Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
“Arbeit war sein ganzes Leben.” – Es ist noch nicht so lange her, da war dieser Spruch noch öfter über Todesanzeigen zu lesen. Wie traurig, denke ich, wenn die Arbeit für jemanden der ganze Lebensinhalt war! Was war mit seiner Frau, mit seiner Familie mit seinen Kindern? Waren die nicht wichtig für ihn? Hatte er keine Freunde? Und wenn er schon keinen Urlaub machen konnte – in früheren Jahrzehnten mag das ja für manchen so gewesen sein –, hatte er nicht wenigstens mal Zeit spazierenzugehen oder auf ein Bierchen in die Kneipe?
“Arbeit ist das halbe Leben”, sagt man auch. Ja, das halbe von mir aus, aber nicht das ganze! Nur arbeiten bis zum Umfallen, das kann doch wirklich nicht alles sein!
Gewiss, Arbeit kann Freude mache, Arbeit kann mich erfüllen; Erfolg in der Arbeit tut gut; und plötzlich ohne Arbeit dazustehen, kann wirklich hart sein, nicht nur aus finanziellen Gründen. – Und trotzdem: Ich lebe nicht um zu arbeiten; ich arbeite um zu leben.
Ich leiste was, um mir was leisten zu können. Ich verdiene mir etwas, damit ich etwas zum Ausgeben habe.
Im Grunde genommen ist es eine Unverschämtheit, dass in Arbeitsverträgen steht, dass uns Urlaubstage zur Wiederherstellung unserer Arbeitskraft gewährt werden. Darf der Arbeitgeber vielleicht auch noch darüber bestimmen, was wir mit unserer arbeitsfreien Zeit anstellen? Haben wir sie gefälligst im Dienste der Wiederherstellung unserer Arbeitskraft zu verbringen? – Nein, Freizeit ist nicht nur Nicht-Arbeitszeit, sondern sie ist unsere Zeit, Zeit zum Leben, Zeit zum Genießen, Zeit um Spaß und Lebensfreude zu haben.
Statt “Arbeit war sein ganzes Leben” würde ich über einer Todesanzeige viel lieber lesen: “Er hatte Spaß am Leben.” oder “Er konnte das Leben genießen”.
Und dabei stelle ich mir vor, dass diejenigen, die das schreiben, sich gerne und dankbar an ihren Verstorbenen erinnern. Bei dem, dessen ganzes Leben nur Arbeit war, wäre ich mir da nicht so sicher.
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