1. Petrus 5, 1-4
Liebe
Schwestern und Brüder,
Jesus
sagt: Ich bin der gute Hirte. Wir haben es in der
Evangelienlesung (Johannes 10, 11-16. 27-30) gehört. Und nun heißt es: Ihr seid die guten
Hirten. Jedenfalls: Ihr sollt gute Hirten sein!
Es
ist dieselbe Logik, die wir schon mit dem Lichtwort von Jesus kennen:
Er sagt: Ich bin das Licht der Welt, und er sagt: Ihr
seid das Licht der Welt.
Wenn
Jesus der gute Hirte ist, folgt daraus nicht – oder nicht nur –,
dass wir brave Lämmer sein sollen, sondern dass wir gute Hirten sein
sollen.
Wir?
– Unser Predigttext hat eher einen exklusiven Adressatenkreis: die
Ältesten unter euch, wörtlich: die Presbyter. In manchen
Gegenden ist dieses Wort geläufig: Presbyter; in anderen
Gegenden oder auch hier bei uns sagen wir Kirchenvorsteher. Noch
anderswo, so wie Luther es übersetzt hat, Älteste. – Dann
wäre unser Predigttext eigentlich nur an die Kirchenvorsteher
gerichtet. – Dieter und Martina, ihr
bleibt bitte hier; die anderen können jetzt gehen!
Die
andere kirchliche Tradition, die ältere, die katholische, versteht
unter Presbytern Priester. Aus den Ältesten in den Gemeinden der
neutestamentlichen Zeiten wären dann die Priester hervorgegangen. –
Und wenn wir auf der evangelischen Seite von Pastoren sprechen,
dann sind wir wieder wörtlich bei den Hirten angelangt: Ihr seid
die guten Hirten. – Also: Dieter und Martina, ihr könnt jetzt auch gehen; dieser Text ist nur für mich! –
Und nächste Woche kommt ihr dann alle wieder, meine Schäflein!
Willkommen in der Pastorenkirche!
Aber
vielleicht interessiert es euch doch schon heute, wie das mit den
Hirten gemeint sein könnte und wie das bei uns aussehen könnte mit
dem Pastor und den Kirchenvorstehern, mit den großen und den kleinen
Schafen unserer Herde, mit Führung und Verantwortung, mit Hierarchie
und Demokratie in der christlichen Gemeinde. – Dann bleibt hier und
hört mir noch ein wenig zu!
Im
Grunde genommen geht es um eine ganz spannende Frage: Wer hat das
Sagen in der christlichen Kirche, in der christlichen Gemeinde? –
Und da stehen sich zwei Modelle gegenüber: das hierarchische und das
demokratische Modell von Kirche.
Im
hierarchischen Modell von Kirche gibt es einen Oberhirten, der hat
wieder Unterhirten in verschiedenen Abstufungen und dann gibt es die
einfache Herde, das Kirchenvolk, die Laien; vielleicht dazu noch
Hütehunde. – Es gibt einen katholischen Orden, der hat sich in der
Vergangenheit ausdrücklich so verstanden: die Hunde des Herrn,
die canes domini, die Dominikaner, die entsprechend für
die Heilige Inquisition zuständig waren. – Der Oberhirte in diesem
Modell ist, so wie es unser Bibeltext ja auch nahelegt, Jesus
Christus. Er ist der wahre gute Hirte. Und der hat dann seine
Stellvertreter auf Erden, namentlich einen persönlichen obersten
Stellvertreter auf Erden – den Papst. Schließlich hat der
auferstandene Jesus Christus selber Petrus ausdrücklich und dreifach
beauftragt: Weide meine Schafe! (Jh 21,15-17) – Und der
Papst ist nun mal der Nachfolger von Petrus.
Ihr
merkt es schon: Die katholische Kirche hat dieses hierarchische
Modell von Kirche voll verwirklicht. – Und es hat einiges für
sich: Es garantiert Einigkeit und Geschlossenheit. Es gibt klare
Verantwortlichkeiten. Und natürlich kann nicht das einzelne
Schäfchen für sich entscheiden, was gut und richtig ist, sondern
der Hirte, der einen besseren Überblick hat. Je größer die zu
entscheidenden Fragen sind, desto weiter oben fällt die
Entscheidung. Es gibt entsprechend ein kirchliches Lehramt der
Oberhirten und an der Spitze der unfehlbare Papst.
Dieses
Modell ist stark, wenn es richtige Entscheidungen trifft und die
Wahrheit hochhält. Es ist stark, wenn der Stellvertreter Christi auf
Erden das tut, was Christus im Himmel will. – Aber wehe, er tut
etwas anderes! Der Papst und die kirchlichen Konzile können eben
auch die ganze Kirche in die Irre leiten. – Das bestreiten sie
zwar, aber genau das war der springende Punkt, an dem sich die
evangelische Kirche von der katholischen abgespalten hat.
Martin
Luther und die Reformatoren mussten deutlich sehen: Der Papst und die
Kurie lehrten und handelten entgegen dem ausdrücklichen Willen des
guten Hirten Jesus Christus. Sie waren keine guten Hirten. Sie
vertraten nicht ihn, sondern sich selber. Das hierarchische
Kirchenmodell war gescheitert.
Dazu
noch eine kleine Anmerkung: Wir müssen die drastischen Urteile
Luthers über den Papst nicht wiederholen. Inzwischen hat die
katholische Kirche wieder fromme Päpste, die sich ihrer
Verantwortung bewusst sind und die sich dem Oberhirten Jesus Christus
wie auch ihrer Herde verpflichtet wissen. – Darüber, dass der
Papst katholisch ist und katholische Ansichten vertritt, brauchen wir
uns eher nicht aufzuregen. Ich denke, wir haben in der Ökumene ein
klares und ernstzunehmendes Gegenüber. Und Benedikt XVI. ist besser
als sein Ruf.
Die
Evangelischen haben nun – das überrascht nicht – ein anderes
Kirchenmodell gefunden, ein eher demokratisches. Das hängt mit dem
evangelischen Glaubensverständnis zusammen: Der Herr ist mein
Hirte, beten wir gerne. Mein Verhältnis zum
guten Hirten Jesus ist ein persönliches. Seine Schafe kennen seine
Stimme, und er kennt sie – persönlich. Und ich als sein Schaf höre
auf seine Stimme und folge ihm, und er gibt mir, was ich brauche, und
am Ende das ewige Leben (vgl. Jh 10,27f). Dazu brauche ich keine
Unterhirten und keine Hierarchie, die mir Gottes Zuwendung von oben
nach unten vermitteln.
Aber
ich brauche doch Schwestern und Brüder, die mit mir zusammenhalten,
die mir helfen zu glauben und bei unserem gemeinsamen guten Hirten
Jesus zu bleiben. Und meine Schwestern und Brüder brauchen mich,
dass ich auch auf sie achte. Soll ich meines Bruders Hüter sein? – Ja, selbstverständlich. Wir sind nicht nur Schafe in der Herde
des Guten Hirten, wir sind auch füreinander Hirten.
Jesus
sagt: Ich bin der gute Hirte. Und Jesus sagt auch: Ihr seid
die guten Hirten!
„Wir
sind Papst“ – die Schlagzeile war genial, sie ist im kollektiven
Gedächtnis geblieben. Aber sie stimmt nicht im Blick auf Papst
Benedikt. Sie stimmt im Blick auf uns Christen: Wir sind
Papst. Wir sind die Stellvertreter Christi auf Erden. Wir
sind die guten Hirten.
Wir?
– Ja, wir alle, die wir getauft sind.
Sicher,
es gibt ein paar Abstufungen in der Verantwortlichkeit. Der eine ist
beauftragt, das Wort Gottes öffentlich zu sagen und in besonderer
Weise Seelsorger zu sein. Andere sind beauftragt, Entscheidungen für
die Gemeinde zu treffen, das Miteinander zu organisieren und für das
materielle Drumherum zu sorgen. Das wären der Pastor und die
Ältesten. – Aber sie sind nicht von oben eingesetzt, sondern von
unten gewählt. Unsere Gemeindestruktur ist demokratisch. – Kirchenvorsteher dürfen in ihrer Arbeit kontrolliert werden und
Pfarrer dürfen in ihrer Lehre korrigiert werden. Dass eine
christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle
Lehre zu urteilen heißt dementsprechend eine Schrift Martin
Luthers.
Und
dann gibt es außer Pastoren und Kirchenvorstehern noch die vielen,
die in der Gemeinde mitarbeiten, mitwirken, Mitverantwortung
übernehmen. Auch sie üben in gewisser Weise ein Hirtenamt aus. Wir
alle sind füreinander da und aufeinander angewiesen.
Das
Wort Älteste
hat
ja eigentlich auch einen ganz profanen Sinn, unabhängig von Ämtern
und Würden: Es gibt ältere, erfahrenere Gemeindeglieder, es gibt
die 'alten Hasen'. Und sie haben auf Grund ihrer Erfahrung auch eine
größere Verantwortung, auch wenn sie nicht Mitglied
im Kirchenvorstand sind. Wir schätzen diejenigen, die schon jahre-
oder jahrzehntelang in der Gemeinde mitgearbeitet haben, die dabei
vielleicht auch besonders achtsam sind, die wissen, worauf es ankommt
und was die einzelnen brauchen. Wir sind froh, dass es diejenigen
gibt, die in ihrem Glauben und Leben gereift sind, so dass sie andere
mitnehmen, vielleicht auch ein Stück führen können, wie es ein
guter Hirte tut. Wir, die wir in dieser Gemeinde zu Hause sind,
wollen gastgebende Gemeinde sein: also gerade auch ganz bewusst für
diejenigen dasein, die hier nicht oder noch nicht zu Hause sind, die
hier mal für ein paar Tage oder Wochen hereinschneien, oder die
immer wieder kommen wollen. Nehmen wir sie freundlich auf, weiden wir
sie auf grünen Auen und führen sie zum frischen Wasser. So sind wir
gute Hirten.
Nachdem wir das nun
geklärt haben, dass wir alle, Pfarrer, Kirchenvorsteher und
„normale“ Gemeindeglieder, füreinander gute Hirten sein sollen,
dann können wir uns auch in aller Kürze die Mahnungen zu Gemüte
führen, die der Apostel hier für Hirten bereithält. Es sind drei.
Und die erste heißt: Achtet auf die Herde
Gottes, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt. – Mitarbeit in der Gemeinde basiert auf Freiwilligkeit. – Mir gefällt
es nicht, wenn sich Leute, die mitarbeiten, über andere erheben, die
das nicht tun oder die weniger tun. Freiwilligkeit heißt eben auch:
Es aushalten, dass andere freiwillig Nein sagen. Aber vielleicht kann
ich ja mit meiner Freiwilligkeit und der Freude ansteckend sein, dass
ein anderer auch Lust bekommt …
Die
zweite Mahnung: Nicht um schändlichen
Gewinns willen, sondern von Herzensgrund. –
Schwierige Sache: Ist mein Pfarrergehalt schändlicher Gewinn?
Erwerben andere durch ihre Mitarbeit in der Gemeinde Ansprüche auf
Vergünstigungen? Ist öffentliche Anerkennung vielleicht auch nur
schändlicher Gewinn? Mache ich mit, um gesehen zu werden und zur
Gemeindeversammlung öffentlich gewürdigt zu werden? Und was ist,
wenn dann doch jemand bei der Bedankerei vergessen wurde? – Und wie
war das eigentlich bei dem guten Hirten Jesus? Was hat er dafür
bekommen? – Göttliche Herrlichkeit, ja. Aber vorher das Kreuz …
Von Herzensgrund, das heißt: um der Sache willen, um der anderen
willen, um Jesu willen …
Die
dritte Mahnung: nicht als Herren der
Gemeinde, sondern als Vorbilder. –
Das ist das Entscheidende. Hirte sein heißt Vorbild sein. Das große
Vorbild ist der gute Hirte Jesus Christus. Wenn wir seinem Vorbild
nachfolgen, dann sind auch wir vorbildlich. Er leitet, indem er
leidet. Er herrscht, indem er dient. Der gute Hirte dient seiner
Herde, jedem einzelnen Schäfchen.
Davon
bin ich als Hirte der Gemeinde sicher noch weit entfernt. Aber zum
Glück bin ich nicht allein der Hirte für euch. Wir sind gemeinsam
Hirten. Wir sind berufen, aufeinander zu achten. Also erwartet bitte
nicht nur, dass ich auf euch achte und dass ich für jeden da bin;
das kann ich nämlich nicht und schon gar nicht allein. Sondern seid
ihr miteinander und füreinander da. Und achtet bitte auch mit auf
mich und auf die gewählten Ältesten der Gemeinde. Gemeinsam sind
wir gute Hirten.
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