Jesaja 50, 4-9
Seht, welch ein Mensch! – Er geht seinen Weg mit Konsequenz und
Hingabe. Er spricht ruhig und überzeugt. Auf Widerspruch reagiert er
sachlich und gelassen. Persönliche Angriffe perlen an ihm ab. Sie
machen sich über ihn lustig, sie schlagen ihm ins Gesicht, sie
speien vor ihm aus und ihn an; er erträgt es. Am Ende werde ich
Recht behalten, ist er überzeugt. Gott ist auf meiner Seite, sagt
er. Was auch geschieht, mir kann nichts geschehen, glaubt er. Am Ende
wird nichts übrigbleiben von denen, die sich jetzt gegen mich
stellen.
So steht er vor unseren Augen, der Prophet. Wir wissen nichts
Konkretes über ihn und sein Schicksal. Aber wir staunen über seine
Selbstgewissheit, über seine Gottesgewissheit.
Wir denken vielleicht an andere Propheten, an Jeremia, der einem
Mordanschlag nur knapp entging; der des öfteren verhaftet wurde und
der doch nicht aufhörte, im Namen Gottes zu reden; der miterleben
musste, wie seine aufgeschriebenen Worte und Reden vom König
verbrannt wurden; der in eine ausgetrocknete Zisterne gesperrt wurde
und am Ende nach Ägypten verschleppt von den Leuten, die er
beständig davor gewarnt hatte, nach Ägypten zu gehen. Dort verliert
sich seine Spur. – Seht, welch ein Mensch!
Ich denke an Martin Luther. Er war nicht immer ruhig, sachlich und
gelassen. Aber konsequent. Was er von Gottes Wort gehört und
verstanden hat, das vertritt er. Davon weicht er nicht ab. Auf dem
Reichstag vor dem Kaiser bekennt er: Sein Gewissen ist in Gottes
Wort gefangen. Er kann nicht widerrufen. „Hier stehe ich, ich kann
nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ Ihm droht der Bann, der
Scheiterhaufen, aber er ist gewiss: Gott ist auf meiner Seite. –
Seht, welch ein Mensch!
Ich denke an Dietrich Bonhoeffer. Er hat im Gefängnis ein Gedicht
geschrieben: „Wer bin ich?“ Darin reflektiert er darüber, wie er
nach außen erscheint:
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bonhoeffer hat offenbar eine Größe und Geradheit eine
Glaubensgewissheit und Stärke ausgestrahlt, die andere beeindruckt
hat. Er hat sich jedenfalls nicht brechen und kleinkriegen lassen.
Und er war einer der wenigen, die den Mut und die Einsicht hatten,
dass der Weg Gottes ein anderer war als der Weg der Masse. Dafür war
er im Gefängnis. Dafür ist er vier Wochen vor Kriegsende noch
hingerichtet worden. – Seht, welch ein Mensch!
Und doch kam er sich selber nicht als der starke, souveräne Sieger
vor, als der er den anderen erschien:
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Seht, welch ein Mensch!
Auch diese Seite ist da: bei Bonhoeffer. Auch bei Luther, der manches
Mal erschrickt und fast verzagt vor dem für ihn kleines Mönchlein
so gewaltigen Auftrag, der ihm zugewachsen ist. Und so auch schon bei
den Propheten, wiederum besonders eindrücklich nachzulesen bei
Jeremia, der Gott klagt, er wolle lieber nicht geboren sein, als
Gottes prophetischen Auftrag auszuführen.
Am Ende sind es diese prophetischen Gestalten, die in Treue zu sich
selbst, mehr noch, die in Treue zu Gott ihren Weg gehen, glaubwürdig
auch in ihrem Zweifel, stark auch in ihrer Schwäche, getrost auch in
ihrer Angst. Am Ende sind sie es, die im Gedächtnis bleiben, die die
Geschichte überdauern, die weiterwirken über ihre Zeit hinaus. Am
Ende sind sie es, die uns Vorbilder wahren Menschseins sind. Wir
möchten wohl ihr hartes Schicksal nicht teilen, aber wenn es denn
hart auf hart käme, dann wollten wir ihre Stärke, ihren Mut, ihre
Glaubensgewissheit haben.
Seht, welch ein
Mensch! – Geschlagen, gefoltert, eine Dornenkrone hat man ihm auf
den Kopf gedrückt, einen Purpurmantel hat man ihm umgehängt. So
steht er da. Und der Statthalter präsentiert ihn der Menge mit
diesen Worten: Seht, welch ein Mensch! – Seht, der Mensch! –
Ecce homo! (Johannes 19, 5)
Und sie sehen ihn
und sie schreien: Kreuzige! Kreuzige! – Der Mensch, dieser
Mensch soll sterben. Das Urbild wahren Menschseins soll sterben. Die
Menschlichkeit soll sterben.
Ich bot meinen
Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die
mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und
Speichel.
Das Bild des Propheten, des Reformators, des Widerstandskämpfers,
das Bild des zu Unrecht leidenden Menschen, des für Gottes Sache
leidenden Menschen verdichtet sich im Bild des Menschensohns, des
Königs mit der Dornenkrone. Es ist sein Weg, den Menschen vor ihm
und nach ihm gegangen sind. Es ist ihr Weg, den er mit ihnen gegangen
ist.
Er hat der Unmenschlichkeit standgehalten. Er hat nicht nachgegeben,
nicht widerrufen. Er hat der Unmenschlichkeit seine Menschlichkeit
entgegengehalten. Die Dornenkrone und das Kreuz sind Zeichen dafür,
dass der Mensch im Leiden seine Würde, seine Menschlichkeit bewahrt.
– Seht, welch ein Mensch! Mit der Dornenkrone, am Kreuz, im
Gefängnis, am Galgen …
Was ist es, das Menschen ihr Menschseins bewahren lässt inmitten der
Unmenschlichkeit? Was ist es, das ihnen die Gewissheit gibt, das
Richtige zu sagen, zu tun, zu leiden? Das ihnen die Kraft gibt, sich
gegen die Mehrheit zu stellen? Sich gegen die Mächtigen zu stellen?
Gott der HERR, sagt uns das Bibelwort.
Gott der HERR
hat mir eine Zunge geben, wie sie Jünger haben.
Gott der HERR
hat mir das Ohr geöffnet.
Gott der HERR
hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.
Gott der HERR
hilft mir; wer will mich verdammen?
Die Kraft und Glaubwürdigkeit der Worte, sie kommen von Gott. Der
Gehorsam, das Hören und Gehorchen auf Gottes Willen, er kommt von
Gott. Die Kraft zum Durchhalten und Durchstehen des eigenen Weges
gegen allen Widerstand, sie kommt von Gott. Und die Gewissheit, dass
Unrecht nicht Recht wird, sie kommt von Gott.
Der Anfang der Menschlichkeit ist bei Gott.
Seht, welch ein Mensch! – sagen wir.
Seht, welch ein Gott! – sagt er, dieser Mensch.
Wir sehen auf Jesus Christus. Welch ein Mensch! Welch ein Gott!
ER gebe auch uns die rechten Worte, das rechte Gehör, die rechte
Widerstandskraft, die rechte Glaubensgewissheit. Dann werden wir
seine Jünger.
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