Montag, 5. September 2011

Predigt vom 4. September 2011 (11. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus sprach zu den Hohenpriesern und Ältesten des Volkses: "Was meint ihr? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: 'Mein Sohn, geh hin und arbeite im Weinberg.' Er antwortete aber und sprach: 'Nein, ich will nicht.' Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: 'Ja, Herr!' und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan?" Sie antworteten: "Der erste." Jesus sprach zu ihnen: "Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr."
Matthäus 21, 28-31

Liebe Gemeinde,

merkwürdig, vor zwei Wochen erst ging es um das Hören und Tun der Worte Jesu. Heute geht es um das Tun des Willens Gottes. Fast dasselbe, könnte man meinen.

Und wieder liegt die Aussage auf der Hand: Aufs Tun kommt's an. Nur Hören, nur Ja-ja-Sagen, reicht nicht. – Alles klar? Alles klar.

Und doch kann man sich diesem Wort ganz unterschiedlich annähern.

Wir können es hören als eine wohlbekannte Geschichte, die wir von unseren Kindern kennen. Oder von uns selber noch, als wir Kinder waren. Oder auch von uns als Chef oder als Mitarbeiter.

Der eine nörgelt immer rum, wenn er was mitmachen soll: „Nein, ich will nicht.“ Und tut es nach einiger Nörgelei dann doch. – Ein Ausdruck von Widerwillen gegen den elterlichen Auftrag, und ein Ausdruck von letztlich dann doch Unterordnung. Notgedrungen tut man, was man eben tun muss.

Der andere schleimt immer rum: Ja, Herr!, heißt es. Ja, natürlich, selbstverständlich, und ich wollte ja schon lange und hätte sowieso. Aber es wird nichts, er tut nichts. Die Bequemlichkeit siegt. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Vielleicht ist es ja Prokrastination, diese innere Blockierung, notwendige Dinge endlich in Angriff zu nehmen, besser bekannt als „Aufschieberitis“.

Wer von den beiden tut, was von ihm erwartet wird? – Klar, am Ende der, der seinem Auftrag nachkommt, der doch noch seine Arbeit macht.

Aber eigentlich, eigentlich sind es beides nicht die idealen Kinder oder Mitarbeiter. Wäre es nicht viel schöner, einer würde einfach Ja sagen und auch Ja tun?

Doch selbst da kommen mir Bedenken. Will ich das, wollen wir das: nur Ja-Sager, Angepasste, funktionierende Menschen?

Wie wäre es, einer sagt Nein und bleibt bei seinem Nein? Tut nicht, was man von ihm fordert, so lange er es für sich nicht annehmen kann, es nicht einsieht?

Nein-Sager und Nein-Tuer sind schwierig.
Aber ich mag Leute, die nicht einfach mitlaufen, mitmachen, sondern zweifeln, nachdenken, widersprechen, infragestellen. Und nicht tun, wovon sie nicht überzeugt sind.

Wären nicht das eigentlich die Menschen, die auch Jesus sich wünscht? Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, ist von Übel (Matthäus 5,37). – Gerade, klare, eindeutige Menschen. Persönlichkeiten, auf die Verlass ist. Keine Schönredner, Umfaller und Wendehälse.

Oder aber ganz anders: Gerade, klare, eindeutige Menschen können auch stur und selbstgerecht sein. Ihre einmal gefasste Meinung steht fest. Ihre einmal gefassten Beschlüsse werden durchgezogen. Wer sich ihnen in den Weg stellt, ist nur ein hinderlicher Bedenkenträger. Argumenten gegenüber sind sie verschlossen. Ihr Ja wird immer ein Ja bleiben, ihr Nein wird immer ein Nein bleiben. Wer bei ihnen auf Sinneswandel oder Entgegenkommen hofft, der wird enttäuscht. Keine Hoffnung auf Änderung.

Ich denke an die alten SED-Chargen aus meiner verblichenen DDR. Wer ist mir lieber: Der Wendehals, der flugs die alte Ideologie weggeworfen und sich in der neuen Zeit eine neue Existenz und Identität geschaffen hat? Oder der unverbesserliche Altkommunist, der noch heute den Bau der Mauer vor 50 Jahren verteidigt?
Ich tendiere zum ersteren. Wie überzeugt und ehrlich seine Wende gewesen sein mag, weiß ich im Einzelfall nicht. Aber zumindest hat er sich von den alten Irrtümern losgesagt.

Jesus setzt darauf, dass Menschen dazu fähig sind, sich zu ändern. Sinneswandel, Umdenken, neu Anfangen – das ist möglich.

Er führt als Beispiel die Zöllner und Huren an. Die stehen im Neuen Testament für einen bestimmten Typ von Mensch, genau so wie die Hohenpriester und Ältesten als Inbegriff der damaligen „Amtskirche“, mit denen Jesus hier gerade diskutiert, oder wie die Pharisäer und Schriftgelehrten, als Inbegriff der damaligen Frömmigkeitsbewegungen, mit denen sich Jesus auseinandersetzt. Der Typ Zöllner und Hure steht für die Menschen, die religiöse und moralische Außenseiter sind. Die tun, was man nicht tut: sich auf Kosten anderer bereichern, sich selbst an andere verkaufen. (Wer – und das ist bis heute so – bei der abschätzigen Bewertung von Prostituierten regelmäßig außen vor bleibt, sind deren Kunden …)

Zöllner sind Zöllner und Huren sind Huren, so sieht man das. Sie haben einmal Nein gesagt zu dem, was Gott will, zu dem, was gesellschaftliche Norm ist.

Und dann finden sich einige von ihnen in der Gemeinschaft Jesu wieder. Ihr alter Ruf hängt ihnen an – bis heute: der Zöllner Matthäus, die Hure Maria Magdalena (von der die Bibel gar nicht direkt sagt, dass sie eine war). Dabei haben die aus ihrem einstigen Nein zu Gott – wenn es denn überhaupt eins war – ein Ja zu Jesus gemacht. Haben ihr altes Leben hinter sich gelassen und ein neues begonnen.

Jesus setzt darauf, dass Menschen dazu fähig sind, sich zu ändern. Und er führt diese veränderten Menschen den festgelegten Vertretern der Amtskirche vor Augen. Seht sie euch an: den Matthäus, den Zachäus, die Maria – sie sind nicht mehr die Alten, die alten Sünder, für die ihr sie haltet. Sie kommen eher ins Reich Gottes als ihr, sagt er.

Warum? – Weil sie offen sind, für Veränderungen.

Die Hohenpriester und Ältesten, die Schriftgelehrten und Pharisäer, sie sind festgelegt. Festgelegt auf ihr Ja, das sie zu Gott gesagt haben. Davon sind sie so überzeugt, dass sie gar nicht merken, dass daraus schon lange ein Nein geworden ist: Ein Nein zu den Menschen, zu den anderen, den Schlechteren, den Unbekehrten. Die halten sie für unverbesserlich, und sich selber für unverschlechterlich.

Mit dem Ja-Sagen und Nein-Sagen ist es am Ende gar nicht so einfach.

Es gibt die Ja-Sager, die nur Ja sagen, damit sie in Ruhe gelassen werden: die Opportunisten.

Es gibt die Nein-Sager, die sich auf ihre Ablehnung festgelegt haben: die ewigen Pessimisten, Passivisten und Nihilisten.

Es gibt auch die Nein-Sager, die von ihrem Nein gar nicht so überzeugt sind, vielleicht nur auf die besseren Argumente warten oder auf die freundlichere Einladung.

Es gibt die Ja-Sager, die von Herzen und überlegt Ja sagen – Ja zu Gott und zum Nächsten.

Und es gibt Menschen, die sich ändern, die umdenken, umkehren, Buße tun, aus deren Nein ein Ja wird. Aus deren falschem Ja ein echtes Nein wird – oder ein echtes Ja.

Keiner muss an der Stelle stehen bleiben, auf die er sich einmal festgelegt hat.

Mir fällt da ein altes Lied von Wolf Biermann ein: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“.

Ein letzter Gedanke noch: Jesus fragt: Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? – Aber ist das überhaupt die wichtigste, die entscheidende Frage? Ist die eigentliche Frage nicht: Wen von den beiden hat der Vater mehr lieb?

Als Eltern haben wir es vielleicht gemerkt, dass die Liebe zu unseren Kindern nicht davon abhängt, ob sie Ja oder Nein sagen, ob sie tun, was wir von ihnen erwarten oder nicht. Vielleicht sind wir traurig und besorgt, wenn ein Kind Nein sagt zu uns und unseren Erwartungen. Aber haben wir es deshalb weniger lieb?

Ich denke an eine andere Geschichte, die Jesus erzählt, auch von einem Vater und zwei Brüdern: „Der verlorene Sohn“. Welcher von beiden ist eigentlich der verlorene Sohn? Ja, ist das nicht eigentlich nur die Langfassung desselben Gleichnisses? Der eine sagt Nein und kehrt dann doch um. Der andere sagt Ja und am Ende doch Nein zur Liebe seines Vaters.

Wen von den beiden hat der Vater mehr lieb? – Er liebt sie beide.

Wen von uns hat er mehr lieb? – Er liebt uns alle, uns Ja-Sager, uns Nein-Sager, uns Hörer, uns Täter. Er liebt uns, und er traut uns zu, dass wir uns treu bleiben, indem wir uns ändern.

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