Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: "Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle."
Offenbarung 1, 9-18
Liebe Schwestern
und Brüder,
alles ist ganz
anders. Das ist das Geheimnis des Glaubens: Alles ist ganz anders,
als wir es gewohnt sind zu sehen. Alles ist ganz anders als im
Alltag, als im gewöhnlichen Leben. Alles ist ganz anders, da, wo wir
dem lebendigen Gott begegnen. Da, wo wir Jesus Christus als dem Herrn
begegnen.
Alles ist ganz
anders. Die Begegnung mit Jesus Christus ist Offenbarung. Sie legt
offen, was vorher verdeckt war. Sie lässt uns sehen, was vorher
Geheimnis war. Sie lässt uns die ewige Wahrheit erahnen hinter der
sichtbaren Wirklichkeit. Was wir zuvor wussten, war nur Fassade,
Oberfläche, Schein. Was wir zuvor wussten über unsere Welt, über
uns selber, über Gott – das löst sich auf in der Begegnung mit
dem Ewigen, und die wahre Wirklichkeit scheint auf.
Alles ist ganz
anders: für Petrus, Jakobus und Johannes, als sie mit Jesus auf dem
Berg der Verklärung sind. Sie haben etwas gesehen vom Geheimnis Jesu
Christi, von Gottes Wahrheit hinter der sichtbaren Oberfläche.
Alles ist ganz
anders: für Johannes, den Seher, den Apokalyptiker. Ihm hast sich
Jesus Christus offenbart als Gottes Wahrheit für die Welt.
Alles ist von
vornherein außergewöhnlich:
Ein anderer Ort:
die Insel, abgelegen vom Weltgeschehen. Johannes ist herausgenommen
aus dem normalen, alltäglichen Leben, auch aus dem normalen
alltäglichen Leben seiner Kirchengemeinde. Herausgenommen um des
Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus. Als
Christus-Zeuge verbannt auf eine einsame Insel. Oder aber – alles
ist ganz anders, von Gott her gesehen – dorthin geschickt, um das
Wort Gottes noch mal ganz neu, ganz anders zu hören, und das
Christus-Zeugnis auf noch mal neue, ganz andere Weise zu sagen –
als Offenbarung: Alles ist ganz anders.
Eine andere Zeit:
nicht Alltag, sondern Sonntag, Domingo, Herrentag. Zeit, die wir
herauslösen aus dem Alltag als Zeit für Gott. Oder eigentlich:
Zeit, die Gott für uns herausgelöst hat aus dem Alltag als Zeit für
ihn. Zeit für den Gottesdienst. Zeit für das ganz Andere. Genau zu
dieser anderen Zeit offenbart sich der ewige Gott.
Ein anderer
Zustand: ergriffen vom Geist. – Nicht ergriffen und gefangen
von den römischen Soldaten, die sich gezielt christliche
Gemeindeälteste, Bischöfe und Pastoren herausgriffen und sie unter
Androhung von Folter und Tod dazu zwingen wollten, dem Kaiser in Rom
als allmächtigem Gott zu huldigen. – Das ist nur die äußerliche
Situation, auch für den verbannten Johannes. Die innere Situation
ist eben jenes andere Ergriffensein – das Ergriffensein von dem,
der in Wahrheit Herr ist, und dem sich in Wahrheit alle Knie beugen
müssen, auch derer, die sich in dieser Weltzeit dünken, Herren zu
sein, und sich Gott nennen lassen.
Eine andere Stimme:
eine große Stimme wie von einer Posaune. Da übertönt Gottes
Wort alle anderen Worte. Da bestimmen nicht mehr die vielen Stimmen
um ihn herum, was stimmt, worauf zu hören, wovon Notiz zu nehmen
ist. Sondern die eine Stimme, die Stimme seines Herrn, sie sagt:
„Höre, und sieh und schreibe! Was ich dir sage, das halte fest!
Sonst nichts!“
Eine andere
Blickrichtung: Die Stimme kommt von anderwärts her, von hinten. Der
Hörer wendet sich um und wird zum Seher. Gott offenbart sich, wo
Menschen die Blickrichtung ändern. Weltanschauung sagte man
im vergangenen Jahrhundert. Unsere Weltanschauung ist meistens der
Blick in eine bestimmte Richtung. Dabei übersehen wir mindestens die
Hälfte. Augen geradeaus! – so wird Weltanschauung befohlen.
– Sich umsehen, dorthin schauen, wo ich noch nicht hingesehen habe,
wo die anderen auch nicht hinschauen. Anders sehen, die Perspektive
wechseln. Das Geheimnis des Glaubens entdecken. – Dazu fordert Gottes
Stimme heraus.
Aber es ist
gefährlich: Denn der Seher sieht, was er so noch nicht gesehen hat:
Alles ist ganz anders. Erschreckend anders!
Und das ist es ja
auch für uns. Eine Christus-Vision, die uns total fremd ist. Die so
wenig mit dem Jesulein in der Weihnachtskrippe, mit dem
Schmerzensmann am Kreuz, mit dem milde segnenden, sanftmütigen und
demütigen Heiland zu tun hat, den wir so oft vor unserem inneren
Auge haben, den wir so von Tausenden Darstellungen kennen.
Und doch sieht der Seher Christus – den anderen Christus. Und zugleich denselben. Er sieht
den Menschensohn, und er sieht den ewigen Gott.
Die Worte, mit
denen er ihn beschreibt, sind an der Grenze dessen, was Sprache
vermag. Worte für Licht, für Glanz, für Herrlichkeit und Macht.
Vergleiche, denen man es abspürt, dass sie das Eigentliche nur
unterbieten können: Wie weiße Wolle, wie Schnee, wie
eine Feuerflamme, wie glühendes Golderz, wie die
Sonne in ihrer Macht. Sterne in seiner Hand. Ein zweischneidiges
Schwert kommt aus seinem Mund hervor.
Das ist Christus,
der ganz auf der Seite Gottes steht. Der mit dem Vater und dem
Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der die
ganze Welt in seiner Hand hält. Der kein Teil ist der geschaffenen
Welt, sondern durch den die Welt geschaffen ist.
Diese Vision macht
das, was wir nicht sehen, und doch glauben, sichtbar. Sichtbar und
doch auch nicht. Denn wir spüren es, dass die Worte das nicht
beschreiben können, was hier erschaut wird.
Dieses ganz Andere,
dieser ganz andere Christus lässt den Menschen vor ihm zu Boden
stürzen, raubt ihm die Sinne und den Verstand. Lässt ihn wie tot
sein. Die Gegenwart der göttlichen Macht, wie sie Johannes
widerfährt, ist für einen Menschen schier unerträglich. Vor Gott
muss er vergehen.
Hier wird mit einem
Schlag deutlich, was Gottesfurcht bedeutet. Gott in seiner Majestät
und Heiligkeit ist furchteinflößend. Es ist geradezu ein
Gottesschrecken, der den Menschen überfällt.
Aber ist dieser uns
so fremde, so ferne, so andere Christus, diese furchteinflößende
Weltenherrscher denn wirklich der, an den wir glauben, auf den wir
hören, der als Mensch unter uns Menschen gelebt und gelitten hat?
Ich sage: Ja, er
ist es. Auch in seiner irdischen Existenz ist immer wieder etwas von
seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit durchgedrungen. Vor ihm
sind Menschen niedergefallen und haben ihn angebetet. Angefangen von
den Hirten und Königen an der Weihnachtskrippe. Und später dann
einer wie Petrus: Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger
Mensch! Und viele mehr, die etwas von ihm erwartet und erbeten
haben. Denn sie haben genau das gespürt, dass sie es in ihm mit Gott
selber zu tun hatten.
Das Evangelium von
der Verklärung, das wir gehört haben, macht es ebenfalls deutlich:
Dieser Jesus ist anders und ist mehr als ein bedeutender Mensch. Er
ist Gottes Sohn von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und auch da fallen seine
Jünger nieder und sind überwältigt von seiner Majestät, die
Gottes eigene Macht und Herrlichkeit ist.
Und dann ja wieder,
als sie dem Auferstandenen begegnen. Sie sind überwältigt, sie
fallen vor ihm nieder. Sie erbitten sein Erbarmen, weil sie von sich
aus nicht bestehen können vor ihm.
Ich bin bei der
Vorbereitung auf einen für mich bedeutenden Satz gestoßen: „Wo
man Jesus wirklich begegnet, da bricht man zusammen, und wenn das
nicht geschehen ist, dann hat man's noch vor sich. Es ist keine
harmlose Sache, Christus zu begegnen.“ (Gottfried Voigt, Die Himmlische Berufung)
Nein, ist es nicht.
Und auch wenn ich Christus so wie hier Johannes nicht, noch nicht
gesehen habe, so ist das doch auch meine Erfahrung: Es gibt den
Moment, in dem einem Christus so groß wird, dass man selber nur noch
ganz klein und ohnmächtig ist. Vor diesem Herrn bin ich nichts mehr
aus mir selber, kann ich nichts vorweisen, muss ich schier vergehen.
Und dann geschieht
auch wirklich das Folgende: dass er seine Hand auf mich legt und mich
berührt und zu mir sagt: Fürchte dich nicht!
Dieses Fürchte
dich nicht! bezieht sich nicht zuerst auf das, was uns in der
Welt Angst machen will. Es bezieht sich auf die Furcht vor Gottes
Macht und Majestät, vor der wir nicht bestehen können, die uns
eigentlich umbringen müsste. Fürchte dich nicht!, sagt Jesus
Christus. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich
war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und
habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.
Er sagt etwas, was
sonst niemand sagen kann, einen menschenunmöglicher Satz: Ich war
tot. – Er hat den Tod hinter sich gelassen, hat ihn überwunden.
Und er richtet den wieder auf, der vor Gott wie tot ist. Ich lebe,
und ihr sollt auch leben!
Alles ist ganz
anders. Das ist das Geheimnis des Glaubens: Alles ist ganz anders,
als wir es gewohnt sind zu sehen. Alles ist ganz anders als im
Alltag, als im gewöhnlichen Leben: Der Tod ist tot. Jesus, der vor
2000 Jahren gestorben ist, lebt. Er hält die ganze Welt in seiner
Hand. Und obwohl wir vor ihm nicht bestehen können, rührt er uns
an, richtet er uns auf, lässt er uns die Welt und unser Leben in
einem neuen Licht sehen, in seinem Licht.
Die Wahrheit unter
der Oberfläche, das Geheimnis, das er uns offenbart ist Gott selber:
Gott, der im Himmel regiert, Gott, der den Erdkreis richtet, Gott,
der die Toten erweckt. Dieser Gott will, dass wir mit ihm und für ihn
leben.
Nicht immer wird
uns Gottes Wahrheit mit solcher Gewalt ergreifen, wie sie den
Johannes ergriffen hat. Aber halten wir uns offen und bereit für das
ganz Andere. Halten wir uns offen und bereit für Jesus Christus.
Gut, dass wir
Zeiten, Orte und Gemütszustände kennen, die herausgehoben sind aus
dem Alltag der Welt, die uns auf die Wahrheit hinter der Wirklichkeit
hinweisen können. Gut, dass Jesus Christus uns begegnet als Gott und
Herr.
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