Jesus
Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
2. Korinther 12, 9
Liebe Gemeinde,
als
ich noch Pfarrer in einer großen Stadtgemeinde mit vielen
Mitarbeitern war, hatte ich öfter Bewerbungsgespräche zu führen
mit Leuten, die sich für bestimmte Stellen bei uns beworben hatten –
für den Kindergarten, für den Friedhof oder für die
Gemeindepädagogenstelle. Ich habe in den Gesprächen immer auch
gefragt, worin die Bewerber ihre Stärken und Schwächen sehen. Oft
habe ich erlebt, dass es ihnen leicht gefallen ist, über ihre
Stärken zu sprechen, aber schwer, auch Schwächen zu benennen. Dabei
ist doch gerade das eine entscheidende Stärke, auch seine Schwächen
zu kennen.
Keiner
von uns hat nur Stärken, jeder hat seine Schwächen. Es ist nur
nicht so einfach, damit umzugehen.
Der
eine gesteht sich die Schwächen gar nicht erst ein. „Ich kann
alles.“ – Mit dieser Aussage, überraschte mich vor kurzem
jemand. Schade nur, dass dieser Alleskönner so selten in der
Gemeinde auftaucht. Wir könnten ihn gut gebrauchen. – Vielleicht
ist das ja nun gerade seine Schwäche …
Der
andere hadert mit seinen Schwächen – nach dem Motto „Ich kann
nichts und ich bin nichts.“ Was meistens auch so nicht stimmt.
Für
manchen unter uns ist das Nicht-mehr-Können das Problem: „Früher
war ich stark und habe dies und das und jenes gemacht; jetzt werde
ich alt, und es geht nicht mehr.“
Jesus
Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. –
Das Wort der Jahreslosung ist zuerst zu Paulus gesagt worden, dem
Apostel. Und da mutet es uns reichlich paradox an. Denn Paulus, das
ist in unseren Augen gerade kein Schwächling, sondern eine ganz
starke Persönlichkeit, ein Power-Christ der ersten Generation, ein
Titan des Glaubens. Ohne ihn wäre das Christentum von Anfang an
nicht das geworden, was es ist. Er hat mit nur wenigen Mitarbeitern
den halben Mittelmeerraum missioniert. Er hat die frühe christliche
Kirche für die Nichtjuden geöffnet und hat dabei doch den ganzen
Laden zusammenhalten können. Er hat wie nebenbei die Grundzüge
christlicher Glaubenslehre formuliert und zusammengefasst, die sonst
nur in einzelnen Worten und Geschichten zu fassen ist. – Und genau
dieser Paulus, kämpft mit seinen Schwächen.
Ihm
sitzt ein Pfahl
im Fleisch, so
sagt er. Und die Ausleger rätseln seit Jahrhunderten, was er damit
gemeint haben könnte. Manche meinen, er hätte epileptische Anfälle
gehabt, andere meinen Rheuma oder Schwerhörigkeit oder Migräne …
Ich persönlich favorisiere einen Sprachfehler – vielleicht hat er
gestottert – darauf würde eine Äußerung im selben Brief
hinweisen, wo er seinen Gegnern in den Mund legt: Seine
(also des Paulus) Briefe … wiegen schwer und sind stark; aber wenn
er selbst anwesend ist, ist er schwach und seine Rede kläglich (2. Korinther 10, 10). Also:
Wir wissen es nicht, welcher Pfahl ihm da tatsächlich im Fleische
sitzt. Jedenfalls leidet er darunter und bittet den Herrn, ihn davon
zu befreien. Dreimal, sagt er, habe er zum Herrn gefleht, um davon
befreit zu werden. Und dann ist ihm diese Antwort geworden: Lass
dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist den Schwachen
mächtig.
Paulus
muss es lernen, seine Schwächen zu akzeptieren und aus seiner
Schwachheit, seiner Begrenztheit das Beste zu machen.
Und
Paulus hat es gelernt. Er hat die Sicht auf seine Schwäche radikal
geändert: In jeder Schwäche entdeckte er Gottes Kraft. Er spricht
davon, wie er zu leiden hatte in seinem Einsatz als Bote Jesu
Christi, wie er verfolgt wurde, gesteinigt, gefangen gesetzt,
ausgepeitscht, gefährliche Reisen einschließlich Schiffbruch
durchgestanden hat und wie ihm schließlich noch die Gemeinden, wie
in Korinth, das Leben schwer machten. Hätte der starke Gott ihm
nicht all die Steine, all die Schwierigkeiten aus dem Weg räumen
müssen? – Nein, hat Paulus gelernt, nur so konnte Gottes Kraft zum
Zuge kommen. Er selbst, Paulus, hatte nichts, womit er sich hätte
rühmen können. Was durch ihn erreicht und geschaffen wurde, das war
nicht sein Werk, dazu wäre er selbst zu schwach gewesen, es war
Gottes Werk, es war Gottes Gnade. An einer anderen Stelle schreibt er
es ganz ähnlich: Ich
habe viel mehr gearbeitet als sie alle, nicht aber ich, sondern
Gottes Gnade, die mit mir ist (1. Korinther 15, 10).
Diese Sicht, dass Gottes Kraft in der
Schwachheit mächtig ist, die schließt ihm eigentlich das ganze
Evangelium auf: Gott wird ja selber schwach für uns, schwach in der
Krippe, schwach am Kreuz, weil er eine Schwäche für uns Schwache
hat.
Und
war es nicht genau das, was Jesus gesagt und getan hatte? Er hatte
sich den Schwachen zugewendet, den Kranken, den Sündern und erklärt,
die Gesunden brauchten ja keinen Arzt, sondern die Kranken. Er hatte
die Schwachen seliggepriesen: Selig
sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich
(Matthäus 5, 3) usw. –
Das ist ja in anderen Worten das, was Paulus sagt: Die Schwachen
leben von Gottes Gnade, ihnen steht der Himmel offen.
Das
ist wichtig für uns, dass wir das mitbekommen: So geht Gott mit
unseren Schwächen um. Er fordert nicht, dass wir jede Schwäche
überwinden. Er verlangt nicht, dass wir immer stark bleiben. Er
erwartet keine moralischen Klimmzüge und keine intellektuellen
Saltos von uns. Christsein ist keine Leistung. Glauben ist keine
Wissenschaft. Christlicher Glaube ist vielmehr das Vertrauen, dass
Gottes Gnade aus unseren Schwächen etwas Starkes machen kann.
Jesus
Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in dir
mächtig.
Es ist die Kraft, deine Schwächen zu ertragen.
Deine Unvollkommenheit auszuhalten. Deine Grenzen zu akzeptieren.
Es ist die Kraft, deine Stärken zu entdecken.
Du musst nicht krampfhaft darauf schauen, was du nicht kannst, worin
du schlecht bist. Du darfst das annehmen und einsetzen, worin du gut
bist. Denn deine Stärken sind Geschenke der Gnade.
Es ist die Kraft, die Schwächen und Stärken
der andern auszuhalten. Wo ein anderer schwach bist, kannst du für
ihn stark sein. Wo ein anderer stark ist, kannst du von seiner Stärke
profitieren.
Auch diesen Kerngedanken finden wir in den
Briefen des Paulus wieder: da, wo er davon spricht, dass die Gemeinde
Jesu ein Leib ist, ein lebendiger Organismus mit vielen Gliedern,
Organen, Körperteilen, von denen nicht jeder alles kann, aber jeder
etwas. Aus den einzelnen Stärken und Schwächen wird da ein
wunderbares Ganzes: Gemeinde, Leib Christi.
Ja,
und da sind wir auch bei unserer Existenz als Kirche und Gemeinde. Es
ist uns auch in unserer Gesamtheit gesagt: Lass
dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen
mächtig.
Wir
mögen unsere Kirche zur Zeit und jedenfalls für unsere
mitteleuropäische Heimat in einer schwachen Lage sehen. Seit der
Christianisierung der Germanen war der Anteil der Christen in Europa
noch nie so gering wie heute. Wir erleben in Deutschland und wir
erleben es in unseren Auslandsgemeinden, dass die Zahlen und die
Mittel und Möglichkeiten zurückgehen. – Gerade in dieser
Situation ist es tröstlich, dieses Wort zu hören: Meine
Kraft ist den den Schwachen mächtig.
Denn
die Kirche, die stark und mächtig war, die sich prunkvoll selber
feierte und die sich auf politische und militärische Macht stützen
konnte, sie war im Rückblick diejenige, die Gottes Gnade verraten
hatte. Sie hat sich selbstsicher auf die eigene Macht verlassen und
muss sich heute für ihre Vergangenheit schämen.
Die kleine Herde, die Minderheit, die leidende
und verfolgte Kirche, sie hat das Evangelium durch die Zeit getragen,
in ihr war Gottes Kraft, nicht menschliche Stärke, mächtig.
Ich
vertraue auf Gottes Kraft, da wo wir schwach sind. Denn das ist Gottes Prinzip: Meine
Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Mit dieser Zusage können wir zuversichtlich
durch dieses neue Jahr gehen.
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