Ich
lasse euch aber wissen, liebe Brüder: Wie es um mich steht, das ist
nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine
Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei
allen offenbar geworden, und die meisten Brüder in dem Herrn haben
durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner
geworden, das Wort zu reden ohne Scheu. Einige zwar predigen Christus
aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese
aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums
hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht
lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner
Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird
auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue
ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn
ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und
durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte
und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass
frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht
werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder Tod. Denn Christus ist
mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Philipper 1, 12-21
Liebe Schwestern und Brüder,
für mich ist heute ein Freudentag. Für
viele andere auch. Heute wird Joachim
Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Ich freue mich nicht so
sehr deswegen, weil Gauck ein Mann aus dem Osten ist oder weil er ein
Pfarrer ist. An guten Leuten aus dem Osten mangelt es auch so nicht.
Und andererseits würde ich nicht jeden Pfarrer, der sich in der Wendezeit als Bürgerrechtler
profiliert hat, heute gerne als Bundespräsidenten sehen.
– Aber Joachim Gauck, sehr wohl. Weil er ein großes Thema hat: die
Freiheit. Freiheit in Verantwortung. Das ist auch für mich ein ganz
großes Thema. Und mehr noch: weil für ihn die Freiheit im Grunde
aus dem Glauben kommt. Seine Freiheit ist die Freiheit eines
Christenmenschen.
So hoch er die politische Freiheit und
die konkreten Freiheiten, die wir in einem demokratischen Rechtsstaat
haben, schätzt, die eigentliche Freiheit, die innere Freiheit, die
hatte er schon unter den schwierigen Bedingungen in der DDR: Die
Freiheit, nicht mitmachen zu müssen, was von allen erwartet wurde.
Die Freiheit, sich eine eigene Meinung zu bilden und sie zu
vertreten. Die Freiheit, zu glauben, was ihm glaubwürdig war, und
nicht, was uns an kommunistischen Glaubenssätzen eingetrichtert
wurde. Und genau diese Freiheit, die hat Gauck in der christlichen
Kirche und in der biblischen Botschaft gefunden.
Nein, er wollte ursprünglich sicher
nicht Pfarrer werden, lieber Journalist. Aber das ging nicht. Er
studierte Theologie, die wohl letzte Möglichkeit freier akademischer
Bildung im sozialistischen Zwangssystem. Und selbst die noch mit dem
Zwang zum Grundstudium des Marxismus-Leninismus – jedenfalls an der
staatlichen Universität, wo Gauck studierte. – Obwohl es nicht der
Weg war, zu dem er sich unbedingt berufen fühlte, ist er doch kein
ungläubiger Pfarrer geworden. Im Gegenteil: Wenn man in seiner
Autobiographie liest, dann erfährt man, wie er seiner Berufung nach
und nach gewiss wurde, indem er Glauben lernte und im Glauben die
Wahrheit fand, die frei macht.
Es war eine Wahrheit, die sich nicht
von selbst verstand, die durchlebt und durchzweifelt werden musste,
und dann doch da war als die tiefe Gewissheit: Ja, ich bin getragen,
was immer auch geschieht.
Ich habe vieles anders erlebt als
Joachim Gauck, aber das habe ich auch erlebt: Der christliche Glaube,
die Rückbindung an Gott, den Grund meines Lebens, die Menschen in
den kirchlichen Räumen, sie haben mich die Freiheit gelehrt. In
unseren Jugendkreisen haben wir geredet und gefragt, diskutiert und
gezweifelt, und wir waren darin frei. Wir haben uns entschieden für
einen Weg, der nicht angepasst war, und der am Ende doch aus vielen
Kompromissen bestand. Ich habe mit vielen anderen die Schikanen auf
mich genommen, die man als Wehrdienstverweigerer bei den Bausoldaten
erleben musste, und doch habe ich selten so viel geistige Freiheit
erlebt, wie in der Gemeinschaft dieser ganz unterschiedlichen
kritischen jungen Männer.
Auch ich habe Theologie studiert und habe
es an der Kirchlichen Hochschule nachgerade als Erweckungserlebnis
erfahren, wie freies, kritisches Denken aussehen kann. Z.B. als unser
Philosophie-Lehrer Richard Schröder, dann auch einer der wichtigen
Politiker von 89/90, mit uns die marxistischen Lehrsätze demontiert
hat und uns richtige Philosophie gezeigt hat.
Nein, es ist kein Zufall, dass die
Freiheitsbewegung von 1989 aus den Kirchen kam. Es war nicht nur der
schützende Raum der letzten unabhängigen Großorganisation in der
DDR; es war vor allem das, was diesen Raum ausmachte: Es war ja ein
Raum der Begegnung, des Vertrauens, der Freiheit – inmitten einer
uniformierten Gesellschaft, die vom Misstrauen gezeichnet war. Hier
wuchs die innere Freiheit, die nach außen drängte. Denn die
Freiheit des Geistes, die ihren Grund in Gott hat, sie machte die
Freiheitsbewegung, das Eintreten für die äußere Freiheit erst
möglich.
Es ist paradox: Wo wir geneigt sind zu denken, wir
brauchten erst die äußere Religions- und Glaubensfreiheit, um dann
frei glauben zu können, da zeigt sich: Die innere Freiheit des
Glaubens ist auch schon da, wo Zwang und Unfreiheit ist, und erkämpft
für sich und andere dann auch die Freiheit, in der wir ungezwungen
glauben und leben können.
Es ist die Erfahrung, die die
christliche Kirche immer wieder gemacht hat: Fast 300 Jahre
Unterdrückung und Verfolgung haben die innere Freiheit der Christen
nicht ausgelöscht, sondern haben das Christentum zur stärksten und
einflussreichsten Religion im Römischen Reich werden lassen, die
schließlich nicht mehr ignoriert werden konnte. Sie wurde
schließlich von Kaiser Konstantin den anderen Religionen
gleichgestellt und bald sogar bevorzugt. – Man kann die Konstantinische Wende im Nachhinien beurteilen wie man will: Für die
Christen war das eine unglaubliche Befreiungserfahrung.
Drohungen, Zwang, Unterdrückung und
Religionskriege haben die evangelische Wahrheit in der
Reformationszeit und danach nicht zum Verstummen gebracht. Heute
können wir in großer Freiheit evangelisch glauben und bekennen,
auch in einst katholischen Landen. Für evangelische wie katholische
Christen ist Religionsfreiheit zur Selbstverständlichkeit geworden.
Die Freiheit des Glaubens trotz Zwang,
die Freiheit des Glaubens, die nach außen drängt, die sich nicht
aufhalten lässt – darüber schreibt der Apostel Paulus in seinem
Brief an die Philipper.
Es ist ein Gefängnisbrief. Gefängnis
heißt eigentlich Freiheitsentzug. Paulus, sonst immer unterwegs,
immer aktiv in Sachen Glauben und christliche Freiheit, kann nicht,
wie er will, sitzt fest. Muss zusehen, wie es ohne ihn läuft. Wie
wir seinen Worten entnehmen können, muss er sogar mit dem
Schlimmsten rechnen – der Todesstrafe. Aber Paulus schreib: Ich
freue mich. Und selbst durch
seinen Tod, werde ja noch Christus verherrlicht, und für ihn, dessen
Leben, dessen Lebensinhalt Christus ist, ist auch Sterben letztlich
noch Gewinn.
Ich freue mich, und ich werde mich
auch weiterhin freuen. – Der
ganze Philipperbrief ist ein Brief der Freude. Nirgendwo sonst kommt
die Wörter freuen und
Freude häufiger vor in der
Bibel als hier. Diese Freude hat mit der Freiheit zu tun, mit der
inneren Freiheit, der keine Ketten, kein Gefängnis, keine Mauer
etwas anhaben kann.
Während Paulus im
Knast sitzt, läuft draußen Gottes Wort weiter. Paulus kann nicht
mehr öffentlich reden und wirken. Dafür tun es andere. Nicht immer
aus lauteren Motiven, aber egal, so lange sie das Evangelium von
Christus, das Evangelium von der Freiheit verkündigen, ist alles
gut.
Und drinnen im
Knast, da läuft es auch. Da macht Paulus selber Eindruck durch seine
innere Freiheit, die er ausstrahlt. Alle wissen, warum er da ist: für
Christus, für das Evangelium. Wer unter dem Wachpersonal vorher noch
keine Ahnung hatte, was es damit auf sich hat, der weiß es
inzwischen.
Man wollte Gottes
Wort in Gestalt des Apostels einsperren, und nun läuft es noch viel
besser als zuvor.
Das ist dieselbe
Erfahrung, von der ich gesprochen habe: Die christliche Freiheit
lässt sich nicht unterdrücken und einsperren. Sie drängt nach
außen. Sie schafft sich ihre Freiräume. Sie macht Menschen mutig
und frei. Ja, sie führt letztlich auch in eine freie Gesellschaft, in der die
Wahrheit Raum hat.
Es ist
schon paradox. Man könnte fast meinen: Zu viel Freiheit tut der
christlichen Botschaft nicht gut. Religionsfreiheit heißt eben auch:
nicht glauben dürfen oder anders glauben dürfen oder gleichgültig
sein dürfen. Diese Gleichgültigkeit macht uns heute zu schaffen.
Wir haben so viele Möglichkeiten, dass uns der Glaube nur noch wenig
berührt und die selbstverständliche Freiheit nicht mehr kostbar ist. – Manche sagen: Damals in der DDR, da haben wir treuer,
überzeugter, vielleicht sogar mit größerer innerer Freiheit
geglaubt. – Das mag vielleicht im Einzelfall so sein; aber sollten
wir uns deshalb nach der Unfreiheit zurücksehnen? Und sollten wir
deshalb vergessen, dass der Zwang Menschen auch unfrei gemacht hat in
ihren Herzen? Dass manche dem Druck unterlegen waren und die
christliche Freiheit nicht bewahren konnten? Und dass die Unfreiheit
auch unsere Herzen und Seelen deformiert hat, weil wir uns unbewusst
anpassten, weil wir Kompromisse machten? – Wären wir denn wirklich
auch bereit gewesen, für unseren Glauben ins Gefängnis zu gehen?
Und dann noch uns zu freuen, wie Paulus?
Ich freue mich, zumindest bin ich
dankbar, dass es immer wieder Menschen gab und gibt, die das konnten
und die das können. Menschen, in denen der Glaube so stark ist, dass
er dem Zwang widersteht, selbst wenn es ans Leben geht.
Ich denke an einen anderen Pfarrer aus
DDR-Zeiten: Siegfried Schmutzler. Er war in den 50-er Jahren
Studentenpfarrer in Leipzig und hat dann vier Jahre im Gefängnis
gesessen – dafür, dass er seine ganz normale Arbeit getan hat:
jungen Menschen das Wort Gottes gesagt, so dass sie gemerkt haben,
dass es das Wort der Freiheit ist, unter den bedrückenden
Verhältnissen dieser Zeit, und er ist mit ihnen zusammen zu den
Arbeitern und einfachen Leuten in der Industrieregion Böhlen
gegangen und hat dort für den Glauben geworben. Das alles hat man
ihm verübelt und ihn aus dem Verkehr gezogen. Gebrochen worden ist
er dadurch nicht. Und das Wort von der christlichen Freiheit wurde
auch nicht zum Verstummen gebracht.
Ich denke an die Schwestern und Brüder,
die heute anderswo in der Welt für ihren Glauben leiden. Z.B. an die
26-jährige Shamim Bibi aus Pakistan, Mutter eines fünf Monate alten
Kindes, die vor kurzem unter dem Vorwurf der Blasphemie verhaftet
wurde, angezeigt von Nachbarn, sie hätte den Propheten Mohammed
beleidigt. Sie hatte sich wohl nur geweigert, als Christin zum Islam
überzutreten. Kein Einzelfall.
Menschen wie sie, Menschen, die für
ihren Glauben mit dem Leben einstehen, die für ihre innere Freiheit
ihre äußere Freiheit verlieren, sie sind diejenigen, durch die das
Wort Jesu Christi läuft und Menschen frei macht, innerlich und
äußerlich.
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