4. Mose (Numeri) 21, 4-9
Liebe Schwestern
und Brüder,
sie hatten
geträumt vom Gelobten Land und sind aufgewacht in der Wüste. Sie
hatten sich überreden lassen zur Freiheit, damals als alles besser
erschien als die Sklaverei in Ägypten, und erlebten nun einen
täglichen Kampf ums Überleben. Damals waren sie wohl versorgt; denn
Sklaven lässt man nicht verhungern, sie sollen ja ihre
Arbeitsleistung bringen. Jetzt mussten sie für sich selber sorgen.
Keiner stellte ihnen Fleischtöpfe bereit. Niemand baute ihnen ein
Dach über den Kopf.
Sie waren frei,
aber die Freiheit war mühsam. Jeden Tag führte der Weg ein Stück
weiter ins Unbekannte. Jeden Morgen fanden sie den süßen
Tamariskenhonig unter den Sträuchern – Manna hatten sie ihn
genannt, und es war ihnen erschienen, als hätte Gott es persönlich
vom Himmel fallen lassen. Unterwegs war ihnen immer wieder Gott
begegnet: War ihnen als Wolke und als Feuer Wegweiser und Schutz.
Hatte sie durch ein unglaubliches Wunder vor dem ägyptischen Heer
errettet, das ihnen nachsetzte. Hatte sie vor Hunger und Durst, vor
Feinden und Irrwegen bewahrt. Hatte ihnen Gebote und Ordnungen zum
Leben gegeben. Und hatte ihnen versprochen, dass sie eines Tages
ankommen würden im Gelobten Land.
Sie waren frei.
Sie waren auf sich gestellt. Nein, sie waren auf Gott gestellt. Der
Weg in die Freiheit war ein Weg des Glaubens, des Gottvertrauens.
Und das war ihnen
unterwegs abhanden gekommen. Das unbehauste Unterwegssein wurde ihnen
unerträglich. Das Brot vom Himmel, das Manna, ekelte sie. Der Weg ins
Gelobte Land war ihnen nur noch ein Irren durch die Wüste. Und die
Bewahrung, die sie erlebt hatten, war ihnen doch nur ein
Hinausschieben des unausweichlichen Todes.
Als sich dann die
Wegrichtung wieder änderte, weg vom Ziel, dahin zurück, wo sie
schon gewesen waren, da brach sich der Verdruss Bahn in offenem
Protest gegen Gott und seinen Mittelsmann, Mose: „Warum? Wären wir
doch nie losgegangen! Hätten wir doch nie auf dich gehört!“
Es war ein
sinnloser Protest. Denn ein Zurück gab es nicht. Bis hierher und
nicht weiter, ging auch nicht, denn die Wüste ist kein Ort zum
Bleiben. Es musste ja weiter gehen.
Es war vor allem
eines: Die Aufkündigung des Gottvertrauens. Bis hierher hat mich
Gott gebracht, aber hierher wollte ich nicht. Also jetzt weiter ohne
ihn!
Dann seht zu, wie
ihr weiter kommt ohne mich, sagte Gott. Und er schickte die
Schlangen. Giftige Schlangen, deren Biss tödlich ist. Sterben in der
Wüste – das könnt ihr haben, sagte Gott. Bis hierher habe ich euch
bewahrt und am Leben erhalten, nun seht zu, wie ihr ohne mich leben
könnt!
Was haben sie denn
getan, dass Gott ihnen sogleich die tödliche Strafe schickt? –
Nun, sie haben ihr Vertrauen weggeworfen, ihr Gottvertrauen, ihren
Glauben. Das ist die eigentliche Sünde. Sünde ist nicht: zu viel
Torte essen. Sünde ist nicht: fremden Frauen hinterhersehen. Sünde
ist nicht: fragen und zweifeln. Sünde ist: Gott absagen und
verzweifeln. Sünde ist: Vergessen, was Gott dir Gutes getan hat, und
nichts Gutes mehr von ihm erwarten. – Das ist Sünde!
Sie bekommen,
worauf sie vertrauen: den Tod in der Wüste statt das Leben in der
Freiheit. Der Sünde Sold ist der Tod, heißt
es im Neuen Testament bei Paulus (Römer 6, 23). Ohne Gott ist kein Leben, und wer
die Quelle des Lebens verlässt, dem bleibt nur der Tod. Dem wird
Gottes gute Schöpfung zur lebensfeindlichen Wüste. Das Leben, das
seinen Ort und sein Ziel nur im Hier und Jetzt hat, endet tödlich.
Leben ohne Transzendenz, Leben ohne Gott ist Sein zum Tode – mehr
nicht.
Feurige Schlangen: Sie stehen für diese Ambivalenz der Schöpfung.
Das, was in Gottes Augen gut war, ist für den Menschen nicht gut,
jedenfalls nicht moralisch gut. Die Schlange steht für die
bedrohliche Natur: Dem tödlichen Biss kann der Mensch kaum etwas
entgegensetzen. Und sie steht doch auch für die beherrschbare und
nutzbare Natur: Die Schlange ist Symbol der Heilung, und selbst
Schlangengift kann heilen und Leben retten.
Als
die Schlangen kommen und das Sterben anhebt, beginnt auch das
Begreifen, das Umdenken, die Buße: Wir haben gesündigt. –
Sündenerkenntnis. Sie kommt daher, dass die Konsequenz der Sünde
sofort spürbar wird: Wer Gott verlässt, der ist von Gott verlassen.
Der strafende Gott ist der, der die Menschen zur Umkehr bewegen will.
Der richtende Gott gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Vielleicht
wäre es ja eine größere Gnade, auch wir würden es deutlicher
spüren, dass Gott unsere Gottlosigkeit richtet und straft, als dass
wir in unserem Wohlleben ständig das Gefühl haben: Es geht auch
ohne Gott, und vielleicht sogar besser ohne ihn!
Wir haben
gesündigt, dass wir wider den Herrn und gegen dich geredet haben.
Wir haben gesündigt mit
Gedanken, Worten und Werken. Bitte für uns! – Das Wunderbare ist,
dass die Umkehr möglich ist. Glaube, dass Gott ja doch noch helfen
kann. Hoffnung, dass nicht alles verloren ist.
Der
strafende Gott wird zum rettenden Gott. Nein, er ist schon von
Anbeginn der rettende Gott. Der seine Menschen befreit, geführt,
bewahrt hat – so lange, bis sie selber dessen überdrüssig waren.
Der rettende Gott zeigt mit seinem Strafen an, dass er der rettende
Gott sein und bleiben will.
Wo Einsicht ist, ist Umkehr möglich. Wo Umkehr ist, ist Rettung
möglich.
Freilich
anders als erdacht: Bitte den Herrn, dass er die Schlangen
von uns nehme! – Das hat er
nicht getan.
Gott gab Mose eine merkwürdige Anweisung: eine Schlange aus
Kupferbronze sollte er verfertigen und diese an einer Stange hoch
sichtbar für alle aufstellen. Wer dann auf diese Schlange sah, sollte
gerettet werden.
Was war der Sinn dahinter?
Vielleicht dieser: Sie sollten wieder Gott glauben. Statt auf die
reale Gefahr, auf die lebendigen Schlangen da unten zu starren,
sollten sie nun auf die künstliche Schlange da oben sehen. Das
sollte ihre Rettung sein. Glaube nicht an die Gefahr, glaube an die
Rettung! Und glaube dem Wort Gottes, auch wenn es unsinnig und
unwahrscheinlich klingt! Die eherne Schlange war eine Anleitung zum
Glauben.
Und vielleicht noch ein Sinn dahinter: Die andere Seite des
Schlangensymbols wird hervorgekehrt: die Heilung und das Leben.
Schöpfung wie sie sein soll. Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen
des Lebens.
Schon
in der Bibel, im Neuen Testament, ist diese Geschichte typologisch
auf Jesu Kreuzigung gedeutet worden: Wie Mose in der Wüste
die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,
damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Johannes 3, 14f) –
Diese Typologie ist natürlich auch der Grund, weshalb uns an diesem
Passionssonntag dieser Predigttext gegeben ist.
Ja,
so wie mit der erhöhten Schlange so ist es auch mit dem gekreuzigten
Christus: Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen des Lebens. Wenn wir
auf das Kreuz Jesu sehen, dann sehen wir unser Leiden, unser Sterben,
unseren Tod. Wir sehen es in seiner härtesten Form. Und ich bin
dankbar, dass wir es hier in dieser katholischen Kirche so wie auch
in unseren lutherischen Kirchen gestalthaft als Kruzifix vor Augen
haben, nicht nur als abstraktes Symbol. Hier sehen wir den leidenden
Menschen, der den Tod des Sünders stirbt. – Und in diesem Blick
zum Kreuz, in diesem Blick, der Leiden, Sterben und Tod standhält,
in diesem Blick, der darin zugleich Gottes Liebe erblickt, in diesem
glaubenden Blick, ist unser Leben.
Liebe Schwestern und Brüder, wir träumen immer noch vom Gelobten
Land. Und sind immer noch unterwegs durch Wüsten. Wir haben es uns
inzwischen ganz gemütlich gemacht in unseren Wüsten, kommen oft
auch ganz gut zurecht mit der Freiheit, selber unser Leben zu
gestalten. Aber manchmal kommen wir uns fürchterlich unbehaust vor,
merken, dass wir Mängelwesen sind. Stoßen an unsere Grenzen.
Scheitern an den zerstörenden Kräften der Natur – außerhalb
unser, wenn Naturkatastrophen zuschlagen; innerhalb unser, wenn
Krankheit uns befällt. Scheitern jedenfalls irgendwann zwangsläufig
an der Macht des Todes. – Und scheitern mit unserem Glauben: Wenn
wir nicht mehr sehen, dass Gott uns befreit und bewahrt. Wenn wir das
Ziel aus den Augen verlieren oder wenn wir unsere gemütliche Wüste
schon für das Paradies halten und verzweifeln, wenn wir feststellen,
das ist es nicht.
Manchmal haben wir das Glück, das Gott sich in Erinnerung bringt.
Nicht immer auf die angenehme Art, mitunter auch mit feurigen
Schlangen, wie auch immer die für uns aussehen mögen. Wenn wir uns
dann wieder an Gott wenden, dann sind wir gerettet. Wenn wir
aufschauen zum Kreuz Jesu, dann sind wir gerettet. Wenn wir wieder
gewiss werden, dass Gott alles, aber auch alles getan hat, damit wir
unser Ziel erreichen, dann sind wir gerettet, dann haben wir das
Leben.
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