Überarbeitete Fassung einer Predigt von 2006
Liebe Schwestern und Brüder,
am vergangenen Sonntag habe ich von
Paulus und Silas erzählt, die in Philippi im Gefängnis saßen und
zu nachtschlafener Zeit Gott Lobgesänge angestimmt haben. Und dann
geschah das Wunder: Die Erde begann zu beben, die Türen sprangen aus
ihren Schlössern und die beiden christlichen Missionare hätten
seelenruhig aus dem Gefängnis spazieren können. – Wenn da nicht
ein zu Tode erschrockener Kerkermeister gewesen wäre, der sich doch
glatt das Leben genommen hätte, wenn Paulus nicht im letzten Moment
aus der Gefängniszelle gerufen hätte: Tu dir nichts an, wir sind
alle noch da! – Wenig später sehen wir einen zutiefst
erschütterten Mann, der fragt: Was muss ich tun, damit ich
gerettet werde? Die Antwort von Paulus und Silas war: Glaube
an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Sie
sagten ihm das Wort des Herrn, er
nahm sie mit zu sich nach Hause, wusch ihnen die Wunden von den
Folterungen, die sie erlitten hatten, und dann ließ er sich und
seine ganze Familie taufen.
Diese dramatische
Geschichte ist eine wunderbare Illustration für das, was unser
heutiger Predigttext sagt. Wir können es unter die Überschrift
stellen: Beten öffnet Türen.
Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muss.
Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.
Kolosser 4, 2-6
Beten öffnet Türen. –
Das Lobgebet von Paulus und Silas hat offenbar viel bewirkt. Es hat
die verschlossenen Gefängnistüren geöffnet und es hat gleich noch
die Tür zum verschlossenen Herzen des Kerkermeisters geöffnet.
Und nun sitzt
Paulus einmal mehr im Gefängnis, und wie es aussieht, öffnen sich
die Türen diesmal nicht so schnell. Und so fordert er die Gemeinde
in Kolossä zum Mitbeten auf – damit sich wiederum Türen öffnen:
Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das
Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können.
Beten öffnet Türen. Das
gilt nicht nur für Gefängnistüren.
Beten öffnet Türen zu Gott.
Wenn wir beten, dann öffnen wir uns selber für Gott. Wir öffnen
unsere Herzen. Wir kommen aus unserer Verschlossenheit heraus. Wir
lassen uns auf dieses große Gegenüber ein – auf Gott, unseren
himmlischen Vater. Wir reden mit ihm. – Das ist ja so erstaunlich
und wunderbar, dass der unendlich-ewige Gott für uns Menschen
ansprechbar ist! Dass uns seine Türen offenstehen. Wir können
jederzeit zu ihm kommen und sind ihm willkommen. – Stehen unsere
Türen auch ihm offen? Ist er uns in unserem Leben willkommen? –
Wir jedenfalls können zu ihm kommen und mit ihm reden, er hört uns
zu. Wir können mit ihm reden, und er antwortet uns. – Hören wir
ihm auch zu?
Hattest du schon
mal das Gefühl beim Beten, dass da eigentlich gar keiner ist, mit
dem du redest? Oder er hört gar nicht zu? Antwortet nicht auf dein
Beten? – Dann frage ich dich: Wie viel Zeit beim Beten redest du
und wie viel Zeit schweigst du, damit Gott zu dir reden kann? –
Denn wenn Gott dir antworten soll, dann musst du auch hinhören. Und
glaube mir, Gott hat mehr zu sagen, als du. Darum sollte deine Gebet
zum größeren Teil aus Schweigen und Hören bestehen. So öffnest du
Gott die Tür. Du öffnest dein Ohr, um auf ihn zu hören. Du öffnest
dein Herz für die Eindrücke seiner Liebe.
Seid beharrlich im Gebet und wacht
in ihm, schreibt der Apostel.
Ein Wächter zeichnet sich aus durch offene Sinne: offene Augen,
offene Ohren, dass er gleich mitbekommt, wenn was passiert. Im Gebet
Wachen – das meint diese geistliche Aufmerksamkeit: mit offenen
Sinnen auf Gott ausgerichtet sein.
Am besten immer! –
Das ist ja das Gute, dass Gott immer für uns da ist. Wir
können immer zu ihm kommen, uns beständig auf ihn
ausrichten. Bei der Arbeit, im Gespräch, wo immer ich bin, was immer
ich tue, kann ich mit meinem Herzen doch bei Gott sein. Einen
Gedanken als Gebet zu ihm schicken. Ihn mit einbeziehen. Und so kommt
auch umgekehrt Gott bei uns zu Wort.
Beten ist beides:
Reden und Hören, Geben und Empfangen. Es öffnet unsere Türen für
Gott.
Bei Paulus und
Silas im Gefängnis hat das Gebet eben nicht nur die Gefängnistüren
geöffnet. Schon zuvor waren die Herzen dieser beiden ganz offen für
Gott. So konnten sie überhaupt Gott loben und danken in dieser üblen
Situation. Das Gebet hat ihren Blick verändert. Sie waren nicht mehr
von den äußeren Umständen bestimmt, sondern davon, dass Gott ihrem
Herzen viel näher war als die Kerkermauern.
Beten öffnet Türen
zu Gott. Beten öffnet auch Türen zu den Menschen.
Paulus
erwartet nicht, dass die Kolosser dafür beten, dass Gott ihm die
Gefängnistüren wieder öffnet, sondern dass Gott ihm eine Tür
für das Wort auftue – so schreibt er. Denn Gottes Wort soll
offene Türen bei den Menschen finden. Nicht, dass Paulus selber die
körperliche Freiheit wiedererlangt, ist ihm wichtig, sondern dass
das Wort Gottes frei und ungehindert zu den Menschen gelangt. Im Fall
des Kerkermeisters von Philippi traf sich beides glücklich. Die
Gefängnistüren öffneten sich und eben dadurch öffneten sich auch
die Herzenstüren des Gefängnisaufsehers. – In einem anderen
Gefängnisbrief kann Paulus geradezu das Gegenteil berichten; vor einigen Wochen haben wir es gehört, wie er im Philipperbrief
schreibt: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung
des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine Fesseln für Christus
trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar
geworden und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine
Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden,
das Wort zu reden ohne Scheu. – Da hat sich gerade dadurch,
dass die Gefängnistüren verschlossenen waren, eine andere Tür für
das Wort Gottes aufgetan.
Das ist auch ein
Beispiel dafür, wie unterschiedlich Gott Gebete erhören kann. Beten
heißt ja nicht, Gott in eine bestimmte Richtung zu drängen oder gar
ihn zu etwas zu bewegen, was er selber nicht möchte. Beten heißt
doch vielmehr: sich öffnen, offen werden für die
Wirkungsmöglichkeiten Gottes. Wir wissen nicht, wie Gott
unsere Gebete erhört, aber wir dürfen gewiss sein, dass er
sie erhört.
Dieses Anliegen,
dass sich für das Wort Gottes Türen zu den Menschen öffnen, ist
Gottes eigenes Anliegen. Wenn wir ihn darum bitten, wenn wir uns im
Gebet mit ihm eins machen darüber, dann wird er es auch tun. Heute
wie damals. – Die Frage ist nur: Ist uns das überhaupt selber noch
ein Herzensanliegen?
Beten heißt gewiss
nicht, die gefalteten Hände in den Schoß legen und Gott einfach
machen lassen. Durch unser Gebet öffnen sich auch Türen für uns,
Türen, durch die wir hindurchgehen können und sollen, Türen zu
unseren Mitmenschen.
Damit hängt der
zweite Teil unseres kurzen Predigttextes zusammen: Verhaltet euch
weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus.
Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr
wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt. – Es geht darum,
dass zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Christen und
Nichtchristen, zwischen Kirche und Welt die Türen nicht verschlossen
sind. Sie sollen offen sein, damit das Wort Gottes, das Geheimnis
Christi, durch uns nach außen dringt zu den Menschen, die ihn nicht
kennen oder ihm nicht glauben. Es geht darum, dass wir einladend
leben und nicht abschreckend. Es geht darum, dass wir in der Lage
sind, von unserem Glauben und unserer Hoffnung Rechenschaft zu geben.
Dabei muss keiner von uns – höchstens ich – hoch gebildete
theologische Erklärungen abliefern können. Aber wir sollten doch
wenigstens, wenn wir gefragt werden, was wir glauben und was wir
davon haben, dass wir glauben, um eine Antwort nicht verlegen sein.
Denn diese Antwort, die hast du doch selber schon gefunden für dein
Leben, lieber Bruder, liebe Schwester – oder nicht?
Freundlich und
mit Salz gewürzt sollen unsere Antworten sein. Nicht fade, nicht
süßlich, nicht gepfeffert, sondern herzhaft und schmackhaft. Durch
unser Reden den Glauben schmackhaft machen. Und nicht nur durch unser
Reden. Antwort geben können ist wichtig. Aber so leben, dass wir
nach Antworten gefragt werden, auch. – Bei uns als einzelnen
Christen öffnen sich die Türen zu den anderen Menschen hin, die
Türen für das Wort Gottes. Durch gezielte kirchliche
Veranstaltungen oder Evangelisationen kommen viel weniger Menschen
zum Glauben als durch das glaubwürdige Leben anderer Christen. Da,
zwischen Mensch und Mensch müssen sich die Türen öffnen.
Und der Schlüssel
für diese Türen ist wiederum das Beten. Weil wir im Beten hören
und uns selber auf Gott einstellen und ausrichten, so dass er durch
uns zu den Menschen kommen kann. Wenn er eine offene Tür zu unserem
Herz findet, dann tut er bei uns auch die Tür nach der anderen
Seite, zu unseren Mitmenschen auf.
Beten
öffnet Türen. Mögen wir das immer wieder erfahren.
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