Montag, 30. Juni 2014

Predigt am 29. Juni 2014 (2. Sonntag nach Trinitatis)


Dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! Täte ich’s aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich’s aber nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut. Was ist denn nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium predige ohne Entgelt und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache.
Dennoch obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.
1. Korinther 9, 16-23


Liebe Schwestern und Brüder,
als Berufschrist habe ich mich letzten Sonntag bezeichnet. Selbstironisch natürlich. Aber was ich damit gemeint habe ist schon klar, oder? – Ich muss ja fromm reden, weil ich Pastor bin. Es wird ja von mir erwartet, dass ich den lieben Gott und den Herrn Jesus im Munde führe. Ich muss ja besonders anständig und christlich leben, weil ich Pfarrer bin. Ich soll schließlich Vorbild für die anderen sein. Ich muss auch immer nett und freundlich zu allen sein, weil ich ja die Kirche repräsentiere. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Das gehört gewissermaßen zu meiner Jobbeschreibung. Was bei den anderen, den Freizeitchristen, gern gesehen ist, aber letztlich doch ein Kann, das ist für mich ein Muss. Denn was es mit dem Glauben, mit dem Christsein, mit der Kirche auf sich hat, das macht sich an mir und meinen Schwestern und Brüdern im Amt fest. Ja, so wird das allgemein gesehen – Umfragen zeigen es: Kirche ist, wo ein Pfarrer ist.
Mit den Worten des Apostels: Dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! – Ja sicher, wenn ich das Evangelium nicht predigte, dann würdet ihr euch bei der EKD beschweren. Und die Kirche würde mich über kurz oder lang aus ihrem Dienst entfernen, weil ich nicht mehr das täte, wofür ich angestellt bin und bezahlt werde. Ich muss es tun. – Schon allein deshalb, weil ich davon lebe. Auch wenn ich gerade keine Lust hätte, oder wenn mir nichts mehr einfallen würde, oder wenn ich Zweifel hätte, wenn mir der Glaube abhanden käme – ich muss es tun. Ich könnte es mir gar nicht leisten, das Evangelium nicht zu predigen. Es ist schließlich mein Lebensunterhalt.
Ist das gut? – Manchmal komme ich mir vor wie gekauft. Wie der Mietling im Gleichnis Jesu, der schlechte Hirte, der die Schafe nur für Bezahlung hütet. Manchmal spüre ich die Schere im Kopf, die mich dreimal überlegen lässt, ob ich mich kritisch zu dem einen oder anderen äußere, was meine Kirchenbehörde, mein Dienstherr, die EKD sagt und tut. Man ist ja auch zur Loaylität verpflichtet. Da wird man vorsichtig.
Bei Paulus ist es genau andersherum: Dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun, sagt er – aber er meint: gerade nicht für Lohn oder Gehalt, nicht im öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis zur Kirchenleitung in Jerusalem. Keiner bezahlt ihn, keiner kann ihm was vorschreiben. Allein einer hat ihn berufen und beauftragt: der Herr Jesus Christus persönlich. Der allein ist sein Dienstherr. – Jesus Christus war ihm persönlich in den Weg getreten, damals vor Damaskus. Und er hatte ihm persönlich deutlich gemacht, dass Paulus sein Bote, sein Werkzeug sein sollte. Und Paulus hatte niemanden weiter gefragt, sondern war einfach losgegangen und hatte begonnen, den Menschen von Jesus zu erzählen. Paulus weiß sich von Jesus Christus persönlich berufen und beauftragt. – Darum muss er. Darum kann er nicht anders. Darum können ihn die anderen mal. Darum legt er auch größten Wert darauf, dass er sich seinen Lebensunterhalt selber erarbeitet und nicht auf anderer Leute Bezahlung angewiesen ist. Das macht ihn frei, unabhängig und unbestechlich. Allein seinem Herrn verpflichtet.
Paulus ist der wahre Berufschrist. Christ aus Berufung. Da hat das Wort Beruf noch seinen ursprünglichen Sinn. Was er sonst noch tut, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen – er arbeitet in dem ehrenwerten Beruf eines Zeltmachers –, das ist nicht sein wahrer Beruf; es ist ein Job, den er tut, um den Rest der Zeit seiner wahren Berufung zu folgen, seinem wahren Beruf nachzugehen: Prediger des Evangeliums von Jesus.
Bin ich ein Berufschrist, weil ich meine Brötchen bei der Kirche verdiene, oder bin ich ein Berufschrist, weil Christus mich berufen hat, das Evangelium zu verkündigen? – Das muss ich manchmal selber fragen.
Und dann denke ich zurück, wie alles angefangen hat. So mit 19, als ich so richtig begeistert war für den Glauben an Jesus, mich mit der Bibel beschäftigte, Mitarbeiter im Jugendkreis war usw., da sagten manche zu mir: Studier doch Theologie! Werde doch Pfarrer! – Nein, dazu brauche ich eine besondere Berufung, war ich damals schon überzeugt. Pfarrer ist kein Beruf wie jeder andere, sondern eine Berufung. Ich fühlte mich nicht berufen. Und Theologie als Notlösung, nur weil mir andere Studienplätze von den Kommunisten verwehrt wurden, das wollte ich schon gar nicht. – Irgendwann sagte mir ein Seelsorger, er habe den Eindruck, Gott wollte, dass ich Pfarrer werde. Ich sollte das für mich prüfen und Gott fragen… – Einige Wochen später habe ich mich für das Theologiestudium beworben; es war nicht klar, ob ich genommen würde; ich habe es in Gottes Hand gelegt; wenn er wollte, dass ich Pfarrer werden soll, dann bitte… Ja, und dann war ich genommen, und von da an wusste ich, dass ich dazu berufen war.
(Dass das mal heißen könnte, als EKD-Beamter auf einer sonnigen Insel zu sitzen, daran war damals noch nicht zu denken. Ich habe eher an verfallende Kirchen und Pfarrhäuser in einer kirchenfeindlichen Umgebung gedacht, und ich wusste wirklich noch nicht, wie ich dem allem gewachsen sein sollte. Dass Gott dann ganz andere Pläne hatte, und Aufgaben, für die ich mit meinen Gaben und Grenzen geeignet war, das hätte ich mir damals nicht vorstellen können.)
Es ist gut und wichtig für mich, dass ich das immer noch weiß, dass ich berufen bin, berufen, das Evangelium zu predigen. Nicht nur von einer Kirchenorganisation angestellt und bezahlt, sondern von Christus berufen und ihm verantwortlich.
Im übrigen hat mich die Kirche bei meiner Ordination genau darauf verpflichtet: auf das Evangelium von Jesus Christus. Und sie bezahlt mich nicht dafür, dass ich Kirchenleitungen nach dem Munde rede, sondern dass ich frei und unabhängig bin, mit meinen Gaben und Möglichkeiten das Evangelium von Jesus zu verkündigen.
Ja, so möchte ich Berufschrist sein: Frei und unabhängig aus der Berufung Jesu leben. Nicht einfach nur einen Job machen für ein paar Stunden am Tag oder  ein paar Jahre im Leben, sondern den Glauben leben und das Evangelium verkündigen, weil ich gar nicht anders kann, wenn Jesus mich verpflichtet.
Und was hat das nun mit euch zu tun, liebe Schwestern und Brüder? Ihr seid weder Pfarrer noch Apostel. Ihr könnt euch zurücklehnen und kritisch hinschauen, ob ich auch alles richtig mache. Ob ich das Evangelium richtig verkündige, ob ich die Kirche gut repräsentiere, ob ich glaubwürdig lebe. Ja, das dürft ihr und das sollt ihr auch!
Aber ich muss euch doch eines sagen: Auch ihr seid Berufschristen. Christen aus Berufung. Ihr seid berufen, euren Glauben zu leben nach bestem Wissen und Gewissen. Berufen das Evangelium zu verkündigen – nicht durch öffentliche Predigten, aber durch euer Leben, das anderen eine Predigt sein kann.
Ja, das Wort Beruf kommt von Berufung. Es hat in der Reformationszeit seine Bedeutung gewandelt. Bis dahin sprach man vom Beruf, wenn jemand sich in den Mönchsstand berufen fühlte oder ins Priesteramt. Auf diese besondere geistliche Berufung bildeten sich viele etwas ein. Sie hatten besondere Gelübde abgelegt, hatten als Priester eine besondere Weihe empfangen, und so waren sie auch etwas besonderes: von Gott berufen. – Martin Luther hat betont, dass jeder Mensch von Gott berufen ist: berufen, für seinen Nächsten da zu sein mit Worten und Taten, in Glauben und Liebe zu leben, so dass der Mitmensch etwas von Gottes Liebe mitbekommt, auch und gerade in der alltäglichen Arbeit. So mag der eine die Berufung haben, auf der Kanzel das Wort Gottes zu sagen. Und der andere hat die Berufung, Schuhe oder Kleidung herzustellen. Der eine mag die Berufung haben, für das Seelenheil der Menschen zu beten. Und der andere hat die Berufung, für die leibliche Gesundheit der Menschen zu sorgen. Jeder Beruf, dem wir nachgehen, jede Aufgabe, die wir wahrnehmen, jede Begegnung, der wir uns stellen, kann mehr sein als ein Job, den wir zu tun haben. Wir könne, wir sollen darin unsere Berufung, Gottes Berufung erkennen.

Mit deinen Gaben und Aufgaben bist auch du zu etwas Besonderem berufen. Du sollst deine Berufung entdecken und leben, in dem, was du zu tun hast, was deine Gaben und Aufgaben sind, was dir vor die Füße gelegt ist. Du sollst und darfst dich in allem, was du tust, dem Herrn Jesus Christus verpflichtet wissen und deinem Mitmenschen. Du bist berufen, ihm auf deine Weise das Evangelium zu verkündigen.

Sonntag, 22. Juni 2014

Predigt am 22. Juni 2014 (1. Sonntag nach Trinitatis)

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft. Und diese Worte, dich dich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
5. Mose 6, 4-9


Liebe Schwestern und Brüder,
Gebt einander die Ringe als Zeichen eurer Liebe und Treue.
Wie letzten Sonntag das Wort vom Küssen so steht auch diese Woche ein Satz aus der Trauung am Beginn der Predigt:
Gebt einander die Ringe als Zeichen eurer Liebe und Treue.
Weil es auch diese Woche um die Liebe geht.
Weil es immer um die Liebe geht.
Weil es um Gott geht, der die Liebe ist.
Und weil es um uns geht, die wir von der Liebe leben.
Wie der Kuss ein Zeichen der Liebe ist, so ist auch der Ring ein Zeichen der Liebe.
Nur: weniger flüchtig als ein Kuss.
Gebt einander die Ringe als Zeichen eurer Liebe und Treue.
Und sie stecken einander die Ringe an den Finger.
Und da sollen sie bleiben.
Denn die Liebe soll bleiben:
so lange wir leben,
in guten und in bösen Tagen,
bis der Tod uns scheidet.
Ja, mit Gottes Hilfe.
So haben sie es einander gerade versprochen.
So haben sie sich zueinander bekannt.
Und die Ringe sind sichtbare Zeichen,
Merkzeichen, dass dieses Bekenntnis gilt.
Natürlich ginge es auch ohne.
Ohne Ringe, ohne Trauung, ohne sichtbare Zeichen.
Denn die Liebe kommt ja nicht vom Ring.
Sie kommt vom Herzen, aus dem innersten Inneren.
Wir wollen einander lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all unsrer Kraft.
Aber wie gut ist es doch, wenn es dafür äußere Zeichen gibt. Zeichen, an denen wir die Liebe erkennen. Zeichen, die nicht flüchtig sind: wie etwa ein Kuss.
Es gibt Tage, habe ich letzte Woche erwähnt, an denen ich meine Frau nicht küsse. Aber deswegen lege ich noch lange nicht meinen Ring ab. Er bleibt.
Denn ich will sie lieben und ehren – nicht nur in guten Tagen, auch in weniger guten.
Ich will ihr treu sein. Nicht nur, wenn es leicht fällt, sondern auch wenn nicht alles stimmt. Auch wenn andere mir gefallen, mich faszinieren, mich verlocken.
Da ist der Ring; ich nehme ihn nicht ab. Er sagt mir und allen anderen: Ich bin der Einen treu.
Eine ganze Zeit lang konnte ich meinen Ring nicht tragen. Er war kaputtgegangen. Letztes Jahr in Deutschland habe ich ihn zum Juwelier meines Vertrauens gebracht. Die Reparatur war teurer als ein neuer Ring. Aber es sollte der gute alte bleiben: den mir Andrea damals angesteckt hat, in der ihr Name eingraviert ist und der Tag unserer Trauung.
„Willst du ihn gleich anstecken?“, fragte mich der Juwelier, als ich den Ring wieder abholte. – „Ja, natürlich.“
Seitdem trage ich ihn wieder:
In guten und in bösen Tagen – bis der Tod uns scheidet.
*
Vor Jahrtausenden hat Gott einen Ehebund geschlossen: mit seinem Volk Israel.
Einen Bund der Liebe und der Treue.
Einen unauflöslichen Bund.
Gott liebt sein Volk: von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller seiner Kraft.
Und er wünscht sich von seinem Volk, dass es ihn ebenso liebt: von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller seiner Kraft.
Und damit Israel das nie vergisst, hat Gott ihm Merkzeichen seines Bundes gegeben:
Seine Gebote.
Wenn Juden bis heute die Gebote Gottes so penibel genau nehmen, dann hat das mit ihrer Liebe und Treue zu Gott zu tun. Sie fragen nicht danach, wie sinnvoll jedes einzelne dieser Gebote ist; sie sind einfach Zeichen der Liebe.
Die Beschneidung.
Wenn Juden ihre kleinen Jungs am achten Tag beschneiden, dann hat das mit ihrer Liebe und Treue zu Gott zu tun. Die Beschneidung ist Zeichen des Liebesbundes mit Gott – schon seit Abrahams Zeiten.
Diese Worte selber:
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
Das Bekenntnis der Juden zu ihrem Gott – bis heute: Sch’ma Jisrael, adonaj elohenu, adonaj echad.
Sie sprechen es täglich, so wie viele von uns das Vaterunser. Damit sie es immer im Herzen haben.
Sie geben es weiter an ihre Kinder, von Generation zu Generation, seit Jahrtausenden.
Und sie binden es sich mit ihren Gebetsriemen in kleinen Kapseln auf die Hand und auf die Stirn, so wie es hier gesagt ist. Wahrscheinlich habt ihr das auch schon gesehen auf Bildern von frommen Juden.
Und sie schreiben es auf die Pfosten ihres Hauses; dort in Israel oder wo auch immer sie leben in dieser Welt.
Das sind Merkzeichen für die Liebe Gottes zu seinem auserwählten Volk.
Angefeindet und ausgelacht wurden sie – und werden sie – für diese Zeichen:
Muss man es so genau nehmen mit alten religiösen Vorschriften?
Muss man Kinder verletzen in einem archaischen Ritus?
Braucht man genau diese Worte, um den Glauben an Gott zu bekennen?
Nein, man muss nicht.
Man muss auch keinen Ehering tragen, wenn man verheiratet ist.
Man muss auch nicht heiraten, wenn man sich liebt.
Aber es ist gut, der Liebe eine verbindliche Gestalt zu geben. Und verbindliche Zeichen.
Angefeindet und ausgelacht wurden sie – und werden sie.
Gehasst, verfolgt, boykottiert und getötet wurden sie – und werden sie.
Natürlich nicht für diese Zeichen, sondern dafür, wofür sie stehen: Fürr den unauflöslichen Liebesbund mit Gott.
Dafür, dass sie daran festhalten, Gottes auserwähltes Volk zu sein.
Es ist inzwischen über zwei Jahrzehnte her, dass ich in Israel war. Damals, vor Beginn der ersten Intifada, waren die Verhältnisse, verglichen mit heute, noch geradezu friedlich. Wir fuhren mit unserem jüdischen Begleiter nach Bethlehem, um die Geburtskirche zu sehen und palästinensische Christen zu treffen. Dort in Bethlehem nahm er plötzlich seine Kippa ab und ließ sie in der Tasche verschwinden. Er fürchtete sich, als Jude erkannt zu werden. Das hat mich damals tief beeindruckt und erschüttert. Was damals in Bethlehem war, kann heute schon in Berlin passieren: dass du als Jude angegriffen und zusammengeschlagen wirst, wenn du die Kippa trägst. Und dann versteckst du lieber dieses Zeichen, das dich als frommen Juden erkennbar macht…
Ich denke an die drei Jungs – Eyal, Gilad und Naftali –, die vorletzte Woche entführt wurden – einfach weil sie Juden sind, erkennbar auch an ihrer Kippa. Und ich denke daran, wie begrenzt das Verständnis und das Mitleid in unseren Medien ist: Talmudschüler, Siedler, unterwegs im Westjordanland – im Grunde genommen sind sie selber schuld; fast so klingt es. Drei Jungs, die dabei sind, die Worte Gottes zu Herzen zu nehmen, die unterwegs waren in einem Land, das seit Jahrtausenden Judäa heißt, weil es das Land der Juden war, gekidnappt von denen, die dieses Land für sich allein beanspruchen, die es judenrein haben wollen.
Die Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk war und ist auch eine Leidensgeschichte. Aber Gottes Volk lebt und es trägt die Zeichen der Liebe Gottes weiter von Generation zu Generation. Wahrscheinlich ist das das größte Wunder der Weltgeschichte und der einzig wahre Gottesbeweis.
*
Liebe Schwestern und Brüder,
vor rund zwei Jahrtausenden hat Gott einen neuen Bund geschlossen: Einen Bund der Liebe und der Treue mit den Menschen, die nicht von Geburt zu seinem Volk gehören.
Gott liebt auch uns von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller seiner Kraft. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig-einen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.
Und er wünscht sich von uns, dass wir ihn genau so lieben: von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller unsrer Kraft.
Und damit wir das nicht vergessen, hat Gott auch uns Merkzeichen seines Bundes gegeben:
Die Taufe und das Abendmahl.
Wenn wir Menschen taufen, dann nehmen wir sie hinein in den Liebesbund Gottes mit den Menschen. Sichtbar. spürbar. Nachweisbar: denn wir tun es unter Zeugen und beurkunden es (wie bei der Trauung).
Wenn wir miteinander an den Tisch des Herrn treten, dann feiern wir den Liebesbund Gottes mit uns Menschen. Sichtbar. Spürbar. Dankbar.
Je länger, je mehr bedauere ich, dass wir das Mahl des Herrn nicht in jedem Gottesdienst feiern, so wie unsere katholischen Schwestern und Brüder.
Gottes Worte, die er uns durch Jesus Christus sagt.
Die lesen wir in jedem Gottesdienst. Sie sollen uns vertraut werden – auch durch stetige Wiederholung. Wie Evangelium, Wochenspruch und Psalm, die sich Jahr für Jahr wiederholen.
Und wir predigen Gottes Worte in jedem Gottesdienst. Sie sollen uns zu Herzen gehen.
Und wir nehmen sie mit in unseren Alltag. Wir sollen sie leben und weitersagen.
An alten Häusern finden wir manchmal noch Bibelworte angeschrieben.
In unseren Häusern hängt vielleicht aus Großmutters Zeiten ein gesticktes Bibelwort, das wir nie vergessen werden. Oder aus neueren Zeiten ein Poster, ein Kalender, eine Karte mit einem Bibelwort.
Wie viele Bibelworte habe ich eigentlich von solchen Karten, Postern und Kalendern gelernt?
Und als drittes Merkzeichen: das Kreuz Jesu.
Am Kreuz zeigt Gott der Welt, wie sehr er uns liebt.
Im Kreuz haben Taufe und Abendmahl ihren tiefsten Grund.
Im Kreuz haben die Worte Gottes ihren Mittelpunkt.
Hinterfragt und vergessen werden sie heute oft genug, diese Merkzeichen des Glaubens:
Liebt Gott etwa nur die Menschen, die getauft sind und zum Abendmahl gehen?
Kann man die alten Worte der Bibel wirklich noch verstehen und erstnehmen?
Ist das Kreuz als Zeichen der Liebe Gottes nicht überbewertet? Will Gott nicht das Leben?
Ja, man kann alles hinterfragen. Und in der Tat liebt Gott uns trotz alledem.
Ja, man kann alles vergessen. Und Gott wird uns dennoch nicht vergessen.
Aber ich glaube, Gott tut es weh, wenn er keine Zeichen unserer Gottesliebe mehr an uns sieht.
Und ich glaube, es tut auch unserem Verhältnis zu Gott selber nicht gut, wenn es keine sichtbaren Zeichen seiner Liebe mehr in unserem Leben gibt.
So wie ich weiterhin meinen Ehering trage, so wie ich weiterhin meine Frau küsse, so will ich auch weiterhin erkennbar als Christ leben.
Gewiss ist das für mich als Berufschrist ein bisschen einfacher.
Aber auch ihr könnt euch Merkzeichen des Glaubens setzen und bewahren:
Wenn ihr mit uns Gottesdienst feiert.
Wenn ihr Worte der Bibel lest oder sichtbar in euren Häusern habt.
Vielleicht auch ein Andachtsbild oder ein Kruzifix.
Wenn ihr betet. Zum Beispiel das Vaterunser.
Wenn ihr mit euren Kindern und Enkeln von eurem Glauben sprecht.
Wenn ihr auch vor Freunden, Nachbarn und Kollegen zu eurem Glauben steht.
Und wenn ihr eurem Mitmenschen mit Liebe und Achtung begegnet – so wie Gott euch geliebt hat.
Auf jeden Fall sollt ihr das nie vergessen: Dass ihr mit Gott verbunden seid durch das unauflösliche Band seiner Liebe.


Sonntag, 15. Juni 2014

Predigt am 15. Juni 2014 (Trinitatis – Tag der Heiligen Dreifaltigkeit)

Liebe Schwestern und Brüder, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, seid eines Sinnes, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt einander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
2. Korinther 13, 11-13


Liebe Schwestern und Brüder,
Ihr dürft euch jetzt küssen.
Wenn Braut und Bräutigam einander das Ja-Wort gegeben haben, wenn sie einander die Ringe angesteckt haben als Zeichen der Liebe und Treue und wenn ich die Verbindlichkeit der Ehe bestätigt habe mit den Worten des Herrn: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden, dann ist der Moment gekommen, wo die beiden sich küssen sollen, wollen und dürfen. Für manche der Höhepunkt der Trauzeremonie. Ihr dürft euch jetzt küssen. – Im Grunde genommen, denke ich manchmal: Das ist doch Quatsch. Sie haben sich doch schon vorher geküsst, von anderem ganz zu schweigen. Ja, auch die Zeiten, wo die Verlobung mit dem ersten Kuss vollzogen wurde bzw. umgekehrt: der erste Kuss schon die Verlobung bedeutete, diese Zeiten sind lange vorbei. Es wird munter geküsst – nicht erst vor dem Traualtar, sondern auch vor, während und neben der Ehe. – Und trotzdem: Der Kuss bei der Trauung soll sein, denn er ist Ausdruck der Liebe und der engen Gemeinschaft der beiden, die wir da vermählen. Wir zwingen sie nicht dazu; wir erlauben es und wir segnen es: Ihr dürft euch jetzt küssen.
In der Kirche wird sonst aber üblicherweise nicht geküsst. Schade eigentlich!
Der Apostel Paulus hat der Kirchengemeinde von Korinth im Grunde genommen genau dasselbe geschrieben: Ihr dürft euch jetzt küssen. – Ich stelle mir vor, wie der Brief im Gottesdienst verlesen worden ist, und am Ende hört die Gemeinde: Ihr dürft euch jetzt küssen. Bzw.: Grüßt einander mit dem heiligen Kuss. – Und dann beginnt die Knutscherei in der Kirche…
Daraus ist ein gottesdienstlicher Brauch entstanden, den wir bis heute praktizieren. Nun ja: Wir küssen uns nicht wirklich … leider! Wir haben den Kuss ein bisschen vergeistigt. Statt Ihr dürft euch jetzt küssen oder Grüßt einander mit dem Heiligen Kuss, sagen wir: Gebt einander ein Zeichen des Friedens. – Ja, richtig: unser Friedensgruß im Gottesdienst ist aus dem alten biblischen Brauch des heiligen Kusses entstanden. – Und ein Zeichen des Friedens – das muss ja nicht unbedingt nur ein Händedruck sein; eine Umarmung geht auch – oder vielleicht doch sogar ein besito – ein heiliges Küsschen.
Was ist eigentlich so toll am Küssen? – Nun, bei den richtig intensiven erotischen Küssen ist es letztlich die sexuelle Erregung. Aber das ist vielleicht nicht das Thema beim Heiligen Kuss des Paulus oder beim Friedensgruß in der Gemeinde. – Wahrscheinlich war die erotische Komponente beim Küssen auch ein Grund, weshalb das Küssen in der Kirche bald außer Gebrauch gekommen ist. – Nein, es küssen sich ja auch Eltern und Kinder, Omas und Enkel, Freundinnen, Bekannte und kommunistische Parteichefs; das ist alles eher nicht erotisch. Aber es ist ein sichtbarer, spürbarer Ausdruck von Nähe. Körperliche Nähe drückt emotionale Nähe aus. Normalerweise. – Und dass das normalerweise so ist, macht dann einen Judaskuss eben besonders schlimm: Da begeht einer unter dem Ausdruck größter Nähe Verrat. Ein Kuss kann auch eine Lüge sein.
Ob und wie ich einen Menschen küsse, drückt letztlich aus – mit vielen kulturellen Unterschieden, versteht sich –, wie nahe ich ihm stehe, wie unser Verhältnis ist: Wen ich küsse, dem stehe ich grundsätzlich nahe.
Das kann natürlich schwanken. Selbst in unserer Ehe gibt es Tage, wo wir uns nicht küssen. Da sind wir wegen irgendwas sauer aufeinander, haben uns gestritten, es gibt Differenzen; wir fühlen uns einander nicht so nahe, dass wir uns küssen müssten. Aber umgekehrt gibt es auch Tage, wo wir so harmonisch gestimmt sind, uns einander so nahe und verbunden fühlen, dass wir gar nicht anders können, als uns zu küssen. Und zwischen einem Nichtkusstag und einem Kusstag steht meistens so etwas wie eine Versöhnung: Jetzt ist alles in Ordnung; jetzt können wir uns wieder küssen. Ein Kuss wird zum Zeichen des Friedens und der Versöhnung.
Die Kirchengemeinde von Korinth war bekannt dafür, dass es dort immer wieder Streit und Differenzen gab. Ja, wenn man die Briefe des Apostels Paulus an die Korinther liest, gab es nirgends in den jungen christlichen Gemeinden so viel Ärger, so viel Streit, so viel Rechthaberei und Grüppchenbildung wie in Korinth. – Wenn Paulus nun am Ende seines Briefes schreibt: Ihr dürft euch jetzt küssen, dann steht dahinter natürlich der große Wunsch, sie mögen sich versöhnen, den Streit beilegen, aufeinanderzugehen – und, ja, sich umarmen und küssen. Nicht weniger wünscht er sich: die große Versöhnung, den heiligen Kuss:
Freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, seid eines Sinnes, haltet Frieden!
Und dann dürft ihr euch auch küssen.
Und was macht diesen Kuss zu einem heiligen Kuss? – Dass Gott dahintersteht. Gott möchte es, dass wir uns so nahe sind, dass wir uns küssen können. Er ist der Gott der Liebe und des Friedens. Darum geben wir einander ein Zeichen des Friedens und der brüderlichen Liebe.
Gott steht immer dahinter, wenn Menschen aufeinanderzugehen, sich nahekommen, sich versöhnen, Frieden schließen, einander in Liebe begegnen. Darum sind die Küsse der Liebe und des Friedens heilige Küsse.
Gott steht dahinter – das heißt: Er steht nicht nur dabei, wie der Pfarrer bei der Trauung – ich kann da ja nicht mitküssen –, sondern er sucht selber unsere Nähe, unsere Liebe, unseren Frieden. Gott kommt uns Menschen so nahe, dass wir uns von ihm geküsst fühlen dürfen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! – Ihr kennt das. Ich sage es oft als Gruß vor der Predigt. Weil die Predigt eine der Möglichkeiten Gottes ist, um uns Menschen nahe zu kommen. Vielleicht, hoffentlich, berührt euch hin und wieder das Wort der Predigt. – Dann dürft ihr euch geküsst fühlen. Nicht von mir, sondern von Gott.
Geküsst von dem dreieinigen Gott, der in seiner Gnade als Mensch zu den Menschen geht und ihnen so nahe kommt, dass sie ihn körperlich berühren können. Mit echten Küssen der Verehrung – so wie jene Frau, die ihn gesalbt hat. Oder auch mit falschen Küssen des Verrats – so wie Judas. Sogar dass erträgt er, und das ist Gnade.
Geküsst von dem dreieinigen Gott, der uns in Liebe erträgt und unsere Welt bewahrt, in der wir doch oft so weit entfernt sind von Gottes Liebe. Aber er kündigt uns seine Liebe nicht auf.
Geküsst von dem dreieinigen Gott, der Gemeinschaft entstehen lässt, der unsere Herzen erhebt und beflügelt, der unser Denken und Fühlen in Richtung auf Gott hin bewegt und in Richtung auf unsere Menschenschwestern und -brüder.
Dreifach geküsst von dem dreieinigen Gott.
Heute am Tag der heiligen Dreifaltigkeit denken wir daran, dass es mit Gott nicht immer so einfach ist: er begegnet uns dreifach, dreifaltig, dreieinig. Es ist wohl deshalb nicht so einfach mit Gott, weil es mit der Liebe und dem Frieden nicht so einfach ist.
Zur Liebe braucht es mindestens zwei. Da gibt es Gemeinsamkeiten und Differenzen. Aufeinanderzu und Voneinanderweg. Einheit und Verschiedenheit. Nicht Einfachheit oder Einfältigkeit. Genau so wie es zum Küssen immer zwei braucht.
Ja, und dann muss es noch irgendwas geben, was die zwei zueinander zieht, miteinander verbindet. Eine Idee, eine Sehnsucht, ein Gefühl, das in beiden ist – ein gemeinsamer Geist. Daraus wird Liebe und Frieden.
So ungefähr können wir etwas vom Geheimnis der Dreieinigkeit erahnen. Gott ist Liebe. Ein einfältiger Gott wäre sich selbst genug. Der dreifaltige Gott ist Liebe. Und diese Liebe ist groß genug für uns, für seine Geschöpfe.
Gott berührt uns mit seinem heiligen Kuss. Er wirkt Frieden, Versöhnung und Gemeinschaft mit uns und unter uns. Und so geben wir einander Zeichen des Friedens, der Versöhnung und der Gemeinschaft. – Ob wir uns nun wirklich küssen, oder ob wir uns die Hand reichen und sagen: „Schön, dass du da bist, du geliebtes Gotteskind! Friede sei mit dir!“