Montag, 26. März 2012

Predigt am 25. März 2012 (Judika)

Die Israeliten brachen auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: "Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise." Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: "Wir haben gesündigt, dass wir wieder den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme." Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: "Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und siehst sie an, der soll leben." Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die ehern Schlange an und blieb leben.
4. Mose (Numeri) 21, 4-9




Liebe Schwestern und Brüder,

sie hatten geträumt vom Gelobten Land und sind aufgewacht in der Wüste. Sie hatten sich überreden lassen zur Freiheit, damals als alles besser erschien als die Sklaverei in Ägypten, und erlebten nun einen täglichen Kampf ums Überleben. Damals waren sie wohl versorgt; denn Sklaven lässt man nicht verhungern, sie sollen ja ihre Arbeitsleistung bringen. Jetzt mussten sie für sich selber sorgen. Keiner stellte ihnen Fleischtöpfe bereit. Niemand baute ihnen ein Dach über den Kopf.

Sie waren frei, aber die Freiheit war mühsam. Jeden Tag führte der Weg ein Stück weiter ins Unbekannte. Jeden Morgen fanden sie den süßen Tamariskenhonig unter den Sträuchern – Manna hatten sie ihn genannt, und es war ihnen erschienen, als hätte Gott es persönlich vom Himmel fallen lassen. Unterwegs war ihnen immer wieder Gott begegnet: War ihnen als Wolke und als Feuer Wegweiser und Schutz. Hatte sie durch ein unglaubliches Wunder vor dem ägyptischen Heer errettet, das ihnen nachsetzte. Hatte sie vor Hunger und Durst, vor Feinden und Irrwegen bewahrt. Hatte ihnen Gebote und Ordnungen zum Leben gegeben. Und hatte ihnen versprochen, dass sie eines Tages ankommen würden im Gelobten Land.

Sie waren frei. Sie waren auf sich gestellt. Nein, sie waren auf Gott gestellt. Der Weg in die Freiheit war ein Weg des Glaubens, des Gottvertrauens.

Und das war ihnen unterwegs abhanden gekommen. Das unbehauste Unterwegssein wurde ihnen unerträglich. Das Brot vom Himmel, das Manna, ekelte sie. Der Weg ins Gelobte Land war ihnen nur noch ein Irren durch die Wüste. Und die Bewahrung, die sie erlebt hatten, war ihnen doch nur ein Hinausschieben des unausweichlichen Todes.

Als sich dann die Wegrichtung wieder änderte, weg vom Ziel, dahin zurück, wo sie schon gewesen waren, da brach sich der Verdruss Bahn in offenem Protest gegen Gott und seinen Mittelsmann, Mose: „Warum? Wären wir doch nie losgegangen! Hätten wir doch nie auf dich gehört!“

Es war ein sinnloser Protest. Denn ein Zurück gab es nicht. Bis hierher und nicht weiter, ging auch nicht, denn die Wüste ist kein Ort zum Bleiben. Es musste ja weiter gehen.

Es war vor allem eines: Die Aufkündigung des Gottvertrauens. Bis hierher hat mich Gott gebracht, aber hierher wollte ich nicht. Also jetzt weiter ohne ihn!

Dann seht zu, wie ihr weiter kommt ohne mich, sagte Gott. Und er schickte die Schlangen. Giftige Schlangen, deren Biss tödlich ist. Sterben in der Wüste – das könnt ihr haben, sagte Gott. Bis hierher habe ich euch bewahrt und am Leben erhalten, nun seht zu, wie ihr ohne mich leben könnt!

Was haben sie denn getan, dass Gott ihnen sogleich die tödliche Strafe schickt? – Nun, sie haben ihr Vertrauen weggeworfen, ihr Gottvertrauen, ihren Glauben. Das ist die eigentliche Sünde. Sünde ist nicht: zu viel Torte essen. Sünde ist nicht: fremden Frauen hinterhersehen. Sünde ist nicht: fragen und zweifeln. Sünde ist: Gott absagen und verzweifeln. Sünde ist: Vergessen, was Gott dir Gutes getan hat, und nichts Gutes mehr von ihm erwarten. – Das ist Sünde!

Sie bekommen, worauf sie vertrauen: den Tod in der Wüste statt das Leben in der Freiheit. Der Sünde Sold ist der Tod, heißt es im Neuen Testament bei Paulus (Römer 6, 23). Ohne Gott ist kein Leben, und wer die Quelle des Lebens verlässt, dem bleibt nur der Tod. Dem wird Gottes gute Schöpfung zur lebensfeindlichen Wüste. Das Leben, das seinen Ort und sein Ziel nur im Hier und Jetzt hat, endet tödlich. Leben ohne Transzendenz, Leben ohne Gott ist Sein zum Tode – mehr nicht.

Feurige Schlangen: Sie stehen für diese Ambivalenz der Schöpfung. Das, was in Gottes Augen gut war, ist für den Menschen nicht gut, jedenfalls nicht moralisch gut. Die Schlange steht für die bedrohliche Natur: Dem tödlichen Biss kann der Mensch kaum etwas entgegensetzen. Und sie steht doch auch für die beherrschbare und nutzbare Natur: Die Schlange ist Symbol der Heilung, und selbst Schlangengift kann heilen und Leben retten.

Als die Schlangen kommen und das Sterben anhebt, beginnt auch das Begreifen, das Umdenken, die Buße: Wir haben gesündigt. – Sündenerkenntnis. Sie kommt daher, dass die Konsequenz der Sünde sofort spürbar wird: Wer Gott verlässt, der ist von Gott verlassen.

Der strafende Gott ist der, der die Menschen zur Umkehr bewegen will. Der richtende Gott gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Vielleicht wäre es ja eine größere Gnade, auch wir würden es deutlicher spüren, dass Gott unsere Gottlosigkeit richtet und straft, als dass wir in unserem Wohlleben ständig das Gefühl haben: Es geht auch ohne Gott, und vielleicht sogar besser ohne ihn!

Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und gegen dich geredet haben. Wir haben gesündigt mit Gedanken, Worten und Werken. Bitte für uns! – Das Wunderbare ist, dass die Umkehr möglich ist. Glaube, dass Gott ja doch noch helfen kann. Hoffnung, dass nicht alles verloren ist.

Der strafende Gott wird zum rettenden Gott. Nein, er ist schon von Anbeginn der rettende Gott. Der seine Menschen befreit, geführt, bewahrt hat – so lange, bis sie selber dessen überdrüssig waren. Der rettende Gott zeigt mit seinem Strafen an, dass er der rettende Gott sein und bleiben will.

Wo Einsicht ist, ist Umkehr möglich. Wo Umkehr ist, ist Rettung möglich.

Freilich anders als erdacht: Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme! – Das hat er nicht getan.

Gott gab Mose eine merkwürdige Anweisung: eine Schlange aus Kupferbronze sollte er verfertigen und diese an einer Stange hoch sichtbar für alle aufstellen. Wer dann auf diese Schlange sah, sollte gerettet werden.

Was war der Sinn dahinter?

Vielleicht dieser: Sie sollten wieder Gott glauben. Statt auf die reale Gefahr, auf die lebendigen Schlangen da unten zu starren, sollten sie nun auf die künstliche Schlange da oben sehen. Das sollte ihre Rettung sein. Glaube nicht an die Gefahr, glaube an die Rettung! Und glaube dem Wort Gottes, auch wenn es unsinnig und unwahrscheinlich klingt! Die eherne Schlange war eine Anleitung zum Glauben.

Und vielleicht noch ein Sinn dahinter: Die andere Seite des Schlangensymbols wird hervorgekehrt: die Heilung und das Leben. Schöpfung wie sie sein soll. Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen des Lebens.

Schon in der Bibel, im Neuen Testament, ist diese Geschichte typologisch auf Jesu Kreuzigung gedeutet worden: Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Johannes 3, 14f) – Diese Typologie ist natürlich auch der Grund, weshalb uns an diesem Passionssonntag dieser Predigttext gegeben ist.

Ja, so wie mit der erhöhten Schlange so ist es auch mit dem gekreuzigten Christus: Das Zeichen des Todes wird zum Zeichen des Lebens. Wenn wir auf das Kreuz Jesu sehen, dann sehen wir unser Leiden, unser Sterben, unseren Tod. Wir sehen es in seiner härtesten Form. Und ich bin dankbar, dass wir es hier in dieser katholischen Kirche so wie auch in unseren lutherischen Kirchen gestalthaft als Kruzifix vor Augen haben, nicht nur als abstraktes Symbol. Hier sehen wir den leidenden Menschen, der den Tod des Sünders stirbt. – Und in diesem Blick zum Kreuz, in diesem Blick, der Leiden, Sterben und Tod standhält, in diesem Blick, der darin zugleich Gottes Liebe erblickt, in diesem glaubenden Blick, ist unser Leben.


Liebe Schwestern und Brüder, wir träumen immer noch vom Gelobten Land. Und sind immer noch unterwegs durch Wüsten. Wir haben es uns inzwischen ganz gemütlich gemacht in unseren Wüsten, kommen oft auch ganz gut zurecht mit der Freiheit, selber unser Leben zu gestalten. Aber manchmal kommen wir uns fürchterlich unbehaust vor, merken, dass wir Mängelwesen sind. Stoßen an unsere Grenzen. Scheitern an den zerstörenden Kräften der Natur – außerhalb unser, wenn Naturkatastrophen zuschlagen; innerhalb unser, wenn Krankheit uns befällt. Scheitern jedenfalls irgendwann zwangsläufig an der Macht des Todes. – Und scheitern mit unserem Glauben: Wenn wir nicht mehr sehen, dass Gott uns befreit und bewahrt. Wenn wir das Ziel aus den Augen verlieren oder wenn wir unsere gemütliche Wüste schon für das Paradies halten und verzweifeln, wenn wir feststellen, das ist es nicht.

Manchmal haben wir das Glück, das Gott sich in Erinnerung bringt. Nicht immer auf die angenehme Art, mitunter auch mit feurigen Schlangen, wie auch immer die für uns aussehen mögen. Wenn wir uns dann wieder an Gott wenden, dann sind wir gerettet. Wenn wir aufschauen zum Kreuz Jesu, dann sind wir gerettet. Wenn wir wieder gewiss werden, dass Gott alles, aber auch alles getan hat, damit wir unser Ziel erreichen, dann sind wir gerettet, dann haben wir das Leben.

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