weniger dicht als die kalte Luft rundherum. Die kalte Luft ist schwerer, es zieht sie so sehr nach unten, dass sie die wärmere Luft im Ballon nach oben drückt, und mit ihr den ganzen Ballon, und mit ihm die Menschen die wie die Engel über die Welt hinweggleiten. Schwerelos, unbeschwert.
Beim Flugzeug ist es die Bewegung, die Strömung: Die Druckverhältnisse über und unter den Tragflächen. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit ist der Auftrieb durch die Strömung stärker als die Schwerkraft. Und dann hebt sich dieser tonnenschwere Koloss in die Luft – das maximale Abfluggewicht eines Airbus A320 ist 77 Tonnen (das ist das, womit wir so üblicherweise nach Deutschland reisen), beim Airbus A380 sind es 560 Tonnen. Mit ein bisschen angewandter Physik, können auch 560 Tonnen fliegen: Die Luft trägt. Auch wenn man ihr das gar nicht zutraut: Die leichte Luft trägt das schwere Flugzeug.
Das ist das  Wunder: Wir sind der Schwerkraft nicht ausgeliefert. Wir können sie überwinden. Das, was uns nach unten zieht, besiegen. Durch Wissenschaft und Technik. Wir sehen nicht, wie es funktioniert, dass ein Airbus fliegt, aber wir glauben es, wir vertrauen den Auftriebskräften und lassen uns von ihnen tragen.
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Liebe Freunde,
was ist schwer, was ist leicht? Ein A380 ist wahnsinnig schwer. Aber er kann fliegen. Er ist leicht genug.
Gottes Gebote sind nicht schwer, schreibt Johannes in seinem Brief.
Als wir am Mittwoch im Bibelgespräch darüber sprachen, gab es Protest: Was für ein Satz! Wenn wir Gottes Gebote wirklich ernst nehmen, dann sind sie uns immer zu schwer, sagten einige. Keine anderen Götter haben neben mir; Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen, wie Luther das im Katechismus formuliert hat; nicht begehren; oder wie Jesus sagte: Wer seinem Bruder zürnt, der gehört schon vor Gericht, nicht erst der, der tötet. – Das ist uns alles viel zu schwer. Das zieht uns nach unten. Weg von Gott. Runter vom Himmel.
Damit sind wir ganz nahe bei dem, was Paulus und Luther erlebt haben: Gottes Gesetz verdammt uns. Es zeigt uns, dass wir Sünder sind, die von sich aus nie zu Gott kommen können. Es zieht uns nach unten.
Wir brauchen das Evangelium, das Wort von der Vergebung und Befreiung; und wir brauchen es immer wieder und wieder, weil wir es nie im Leben schaffen, Gottes Geboten zu genügen: Ich armer, elender, sündiger Mensch!
Das ist ja auch der Sinn unseres Schuldbekenntnisses am Anfang des Gottesdienstes: Aus eigener Kraft können wir nicht frei werden. Darum sehen wir auf Christus und beten: Gott sei uns Sündern gnädig!
Aber dann eben auch das: Wir sehen auf Christus, und wir glauben, dass Gott uns frei macht. In Christus ist die Kraft, die uns nach oben zieht. Auferstehungskraft: Die wirkt der Schwerkraft der Sünde entgegen. Himmelfahrtskraft, die ihn nach oben zieht, und uns mit ihm.
Mit ihm wird alles ganz leicht. Wir schweben drüber sozusagen. Und Gottes Gebote – ja, die ziehen uns nicht mehr nach unten, sondern nach oben. Sie sagen uns nicht mehr, wie schlecht wir sind, sondern wie gut wir sein können – mit Gottes Auftriebskraft unter unseren Flügeln.
Das ist das, was Johannes erlebt hat: Wir glauben an Jesus Christus. Wir sind Gottes Kinder. Wir leben in der Liebe. Und Gottes Gebote machen es uns nicht schwerer, sondern leichter. Weil sie uns daran erinnern, was Gott will und was Liebe bedeutet.
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Mit Jesus ist alles anders, sagt Johannes – nein, sagt das ganze Neue Testament. Mit Jesus sind wir Gottes Kinder. Von neuem geboren. Von Gott geboren. Gott, den wir unseren Vater nennen, ist auch unsere Mutter. Sie hat uns geboren, und sie hat uns lieb: Jesus, meinen Bruder, und dich, meine Schwester. Wir sind Gottes Familie.
In der Familie ist Liebe leicht. Eltern lieben ihre Kinder von Anfang an. Und Kinder lieben ihre Eltern von Anfang an. In der Familie lernen sie, was Liebe ist. Und Kinder lieben ihre Geschwister. So sollte es sein. So ist es, wo es gut ist.
Wenn Eltern und Kinder sich nicht lieben – oder nicht mehr, wenn Geschwister einander nicht mehr lieben, dann ist es böse; da ist etwas zerbrochen, was ursprünglich gut war. Jeder von uns weiß: So soll es nicht sein.
Aber ja, in der Familie ist Liebe manchmal auch schwer.
Wir hatten in der DDR so einen Witz, warum die Sowjetunion nicht unser Freund, sondern unser Bruder ist: Weil man sich Geschwister eben nicht aussuchen kann, Freunde aber sehr wohl.
Unsere Liebe geht, wenn sie erwachsen wird, auch andere Wege, neue Wege: heraus aus der alten Familie. Sie sucht und schafft sich idealerweise eine neue Familie.
Aber, was Liebe ist, das haben wir zu Hause gelernt. Und wenn es gut ist, dann hört unsere Liebe zu Eltern und Geschwistern niemals auf.
Mit Jesus seid ihr Gottes Familie, schreibt Johannes. Und in der Familie ist es leicht, einander zu lieben. Manchmal auch schwer, aber so, dass wir doch immer wieder zueinander finden.
Darum sind auch Gottes Gebote für euch nicht schwer. Sie sind ja Ausdruck seiner Liebe. Sie sagen euch doch nur, wie ihr das leben könnt, was ihr schon seid: Geliebte und liebende Kinder Gottes.
*
Gottes Liebe ist die Kraft, die euch gezeugt hat, aus der ihr geboren seid, die euch zu Gottes Kindern gemacht hat.
Gottes Liebe ist die Kraft, die Jesus von den Toten erweckt und in den Himmel gezogen hat.
Gottes Liebe ist die Kraft, die auch euch Auftrieb gibt, die das Schwere leicht macht.
Wie warme Luft, die einen Ballon schweben lässt.
Wie der Wind, die Luftströmung unter euren Flügeln, die euch nicht abstürzen lässt, wenn ihr in Bewegung bleibt.

Wie ihr euch dem Flugzeug anvertraut und den Gesetzen der Physik, so vertraut euch Christus an und der Macht seiner Liebe. Und dann wird, was schwer ist, leicht. Was euch nach unten zieht, die schwere Erde, die Last der Welt, das ist überwunden durch die Auftriebskraft der Liebe.
Und hört auf, selber abheben zu wollen und mit euren nicht vorhandenen Flügeln zu schlagen. Hört auf zu klagen, dass das alles, Gottes Gebote und Gedanken, zu schwer für euch ist. Ihr müsst seine Gedanken nicht vollkommen verstehen, ihr müsst seine Gebote nicht vollkommen erfüllen; das könnt ihr nicht. Aber ihr ihr sollt euch Christus anvertrauen, der das für euch getan hat. Er macht euch euer Leben leicht.

Sonntag, 3. April 2016

Predigt am 3. April 2016 (Sonntag Quasimodogeniti)

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
1. Petrus 1, 3-9
*
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
Gestern habe ich eine Trauerfeier gesehen im Fernsehen - für Guido Westerwelle –, und sie begann mit diesen Worten. Das fand ich stark und mutig: Ein Mensch ist von uns gegangen, für alle zu früh, und der Pfarrer sagt: Gelobt sei Gott!
So ist Ostern. Dieses Jahr irgendwie ganz besonders: Der Terror in Brüssel, und wir verkünden: Der Herr ist auferstanden.
In Lahore, Pakistan, feiern Christen Ostern, Fest des Lebens, und ein Selbstmordattentäter reißt über 70 Menschen in den Tod.
Und dann sind da eben auch die Namen der Prominenten, doch einige, die in den letzten Tagen und Wochen gestorben sind: Roger Cicero, der begnadete Sänger, 45 Jahre alt - ich mochte ihn –,Hans-Dietrich Genscher – nun ja, das bestürzt uns vielleicht weniger, er war halt alt und schwach, aber er gehörte mit seiner jahrzehntelangen politischen Präsenz eben auch irgendwie zu unserem Leben dazu,  - und auch Guido Westerwelle, wenig älter als ich und mir politisch sehr nahe; das berührt mich schon.
Gelobt sei Gott! - im Angesicht des Todes.
Stark und mutig oder vielleicht doch schon fast zynisch?
Gelobt sei Gott – wo uns doch der Tod immer wieder einen Strich durch die Rechnungen unseres Lebens macht.
Gelobt sei Gott – weil das Leben so schön sein könnte – ohne Leukämie, ohne Schlaganfall, ohne Altersschwäche und ohne Terror; ist es aber nicht!
Gelobt sei Gott – weil wir das Gefühl haben: Gott könnte das alles wegmachen - Krankheit, Alter, Tod, den ganzen Mist; tut er aber nicht.
Gelobt sei Gott – und wir kommen uns veralbert und vertröstet vor:
Ein unvergängliches Erbe im Himmel; aber wir erben erst, wenn wir gestorben sind.
Unaussprechliche und herrliche Freude; aber erstmal Traurigkeit und Herzeleid.
Der Seelen Seligkeit am Ende der Zeit; aber hier und heute angefochtene und geängstete Seelen. Und gequälte Leiber.
Gelobt sei Gott, der nichts dagegen tut und uns vertröstet aufs Jenseits!
*
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben, hat Jesus zu Thomas gesagt.
Vielleicht ist das das größte Problem der Neuzeit: Wir glauben, nur noch, was wir sehen. Dabei haben wir - gerade in der Neuzeit – gelernt, dass vieles anders ist, als wir es sehen:
„Das ist nicht die Sonne, die untergeht,
sondern die Erde, die sich dreht“ (singt die Band Tomte).
Es ist anders, als es der Augenschein nahelegt.
Die Wahrheit hinter dem, was wir sehen, ist das, was wir nicht sehen: Elektrizität, Strahlung, Mikroorganismen und Nanopartikel – die unsichtbaren Kräfte im Hintergrund.
Die Bilder und Buchstaben, die auf unseren Bildschirmen erscheinen, sind gerade nicht, was sie zu sein scheinen: eigentlich nur Einsen und Nullen, umgesetzt in Lichtpünktchen. Aber ist das die wahre Wirklichkeit? - Oder ist es doch die ganze große Welt, die in den Einsen und Nullen, symbolisiert ist.
So richtig weiß keiner mehr, was die wahre Wirklichkeit ist, hinter dem, was wir mit unseren Augen sehen – oder zu sehen meinen.
Letzendlich glauben wir nicht, was wir sehen,
sondern wir sehen, was wir glauben.
Wir glauben, dass wir alles durchschauen und erklären können. Wir glauben, dass wir viel mehr wissen, als die Menschen jemals gewusst haben. Aber während die großen Universalgelehrten, wie vielleicht zuletzt Leibniz im 17. Jahrhundert, noch das Wissen der Menschheit in einer Person vereinen konnten, weiß ein einzelner heute nur noch einen winzigen Ausschnitt von allem, was es zu wissen gibt. Der Rest ist Glaube.
Und manches davon auch Aberglaube, Irrtum, Unwissen.
Vielleicht ist das unser Problem: Wir glauben nur noch, was wir sehen. Und haben keinen Durchblick bei dem, was wir sehen.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!
Das ist die Einladung, an die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit zu glauben, an Gott, bei dem die Dinge anders sind, als sie zu sein scheinen, an den, der auch im Bösen das Gute wirkt, auch im Leiden Freude schafft, auch im Tod das Leben weckt.
Im übrigen hat besagter Leibniz im 17. Jahrhundert einen großartigen Versuch unternommen, den Glauben an Gott zu rechtfertigen angesichts des Leidens in der Welt: Wenn Gott gut ist, dann ist die Welt, die er geschaffen hat auch gut, muss einfach gut sein, die beste aller möglichen Welten. Trotz allem, trotz Krankheit, Tod und Terror: Es könnte alles noch viel schlimmer sein. So wie es ist, ist es gut, weil der gute Gott es so gemacht hat. Wir sehen es nur nicht. Noch nicht.
Gelobt sei Gott!
Ja, am Ende bleibt von diesem großen Gedanken nur eins: Der Glaube an den guten Gott.
*
Wir sind unterwegs.
Bei der Trauerfeier für Guido Westerwelle wurde das Evangelium von den Emmaus-Jüngern gelesen:
Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?, fragt der Auferstandene seine ungläubigen Jünger. – Da ging ihnen das Herz auf und sie baten ihn: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.
Musste es nicht so sein? Musste es nicht so kommen? – Damit es am Ende alles gut wird: Damit Christus in seine Herrlichkeit eingeht, und wir mit ihm.
Und dass er auf dem Weg bei uns ist, uns die Schrift auslegt und das Mahl mit uns feiert?
Wir wollen nicht, dass es so sein muss. Wir wollen die schweren Wege nicht gehen: die Trauerwege von Jerusalem nach Emmaus, die Trauerwege von der Kirche zum Friedhof, die Trauerwege in die Krankenhäuser und Pflegeheime und die Stätten des Todes, wo sie Kreuze und Kerzen hinstellen.
Wir verstehen nicht, dass wir diese Wege gehen müssen. Wir wollen lieber gleich am Ziel sein. Der Seelen Seligkeit erleben. In Gottes Liebe schwelgen.
Aber wir sind noch unterwegs.
Und doch unterwegs dahin.
In die Herrlichkeit.
Und manchmal auf dem Weg, da brennen schon unsere Herzen, weil er bei uns ist. Weil wir ihm glauben können, obwohl wir ihn nicht sehen. Und obwohl, was wir sehen, nicht für ihn spricht.
… aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt zur Seligkeit …
So sind wir. Unterwegs auf den Wegen des Lebens.
Gelobt sei Gott!
*
Vertröstet er uns? – Ja, das tut er. Er macht nicht gleich alles gut, sondern er vertröstet uns auf später. Aber Vertröstung kann Trost sein, wenn es berechtigte Hoffnung gibt, lebendige Hoffnung, Gewissheit, dass er da ist und da sein wird und alles gut macht.
Als ich gestern die Trauerfeier gesehen habe, habe ich etwas von diesem Trost gespürt. Und ich habe bei mir gedacht: Wie trostlos wäre es, wenn das Wort von Gottes Liebe und von der Auferstehung nicht gesagt würde! Wie trostlos wäre es, wenn es nur das gäbe, was wir sehen! Wie trostlos wäre es, wenn das hier schon alles wäre!


Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.