Montag, 31. Dezember 2012

Predigt am 31. Dezember 2012 (Altjahrsabend)

Jesus sprach zu den Juden, die an ihn glaubten: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Da antworteten sie ihm: „Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: ‚Ihr sollt frei werden‘?“ Jesus antwortete ihnen und sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“
Johannes 8, 31-36


Liebe Schwestern und Brüder,

morgen beginnt ein neues Jahr. Und was wird damit anders für euch? – Nehmt ihr euch etwas Besonderes vor fürs neue Jahr? Wollt ihr etwas anders machen im Neuen Jahr? Am besten genau ab morgen? Es soll sie ja immer noch geben, diejenigen, die am 1. Januar das Rauchen aufgeben – vielleicht schon seit Jahren. Oder die keinen Alkohol mehr trinken wollen. Dieser Vorsatz fällt an einem verkaterten Neujahrsmorgen sicherlich nicht so schwer, aber was ist bei der nächsten Party in ein paar Tagen? Oder die Essgewohnheiten ändern. Was auch immer.

Es wäre auf jeden Fall ein Zeichen von Freiheit, so wie das Jahr neu anfängt, auch selber etwas neu anzufangen , einen neuen Lebensabschnitt – irgendwie …

Ach, ich weiß schon, die allermeisten werden das nicht tun – ich auch nicht. Wir werden morgen genau so weitermachen, wie wir heute aufgehört haben … Und was fängt mit einem neuen Jahr schon wirklich neu an!

Aber es muss ja auch nicht am Neujahrstag sein. Kann man nicht jederzeit etwas Neues beginnen? Haben wir nicht die Freiheit dazu?

Freiheit ist die Fähigkeit, von sich aus etwas Neues anzufangen; das ist eine ganz gute philosophische Definition. Ich kann Entscheidungen für mich treffen, die etwas verändern, die mich und die Welt verändern. Ich tue etwas, was ich noch nie getan habe – das ist Freiheit. Nur der Mensch kann das. Tiere folgen ihren unmittelbaren Instinkten und Bedürfnissen oder dem, was wir Menschen ihnen andressiert haben. Ihr Verhalten ist viel leichter vorhersehbar als das von Menschen.

Oder etwa nicht? – Nein, wir kennen das ja: Auch Menschen sind manchmal fürchterlich berechenbar. Wir verhalten uns – nicht anders als die Tiere – in bestimmten Situationen immer so, wie es uns unsere Gene, unsere Erziehung und unsere Erfahrung beigebracht haben. Und je besser wir einen Menschen kennen, um so genauer wissen wir schon im voraus, wie er sich in einer bestimmten Situation wohl verhalten wird. Und so wissen wir eben auch aus Erfahrung, dass sich mit dem Neujahrstag wenig bis nichts ändern wird, und schon gar nicht unsere lieben Mitmenschen.

Wie weit ist es also her mit unserer Fähigkeit, von uns aus etwas Neues zu beginnen? Wie weit ist es her mit unserer Freiheit?

Vielleicht habt ihr ja von jenem Experiment gehört, nach dem man im Gehirn schon den Impuls zu einer Handlung, zu einer bestimmten Bewegung gemessen hat, bevor derjenige überhaupt wusste, dass er genau diese Bewegung machen wollte. Spielt also das Gehirn im Hintergrund sein eigenes Spiel, und unser Bewusstsein bildet sich dann nur im Nachhinein ein, selber eine Entscheidung getroffen zu haben?

Wie frei sind wir wirklich? Können wir wirklich von uns aus etwas Neues beginnen? Und – man kann ja weiter gehen – können wir uns selber ändern, so dass wir bessere Menschen werden? – Leute also, die das tun, was richtig und gut ist, damit das Leben gelingt – und zwar so, dass es nicht auf Kosten anderer geht. Oder mit anderen, frommen Worten: Leute, die so leben, wie es Gott gefällt?

Aber: Wenn Freiheit nur eine Illusion wäre, wenn nicht wir selber entscheiden würden, sondern nur die Verhältnisse oder die Gene, dann gäbe es auch keine persönliche Verantwortung mehr. Es sind dann eben die Verhältnisse, die einen Menschen zum Delinquenten – zum Mörder oder Kinderschänder, zum Dieb oder zum Sozialschmarotzer gemacht haben. Da kann man nichts machen, da kann man auch nicht bestrafen … Man hat gelegentlich den Eindruck, dass das heute immer mehr so gesehen wird.

Aber was wären die Folgen? Wer nicht frei ist, wer sowieso nur machen kann, was über ihn vorherbestimmt ist, der übernimmt dann eben auch keine Verantwortung mehr für sich und für andere. Der glaubt nicht mehr, dass sich etwas ändern lässt – im Großen oder im Kleinen … – Wir brauchen die Freiheit. Wir müssen an sie glauben.

Die Bibel erzählt die Geschichte der menschlichen Freiheit.

Der Mensch ist geschaffen, mit der Gabe der Freiheit. Er kann selber entscheiden. Und ist genau mit dieser seiner Freiheit überfordert. Er tut das Falsche. Das, was nicht nützt, sondern schadet; das, was Gott nicht gefällt. Und so ist es geblieben. Wir Menschen tun immer wieder das Falsche, und oft genau so wie die ersten Menschen: obwohl wir genau wissen, dass es falsch ist.

Wir brauchen die Freiheit, aber wir sind mit ihr überfordert. Und am Ende laufen wir in die Falle, wo wir nicht mehr frei sind, sondern nur noch Sklaven der Verhältnisse, der Erziehung und der Gene.

Der Ausdruck Erbsünde ist gar nicht so unpassend. Wir sind Erben der Menschen, die vor uns gewesen sind und die mit uns leben. Und wir geben Gene, Lebensformen und Erziehung weiter. Und dort, wo wir bei unseren Lebensformen Neues ausprobieren und bei der Erziehung neue Wege gehen, ist es häufig auch nicht besser als das Alte.

Wir gestehen uns das nur ungern ein. Wie die „Juden“ in unserem Abschnitt: Wir sind Abrahams Kinder und nie jemandes Knecht gewesen, sagen sie in kurioser Verkennung der Tatsachen. Denn Abrahams Kinder leben schon seit Jahrhunderten unter fremder Herrschaft, zur Zeit sind es die Römer.

Die Bibel erzählt uns die Geschichte der menschlichen Freiheit, die zugleich die Geschichte des Scheiterns menschlicher Freiheit ist. Gott schenkt ihnen Freiheit, und sie kommen nicht damit zurecht. Die Israeliten, die aus Ägypten aufbrechen, und dann doch lieber wieder zurückwollen in die Sklaverei, der sie doch gerade erst entronnen sind. Die Geschichte vom Dienst an falschen Göttern, vor denen man sich fürchtet, weil die Menschen Sicherheit wollen statt Freiheit: Der Wüstengott Jahwe, der die Israeliten befreit hat, kann er auch die Fruchtbarkeit des gelobten Landes sichern? Oder sollte man dazu nicht die Götter dieses Landes anbeten?

Abrahams Kinder haben sich eine Unzahl von Gesetzen und Gesetzesauslegungen gegeben, um ja auf Nummer sicher zu gehen, um ja nichts falsch zu machen. Da bleibt nicht mehr viel Raum zur Freiheit. Die Traditionen, Bräuche und Regeln lassen wenig Raum, um etwas Neues anzufangen.

So war es damals, zu biblischen Zeiten. Mit ein bisschen Fantasie könnt ihr das auch auf heute übertragen. – Wo sind wir wirklich frei? Wir beziehen unsere Sicherheit aus Regeln, Ordnungen und Gesetzen, vor allem den Gesetzen des Man: „Das macht man so“ und „Das macht man nicht“ sind mächtige Gesetze über uns. Und das stärkste Argument gegen etwas Neues – ich habe es bisher in allen meinen Gemeinden gehört – heißt: „Das war schon immer so.“

Wenn wir’s uns recht überlegen: Es bleibt nicht viel von unserer hochgelobten menschlichen Freiheit übrig. Wir kommen nicht heraus aus unserer Haut. Wir haben nur begrenzt die Kraft, etwas Neues zu tun, gar uns selbst neu zu entwerfen.

Weil das so ist – und hier geht die biblische Geschichte der Freiheit weiter – hat Gott sich entschieden, etwas ganz Neues zu beginnen. Er kann es, denn er ist frei.

Und das ist Weihnachten. Er fängt neu an, als Mensch. Gott wird Mensch. Und Jesus Christus ist der neue Mensch, der freie Mensch. Er ist in unglaublicher Weise frei gegenüber allen herkömmlichen Regeln und Konventionen. Statt zu sagen: „Das war schon immer so; haltet euch daran, weicht kein bisschen davon ab“, sagt er: „Den Alten ist es so und so gesagt worden, ich aber sage euch ...“ Er verweigert sich der Lebensform der Familie – eigentlich undenkbar für einen jüdischen Mann. Er verweigert sich der Anpassung an die herrschenden Verhältnisse, und er trägt die Konsequenzen. – Ja, dafür muss er mit dem Leben bezahlen. Aber das ist letztlich der Ausdruck höchster Freiheit: Er beugt sich nicht den menschlichen Autoritäten, die ihn mundtot machen wollen oder ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren. Um ihn zum Schweigen zu bringen, müssen sie ihn schon töten. – Er beugt sich allein der Autorität Gottes. In der engsten Bindung an Gott ist er ganz frei.

Und genau das war Gottes Plan für uns Menschen: dass wir in der engsten Bindung an ihn frei sind. Und das ist Gottes Plan für uns, und mit Jesus Christus wird er wahr.

Mit Jesus Christus an unserer Seite, mit Jesus Christus in unserem Herzen sollen wir frei sein. Als freie Menschen leben. In der Bindung allein an Gott. Gott fängt neu an. Gott fängt neu mit uns an. Und wir können neu mit ihm anfangen.

Wir müssen mit dem Neujahrstag nicht unbedingt etwas Neues anfangen. Aber Gott soll im neuen Jahr etwas mit uns anfangen können.

Dienstag, 25. Dezember 2012

Predigt am 25. Dezember 2012 (Christfest)

Überarbeitete Fassung einer Predigt von 2006


Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Vom Himmel hoch, da komm ich her, haben wir gestern Abend gesungen. Die Botschaft des Engels, wie uns der Evangelist Lukas sie überliefert und Martin Luther sie uns zum Lied gemacht hat. Der Wunderglanz der Weihnacht erstrahlt über dem Hirtenfeld von Bethlehem, und er macht die Herzen licht und hell: bei den Hirten selber, bei allen, die davon hören, bei Maria, die das alles in ihrem Herzen bewegt. Und es bewegt eben auch unsere Herzen. Am Weihnachtsabend wahrscheinlich noch mehr als heute Mittag, wo wir dieses Evangelium noch einmal gehört haben.


Mit dem Predigttext für den ersten Weihnachtsfeiertag sind wir nicht mehr bei Lukas, sondern beim Evangelisten Johannes. Er schreibt ganz anders als Lukas; er lässt die ganze Weihnachtsromantik mit Hirten und Engeln und Schafen und Stall weg. – Aber eines ist auch ihm ganz wichtig: das Vom Himmel hoch, da komm ich her. – Nur dass bei ihm nicht der Engel kommt, sondern Jesus selber. Er kommt von oben, von ganz oben, von Gott. – Und das genau ist ja die Botschaft von Weihnachten: Den die Engel ankündigen, den Maria ins Stroh legt, den die Hirten anbeten, der kommt vom Himmel hoch herab zu den Menschen – Gottes Sohn.


Hört die Worte aus dem Johannesevangelium, Kapitel 3:


Der von oben kommt, ist über allem. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

Johannes 3, 31-36

Jesus kommt von oben. Er kommt von Gott zu den Menschen. Das ist das Entscheidende. Und darum ist Weihnachten kein frommes Märchen, kein Rührstück vom armen Kinde armer Leute, das dann doch was ganz Besonderes ist, sondern es ist die Geschichte Gottes, der vom Himmel auf die Erde kommt. – Kein Märchen, sondern die reine Wahrheit. – Wer’s glaubt wird selig! – Wirklich! – Wer Jesus glaubt, der glaubt Gott, und wer Gott glaubt, der hat das ewige Leben, er wird selig. Wer’s nicht glaubt, verpasst das ewige Leben. Weil er der Erde verhaftet bleibt, ist ihm der Himmel verschlossen. So steht’s geschrieben.


Vom Himmel hoch da komm ich her. – Mit dem Himmel ist das ja so eine Sache. Woher kommt eigentlich der, der sagt: Vom Himmel hoch, da komm ich her?


Der Himmel ist uns in die Ferne gerückt. Wo die Menschen früher den Himmel vermuteten, da sind nur Wolken, Luft und Winde und Flugzeuge. War früher der siebte Himmel der Inbegriff der Seligkeit, so lassen uns heute auch 37.000 Fuß – das sind gut 11 km über der Erde, eine normale Reiseflughöhe, wenn wir nach Teneriffa fliegen – kalt: 50 Grad Minus und kein Engel weit und breit. Einer der ersten sowjetischen Kosmonauten, kam von seinem Flug zurück – mehr als 10-mal so hoch – und bezeugte, dass er Gott dort nicht gesehen habe – welch eine Enttäuschung! Wenige Jahre danach hat ein amerikanischer Astronaut auf dem Mond, rund 380.000 km »über« der Erde ein Gebet gesprochen, obwohl er Gott auch dort nicht gesehen hat. Heute lauschen Radioteleskope in »Himmels«-Regionen, die Lichtjahrmilliarden von der Erde entfernt sind – oder soll man lieber sagen: waren? – Sie lauschen auf das Hintergrundrauschen vom Rande des Universums, der zugleich der Anfang des Universums ist. Ob das, was sie da hören, die Stimme Gottes ist? – Der Himmel ist uns immer weiter weggerückt. Wir haben nach ihm gegriffen, und er ist uns immer wieder aus den Händen geglitten.


Egal, wie hoch wir uns über die Erde schwingen, egal, wohin wir uns innerhalb unserer Welt, unseres Universums bewegen, den Ort, wo Gott wohnt, woher die Engel herniedersteigen, woher Christus auf die Erde kommt, den finden wir so nicht. Denn: Der von oben her kommt, ist über allem. Und je größer uns das Alles, das All, wird, um so ferner rückt uns der, der über allem steht. Der Himmel, Gottes Himmel ist kein Teil dieser Welt. Er ist über allem, der Himmel über allen Himmeln.


Vielleicht brauchen wir heute neue Ausdrucksmöglichkeiten für Gottes Wirklichkeit. Vielleicht sprechen wir lieber von anderen Dimensionen, weil wir gelernt haben, dass wir den Himmel in unserer dreidimensionalen Welt mit Links und Rechts, Vorn und Hinten, Oben und Unten nicht finden.


Schon die Bibel spricht von Gott in einer vierten Dimension, das ist die Dimension der Zeit: Gottes Reich ist nicht oben, sondern in der Zukunft. Dann kommt Christus uns aus der Zukunft entgegen. Die Science Fiction hat uns auch diese Dimension entzaubert. Zeitreisen gehören zum festen Inventar des Genres. Da kann einem schon mal sein Urenkel aus der Zukunft begegnen. Und am meisten freut uns, wenn er in die Vergangenheit reist und dort zu unserem Großvater wird. Da beißen sich dann Ursache und Wirkung in den Schwanz, und wir merken, wie beschränkt unsere herkömmlichen Kategorien sind. Die Logik hat ein Problem, wenn wir uns auf der Zeitachse hin- und herbewegen können. Ich glaube, Gott hätte damit kein Problem.

Warum dann also nicht sagen: Gott kommt aus einer anderen Wirklichkeitsdimension zu uns? Wir können ihn in unserem dreidimensionalen Raum einfach nicht erfassen. – Das stimmt. Wenn aber die Physik heute keine Probleme hat in zehndimensionalen Räumen zu rechnen, dann müssen wir vielleicht enttäuscht feststellen, dass auch sie damit nicht etwa Gott berechnet, sondern Dimensionen unserer Wirklichkeit, die wir zwar mit unseren Sinnen und mit unserer Vorstellungskraft nicht erreichen können, die aber trotzdem nichts anderes beschreiben als unsere Welt, nicht Gott. Gott lässt sich auch nicht mit höherer Mathematik berechnen. Es bleibt dabei: Gott ist über allem. Und so ist auch das letztlich nur symbolisches Reden, wenn wir sagen: Gott kommt aus einer anderen Dimension.

Was hat das alles mit Weihnachten zu tun? – Sehr viel. Denn je unerreichbarer die Wirklichkeit Gottes von uns aus gesehen ist, um so größer und erstaunlicher ist das Wunder, dass dieser Gott sich so klein macht, dass er vom Himmel auf die Erde kommt, dass er aus der unerreichbaren und unberechenbaren Dimension der Ewigkeit in unsere kleine Welt kommt, sich den engen Gesetzen von Raum und Zeit unterwirft, um ... – ja warum eigentlich? – Weil er mit uns zu tun haben möchte; aber wir, auch wenn wir nach den Sternen greifen, den Himmel nicht erreichen können. Wir reden immer nur von der Erde. Manchmal auch von der ganzen Welt, vom Universum, davon verstehen wir eine ganze Menge – obwohl, die, die hier viel wissen, wissen, dass sie fast nichts wissen. Aber wenn wir vom Himmel reden wollen, von Gott, von der Ewigkeit, dann muss es uns eigentlich die Sprache verschlagen. Wir können genau genommen nur sagen, was Gott nicht ist und wo Gott nicht ist.


Manchmal meinen wir zu wissen, wo Gott sein müsste und was er tun müsste. Und wenn das nicht geschieht, dann fangen wir an, seine Existenz in Frage zu stellen. Ob das den ewig-unendlichen Gott berührt?


Doch, ja, es berührt ihn. Denn das ist das Wunder der Weihnacht, dass Gott sich von uns anrühren lässt und uns, die wir unsere Fragen scheinbar ins Leere stellen, oder die wir es aufgegeben haben, nach Gott zu fragen, dass er uns antwortet, so wie wir es sehen und verstehen können: irdisch, menschlich, dreidimensional. Gott von Mensch zu Mensch: Jesus Christus. Der, der Mensch unter Menschen ist, der, der allzu menschlich, allzu irdisch in einer allzu harten Wirklichkeit aufschlägt, als Kind in einem Viehstall – ja, da sind wir wieder bei der guten alten Weihnachtsgeschichte nach Lukas – der ist zugleich Gott, vom Himmel hoch, außerhalb aller irdischen Möglichkeiten.

Nichts anderes bedeutet auch das: Geboren von der Jungfrau Maria. Wir Menschen können Kinder zeugen. Aber keinen Gott. Das liegt völlig außerhalb menschlicher Möglichkeiten. Und weil durch Maria nun doch Gott zur Welt kommt, darum nennen die Christen sie – vor allem orthodoxe Christen sagen das so: Gottesgebärerin. Maria bringt Gott zur Welt. Eine Unmöglichkeit. Viel unmöglicher als eine Jungfrauengeburt (und damit tun wir uns schon schwer). Vom Himmel hoch, da kommt er her – dieser Jesus in der Krippe – Wahr Mensch und wahrer Gott, oder, wie wir vorhin gesungen haben: Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding erhält allein.

Wer nur irdisch-menschlich-dreidimensional herangeht, der sieht in der Weihnachtsgeschichte eben nur ein frommes Märchen oder ein sozialromantisches Rührstück vom Kind armer Leuter. Wer nur danach geht, was auf der Erde üblich ist, der sieht auch in dem erwachsenen Jesus nur einen religiösen Fantasten. Den wundert es nicht, dass seine Geschichte schief geht und er am Kreuz endet. Und der hält dann auch die Auferstehung für Spinnerei. „Wer’s glaubt, wird selig“, sagt er, und weiß gar nicht, was er da sagt.

Nein, von uns aus gesehen ist das alles ganz und gar unglaublich. Und so ist auch unser Glaube, der Glaube an Jesus nicht mit Argumenten menschlicher Erfahrung und Vernunft zu begründen. Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten – so heißt es in Luthers Erklärung des Glaubensbekenntnisses.


Nein, wir können nicht kraft unserer eigenen menschlichen Möglichkeiten zu Gott kommen. Darum kommt Gott zu uns. Und er öffnet uns die Tür zum Himmel, zu seiner Wirklichkeit, die über allem ist. Jesus sagt selber von sich: Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, der wird selig werden (Jh 10,9). – Der von oben gekommen ist, Jesus, hat uns die Tür zum Himmel, zur neuen Dimension des Lebens, zu Gott dem Vater aufgeschlossen. Und – unglaublich – wir gehen da hinein, wie die Hirten in den Stall, und staunen, weil wir etwas davon ahnen, wer und was und wie Gott ist.

Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis!


Hörfassung

Montag, 24. Dezember 2012

Predigt am 24. Dezember 2012 (Christvespern)

Weihnachten – da weißte Bescheid!

Kein Fest im Jahr folgt so festen Ritualen wie das Weihnachtsfest, liebe Gemeinde. Was wir essen, wie der Baum geschmückt wird, der Kirchgang, die Lieder, das ist alles mehr oder weniger schon vorher bekannt und absehbar. – Wobei, vielleicht ist nun gerade hier auf der Insel manches oder alles anders, als es sonst immer war. Aber der Kirchgang ist geblieben und die Lieder, und die Geschichte, die wir gehört haben – zum wievielten Male eigentlich?

Es begab sich aber zur der Zeit … und gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe … Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden …


Der Heiland ist geboren, Christ der Retter ist da, Kommet ihr Hirten, O du fröhliche …


Da weißte Bescheid. Überraschungen sind da nicht eingeplant. Und trotzdem wollen wir das, brauchen wir das. Nur wenige Tage sind uns so wichtig, wie Weihnachten, nur wenige Nächte so heilig wie die Heilige Nacht.

Viele wissen so gut Bescheid, dass sie meinen, das reicht fürs ganze Jahr: Am Christfest mal richtig Christ sein – mit Kirche und so, aber sonst so … naja.


Ihr wisst Bescheid, auch das gehört auch dazu: Heute hat der Herr sie in meine Hand gegeben, sagt der Pfarrer alle Jahre am Heiligen Abend und beschimpft die, die nur einmal kommen, weil sie nur einmal kommen. Und dann noch so Konsumkritik, die ganzen Äußerlichkeiten, die Habgier usw., und wie schlecht die Welt ist: »Nichts ist gut …«


Ich staune manchmal, dass sich die Leute das immer noch antun. Aber sie tun es sich offenbar an, weil ihnen das andere so kostbar ist: die Lieder, der Kerzenschein und diese wunderbare Geschichte von dieser wunderbaren Geburt dieses wunderbaren Kindes. Obwohl sie die doch schon kennen – seit Jahren. Aber offenbar brauchen sie sie, braucht ihr sie, brauchen wir sie immer wieder, alle Jahre wieder.


Ja, ihr wisst schon bescheid, sagt Jesus auch im Predigttext für diesen Heiligen Abend. Es ist ein merkwürdiger Predigttext für Weihnachten, denn hier spricht auf einmal schon der erwachsene Jesus (vielleicht war die Textauswahl ja auch ein geschickter Schachzug: So bekommen auch die Weihnachtschristen mal was nicht so Weihnachtliches zu hören). Also Jesus sagt:


Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt. (Johannes 7, 28-29)


Ja, mit der Weihnachtsgeschichte wisst ihr Bescheid, wer Jesus ist und woher er kommt: Aus Bethlehem. Aus dem Hause und Geschlechte Davids. Geboren von der Jungfrau Maria. Von Gott. – Es ist Gottes Sohn, auch das wisst ihr. Nichts Neues.

Was der erwachsene Jesus den Leuten sagen will: Ihr könnt das alles wissen, ihr könnt das in euren Köpfen haben, und es kann trotzdem sein, dass es noch lange nicht in euren Herzen angekommen ist. Gottes Sohn – das  heißt: Gott hat mich zu euch geschickt, weil er mit euch zu tun haben möchte. Ihr sollt nicht nur mich kennen; ihr sollt Gott kennen und ihn, so wie ich, Vater nennen, weil er euch liebhat. Das ist der Sinn der ganzen Veranstaltung von Bethlehem (und dann eben nicht nur von Bethlehem, sondern auch von Golgatha – dort ist er gestorben).


Ja, und das ist auch der Sinn dieser Veranstaltung heute hier: Ihr sollt Gott von seiner liebevollen Seite kennen. Die alte Geschichte vom Kind im Stall von Bethlehem, unsere Lieder und Gebete, sie sind dazu angetan, dass uns Gottes Liebe erneut zu Herzen geht. Und euch, die ihr hier seid, ist offenbar genau das ein Herzensbedürfnis. – Es kommt nicht aufs Bescheidwissen an. Es kommt nicht auf den Neuigkeitswert an. Es kommt darauf an, dass Gott einen Weg zu unseren Herzen findet.

Sonntag, 23. Dezember 2012

Predigt am 23. Dezember 2012 (4. Sonntag im Advent)

Dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden zu ihm sandten Priester und Leviten von Jerusalem, dass sie ihn fragten: »Wer bist du?« Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: »Ich bin nicht der  Christus.« Und sie fragten ihn: »Was dann? Bist du Elia?« Er sprach: »Ich bin’s nicht.« »Bist du der Prophet?« Und er antwortete: »Nein.« Da sprachen sie zu ihm: »Wer bist du dann? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst?« Er sprach: »›Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!‹, wie der Prophet Jesaja gesagt hat (Jesaja 40,3).«
Und sie waren von den Pharisäern abgesandt, und sie fragten ihn und sprachen zu ihm: »Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist noch Elia noch der Prophet?« Johannes antwortete ihnen und sprach: »Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der wird nach mir kommen, und ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen löse.« Das geschah in Betanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte.
Johannes 1, 19-28

Liebe Schwestern und Brüder,

so vor zehn Jahren war das Wort Casting noch ein Spezialbegriff aus der Filmbranche. Ich hätte wahrscheinlich erst mal nachdenken oder nachschauen müssen, was das eigentlich ist, ein Casting. Inzwischen können wir uns nicht mehr retten vor Casting-Shows: Superstars, Supertalente, Topmodels, Meisterköche … – es wird gecastet, was das Zeug hält …

Dabei ist die Sache viel älter. Man sucht für eine bestimmte Rolle, eine bestimmte Aufgabe einen geeigneten Kandidaten. So lesen wir im Alten Testament, wie Samuel loszieht, um den künftigen König von Israel zu casten. Er kommt zu den Söhnen Isais, auch Jesse genannt – ihr wisst: von Jesse kam die Art –, findet auch einen nach dem andern beeindruckend, muss sich aber vom großen Chef der Jury bei jedem sagen lassen: Nein, ungeeignet. Bis dann das Jüngelchen David vom Schafehüten noch herbeigeholt wird, und der ist es dann. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an (1. Samuel 16, 7). – Es ist letztlich Gott, der seine Leute castet, keine irdische Jury von Fachleuten – die dürfen nur ein bisschen mitmachen – wie Samuel. Und Gott fragt auch nicht das Publikum. Am Ende entscheidet der große Chef selber.

Was unser Predigttext erzählt, ist auch eine Art Casting: Judäa sucht den Super-Messias. Denn, so sagen sie, das ist jetzt dran, wir brauchen einen Messias, einen neuen König David. Einen Retter in schwierigen Zeiten. Und jetzt haben sie einen möglichen Kandidaten gefunden: Da unten am Jordan, da ist einer, der predigt, dass das Reich Gottes nahe ist – das passt –, und dass die Leute Buße tun sollen – super! – und er lässt die Leute ins Wasser steigen und untertauchen, als Zeichen, dass ihr Leben neu werden soll – gute Show! Wenn das nichts ist! – Und er selber ist ausgefallen genug, um als Superstar, Verzeihung Messias, durchzugehen: Kleidet sich in Tierfelle und ernährt sich von wildem Honig und Heuschrecken. Ist doch cool, hat ein bisschen was von Dschungelcamp!

Man schickt ein kleines Team runter an den Jordan, und sie beginnen ihn auszufragen, wollen seine Story hören, ob man da was draus machen kann: Wer bist du? Der Messias bin ich nicht, wenn ihr das meint, sagt Johannes. Und damit haben sie schon fast verloren: Der spielt nicht mit. Der will nicht den Messias machen. Wo doch jeder gerne Superstar wäre. Vielleicht ist er aber schlau genug, um zu wissen, dass das nicht gut gehen kann: Messias, zu diesen Zeiten, zwischen römischer Besatzungsmacht, jüdischem Mini-König, sadduzäischer Religionsbehörde und verschiedenen judäischen Volksbefreiungsfronten, das wäre geradezu ein Himmelfahrtskommando.

Aber es gäbe ja immerhin noch Nebenrollen im apokalyptischen Fahrplan, so wie man ihn sich aus den alten biblischen Schriften zusammengereimt hat: Elia zum Beispiel; der sollte auch noch kommen, ehe der große und schreckliche Tag des HERRN kommt (Maleachi 3, 23). – Aber Johannes will auch nicht der Elia sein: Ich bin’s nicht.

Dann wenigstens der Prophet – nach langen Jahrhunderten sollte doch mal wieder ein Prophet auftreten; das wäre doch auch ganz chic. Aber Johannes sagt: Nein.

Sie lassen nicht locker. Zu interessant ist ihnen dieser Typ: Irgendjemand besonderes musst du doch sein! Was sagst du denn von dir selber? – Und Johannes antwortet mit einem alten Prophetenwort: Ich bin die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! – Predigttext letzte Woche! – Das war die Stimme gegen unsere Vergänglichkeit, unsere Sinnlosigkeit und unsere Trostlosigkeit: Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe, der Herr kommt gewaltig.

Ich bin eine rufende Stimme, weiter nichts!

Ihr Lieben, mich beeindruckt dieser Johannes. Er hat einfach keinen Bock auf Messias oder Prophet. Er will kein Star werden, er macht sich nicht abhängig von der Meinung irgendwelcher Juroren oder Zuschauer, ihn interessieren keine Einschaltquoten; er will nichts werden, was er nicht schon ist, er zieht einfach sein Ding durch. – Bzw. Gottes Ding.

Wer bist du? – Wie würdest du dich darstellen, wenn eine Castingagentur bei dir anfragen würde? Wenn die gerne eine Sendung mit dir machen würden, wenigstens ein Interview oder so? – Du würdest doch bestimmt ausführlich erzählen, wer du bist, was du machst, was du kannst, wie toll du bist. Hier und da ein bisschen übertreiben, dich in einem guten Licht darstellen. – Habe ich ja letztes Jahr auch so gemacht, als die vom Fernsehen da waren: Was für eine tolle Gemeinde wir hier sind, vor allem aber was für klasse Arbeit wir hier machen und was für ein super Pfarrer ich bin. – Das wollen wir ja gerne, uns gut darstellen. Und natürlich wirklich auch gute Arbeit machen. – Trotzdem: Eigentlich wäre das das Entscheidende gewesen: die Stimme eines Predigers in der Wüste sein, weiter nichts, Gottes Stimme. Das ist mehr als genug. Den Rest könnt ihr vergessen.

Johannes sagt: Ich bin’s nicht, ein anderer ist es, der Messias, der Christus.

Eine der größten Gefahren für uns Christen und Kirchenleute ist unsere Eitelkeit: dass wir uns etwas darauf einbilden, was wir verkündigen, wie wir leben, wen wir erreichen, wen wir alles kennen, kurz: wie großartig wir sind. – Nö, wir sind nicht großartig, und wenn dann von Gott und für Gott. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, sagt Paulus (1. Korinther 15, 10). Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, sagt auch Paulus (2. Korinther 4, 5).

Und genau so ist es mit Johannes. Er verkündigt Jesus Christus, spricht von ihm: zunächst in Ankündigungen, dass nach ihm, Johannes, einer käme, der schon vor ihm war und über ihm ist (Johannes 1, 15). Dann macht er ihn allen bekannt, die ihn kennen wollen: Das ist er! Das ist Gottes Lamm! Das ist Gottes Sohn! (Johannes 1, 29. 34. 36) – Und prompt wenden sich einige von ihm ab und Jesus zu (Johannes 1, 37).

Einer der selber gerne ein Star wäre, den würde es grämen, wenn ein anderer käme und ihm die Fans wegnähme. Nicht so Johannes. Er ist sich selber nicht wichtig. Ihm ist es nur wichtig, Gottes Stimme zu sein, die auf Jesus Christus hinweist.

Übrigens, es ist kurios: Dem Casting-Team sagt Johannes: Der richtige Messias, der ist schon hier, steht neben euch in der Menge. Aber sie begreifen es gar nicht, sie sind auf den Falschen fixiert, und ziehen unverrichteter Dinge wieder ab. Es ist wie schon damals bei Samuel: Sie sehen nur, was vor Augen ist. Sie sehen nicht das Herz, und sie sehen nicht mit dem Herzen. Denn nicht sie können sich ihren Messias erwählen, sondern Gott hat sich seinen Messias schon lange erwählt. Sie aber hören nicht auf Gottes Stimme, die da in der Wüste ruft und die ihnen den wahren Retter zeigen könnte. Erst als sie wieder weg sind, sagt Johannes ganz deutlich: Das ist er!

So kann es ihm gehen, dem Rufer in der Wüste. Man hört ihn, aber man hört ihm nicht zu. Man versteht ihn nicht. Und verpasst das Beste. – Ihn soll das nicht berühren. Er hat ja seine Legitimation nicht von denen, die ihn zum Star heraufjubeln oder wieder hinunterbuhen. Er hat seinen Auftrag von Gott. Und der hängt nicht an Erfolg oder Misserfolg. Immerhin, es gibt ja auch welche, die ihn hören.

Und von der anderen Seite betrachtet: Wir können auch das Beste verpassen, weil wir das Spektakuläre suchen, die Show, die Stars, den Glamour. Vielleicht laufen wir dabei am wahren Messias, an Jesus Christus vorbei. Es könnte ja sein, er ist sehr unauffällig schon lange an unserer Seite, und wir bekommen es gar nicht mit. – Das wäre schade!

Weihnachten könnte uns lehren auf den ganz unscheinbar nahen Gottessohn zu achten. Er ist nämlich nicht der polternde Weihnachtsmann, nicht der Marktschreier und Geschenkeverkäufer, nicht der Weihnachtsshowmaster, keiner von den Heiligen Drei Königen und auch kein Glitzerengel, er ist das Kind im dunklen Stall, an dem die allermeisten vorbeilaufen. Nur die, die auf Gottes Stimme achten, die finden ihn. Und die ihn finden, die finden Gott.


Hörfassung

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 23. Dezember 2012

Einen schönen Vierten Adventssonntag, wünsche ich Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer,

morgen schon ist der Heilige Abend, und zum Heiligen Abend gehört ein Lied wie wohl kein anderes: Stille Nacht, heilige Nacht.


Vielleicht wissen Sie ein wenig von der Geschichte dieses Liedes. 1818 wurde es in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführt. Der dortige Hilfspfarrer Joseph Mohr hatte den Text verfasst und den Dorfschullehrer und Organisten Franz Xaver Gruber gebeten, eine Melodie dazu zu schreiben. Herausgekommen ist ein ausgesprochen volkstümliches Weihnachtslied, das die Zuhörer sofort begeisterte. Weil es so sehr gefiel, wurde es schnell weiter verbreitet, an anderen Orten gespielt und gesungen. Wenige Jahre später erklang es in Leipzig, wurde in Dresden gedruckt, verbreitete sich in der ganzen Welt und wurde in mehr als 300 Sprachen und Dialekte übersetzt. Mitte des vergangenen Jahrhunderts schon hielten es viele Amerikaner für ein US-amerikanisches Volkslied. Aber ursprünglich war es ein österreichisches Weihnachtslied.


Was macht dieses Lied so besonders? – Wahrscheinlich die geniale Melodie, die einfache Sprache, die Wiederholungen von Melodie- und Textabschnitten, der gleichmäßige Aufbau der Strophen.


Und vielleicht auch die Konzentration auf das Wesentliche: In der Stille der Heiligen Nacht geht es nur noch um dieses Kind, das da geboren ist. Es ist eine Geburt ganz im Verborgenen: Alles schläft, einsam wacht nur das traute hochheilige Paar … In der zweiten Strophe wird die wesentliche Bedeutung der Christgeburt besungen: Gottes Liebe, da uns schlägt die rettende Stund Christ in deiner Geburt. In der letzten Strophe wird dieses verborgene Geschehen weithin öffentlich, da tönt es laut von fern und nah: Christ der Retter ist da! – Das lässt auch eine musikalische Steigerung zu: Die erste Strophe ganz leise, und am Ende dröhnen die Posaunenregister der Orgel : Christ, der Retter ist da! – So habe ich es oft gehört und mitgesungen am Heiligen Abend. – Ohne dieses Lied können wir uns gar keine Christvesper denken.


Apropos: Seien Sie herzlich eingeladen zu den Weihnachtsgottesdiensten
der katholischen und der evangelischen Kirche! Vielleicht sehen wir uns.


Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Fest!

Samstag, 22. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Samstag, dem 22. Dezember 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

wenn man mich nach Lieblingsdingen fragt, habe ich immer ein Problem: Mein Lieblingsbuch, mein Lieblingsfilm, mein Lieblingsessen? – Kann ich alles nicht beantworten. Aber, wenn Sie mich nach meinem Lieblingsweihnachtslied fragen, dann gebe ich Ihnen sofort eine Antwort: Ich steh an deiner Krippen hier.


Es ist das innigste und ergreifendste Weihnachtslied, das ich kenne. Wahrscheinlich liegt das auch mit an der Melodie, die Johann Sebastian Bach dem Lied hinzugefügt hat, nachdem es zuvor schon jahrzehntelang auf eine ältere Melodie gesungen wurde. Bachs Melodie macht arienhaft weite Bögen, enthält schwierige Intervalle und Halbtöne, und hat trotzdem bald die ältere Weise verdrängt, weil sie offenbar die Herzensbewegung des Betenden besser auszudrücken vermag.


Ja, des Betenden, denn das ganze Lied ist ein einziges Gebet. Wenn ich es singe, begebe ich mich im Geiste an die Krippe Jesu und spreche ihn an, und weil er mein Herr und mein Gott ist, ist es ein Gebet.


Die Worte des Liedes stammen von Paul Gerhardt, dem größten unter den Kirchenlieddichtern. Manches an seinen Worten ist zeitgebunden, enthält barocke Schnörkel; einige Strophen sind auch zu Recht in Vergessenheit geraten. Andere aber sind von ergreifender inniger Dichte. So gleich die erste: Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und lass dir’s wohlgefallen. – Diese Haltung durchzieht das ganze Lied: Jesus, als Kind in der Krippe zur Welt gekommen, ist doch der, dem ich alles verdanke, was ich bin. Was ich ihm bringen und schenken kann, ist doch immer nur das, was er mir schon zuvor gegeben hat. Aber es sind nicht die äußeren Gaben, sondern das, was mich als Menschen im Innersten ausmacht: Geist und Sinn, Herz, Seele und Mut. Das gebe ich ihm, weil er sich mir gibt.


Eins aber, hoff ich, wirst du mir, mein Heiland, nicht versagen: dass ich dich möge für und für in, bei und an mir tragen. So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden. – Weihnachten ist nicht nur zum Hingehen, Staunen und wieder Umkehren. Weihnachten ist, um dem Kind von Bethlehem mein Leben zu schenken, weil es selbst sich mir schenkt.

Freitag, 21. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 21. Dezember 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

was wäre Weihnachten ohne Engel! Nach der biblischen Überlieferung war es ein Engel, der den Hirten von Bethlehem bei Nacht die Botschaft von der Geburt des Heilands brachte. Und er blieb nicht allein: Alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. – Verkündigungsengel und Lobpreisengel gehören zu Weihnachten dazu. Weil mit dem Kind in der Krippe der Himmel auf die Erde kommt, sind auch Gottes Himmelswesen mit dabei. Schützend, jubelnd, musizierend sind sie in vielen Darstellungen um die Weihnachtskrippe herum.


Eines der bekanntesten und schönsten Weihnachtslieder, ist ein Engellied. Es sind die Worte des Verkündigungsengels, die Martin Luther zu einem Weihnachtslied gemacht hat: Vom Himmel hoch, da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär, der guten Mär bring ich so viel, davon ich sing und sagen will. – Zu Luthers Zeit ist eine Mär bei weitem nicht das, was wir heute unter einem Märchen vertehen, auch kein windiges Gerücht. Es ist eine wahre und wichtige Nachricht. Und es ist eine gute Nachricht. Luther deutet sie weiter aus, als die Worte des Evangeliums es zunächst verraten. Wo es hier heißt: Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, da macht Luther dieses Euch ganz groß: Es ist der Herr Christ, unser Gott, der will euch führn aus aller Not, er will euer Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein. – Da steckt schon die ganze Geschichte der Erlösung drin: Alles das tut Gott für euch. Er bringt euch alle Seligkeit, die Gott der Vater hat bereit’, dass ihr mit uns im Himmelreich sollt leben nun und ewiglich. Mit anderen Worten: Der Himmel kommt auf die Erde, damit ihr von der Erde in den Himmel kommt.


Mit der sechsten Strophe wechselt dann die Perspektive des Liedes. Jetzt antworten die Hirten auf die Botschaft des Engels, und ab der siebten Strophe ist es nur noch einer, der in der Ich-Form ausspricht, wie er an die Krippe tritt und Gott als Kind willkommen heißt: Sei mir willkommen, edler Gast! Den Sünder nicht verschmähet hast und kommst ins Elend her zu mir; wie soll ich immer danken dir?


Genau dazu, zum Staunen und Danken lädt uns die Weihnachtsbotschaft ein.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 20. Dezember 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

gestern habe ich das Weihnachtslied Ihr Kinderlein kommet als ökumenisches Weihnachtslied gerühmt, das von einem Katholiken gedichtet, auch im evangelischen Liedgut heimisch geworden ist. So, oder umgekehrt, ist es mit vielen Weihnachtsliedern. Manchmal haben sie eine richtig spannende evangelisch-katholische Geschichte.


Ein sehr altes Weihnachtslied hat bis heute eine katholische und eine evangelische Fassung bewahrt. Ich meine das Lied Es ist ein Ros entsprungen.


So beliebt das Lied bis heute ist, es hat doch einen sehr bildhaften Text mit biblischem Hintergrund, der sich nicht so leicht erschließt.


Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart. – Da kommt das Bild eines Rosenstocks auf, der eine neue Blüte treibt. Aber wer die Bibel kennt, der weiß, dass es sich bei dem Ros eigentlich um ein Reis handelt. Da wurde ein Baum gefällt und aus dem Wurzelstock treibt ein neuer Zweig hervor. Beim Propheten Jesaja heißt es: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais, das ist der Vater von König David. In der alten Fassung der deutschen Bibel hieß Isai noch Jesse – deshalb auch: von Jesse kam die Art. Und weiter im Bild bringt dieses Reis, dieses Zweiglein ein Blümlein hervor – mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht – das Weihnachtswunder!


In der zweiten Strophe wird dann das Bild aufgelöst: Das Röslein, das ich meine, davon Jesaja sagt, ist Maria die reine, die uns das Blümlein bracht. Aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren, und blieb ein reine Magd.


Dieses ursprüngliche Textfassung war nun nichts für evangelische Ohren. Zu viel Maria, und dass sie bei der Kindsgeburt ein reine Magd, also immer noch Jungfrau geblieben sein soll, erschien denn doch zu abwegig. Aber das Lied war doch so schön! Michael Praetorius dichtete für seinen bis heute beliebten und unübertroffenen Chorsatz die Strophe kurzerhand um: … hat uns gebracht alleine Marie die reine Magd. Da war Maria nicht ganz aus dem Spiel, aber das stimmige Bild war zerstört, denn jetzt war sie nicht mehr das Reis, sondern Röslein und Blümlein (so in der späteren dritten Strophe, wo es wirklich um Jesus geht) standen jetzt gemeinsam für das Kind.


Das Evangelische Gesangbuch hat schließlich in seiner neuesten Fassung diesen Widerspruch geglättet, indem es aus dem Röslein in der zweiten Strophe auch noch ein Blümlein gemacht hat.


Eine Geschichte ökumenischer Verwirrung also. Und dabei geht es doch so und so um dasselbe Wunder: dass lang ersehnt – wie uns die Alten sungen – und wunderbar – wie eine Blume im Winter – Gottes Kind geboren wird.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 19. Dezember 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

nichts ist so tief in unsere verklärten Kindheitserinnerungen eingeschrieben wie das Weihnachtsfest. Wohl jeder von uns trägt diese Bilder in sich, und vielleicht auch die zugehörigen Töne und Gerüche: die Weihnachtsstube, der Christbaum, der Kerzenschein, und natürlich das Staunen und die Freude über die mit Spannung erwarteten Geschenke. Weihnachten ist in besonderer Weise ein Fest für die Kinder. Als Erwachsene inszenieren wir Weihnachten mit all seinen Heimlichkeiten und Herrlichkeiten wiederum als Fest für die Kinder. Und sind dabei tief geprägt von den Weihnachtsfesten unserer eigenen Kindheit.


Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all – dieses Kinderweihnachtslied ist für mich ganz eng verbunden mit den Weihnachtserinnerungen meiner Kindheit.


Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all, zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall, und seht, was in dieser hochheiligen Nacht der Vater im Himmel für Freude uns macht.


Die Kinder – wir Kinder – werden mit hineingenommen in die Weihnachtgeschichte, in den Stall von Bethlehem. – Und man ahnt die pädagogische Absicht dahinter: Nicht die bürgerliche Weihnachtsstube ist das Wichtigste am Weihnachtsfest, nicht die Gaben und Geschenke, für die unsere lieben Eltern sorgen, wie es in einem anderen Weihnachtslied heißt, sondern das Wichtigste ist, was in dieser hochheiligen Nacht der Vater im Himmel für Freude uns macht. Nämlich: das Kindlein auf Heu und auf Stroh.

Aber das ist ja berechtigt. Für mich wäre der ganze weihnachtliche Glanz ohne das Kind in der Krippe sinnlos und leer. Das habe ich schon als Kind so zu empfinden gelernt. Denn: An die vielen Weihnachtsgeschenke, die ich in all den Jahren bekommen habe, kann ich mich kaum noch erinnern, aber an die Weihnachtskrippe, die neben dem Baum aufgebaut war – und zwar wirklich erst am Weihnachtsabend – an die, erinnere ich mich sehr wohl.

Das Lied wollte – im Stil des frühen 19. Jahrhunderts freilich, und deshalb für uns gewiss auch etwas befremdlich – zur staunenden und dankbaren Anbetung hinführen: O beugt wie die Hirten anbetend die Knie, erhebt die Händlein und danket wie sie …


Übrigens, wenn Sie ganz genau auf die Sprache des Liedes achten, dann merken sie, dass es ein katholisches Lied ist. Aber eines, das schon ganz lange ökumenisch geworden ist. Denn wir beten ja doch dasselbe Kind in der Krippe an.

Dienstag, 18. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 18. Dezember 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

in dieser Woche vor dem Weihnachtsfest spreche ich mit Ihnen über einige unserer Weihnachtslieder. Eines der bekanntesten und meistgesungenen ist O du fröhliche.


Dabei war das gar nicht von Anfang an ein Weihnachtslied. Die Melodie stammt aus Sizilien, und in Italien wurde und wird darauf ein Loblied auf Maria gesungen. Nun gehört Maria als Mutter Jesu zweifellos aufs engste zur Weihnachtsgeschichte, aber das hält gläubige Katholiken ja nicht davon ab, das ganze Jahr und zu verschiedenen Festen Marienlieder zu singen.


Es war im Jahr 1816, da fiel dieses Lied einem Mann namens Johannes Daniel Falk in die Hände. Falk hatte, nachdem er selber vier seiner Kinder durch Typhus verloren hatte und er die Not und Verwahrlosung in Folge der napoleonischen Kriege sah, in Weimar ein Rettungshaus für Waisen- und Straßenkinder eingerichtet. Für die Kinder, die dort betreut wurden, dichtete er das Marienlied um zu einem christlichen Festlied. Aber nicht speziell zu einem Weihnachtslied, sondern zu einem Drei-Feste-Lied, mit je einer Strophe für Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Die erste Strophe ist die, die wir bis heute singen: O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ward geboren. Freue dich, o Christenheit! Und dann ging es weiter mit der gnadenbringenden Oster- und Pfingstzeit: Welt lag in Banden, Christ ist erstanden … Christ unser Meister, heiligt die Geister.


Das war offenbar nicht so ein ganz großer Wurf, denn wann sollte man denn das Lied nun singen: Weihnachten, Oster oder Pfingsten? – Andererseits war die Melodie zu schön, um das Lied dem Vergessen zu überlassen. Nachdem Falk gestorben war, hat einer seiner Mitarbeiter, Heinrich Holzschuher, das Lied dann zu einem reinen Weihnachtslied gemacht und dabei auch nur den mittleren Reim ausgetauscht: Christ ist erschienen, uns zu versühnen … Himmlische Heere jauchzen dir Ehre. – So singen wir es bis heute. Und wenn wir genau auf diesen kurzen mittleren Reim achten, dann erinnert uns dieses schöne Lied daran, warum die Weihnachtszeit so fröhlich, so selig und gnadenbringend ist: Christus ist für uns zur Welt gekommen. Das ist es!

Montag, 17. Dezember 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 17. Dezember 2012

Einen schönen Montagmorgen, Ihnen allen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Alle Jahre wieder Advents- und Weihnachtszeit. Wir sind mitten drin und nahe dran. Heute in einer Woche ist Heiligabend.


Die Advents- und Weihnachtszeit ist für die meisten fest mit bestimmten Bräuchen und Ritualen verbunden: Tannengrün und Plätzchenbacken, bzw. wichtiger noch: Plätzchenessen. Goldne Kugeln, Lichterketten, Karten schreiben, Geschenke besorgen. Die Canarios lieben ihre Weihnachtskrippen, die sie in Kirchen, auf Gärten und Plätzen aufstellen. Viele von uns Deutschen lieben ihre Weihnachtskrippen auch, die sie in ihren Wohnstuben aufstellen. Zu den Ritualen des Weihnachtsabends gehört für viele auch nach wie vor der Kirchgang. Auch hier auf der Insel gibt’s deutsche Weihnachtsgottesdienste, katholische und evangelische. Alle Jahre wieder. Denn Weihnachten hat ja einen besonderen Inhalt: die Geschichte von der Geburt Jesu Christi, des Retters und Erlösers der Menschen.


Advent und Weihnachten hat auch seine besondere Musik, seine besonderen Lieder, die wir singen oder hören: Alle Jahre wieder.


Und das ist ja auch ein Weihnachtslied, ein schönes schlichtes Kinderweihnachtslied: Alle Jahre wieder / kommt das Christuskind / auf die Erde nieder, / wo wir Menschen sind.


Mit Weihnachten stellen wir die Geschichte von der Geburt des Erlösers gewissermaßen auf Dauer. Wir feiern sie Alle Jahre wieder und wir lassen das Christuskind alle Jahre wieder zu uns kommen. Unsere Bräuche, unsere Lieder, unsere Gottesdienste vergegenwärtigen die alte Geschichte. Denn sie soll auch unsere Geschichte werden. Der Retter und Erlöser ist nicht nur für die Menschen vor 2000 Jahren geboren, sondern auch für uns. Und so kommt das Christuskind, Gott als Kind, immer wieder, auch heute noch zu den Menschen: Kehrt mit seinem Segen / ein in jedes Haus, / geht auf allen Wegen / mit uns ein und aus. // Ist auch mir zur Seite / still und unerkannt, / dass es treu mich leite / an der lieben Hand.


Viel schlichter und inniger kann man die Weihnachtsbotschaft nicht ausdrücken: Gott kommt als Kind, will bei uns sein und uns leiten und begleiten.

Predigt am 16. Dezember 2012 (3. Sonntag im Advent)

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige! und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinem Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Jesaja 40, 1-11


Liebe Schwestern und Brüder,

27 Tote, davon 20 Kinder – das ist der letzte Stand vom Schulmassaker von  Newtown, Connecticut. Wieder einmal stehen wir fassungslos vor der Tat eines Wahnsinnigen, ahnen es ansatzweise, was das heißen könnte für Eltern, Geschwister, Verwandte, Nachbarn: Kinder von einem Moment auf den anderen tot zu wissen. Kinder für die sie eben noch Weihnachten vorbereitet haben. Kinder, jedes anders, jedes eine besondere Person, die gerade erst dabei war, das Leben zu entdecken. Und dann eben nicht nur ein Kind, sondern fast eine ganze Schulklasse. Ein ganzes Land, ja die halbe Welt ist da fassungslos.

Tröstet, tröstet, mein Volk! – Ja, das brauchen sie, diese Menschen in Connecticut. Und das braucht diese Welt, die immer und immer wieder fassungslos vor entsetzlichen Nachrichten steht. Und das brauchen die, deren Schicksal es nicht in die Nachrichten schafft, weil es der sicher eben so sinnlose aber eben nur einzelne Tod eines Kindes ist, da auf der Straße oder dort auf der Intensivstation. Oder weil es der Tod ist, an den wir uns schon gewöhnt haben, in Syrien oder wo auch immer, der tagtäglich seine Opfer fordert.

Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. – Das ist sein Auftrag. – Schwer genug, wenn es uns die Worte verschlägt, wenn uns die Betroffenheitsphrasen nerven und Nichts-Sagen auch verkehrt ist.

Und doch sagt Gott: Rede! Predige! – Ja, was soll ich denn sagen? Was soll ich denn predigen, wenn es einem die Worte verschlägt? – Es ist sinnlos. Alles ist vergänglich wie Gras, das verdorrt, wie Blumen die verwelken. – Letzte Woche habe ich vom blühenden Leben gesprochen. Der Realist in uns sollte vom ver-blühenden Leben sprechen. Der Tod ist näher, als man wahrhaben will. Und das Böse ist auf schockierende Weise real.

Ich finde es immer wieder verrückt, wie manche standhaft an das Gute im Menschen glauben, wenn sich doch scheinbar ganz normale Zeitgenossen als brutale Killer entpuppen. – Übrigens, vielleicht ist es untergegangen: Gestern hat auch mitten in Deutschland ein junger Mann geschossen, seine beiden Eltern getötet und seinen Bruder schwer verletzt, in Quedlinburg. Geschossen! – Nicht vergessen, wenn allzu schnell wieder auf die schießwütigen und waffennärrischen Amis geschimpft wird! – Ach ja, und eine beinahe funktionsfähige Bombe in Bonn war da auch noch diese Woche.

Ja, ich ich finde es immer wieder sonderbar, wie manche Christen betonen, an Gott zu glauben, aber den Teufel nicht für real zu halten. – Hallo! Hast du nicht manchmal, vielleicht wenigstens an solchen Tagen wie vorgestern das Gefühl, dass es in dieser Welt verdammt oft mit dem Teufel zugeht? – Ich schon.

Und trotzdem, das ist es ja nicht, was ich predigen soll. Den Gefallen werde ich dem Teufel nicht tun, dass ich wie gebannt auf die Macht des Bösen starre und wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange stillhalte, bis es mich verschlingt.

Was soll ich predigen? – Jedenfalls nicht die Macht des Bösen und den Sieg des Todes über das Leben. – Also realistisches Klappehalten? Wie soll man denn noch an Gott glauben in dieser kaputten Welt?

Alles Fleisch ist Gras. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt. – Findet euch mit ab! Macht das Beste draus!

Nein! Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. – Er meldet sich zu Wort. Eine Stimme in der Wüste. Die muss erst mal einer hören.

Vielleicht hören wir sie besonders gut, wenn wir selber in der Wüste sind. Da, wo uns die geistlichen Nahrungsvorräte ausgehen. Da, wo uns die Worte und Erklärungen ausgehen. Da, wo uns der Trost teuer wird. Wo wir nach gutem Zuspruch lechzen.

Nach über einem Jahr hatte ich die Tage Chat-Kontakt mit einer Bekannten in Deutschland – rein zufällig, aber was sind schon Zufälle! –: Wie geht’s dir so? – Geht schon. – Klingt nicht überzeugend – Naja, psychische Probleme hat sie und ist schon lange krank. Und dann: Meinst du, dass der Glaube an Gott mir helfen könnte? Bin ein ganzes Stück vom Glauben abgekommen … – Ja, klar mein ich das. – Vielleicht hört sie die Stimme Gottes wieder … in der Wüste. Ich bete für sie.

Die Stimme in der Wüste, sie will gehört werden, sie ruft nach Verstärkung: Tröstet! Redet! Predigt! – Gerade weil es uns doch so leicht die Worte verschlägt.

Was soll ich predigen? – Das, was sonst nicht gesagt wird: Gottes ewiges Wort.

Dass Sünde, Tod und Teufel ein Ende haben. – Ja, es gibt sie, und es sind die größten Feinde des Menschen: Sünde, Tod und Teufel. Sie reißen an manchen Tagen ihr Maul verdammt weit auf. – Aber ich soll euch sagen: Das geht vorbei! Sie werden für immer verstummen vor Gottes ewigem Wort.

Ich soll predigen, dass Gott kommt, dass er schon da ist, hier bei uns Menschen. Um dem Verderben ein Ende zu machen. Siehe, der HERR kommt gewaltig!

Im Moment sind die Zeichen seines Kommens nur die Krippe und das Kreuz. Das sieht nicht sehr gewaltig aus. Denn seine Gewalt ist nicht die Gewalt dieser Welt. Es ist die Gewalt dessen, der in kindlicher Unschuld die Sünde der Welt erträgt und wegträgt. Und es ist die Gewalt dessen, der in seinem Sterben den Tod besiegt. Ein drittes Zeichen ist das leere Grab, das Zeichen dessen, der hinabsteigt zur Hölle, um dem Teufel seine Beute zu entreißen. – Aber ich gebe es zu, es sind nur Zeichen, Glaubenszeichen, man muss ihnen nicht glauben – aber man kann es. Dann ist seine Gewalt auch die Gewalt über eure Herzen. Dann herrscht in euch das Leben und nicht der Tod!

Ja, das soll ich predigen: Ebnet ihm die Bahn! Räumt die Hindernisse zur Seite, dass er zu euch kommen kann! Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch! Dass der König der Ehre einziehe! Gott will bei euch einziehen, er will die Gewalt über eure Herzen haben. Die Hoheit über euer Denken, euer Fühlen, euer Tun.

Und ich soll euch predigen: Fürchtet euch nicht! – Das sagt Gott immer und immer wieder. Ja, wir leben in einer Welt, wir leben in einer Zeit, die uns das Fürchten lehren kann. – Gott will uns die Hoffnung lehren: Fürchtet euch nicht! – Denn er kommt. Und wo er ist, da braucht ihr nichts und niemanden mehr zu fürchten. Da ist dem Verderben ein Ende gesetzt.

Tröstet, tröstet mein Volk! – Das vor allem soll ich predigen.

Aber ist das wirklich Trost, wenn ich sage: Gott kommt und macht alles gut? Wenn du nur Gott in deinem Herzen herrschen lässt, dann ist alles Böse schon besiegt; fürchte dich nicht? Trägt dieser Trost, wenn wir fassungslos vor dem absolut sinnlosen und absolut bösen Mord an 20 Kindern stehen? Vor allem, trägt er die, die ihn am allernötigsten haben?

Wenn ihr mich fragt – ich weiß es nicht. – Ich sehe Menschen, die schweigen, die einander festhalten, und ich sehe ganz viele, die den Halt bei Gott suchen – die beten. Und – ich weiß es nicht – aber ich glaube, wenn uns etwas wirklich trösten kann, dann ist es dieser Herr und Gott mit seiner Zusage, dass die Macht des Bösen nicht unendlich ist.

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. – Ich kann nicht trösten, es sei denn mit dem Trost, den Gott uns verspricht. Den soll ich, den will ich predigen.


»Tröstet, tröstet«, spricht der Herr, »mein Volk, daß es nicht zage mehr.« Der Sünde Last, des Todes Fronnimmt von euch Christus, Gottes Sohn.
Freundlich, freundlich rede du und sprich dem müden Volke zu: »Die Qual ist um, der Knecht ist frei, all Missetat vergeben sei.«
Ebnet, ebnet Gott die Bahn,bei Tal und Hügel fanget an. Die Stimme ruft. »Tut Buße gleich,denn nah ist euch das Himmelreich.«
Sehet, sehet, alle Welt die Herrlichkeit des Herrn erhellt. Die Zeit ist hier, es schlägt die Stund,geredet hat es Gottes Mund.
Alles, alles Fleisch ist Gras,die Blüte sein wird bleich und blaß. Das Gras verdorrt, das Fleisch verblich, doch Gottes Wort bleibt ewiglich.
Hebe deine Stimme, sprich mit Macht, daß niemand fürchte sich. Es kommt der Herr, eu’r Gott ist da und herrscht gewaltig fern und nah.
Waldemar Rode (1938), EG 15

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