Sonntag, 30. März 2014

Predigt am 30. März 2014 (Sonntag Lätare)

So spricht der HERR: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich heimholen. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Jesaja 54, 7-10


Liebe Schwestern und Brüder,
Ich bin dann mal weg. – Das war das Predigtmotto vor 14 Tagen beim Gemeindefest. Es ging um unsere Mobilität: Wir sind mal da, mal dort. Wir sind unterwegs auf den Pilgerpfaden des Lebens. Und unser Leben hat ein Ziel. Und wenn wir zum letzten Mal sagen: Ich bin dann mal weg, dann sind wir gleich angekommen – bei Gott.
Was aber, wenn Gott sagt: Ich bin dann mal weg? Und wir stehen da – ohne ihn.
Ich erinnere mich, wie das war, als ich Kind war, und meine Mutti hatte gesagt, sie wäre mal kurz weg: Ich komm gleich wieder. Nur mal schnell … einkaufen oder was auch immer … Natürlich konnte klein Roland schon allein zu Hause bleiben und wusste, dass man keine Dummheiten anstellen darf, das tat er auch nicht, er vertiefte sich ins Spiel mit seinen Autos oder Bausteinen. Aber irgendwann, nach einer ganzen Weile tauchte er aus dem Spielen wieder auf und merkte: Die Mutti war immer noch nicht wieder da. Dabei war sie jetzt schon ziemlich lange weg. Er wandte sich dem Spiel wieder zu, aber er war nicht mehr bei der Sache. Unruhig lief er hin und her, zur Tür, zum Fenster. Wo war sie? Wann kommt sie endlich? Wenn ihr etwas Schlimmes passiert ist? Wenn sie nie wieder kommt? Die Ängste wurden immer schlimmer. Die Tränen kamen. – Irgendwann nach endloser Zeit ging das Schloss und klein Roland warf sich seiner Mutti schluchzend an den Leib: „Warum warst du so lange weg?“ – Ja, irgendwas war noch. Ich weiß es nicht mehr. Nichts Schlimmes. Und so lange war sie am Ende gar nicht weg. – Sie hat mich auf den Arm und getröstet. Und bald war alles wieder gut.
Trotzdem: Irgendwas davon ist hängen geblieben. „Ich bring mal Müll raus“, sagt Andrea vor ein paar Tagen. Nach einer dreiviertel Stunde denke ich: Sie sollte langsam mal wieder kommen vom Müllrausbringen, und eine gewisse Unruhe bemächtigt sich meiner. Irgendwas ist da doch hängen geblieben von meiner Erfahrung als Kind. – Natürlich kommt sie wieder: mit Tüten bepackt, vom Mercadona. Naja, hätte sie ja sagen können, sage ich ihr. Und dass du nie dein Handy dabei hast, dann könntest du wenigstens anrufen, wenn was ist. Oder ich.
Es sind diese Urängste in mir, in uns: Der geliebte Mensch kommt nicht wieder. Verlassen da stehen.
Das Allerschlimmste aber ist, von Gott verlassen zu werden. Oder das Gefühl zu haben, von Gott verlassen zu sein.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, sagt Gott. Das ist entsetzlich! Was da alles passieren kann! Von Gott verlassen, kein Schutzengel weit und breit. Allein in der Wüste. Allein in der Hölle.
Ich sitze in einem Polizeiwagen. Der junge Polizist neben mir sagt: „Das sind diese Scheiß-Momente in meinem Dienst, immer wieder. Sie haben wenigstens Ihren Glauben.“ „Aber in solchen Momenten weiß ich auch nicht mehr, was ich sagen soll“, antworte ich, „da verstehe ich meinen Gott nicht.“ Und dann stehen wir gemeinsam vor einem Häuschen im Erzgebirge, der Polizist und der Pfarrer. Und den beiden, die die Tür öffnen, ist schon die Angst im Gesicht geschrieben. „Er ist tot?“, ruft die Frau. „Dürfen wir bitte reinkommen“, fragt der Polizist. Und dann muss er ihnen berichten von dem Unfall, den ihr Sohn nicht überlebt hat. Er war zusammen mit seiner Freundin unterwegs zu den Eltern, und dann war da ein Fahrzeug auf der falschen Fahrbahn – Geisterfahrer… – Und jetzt nur noch: Schreien, Schweigen, Schluchzen. Und nichts. Keine Antworten, keine Erklärungen. Da bleiben dir auch als Pfarrer nur wenige Worte, ein Gebet, das Vaterunser. – Wenigstens das! Und wenigstens konnten sie in diesem Augenblick mitbeten.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, sagt Gott. – Und wir werden fast wahnsinnig! Hast du gerade ein Nickerchen gemacht, Gott? Warst du mit was anderem beschäftigt? Wo waren deine Schutzengel?
Das ist sie wohl, unsere eigentliche Urangst: Die Angst von Gott verlassen zu werden. Denn das ist die Hölle.
Das sagen wir so: Das ist die Hölle. Der musste die Hölle durchleben. Gemeint ist damit genau das: von Gott verlassen zu sein. Nichts anderes ist die Hölle: Der Zustand, von Gott verlassen zu sein. Der Ort, wo Gott nicht ist.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? – Ein Gebet aus der Hölle, es steht in der Bibel.
Jesus hat diese Worte gebetet. Als er die Hölle erlebt hat. Als Gott weggeschaut hat. Als die Schutzengel weg blieben. Gekreuzigt, gestorben und begraben – hinabgestiegen zur Hölle.
Ja, Gott hat weggeschaut – wahrscheinlich konnte er gar nicht hinschauen, wie sein Sohn leiden musste. Ja, Gott hat ihn verlassen. Und Jesus hat die Hölle erlebt…
… für einen Augenblick, für einen langen Augenblick.  Am dritten Tage ist er auferstanden von den Toten. Auferweckt: Gott schaute ihn wieder an, und er lebte auf. Gott kehrte zurück, und die Hölle war gebannt.
Wenn Gott sagt: Ich bin dann mal weg, dann ist das furchtbar. Aber wenn Gott sagt: Ich bin dann mal weg, dann sagt er auch: Ich komme wieder. Wenn Gott dich verlässt, dann ist das niemals für immer. Und wenn du die Hölle durchlebst, dann wird er zu dir kommen und dich in den Himmel retten.
So ist es immer. So ist Gott immer. Das erzählt uns die Bibel.
Die Bibel erzählt von Noah. Der erlebte den Weltuntergang, und er erlebte den Neuanfang nach dem Ende.
Die Bibel erzählt von Gottes Volk Israel. Diese Geschichte geht weiter bis zum heutigen Tag. Gottes Volk erlebte immer wieder Verfolgung, Zerstörung und Vernichtung – bis hin zur Hölle von Auschwitz. Und es erlebte immer wieder die Auferstehung. – Vielleicht ist das überhaupt die wichtigste politische Botschaft der Bibel: Gott steht zu seinem Bund mit seinem Volk. Und wer sich heute gegen Gottes Volk, gegen die Juden, und gegen ihren Staat, dort im Land der Verheißung stellt, der muss wissen, gegen wen er sich da stellt.
Die Bibel erzählt uns von Jesus Christus. Der für uns und mit uns durch die Hölle gegangen ist, und der uns voran geht ins Leben. Es gibt ein Leben nach der Hölle.
Wenigstens konnten sie in diesem Augenblick mitbeten, die Eltern, denen ich die Nachricht vom Tode ihres Sohnes bringen musste. Sie konnten es, weil in ihnen diese Hoffnung und Glaubensgewissheit war: Auch wenn alles zusammenbricht, auch wenn wir nichts mehr verstehen und Gott ganz weit weg ist – er kommt wieder. Und es gibt ein Leben nach der Hölle.

Liebe Schwestern und Brüder, ich verstehe nicht, warum Gott manchmal wegschaut. Ich verstehe nicht, warum er manchmal einfach weg ist. Ich verstehe nicht, warum manche das aushalten müssen, diese entsetzliche Gottesferne. Aber ich weiß: Er wird nicht weg bleiben. Er kommt wieder. Er nimmt mich in den Arm, und alles wird gut.

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 30. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

zu meinen eindrücklichsten Erlebnissen hier auf Teneriffa gehören Seebestattungen. So etwas hatte ich zuvor noch nie mitgemacht. Und dann baten mich die Angehörigen eines Verstorbenen, seine Asche im Meer bei Los Gigantes beizusetzen. Sie hatten ein Ausflugsschiff gemietet, mit dem sind wir hinausgefahren, haben miteinander gesungen und gebetet und die Asche dem Wasser übergeben. Die Angehörigen haben Blumen hinterhergeworfen und Tausende von Blütenblättern; ein richtiger Blütenteppich schwamm auf dem Wasser in der Abendsonne. Das Boot drehte eine große Runde um diesen Blütenteppich, dann fuhren wir zurück an Land.

Inzwischen haben wir schon von einigen Menschen auf diese Weise Abschied genommen. Und ich hatte immer das Gefühl: Es war gut so. Hinausfahren, Abschied nehmen, den Verstorbenen da lassen und zurückkehren an Land, und dann muss das Leben hier weitergehen. Das weite Meer – so scheint mir – ist ein großes Symbol für die Weite und Ewigkeit Gottes, der wir unsere Toten anvertrauen. Aus dem Wasser ist das Leben gekommen, ins Wasser kehrt es zurück.

Manchen ist das aber auch unheimlich: wenn die Überreste eines Menschen sich im endlosen Meer verteilen. Wo ist er dann, der Verstorbene? Wie kann es für ihn eine Auferstehung geben? – Am Ende der Bibel lese ich einen interessanten Satz: Das Meer gab die Toten heraus, die darin waren (Offenbarung 20,13). Bei Gott ist kein Verstorbener verloren, ob er nun begraben oder verbrannt und seine Asche in den Bergen verstreut oder dem Meer übergeben worden ist. Auch das Meer wird unsere Toten aufbewahren, und wann und wo immer wir ans Meer kommen, können wir an sie denken.


Am Ende sollen wir aber wissen: Das Leben ist mehr als Wasser, und die Ewigkeit ist mehr als das Meer. Himmel und Erde und das Meer werden vergehen, sagt die Bibel: Gott aber bleibt in Ewigkeit und wir in ihm.

Samstag, 29. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonnabend, dem 29. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. – So hieß ein Lied, das vor ungefähr 40 Jahren in unseren Kirchengemeinden populär war. – Das Bild, das da besungen wurde, ist wesentlich älter. Viele meiner christlichen und theologischen Bücher ziert ein Verlagslogo mit einem Schiff, das ein Kreuz als Mast hat. Es ist ein altes Symbol für die Kirche: Unter dem Kreuz mit Jesus im Boot ist die Gemeinde Gottes unterwegs durch die Zeiten.

Eine Schiffsreise ist nicht ungefährlich – davon habe ich die letzten Tage schon gesprochen –, der Ozean ist wild, und manchmal hat man das Gefühl, dieses Schiff, das sich Gemeinde nennt, wäre nur eine Nussschale. Aus dem Lied von damals spricht in der Tat eine gewisse Verzagtheit, jedenfalls klingt der Refrain doch schon ziemlich verzweifelt: Bleibe bei uns Herr, bleibe bei uns Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer, o bleibe bei uns Herr!

Ich finde: Die Lage der christlichen Kirche ist seither nicht besser, nicht einfacher geworden. Die jüngste Mitgliederbefragung der Evangelischen Kirche hat es deutlich zutage gefördert: Atheismus und Religionslosigkeit sind echte Optionen geworden. Unter jungen Leuten muss man eher begründen, warum man noch an Gott glaubt, als warum man nicht an Gott glaubt. Die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation funktioniert kaum noch. Und wo Glaubenstraditionen abgebrochen sind, gelingt es kaum noch, Menschen neu für den Glauben zu begeistern. Wie viele Jahrzehnte wird es da noch brauchen, bis die christliche Kirche ganz verschwunden sein wird oder nur noch eine winzige Sondergruppe sein wird? Das frage ich mich in Momenten des Zweifels und des Kleinglaubens.

Das Bild vom Gemeindeschiff stammt aus der Bibel (Markus 4/Matthäus 8/Lukas 8). Jesus ist mit seinen Jüngern im Schiff unterwegs über den See Genezareth. Da kommt ein Sturm auf, Wellen schlagen ins Boot; die Jünger bekommen es mit der Angst zu tun; aber Jesus schläft im Heck des Bootes. Seine Jünger wecken ihn: „Ist es dir denn wirklich egal, dass wir umkommen?“ Und Jesus sieht sie an und fragt sie: „Warum seid ihr so furchtsam? Wo ist eigentlich euer Glaube?“ Und er gebietet dem Wind und den Wellen aufzuhören, und da ist es stille.


Ja, frage ich mich, warum bin ich so furchtsam? Wo ist mein Glaube?

Freitag, 28. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 28. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

die Geschichte einer dramatischen Seereise erzählt uns die Bibel in der kleinen Novelle von dem Propheten Jona (im Deutschen nennen wir ihn auch gerne Jonas, aber das ist egal).

Jona hatte einen Auftrag von Gott, aber er hatte keine Lust ihn auszuführen. Gott hatte ihm gesagt: „Geh nach Ninive und predige den Leuten dort!“ Jona lief in die entgegengesetzte Richtung – und kam ans Meer, wo es nicht weiter ging. Jedenfalls nicht zu Fuß. So ging er auf das nächstbeste Handelsschiff und machte sich auf die Reise übers Meer. Eine Reise, die am Ende wesentlich unangenehmer für ihn wurde, als es der Gang nach Ninive hätte werden können.

Auf dem Meer kam ein gewaltiger Sturm auf. Selbst die erfahrenen Seeleute, eine internationale Mannschaft, gerieten in Furcht und Panik, warfen die Ladung über Bord, um das Schiff zu erleichtern und verfielen auf die Idee, einer an Bord müsse den Zorn eines Gottes auf sich gezogen haben. Wer war der Schuldige? Darüber ließen sie das Los entscheiden, und das Los fiel – wir ahnen es schon – auf Jona. Sie fragten ihn aus und fanden es bestätigt, dass Jona auf der Flucht vor seinem Gott war, der kein geringerer war als der Herr, der Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. Am Ende sahen sie keine Rettung für sich, als Jona zu opfern, ihn den Wellen zu übergeben, um selber gerettet zu werden. Und in diesem Moment legte sich der Sturm, und die Wellen beruhigten sich, und sie konnten sicher weiter reisen.

Wie die Geschichte weitergeht, wissen Sie sicher: Nämlich sehr wundersam. Jona wurde von einem großen Fisch verschlungen und schließlich lebendig wieder an Land gespuckt. Und er ging nach Ninive und tat, was Gott ihm aufgetragen hatte.

Das wütende Meer und der Bauch des Fisches sind Bilder für höchste Not und Todesangst. Aber gerade da – so zeigt sich – ist Gott nahe. Jona betete: Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.

Die Erzählung vom Propheten Jona ist eine beinahe märchenhafte Geschichte. Aber wahr ist, dass Gott auch in Schuld und Not und Todesrachen das Rufen eines Menschen hört und ihn rettet.

Donnerstag, 27. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 27. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

auf hoher See und vor Gericht bist du in Gottes Hand, weiß der Volksmund, und meint damit, dass es Bereiche gibt, wo unsere Macht und unsere Möglichkeiten am Ende sind.

Vor Gericht weiß man nie genau, welches Urteil am Ende gefällt werden wird.

Auf hoher See weiß man auch nie genau, ob und wie man am Ziel ankommt. Wenn es harmlos ist, dann vielleicht etwas grün im Gesicht, weil die Wellenschaukelei einen krank macht. Ernster wird es, wenn Schiffe durch Sturm und Wellen zum Kentern, zum Zerbrechen, zum Scheitern an irgendwelchen Klippen gebracht werden.

Scheitern, Schiffbruch erleiden – das sind bis heute gängige Metaphern in unserer Umgangssprache. Schiffskatastrophen wie der Untergang der Titanic haben sich tief ins kollektive Gedächtnis gefressen. Der Untergang der Costa Concordia vor zwei Jahren hat viele noch lange beschäftigt. Eine Seefahrt, die ist nicht nur lustig, sondern auch gefährlich. Wasser hat keine Balken, die uns Halt geben. Im Ernstfall bleibt hoffentlich ein Rettungsboot, eine Schwimmweste oder vielleicht nur ein Wrackteil, an das sich die Ertrinkenden noch klammern. – Wir sind in Gottes Hand, weil unsere Macht und Möglichkeiten am Ende sind.

In alter Zeit hatten die Menschen noch viel mehr Respekt vor Wasser, Wind und Wellen. In einem Psalm (107) wird die Gefahr einer Schiffsreise vor Augen gemalt – und das Gefühl der Rettung, wenn man wieder festen Boden unter den Füßen hat:

Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren und trieben ihren Handel auf großen Wassern, die des HERRN Werke erfahren haben und seine Wunder auf dem Meer, wenn er sprach und einen Sturmwind erregte, der die Wellen erhob, und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund sanken, dass ihre Seele vor Angst verzagte, dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener und wussten keinen Rat mehr, "die dann zum HERRN schrien in ihrer Not", und er führte sie aus ihren Ängsten und stillte das Ungewitter, dass die Wellen sich legten und sie froh wurden, dass es still geworden war und er sie zum erwünschten Lande brachte: Die sollen dem HERRN danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut.


Wenn unser Leben so einer Seefahrt gleicht, dann sollen wir wissen: Wir sind in Gottes Hand.

Mittwoch, 26. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 26. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

wo das Meer beginnt, kommen wir nicht mehr weiter. Das ist trivial. Die Grenze zwischen Land und Wasser stellt ein ernsthaftes Hindernis dar. Ich kann vielleicht ein kleines Stückchen ins Meer hinausschwimmen, aber nicht weit. Die Nachbarinsel wäre fast unerreichbar, wenn es nicht spezielle Fortbewegungsmittel für das Wasser gäbe. Meere und selbst Flüsse haben Menschen und Völker voneinander getrennt. Jahrtausendelang wusste niemand, dass auf der anderen Seite des Ozeans eine Neue Welt liegt, wo auch Menschen leben. Das weite Meer war eine unüberwindliche Grenze.

Noch heute sind Meere schwer zu überwinden. Ich denke an die Flüchtlinge, die in überfüllten Booten an Europas Südgrenze zu gelangen suchen und dabei ihr Leben riskieren.

In der Bibel wird erzählt, wie das Meer zu einer unüberwindlichen, ja tödlichen Grenze für Menschen, für Flüchtlinge geworden wäre, wenn sie nicht durch ein Wunder gerettet worden wären:

Die Israeliten, die aus Ägypten entkommen waren, wurden von der Streitwagenarmee des Pharaos verfolgt und eingeholt, als sie gerade am Meer angekommen waren; es gab kein Entkommen mehr. Ihre Verfolger wollten sie ins Meer treiben. Aber gerade da zog sich das Wasser zurück, und wo eben noch Meer war, konnten die Flüchtlinge trockenen Fußes weiterziehen. Die Verfolger mit ihren Streitwagen blieben im Schlamm und Schlick stecken; das Wasser kehrte zurück und sie ertranken. So ähnlich mag es gewesen sein. Die Legende hat daraus Wassermassen gemacht, die wie die Wände rechts und links der israelitischen Flüchtlinge gestanden hätten und dann über den Ägyptern wieder zusammengeschlagen wären. – Wie auch immer: Das war das große Wunder, aus der Falle zwischen tödlichem Meer und tödlichen Verfolgern entronnen zu sein; das wurde gefeiert und von Generation zu Generation weitererzählt – bis heute.

Es ist das Wunder, dass eine unüberwindliche Grenze überwunden werden konnte, dass eine ausweglose Gefahr gebannt wurde, dass es einen Weg in auswegloser Situation gab.

Gott sei Dank, erleben immer wieder Menschen dieses Wunder: Wo wir nicht mehr weiter kommen, kann es dennoch weiter gehen.

Dienstag, 25. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 25. März 2014

Guten Morgen liebe Hörer,

auf einer steilen Insel leben wir. Da erheben sich die Los-Gigantes-Felsen hunderte Meter senkrecht aus dem Meer. Da sind es nur wenige Kilometer von der Küste bis zum Teide-Gipfel. Und dabei sehen wir noch nicht mal, dass es unter Wasser genau so steil weiter abwärts geht bis zu einer Tiefe von über 2000 Meter. Dass unsere Insel so steil ist, hat den Vorteil, dass Wasser und Land deutlich getrennt sind. Wir brauchen uns um einen möglichen Anstieg des Meeresspiegels nicht zu sorgen. Wir brauchen keine Deiche, die uns vor Fluten schützen; unsere Küsten sind steil genug.

Irgendwie ist die Welt ja doch sehr praktisch eingerichtet. Steile Inseln, Kontinente, die Kilometer höher liegen als der Meeresgrund: So haben Mensch und Tier einen sicheren Lebensraum, der normalerweise nicht von den Wasserfluten der Meere und Ozeane bedroht ist.

Das fanden die Menschen schon vor Jahrtausenden erstaunlich und erzählten sich, wie Gott am dritten Schöpfungstage Wasser und Land voneinander getrennt und dem Meer besondere Orte zugewiesen habe.

Heute weiß man, dass die Erdkruste der Kontinente leichter ist als die Erdkruste unter dem Ozeanboden; deshalb schwimmen die Kontinentalplatten gewissermaßen höher auf dem flüssigen Erdinneren. So sind Ozeane und Kontinente deutlich getrennt.

Einmal nur, so erzählen es die alten Überlieferungen, sei die ganze Welt vom Wasser überflutet worden und nur ein Mensch mit seiner Familie sei gerettet worden.

Das Gebenüber von Wasser und Land, von Meer und Kontinenten ist ein Beispiel dafür, wie erstaunlich, sinnvoll und wunderbar unsere Welt geschaffen ist. Die Sintflutgeschichte zeigt, wie entsetzlich, wie tödlich eine Welt wäre, die aus den Fugen der Schöpfungsordnung geriete. Die Ängste vor Fluten, Tsunamis und steigendem Meeresspiegel sind Urängste, die an die Grundsubstanz unserer Existenz gehen.

Nach der biblischen Überlieferung verspricht Gott, die Ordnung der Welt zu erhalten. In der Tat: Es spricht alles dafür, dass wir auch am Rande der Ozeanfluten sicher leben können.

So blicke ich auch heute Morgen frohen Herzens hinaus auf das Meer.

Montag, 24. März 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 24. März 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

fast sieben Jahre war ich schon alt, als ich zum ersten Mal das Meer gesehen habe: Wasser, so weit das Auge reichte; Wellen, die gleichmäßig an den Strand heranrollten – wunderbar. Glückliche Kindertage, unvergesslich.

Ich liebe das Meer. Obwohl es immer wieder Jahre gedauert hat, bis ich mal wieder da sein durfte. Damals war es die Ostsee, später das Schwarze Meer, dann das Mittelmeer, zuletzt der Atlantik. Seit über drei Jahren lebe ich nun mit dem täglichen Blick aufs Meer.

Das gehört für mich zum Wunderbaren auf dieser unserer Insel, dass man fast von überall her das Meer sehen kann. Ich liebe es: Diese unendliche Weite. Wie weit ist es bis zum anderen Ufer? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich freue mich, wenn ich an klaren Tagen El Hierro sehen kann – das sind fast 100 km. Wenn die Sonne im Meer untergeht, dann kann ich mir vorstellen, wie sich die Erdkugel dreht, auf der ich stehe. Wenn ich nachts aufwache, gehe ich manchmal hinaus auf den Balkon und sehe den Mondschein im Wasser glitzern. Und am Tage, da staune ich über das Wasser, wie lange doch die Wellen die Spuren der Schiffe bewahren, bevor sie sich wieder im rauschenden Gleichmaß verlieren.

Ich habe gelernt, Meer von Meer zu unterscheiden. Die schnellen grau-grünen Ostseewellen sind etwas anderes als die langsamen tiefblauen Ozeanwogen, die an unsere Inselstrände donnern. Manchem schon ist es zum Verhängnis geworden, diesen Unterschied nicht verstanden zu haben…

Sie merken es: Ich bin der Faszination des Meeres erlegen. Das Meer ist für mich etwas Großartiges, ewtas Erhabenes, ja beinahe etwas Heiliges. Augenblicke der tiefsten Gefühle von Staunen, von Dankbarkeit, von Glück und Anbetung haben sich in mein Gedächtnis eingeprägt, obwohl ich in diesen Augenblicken nichts getan habe, als aufs Meer geblickt.

Es muss anderen Menschen schon früher so gegangen sein. In einem Psalm in der Bibel lese ich: Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Da ist das Meer, das so groß und weit ist… (Psalm 104, 24f)


Ich möchte diese Woche mit Ihnen gemeinsam ein bisschen aufs Meer blicken, mit Ihnen staunen und dabei an Gott denken.

Sonntag, 16. März 2014

Predigt am 16. März 2014 (Sonntag Reminiszere, Gemeindefest)

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Hebräer 11, 8-10


Liebe Festgemeinde,
Ich bin dann mal weg. – Ihr kennt das Buch oder habt von gehört: Hape Kerkeling auf Pilgerpfaden. Mancher hat das selbst ausprobiert, vielleicht nur mal ein Stück des Weges oder ein paar Tage: aussteigen aus dem Alltag, was ganz anderes machen, etwas mehr zu sich selber finden und vielleicht auch zu Gott. – Und dann doch wieder zurückkehren. Vielleicht kein Buch schreiben, aber davon erzählen, was das Wegsein mit mir gemacht hat.
Ich bin dann mal weg. – Habe ich vor dreieinhalb Jahren meinen Eltern, Kindern, Freunden und meiner alten Gemeinde gesagt. Wir gehen nach Teneriffa. Und sie sind aus allen Wolken gefallen. Haben sich mit uns gefreut oder Bedenken angemeldet oder um uns geweint. – Irgendwann werden wir wieder zurückkehren. Reicher an Erfahrungen und Teneriffa für immer im Herzen. Und euch.
Ich bin dann mal weg. – Sagt ihr, viele von euch, jedes Jahr im Herbst, packt eure Sachen setzt euch in den Flieger und genießt die Zeit auf der Insel. Und jetzt im Frühjahr da höre ich es wieder hier auf der Insel, Woche für Woche: Ich bin dann mal weg. Bzw. Wir wollen uns verabschieden… – Pilger zwischen den Welten. Ihr nehmt eure Eindrücke, eure Erlebnisse, eure Freundschaften mit von hier nach da und von da nach hier. – Besonders berührt es mich, wenn mir jemand sagt: Wir werden wohl nicht wiederkommen können.
Ich bin dann mal weg. – Das hat einst auch der alte Abraham gesagt. Das war eigentlich nicht ungewöhnlich. Mit seinen Herden war er oft wochen- und monatelang unterwegs: Ich bin dann mal weg. Und irgendwann war er auch wieder da. Bis zu jenem Tag, als er sagte: Ich komme nicht wieder. Ich gehe weiter, immer weiter in ein Land, das Gott mir zeigen wird. – Erst lachten sie und sagten: Du spinnst! Überleg mal, wie alt du bist! Was du dir da zumutest! – Dann trugen sie ihre Bedenken vor: Was soll werden, wenn du stirbst? Du hast doch keine Nachkommen. Und bist du dir sicher, dass du dir da nicht was ausgedacht hast, eingeredet hast von deinem Gott? – Und schließlich weinten sie, weil sie sahen, dass es ihm ernst war, und sie wussten, dass sie ihn nicht wiedersehen würden. – Immerhin, seine Frau, Sara, hielt zu ihm und ging mit; manchmal auf dem Weg hatte sie freilich nur noch bitteren Spott übrig für den Wahnsinn ihres Mannes. Vor allem, als er meinte, sie sollten jetzt noch einen Nachkommen zeugen. Dass dieser Zug abgefahren war, das wusste sie sehr genau; Oder um es biblisch auszudrücken: Es ging ihr nicht mehr nach der Weiber Weise. Ja, und immerhin, Abrahams Neffe Lot schloss sich ihm an, vielleicht aus Abenteuerlust, vielleicht aber auch deshalb, weil er beeindruckt war von dieser merkwürdigen Gottesgewissheit seines Onkels, vielleicht wollte er von ihm und mit ihm Glauben lernen.
Ich bin dann mal weg. – Das sagte viele hundert oder tausend Jahre später ein junger Zimmermann und zog zum Entsetzen seiner Mutter und seiner Brüder als Wander- und Wunderprediger durchs Land. Sie erklärten ihn für verrückt, sie wollten ihn wieder nach Hause holen, aber er ging einen anderen Weg: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem...
Und andere hat er gerufen, mitzukommen: Folgt mir nach! Und auch die waren dann mal eben weg: Fischer ließen ihre Netze liegen, Zöllner ließen ihre Zollstation im Stich, Frauen ließen ihre Männer zu Hause sitzen und zogen mit dem Zimmermann aus Nazareth umher. Vielleicht aus Abenteuerlust, vielleicht aber auch deshalb, weil sie beeindruckt waren von seiner tiefen Gottesgewissheit, sie wollten von ihm Glauben lernen: Ich bin dann mal weg.
Abraham glaubte, dass Gott ihn gerufen hatte in ein fremdes Land, das doch das Land der Verheißung war und des Segens. Was er dort fand, war nicht die Erfüllung. Er lebte dort als mehr oder weniger freundlich geduldeter Ausländer. Er hatte kein Eigentum, keine bleibende Stadt, nur den Boden, auf den er gerade seine Füße setzte oder für ein paar Tage oder Wochen sein Zelt aufschlug. Er suchte die zukünftige Stadt Gottes; aber das einzige Eigentum, das er sich erwarb, war eine Begräbnisstätte für sich und seine Angehörigen – für die Zeit, wenn es zum letzten Mal heißen würde: Ich bin dann mal weg.
Der Zimmermann aus Nazareth glaubte, dass Gott ihn gesandt hatte in sein eigenes Land, in seine eigene Welt; aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Sie duldeten ihn nicht. Zuletzt hatte er gar keinen Boden mehr unter den Füßen: als er am Kreuz hing. Und die Begräbnisstätte, die man ihm zur Verfügung stellte, gehörte einem anderen. Sein letztes Ich bin dann mal weg hieß: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.
Und die ihm gefolgt waren bis hierher, begannen zu ahnen, was es heißt von ihm Glauben zu lernen: Gott vertrauen auf dem Weg ins Unbekannte. Gott vertrauen auf dem Weg im Unbekannten. So hatte Abraham geglaubt. So hat Jesus geglaubt. So lernen wir zu glauben.
Ich bin dann mal weg. – Aufbrüche ins Unbekannte, Leben unterwegs, unbehaust und ungesichert – das ist ein Kennzeichen derer gewesen, die von Abraham und Jesus Glauben gelernt haben. Petrus und Paulus hießen sie zum Beispiel, die unterwegs waren für ihn. Und dann folgten ihnen viele, viele andere: Missionare, Glaubensboten und geistliche Abenteurer, die den Glauben in alle Welt getragen haben. Sie waren da und dort und dann wieder weg. Auf Wegen in verheißene Länder und durch fremde Gefilde. Unterwegs zu den Menschen, unterwegs zu Gott.
Das Bild vom wandernden Gottesvolk, das war und ist ein großes Glaubenskonzept, ein dynamisches Glaubenskonzept. Das Bild einer Kirche, die sich nicht niedergelassen und häuslich eingerichtet hat, wo auch immer in der Welt, sondern einer Kirche, die unterwegs ist, die noch nicht angekommen ist und die weiß, dass sie noch nicht angekommen ist. Eine pilgernde Kirche. Eigentlich ist es eine Schande, dass das Wort Kirche bei uns meistens eine Immobilie bezeichnet. Die eigentliche Kirche ist mobil.
Ja, Gott möchte uns mobil machen. Er möchte uns Beine machen. Und ich glaube, wir, die wir zwischen verschiedenen Welten unterwegs sind und die wir es gewöhnt sind, Abschied zu nehmen, wir sind dieser Kirche von Abraham und Jesus schon ein kleines Stückchen näher als manche andere in ihrer selbstzufriedenen Sesshaftigkeit.
Ja, ihr Lieben, wenn wir sagen: Ich bin dann mal weg, dann ist in diesem flapsigen Satz oft viel mehr, als wir denken: etwas vom Gottvertrauen Abrahams und von der Gottesgewissheit Jesu.
Es ist darin der Glaube, dass jeder Abschied ein Neuanfang ist.
Es ist darin die Gewissheit, dass jeder Aufbruch an ein Ziel führt.
Es ist darin die Hoffnung, dass nach allem Vorläufigen ein Endgültiges auf uns wartet.
Es ist darin die Gewissheit, dass Gott uns führt.
Es ist darin der Glaube, dass Gott mit uns geht, wohin auch immer und bis ans Ziel.

Sonntag, 9. März 2014

Predigt am 9. März 2014 (Sonntag Invokavit)

Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Jakobus 1, 12-18

Liebe Schwestern und Brüder,
Anfechtung – Ist das nicht ein wunderbares Exemplar aus der Liste der vom Aussterben bedrohten Worte? – Manchmal denke ich: Es ist richtig gut, dass wir als Kirche ein bisschen so was wie ein Museum sind für solche alten Worte. Wir bewahren sie auf, damit sie nicht ganz in Vergessenheit geraten: Anfechtung, Versuchung, Begierde, Sünde – das lesen wir heute in unserem Abschnitt. Das sind sozusagen die negativ-christlichen Worte. Aber auch die positiven wie Barmherzigkeit, Wahrheit, Heiligkeit, Seligkeit, ja selbst Heiland, Retter, Christus, Gott – selbst das sind Worte, die fast schon vom Aussterben bedroht sind und die wir erst recht bewahren sollten. – Und nun ist das Zentrum für evangelische Predigtkultur der EKD, das sonst eigentlich keine schlechte Arbeit macht, auch noch auf die verrückte Idee gekommen, wir Prediger sollten in der Fastenzeit gerade auf solche Worte verzichten: Sieben Wochen ohne große Worte. – Nun denn, da mache ich nicht mit. Denn ich glaube wir brauchen diese Worte. Und wenn sie keiner mehr sagt, ist es um so wichtiger, dass wir sie aussprechen. – Oder sind diese Worte manchen eine – ja genau – Anfechtung?
Anfechtung also: Das klingt kriegerisch. Da stellt sich mir ein Feind entgegen. Er greift mich an, er ficht mich an. Er will mich erledigen, besiegen, kleinkriegen. Besetzt vielleicht eine Halbinsel auf meiner inneren Landkarte und ich bin nicht mehr eins, nicht mehr heil, nicht mehr ganz, nicht mehr selig. Meine Existenz ist bedroht, mein Glaube, meine Hoffnung, meine Liebe. Anfechtung, das heißt: Ich werde angegriffen.
Das, was uns angreift, uns anficht, ist meistens nicht weit. Wenn es uns sonst so weit gut geht, dann können es auch Kleinigkeiten sein, die uns zur Anfechtung werden: Die Mücken. Warum hat Gott die Mücken geschaffen? Oder die Cucarachas? Die braucht kein Mensch. Oder wenn es ernster wird: Warum hat Gott den Malaria-Erreger geschaffen, das HI-Virus oder die Krebszellen?
Andrea hatte die Tage ein kurzes Gespräch mit jemandem, dem die Demenz eines nahen Angehörigen zu schaffen macht: Warum schickt Gott solche Krankheiten?
Wir reden von „Gottes guter Schöpfung“. Ist sie wirklich gut? Und wenn nicht, ist dann der  Schöpfer wirklich gut? Oder hat er gepfuscht? Oder gibt’s ihn am Ende gar nicht? – So werden aus kleinen Zweifeln existenzbedrohende Anfechtungen.
Die täglichen Nachrichten: aus der Ukraine zum Beispiel. Warum mussten da so viele Menschen sterben? Warum gelingt es nicht, das Zusammenleben von Völkern und Volksgruppen friedlich zu gestalten? Oder Syrien: Wo das Kämpfen und Morden weitergeht, auch wenn wir gerade nicht so viel von dort hören. Geht es nicht anders? Welche Wege könnten denn zu Frieden und Freiheit führen? Wir sehen die Hilflosigkeit der Politik und das Dilemma, sich immer nur zwischen verschiedenen Übeln entscheiden zu können.
Gestern die Nachricht von einem verschwundenen Flugzeug, sicher abgestürzt: 239 Menschen tot. Und wieder eine Niederlage für diejenigen, die das Fliegen doch eigentlich so sicher gemacht haben. Irgendwie kann es trotz allen Fortschritts immer noch und immer wieder zu Fehlern bei Mensch oder Technik kommen, zu einem unwahrscheinlichen Zusammentreffen von Umständen, das dann tödlich endet. Warum?
Das Thema Kinderpornographie ist wieder in den Medien. Mich hat ein Artikel diese Woche sehr bewegt, in dem von einem Mann berichtet wird, den es allein zu acht- bis zehnjährigen Jungs hinzieht und der mit therapeutischer Hilfe darum kämpft, dieses Begehren zu unterdrücken und nur ja keine Taten daraus werden zu lassen. Kann so ein Mensch jemals glücklich werden? Oder ist es sein ganzes Glück, wenn er andere nicht unglücklich macht? – Warum? Was ist da schief gelaufen in Gottes guter Schöpfung?
Eine andere Anfechtung: die jüngste Mitgliedschaftserhebung der Evangelischen Kirche zeigt, so die Überschrift in einer großen Tageszeitung: Deutsche verlieren ihren Glauben an Gott. Eine zunehmende und sich verhärtende Religionslosigkeit wird da festgestellt. Das Konzept von vor acht Jahren „Wachsen gegen den Trend“ sei nur in einzelnen Bereichen erfolgreich gewesen – also im Wesentlichen eben nicht –, sagt der EKD-Cheftheologe Gundlach. – Das deckt sich mit meinen Beobachtungen, wie vor allem jüngere Menschen sich zu Kirche und Glauben verhalten. Glaube wird als irrelevant und überholt angesehen. An Gott zu glauben, ist für sie unvernünftig, und die Fragen, wie das mit den Übeln in der Welt und mit Gott überhaupt zusammenpassen soll, spielt dabei immer auch eine Rolle. Man kann die Welt auch ohne ihn erklären. Man kann auch ohne ihn glücklich und sinnerfüllt leben, das glauben immer mehr. – Und uns fällt es zunehmend schwer, ihnen da zu widersprechen.
Anfechtung – Wer ist dieser Feind, der sich mir und meinem Glauben da entgegenstellt? Wer oder was steckt dahinter?
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, schreibt Jakobus. Und kurz zuvor, gleich zu Beginn seines Briefes: Erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt. – Das ist das eigentliche große Thema des Jakobusbriefs: die Anfechtung zu erdulden. – Ihr wisst ja vielleicht: Der Jakobusbrief hat seit Martin Luther einen Makel mit sich herumzutragen: eine stroherne Epistel hat der Reformator ihn genannt, weil er nur das Gesetz predige und nicht das Evangelium. Vielleicht müssen wir ihn anders lesen: Nicht als Schreiben, das uns sagt, was wir tun und lassen müssen, um selig zu werden, sondern das uns eine Hilfe geben will, in Anfechtungen zu bestehen.
Anfechtungen sind normal; das setzt Jakobus voraus. Im Brief geht es um verschiedene Bereiche, die Christen damals zur Anfechtung geworden sind: Streit und Unfrieden in der Gemeinde, soziale Spannungen, Kranhkeit, und immer wieder und vor allem, das eigene Versagen: die Unfähigkeit, die rechten Worte zu finden, Streit zu vermeiden, das eigene Ego zurückzustellen. – Solche Anfechtungen sind normal. Wo Glaube ist, da ist auch Anfechtung.
Und gerade deshalb: Selig, der sie erduldet. Glücklich, wer das aushält und im Glauben besteht.
Gott nahe zu sein, ist mein Glück! – Ihr erinnert euch: Das ist die Jahreslosung. Glücklich ist, wer Gott nahe bleibt in Schwierigkeiten, Versuchungen, Anfechtungen. Gott ist dein Glück, auch und gerade im Unglück – das ist die Antwort des Glaubens auf die Anfechtung! Es ist nicht Erklären, warum dies oder jenes so schlecht ist, wie es ist, sondern die Antwort ist: Bei Gott bleiben. Dennoch.
Die größte Anfechtung ist es, Gott verantwortlich zu machen für dein Unglück und für die Dinge, die dich anfechten: Niemand sage, dass er von Gott versucht werde. – Gott ist nicht dein Feind, der dir gegenübersteht, um deinen Glauben anzufechten und deine Existenz, deine geistliche Existenz, zu vernichten. Gott ist niemals gegen dich; Gott ist für dich.
Denn – und das ist ein wunderbares Bild –: er ist der Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
Ihr kennt ja die Redensart: „Wo Licht ist, da ist auch Schatten.“ – Aber genau genommen stimmt das nicht. Wo wirklich Licht ist, an der Quelle des Lichts, da ist kein Schatten. Der Schatten ist immer auf der lichtabgewandten Seite. In der Flamme selbst ist kein Schatten. In der Sonne selbst ist kein Dunkel. Der Schatten ist immer dort, wo das Licht nicht hinkommt.
So ist das auch mit den dunklen Dingen, die uns anfechten. Wo wir Dunkel, Tod, Krankheit, Verderben und Unglauben sehen, da sehen wir nur die Schattenseiten.
Gott hat sich eine Welt geschaffen, die ohne ihn nicht sein kann, aber die nicht in Gott ist, nicht mit Gott identisch ist. Sie steht außerhalb der ewigen Lichtquelle, außerhalb Gottes. Und deshalb hat sie ihre Schattenseiten. So wie die Erde eine Nachtseite hat, so wie der Mond eine dunkle Seite hat, die von der Sonne abewandt ist, so hat Gottes Schöpfung ihre dunkle Seite. Gott sei Dank, dreht sich die Erde, so dass aus der Nacht wieder Tag, aber eben aus dem Tag wieder Nacht wird. – Möglicherweise dauert das in anderen Teilen der Schöpfung länger. Sie bleiben für uns lange im Dunkel, bis vielleicht doch irgendwann Gottes Licht in dieses Dunkel fällt.
Auch wir selber sind Gottes Geschöpfe, und so haben wir selber unsere dunkle Seite, und wir werfen Schatten in die Welt. Das sind die Dunkelheiten und Anfechtungen, die wir uns selber schaffen. Wir können gar nicht anders. Wir werden unsere Schattenseiten nicht los, so lange wir nicht ganz im Licht, ganz in Gott sind.
Aber womöglich beschäftigen wir uns zu sehr mit diesen Schattenseiten, mit den Dunkelheiten des Lebens und bekommen sie doch nicht hell. Weil wir die Sonne im Rücken haben, wenn wir unseren Schatten ansehen, weil wir im Dunkeln suchen und dort das Licht nicht finden. Vielleicht würde es helfen, wenn wir zur Seite treten, dass unser Schatten nicht mehr genau dorthin fällt, wo wir gerade hinsehen. Vielleicht würde es helfen, uns umzuwenden und nicht mehr ins Dunkel zu starren, sondern ins Licht zu sehen.
Ja, das ist wohl unser größtes Problem: dass wir uns immer wieder von Gott, dem Vater des Lichts, abwenden. Dann wird unser Angesicht finster und verschattet und wir sehen nur noch die Schattenseiten des Lebens.
Jakobus verordnet uns einen Richtungswechsel: Dreht euch um, schaut zu Gott, und nicht immer nur auf das, was Dunkel ist in eurem Lebens. Er verordnet uns einen Perspektivwechsel: Tretet mal zur Seite, schaut mal aus einer anderen Richtung; vielleicht seht ihr dann die Dinge in einem anderen Licht.
Der Blick nach oben, der Blick ins Licht – ja, der kann uns auch blenden. Wer auch nur mal kurz in die Sonne geblickt hat, der weiß, dass er danach fast blind ist für die irdischen Dinge. So geht es uns auch manchmal, wenn wir einen kurzen Augenblick in Gottes Licht geschaut haben. Manche finden das nicht gut; manche sehen nachgerade den Sinn ihres Lebens darin, sich mit den Übeln und Schattenseiten dieser Welt zu beschäftigen. Aber vielleicht ist es doch viel wichtiger das Licht zu sehen, als nur über das Dunkel zu klagen.
Und schließlich: Wer ins Licht blickt, dessen Angesicht wird selber strahlend hell. Stell dir vor: Dir steht einer gegenüber, der die Sonne im Rücken hat. Er sieht das Licht selber nicht; aber er sieht es auf deinem Gesicht. Du reflektierst das Licht für ihn. Genau das ist die Aufgabe von uns Christen in dieser Welt.
Anfechtungen sind normal, sagt Jakobus. Aber sie kommen nicht von Gott. Nein, sie werden erträglich, wenn wir zu Gott schauen und uns zu ihm halten. Er ist unser Licht im Dunkel, er ist unser Glück auch im Unglück, er ist unser Heil auch in Versuchung, Leid und Anfechtung.