Samstag, 31. Dezember 2011

Predigt am 31. Dezember 2011 (Altjahrsabend)

Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
2. Mose (Exodus) 13, 20-22




Liebe Schwestern und Brüder,

ein schönes Bild ist das, nicht wahr: Gott als Wolke oder als Feuersäule immer da, immer vor Augen. Wir wissen, wo es lang geht, weil Gott uns führt. So werden wir unseres Weges sicher und gehen festen Schrittes in die Zukunft.

Ja, ein schönes Bild, wo wir schon wieder am Jahreswechsel stehen und merken, wie die Zeit vergeht oder wie wir durch die Zeit wandern in dieses unbekannte Land, das da Zukunft heißt. Und wenn uns Gott da so klar und wegweisend vor Augen stünde, wie damals den Israeliten, wäre das nicht schön?

Es war ja nicht schön damals bei den Israeliten. Hals über Kopf waren sie geflohen, geflohen vor ihren Herren und Peinigern, denen sie Frondienste leisten mussten. Zugleich aber hatten sie auch ihre Sicherheiten zurückgelassen: das Dach überm Kopf und täglich zu essen, woraus dann im Rückblick bald die legendären „Fleischtöpfe Ägyptens“ wurden, nach denen sie sich noch manches Mal zurücksehnten: Waren wir nicht wahnsinnig, dieses sichere Leben, wenn auch in Knechtschaft und Armut, einzutauschen gegen die Freiheit, in der wir uns Tag für Tag erneut das Überleben erarbeiten müssen?

Vor ihnen lag ja nicht unmittelbar das Gelobte Land. Vor ihnen lag ein langer, beschwerlicher Weg. Ein Weg, den sie nicht kannten, weil sie ihn noch nie gegangen waren. Ein Weg voller Gefahren. Ein Weg durch die Wüste.

Worauf sollten sie sich jetzt verlassen? Auf Mose und Aaron, die sie bis hierher geführt hatten? Auf diesen Gott, Jahwe, auf den diese sich beriefen und den doch keiner gesehen hatte?

Sie ahnen noch nicht, dass vor ihnen ein Meer liegt und hinter ihnen die Kriegsstreitmacht der Ägypter. Sie sitzen schon in der Falle, und die Wolken- und Feuersäule vor ihnen, das Zeichen für Gottes Gegenwart und Wegweisung – macht es wirklich getrost oder macht es noch mehr Angst?

Ein schönes Bild, ein altes Bild. Aber unsere Situation ist anders: Das Land der Unfreiheit und das Gelobte Land der Freiheit sind für uns nur noch schwache Bilder. Die Wüsten, durch die wir zu gehen meinen, sind nicht vergleichbar mit dem Existenzkampf ums nackte Überleben. Und der Gott vor uns ist nicht mehr Wolke und Feuer; er ist nur noch irgendwie – manchmal in unseren Gedanken, Gefühlen und Gebeten. Unsere Situation ist vergleichsweise komfortabel, aber sie ist auch vergleichsweise vage und unbestimmt. Mit anderen Worten: Uns geht’s gut, auch wenn wir es subjektiv manchmal nicht so empfinden. Aber woher wir kommen und wohin wir gehen, das wissen wir nicht so genau, und wo der Gott ist, der uns führt, da sind wir uns auch nicht so sicher.

Vielleicht ist der Jahreswechsel ein Zeitpunkt, wo wir uns neu darüber klar werden könnten: Wo stehen wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wo ist unser Gott? Ein Zeitpunkt zum Innehalten.

Für viele aber scheint das eher ein Zeitpunkt zum Verdrängen zu sein: nur nicht drüber nachdenken. Wir schaffen unsere eigenen Feuersäulen mit Raketen und Böllern. Aber die geben uns natürlich keine Orientierung. Und statt auf eine Wolkensäule vor uns zu schauen, umwölken und umnebeln wir uns selber mit Alkohol. Und dann wachen wir auf, und das neue Jahr geht weiter, wie das alte aufgehört hat.

Aber ich will es euch ja auch nicht vermiesen. Vielleicht ist so ein Tag gar nicht so wichtig, denn wir stehen weder am Rande der Wüste noch des Gelobten Landes. Wir sind einfach irgendwo unterwegs, und manchmal, da wären wir ganz froh, wir wüssten wo wir sind, wo es langgeht, wo wir überhaupt hinwollen und wo unser Gott ist.

Daran aber nun kann uns dieser Predigttext erinnern: Dass wir woher kommen und wohin gehen. Dass unser Leben Vergangenheit und Zukunft hat. Dass es ein Ziel hat. Und einen, der uns dorthin führt.

Wir kommen, anders als die Israeliten, aus verschiedenen Vergangenheiten, Hintergründen, wie man heute sagt. Es muss nicht das Land der Knechtschaft sein. Häufiger ist es schon das Land der Freiheit, wo wir uns mehr oder weniger erfolgreich durchgeschlagen haben. Aber jetzt sind wir gemeinsam hier, sind gemeinsam Gemeinde, sind, so wie Israel damals, Gottes Volk heute.

Vielleicht, wahrscheinlich gehen wir, auch anders als die Israeliten, bald wieder auf getrennten Wegen weiter. Und doch gehen wir gemeinsam, weil wir Gemeinde sind, weil wir auf ein Ziel zugehen. Das Ziel der Israeliten war das Gelobte Land – Kanaan –, das Land der Freiheit, das Land, wo Milch und Honig fließt, wie es hieß. Die Christen haben das Symbol des Gelobten Landes übertragen auf das Reich Gottes, das sie erwarten. Wir sind nicht unterwegs zu einem bestimmten Ort in dieser Welt. Wir sind unterwegs in Gottes Reich, unterwegs in den Himmel, unterwegs zur Ewigkeit.

Das sollen wir nicht vergessen. Die Orientierung hin auf die Ewigkeit ist uns immer wieder als Vertröstung aufs Jenseits ausgelegt worden. – Aber inzwischen hat man den christlichen Glauben immer wieder und immer mehr auf eine Weltverbesserungsideologie heruntergebrochen, auf eine Vertröstung aufs Diesseits. Und das ist er seinem Wesen nach nicht.

Wenn wir alles nur vom Leben im Diesseits erwarten, dann müssen wir zwangsläufig enttäuscht werden, denn dieses Leben kann einfach nicht alles sein. Es ist begrenzt. Ein Ende unseres Weges durch diese Lebenszeit ist immer schon absehbar.

Gott hatte den Israeliten ein weit entferntes, fast unerreichbares Ziel vor Augen gesetzt: das Gelobte Land. Und darum sind sie losgezogen, haben Beschwernisse und Umwege, Entbehrungen und Versuchungen auf sich genommen. Sie hatten ein Ziel vor den Augen.

Und dabei war der Weg noch unbekannt. Kurz vorher lesen wir, dass Gott sie auf einen Umweg geschickt hatte, und er hatte seine Gründe. Am Ende sind sie angekommen, viel später als erwartet, anders als erwartet, aber angekommen.

So ist es ja auch mit uns: Wir wissen den Weg nicht, aber wir wissen das Ziel. – Und wehe uns, wenn wir denen folgen, die den Weg zum Ziel erklären und meinen, es wäre egal, wo wir hinlaufen, Hauptsache gemeinsam, und wenn es nur im Kreis herum ist! Und wehe uns, wenn wir denen folgen, die uns andere Ziele vor Augen stellen als Gottes Ziel!

Wie finden wir unseren Weg in die Zukunft? Den Weg, der zum Ziel führt? Als einzelne? Als Gemeinde, als Kirche? Als menschliche Gemeinschaft?

Die Israeliten wurden von Mose und seinem Bruder Aaron in die Freiheit geführt. Aber sie sollten sich nicht auf diese beiden verlassen. Sie sollten sich auf Gott verlassen. Und so gab Gott die Zeichen seiner Gegenwart: Wolken- und Feuersäule. Der sollten sie folgen, bei Tag und bei Nacht. Nicht Mose und Aaron.

So sollte das auch in der Kirche sein, dem Gottesvolk des Neuen Bundes: Sie hat nicht Menschen zu folgen, sondern Gott. Menschen braucht er dabei schon. Aber sie sind nur Werkzeuge, Mittler. Im Ernstfall ist entscheidend, wo Gott uns hinführen will, nicht Menschen, auch nicht die Menschen, die in seinem Namen sprechen oder sich für Gottes Stellvertreter halten.

Aber haben wir denn noch so was wie Wolken- und Feuersäule Gottes, die uns vorangehen und die Richtung weisen?

Ich meine, ja. Gott ist seiner Gemeinde nahe, wo sie auf sein Wort hört und Taufe und Abendmahl nach seinem Wort begeht. Gott leitet seine Gemeinde durch Wort und Sakrament.

Wir kennen das Ziel. Und wir kennen die Richtung. Beide werden uns durch Gottes Wort gewiesen.
Das heißt nicht, dass unsere persönlichen Lebenswege nun alle gleich verlaufen müssten. Das nicht. Aber Gottes Wort und Sakrament sollten es uns klarer werden lassen, welche Wege zum Ziel führen und welche nicht. Welche Wege Gottes Wege sind und welche nicht.

Und selbst, wenn wir auf Irr- und Abwege geraten sind, dann sollte uns Gottes Wolken- und Feuersäule, Gottes Wort und Sakrament doch immer noch erreichen können und uns zurückrufen auf den richtigen Weg.

Wir haben also ein Ziel vor den Augen, auch wenn wir den Weg nicht kennen. Und wir haben einen Herrn, der uns den Weg führt und für uns immer in Sicht- und Rufweite bleibt.

So gehen wir vielleicht vorsichtig, ängstlich, tastend und wagend voran in die Zukunft, die vor uns liegt. Aber wir gehen mit Gott und wir gehen zu Gott. Das kommende Jahr, was immer es auch bringen mag, soll uns doch in jedem Falle näher zu ihm bringen.

Sonntag, 25. Dezember 2011

Predigt am 25. und 26. Dezember 2011 (Christfest)

Neufassung einer Predigt von 1999


Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.

1. Johannes 3, 1-6





Liebe Schwestern und Brüder,

Weihnachten ist nicht nur am Heiligen Abend. Weihnachten ist heute. Weihnachten ist morgen. Die Weihnachtszeit im engeren Sinne geht bis zum 6. Januar – Epiphanias, Dreikönige, Hohneujahr, wie auch immer man diesen Tag nennen mag. Die Weihnachtszeit im weiteren Sinne geht bis zum 2. Februar – Mariä Lichtmess. Und Weihnachten im eigentlichen Sinne geht immer noch weiter und weiter und weiter.

Weil Weihnachten das Fest der Liebe ist, und die Liebe hört niemals auf. Liebe nur für eine Nacht ist keine Liebe. Liebe nur für ein paar Wochen, ist keine Liebe. – Weihnachten ist das Fest von Gottes Liebe, und die hört niemals auf. Gottes Liebe ist kein One-Night-Stand. Gottes Liebe ist keine kurze Affäre. Gottes Liebe geht weit über Weihnachten hinaus, sie geht weiter und weiter und weiter.

Aber Weihnachten sehen wir sie klar und deutlich, Gottes Liebe: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen! Wir sehen Gottes Liebe im Kind in der Krippe. Mit denen, die von Anfang an hingeschaut haben, hingegangen sind, es gesehen haben und froh geworden sind: Die Gestalten der Weihnachtsgeschichte: Hirten und Könige, Tiere und Engel: das heißt Reiche und Arme, Schlaue und Schlichte, ja die sichtbare und die unsichtbare Kreatur. Sie sehen und stehen und staunen.

Wo die Kirchengemeinden Krippenspiele aufführen, wird es oft so sichtbar gemacht, dass noch andere Menschen mit an die Krippe treten: der Herbergswirt, ein Bettler, Soldaten … Meistens habe ich mich am Ende des Krippenspiels auch mit dazugestellt. Und das Krippenbild ist ja auch immer offen zur Gemeinde hin. Wir sind mit hineingenommen in die Weihnachtsgeschichte. Wir sind dabei, alle Jahre wieder. Wir staunen und stehen und sehen: Gottes Liebe in Gestalt des Kindes. So ist es auch bei uns, auch wenn uns die Krippe heute nur vor dem inneren Auge steht: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen!

Gibt es eigentlich einen stärkeren Ausdruck für Liebe als ein Kind?

Das Dasein eines Kindes, seine Geburt verdankt sich der Liebe. Jedenfalls sollte es so sein. Und wenn es geboren ist, dann müssen wir es einfach liebhaben. Ein kleines Kind muss nichts dafür tun, um geliebt zu werden. Es kann schreien, es kann seinen Eltern den Schlaf rauben – wir lieben es.

Und ein Kind strahlt selber Liebe aus. Es schmiegt sich an seine Mutter. Bald nimmt es mit seinem Lächeln alle für sich ein. Oder aber fordert mit seinem Weinen die liebevolle und tröstende Zuwendung ein. – Das ist bei Gottes Kind nicht anders: Es zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Es zieht die Menschen an, und sie schenken ihm ihre Liebe und empfangen von ihm seine Liebe – Gottes Liebe.

Ich fand diesen Vers ja lange Zeit kitschig, aber eigentlich stimmt es doch: Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund, Christ in deiner Geburt.

Diese Liebe lacht uns nicht nur in der Weihnachtsnacht an. Nein, es ist ja Gottes ewige Liebe, sie geht weit über Weihnachten hinaus, sie geht weiter und weiter und weiter.

Sie geht weiter im Leben dieses Kindes, als es dann ein Mann wird, als dieser Mann in die Öffentlichkeit geht, auf die Menschen zugeht, die genau diese Liebe, Gottes Liebe brauchen. Das ist dann keine gefühlsduselige Liebe mehr, sondern Liebe in Worten und Taten. Er hat das rechte Wort zur rechten Zeit und die helfende Tat, für die, die sie brauchen. Für die Armen und auch für die Reichen. Für die Kranken und auch für die Gesunden. Für die Sünder und auch für die Gerechten. Und selbst da, wo seine Worte und Taten jemandem wehgetan haben, waren es doch Worte und Taten der Liebe.

Diese Liebe, Gottes Liebe, geht noch weiter: Sie geht aufs Ganze, sie geht ans Kreuz. Die gottlose, lieblose Welt stört sich und widersteht seiner Liebe. Sie möchte kein Weihnachten, sie möchte keinen Gott, sie möchte schon gar keinen menschlichen, liebevollen Gott. Darum sucht sie ihn zu töten. Aber die Liebe lässt sich nicht töten. Liebe ist stärker als der Tod. Die Liebe überlebt Kreuz und Tod. Als Jesus stirbt, als Jesus vom Tode aufersteht, können wir Gottes Liebe sehen, die die Lieblosigkeit besiegt, die die Welt überwindet.


Weihnachten, die Geburt des Kindes ist erst der Anfang der Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen. Sie geht weiter. Karfreitag und Ostern gehören mit dazu. Und sie sind in Weihnachten schon mit enthalten. Die Armut der Krippe lässt künftiges Leiden erahnen. Und das himmlische Licht und der englische Lobgesang nimmt das Licht des Ostertages und den Jubel über die Auferstehung vorweg. Weihnachten ist der Anfang dieser Liebesgeschichte, aber in diesem Anfang ist schon alles, die ganze Geschichte.

Auch wir. Es ist ja die Liebesgeschichte Gottes mit uns: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch.

Ein Kind ist Inbegriff der Liebe. Und Gottes Liebe macht uns zu Kindern. So wie wir ein Kind liebhaben, nein, noch viel mehr, so liebt uns Gott. Bedingungslos. Ein Kind muss nichts dafür tun, um von seinen Eltern geliebt zu werden. Wir müssen nichts dafür tun, um von Gott geliebt zu werden.

Vielleicht wollen wir ja, so wie gute Kinder ihren Eltern gefallen wollen, unserem himmlischen Vater gefallen. Das ist in Ordnung so. Aber seine Liebe verdienen, indem wir bei Gott Pluspunkte sammeln, gute Taten tun, um von ihm Lob, Anerkennung oder Belohnung zu erhalten, das funktioniert nicht. Liebe ist ein Geschenk, sein Geschenk. Sie ist schon da, unverdient. Nicht als Belohnung für unsere guten Taten, nicht als Lob und Anerkennung für irgendwas.

Jesus hat, als er groß war, eine Geschichte erzählt – ihr kennt sie: die Geschichte von einem, der auszog, um mit seinem Leben ohne Gott klarzukommen. Er ist gescheitert. Er ist in der Gosse und im Schweinestall gelandet, und er ist zu seinem Vater zurückgekehrt – mit leeren Händen. Aber wie auch immer: er war der geliebte Sohn. Der Vater hat ihn in die Arme geschlossen und ein Fest mit ihm gefeiert. – So ist Gottes Liebe, Gottes bedingungslose Liebe.

Wir müssen nichts tun für Gottes Liebe. Aber Gottes Liebe tut etwas mit uns. Sie prägt uns. Sie verändert uns. Liebende werden einander ähnlicher. Und von Gott geliebte Menschen werden ihm ähnlicher. Nachdem er uns ähnlich geworden ist: als Mensch, als Kind. Unser Leben als Gottes Kinder wird liebevoll.

Vielleicht klangen die Worte über Sünde und Unrecht im Predigttext befremdlich und streng. So sind sie aber gar nicht gemeint. Sie sollen uns auch nur an Gottes Liebe erinnern. Sünde ist nichts anderes als Lieblosigkeit. Die Lieblosigkeit, die gar nicht zu uns passt, wenn wir doch Gottes Kinder heißen und es auch sind. Leben, als ob Gottes Liebe nicht zur Welt gekommen wäre, als ob es kein Weihnachten gäbe, das ist Sünde. Die Lieblosigkeit, in der Menschen miteinander umgehen, in der Menschen sich schaden, wehtun, verletzen und gar umbringen, das ist Sünde. In dieser Lieblosigkeit sollen, wollen, können wir nicht mehr leben, wenn wir Gottes Kind in der Krippe begegnet sind.

Die Liebe, die uns aus der Krippe, die uns aus dem ganzen Leben Jesu entgegenstrahlt, die macht uns auch ihm ähnlicher: Sie macht auch uns fähig zum rechten Wort und zur helfenden Tat, für die, die sie brauchen.

Auch so und gerade so geht Weihnachten weiter: Wenn Gottes Liebe uns verändert und uns zu liebevollen Menschen macht. Gottes Liebe ist Kind geworden. Gottes Liebe macht uns zu Kindern, zu Gottes Kindern. Gottes Liebe geht weiter und weiter und weiter – in Ewigkeit. Das Fest hat gerade erst begonnen.

Predigt am 24. Dezember 2011 (Heiligabend)


Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift , wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.
Jesaja 9, 1-6


Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist der Lichtblick für die Welt. Weihnachten ist das Zeichen der Hoffnung. Denn uns ist ein Kind geboren. Und ein Kind, das ist immer ein Zeichen der Hoffnung.

Dieses Kind mehr noch als alle anderen. So unscheinbar es geboren wird, in tiefster Armut, am Rande der Welt, so sehr ist es für die, die ihm begegnen, ein göttliches Kind, der Hoffnungsträger. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden – das war seiner Mutter vom Engel des Herrn gesagt worden (Lukas 1, 32). Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr – das war den Hirten draußen vor Bethlehem verkündet worden, ebenfalls vom Engel des Herrn (Lukas 2, 11). Den neu geborenen König der Juden suchten die Weisen aus dem Osten, geleitet von einem Stern (Matthäus 2, 1f).

Es waren lauter Licht- und Hoffnungszeichen, die auf dieses Kind hinwiesen. Und es waren die alten Schriften der Propheten, die von einem Kind sprachen, das Gottes Kind sein würde und ein König der Freude, der Freiheit und des Friedens. Durch dieses Kind würde es licht werden in einer dunklen Welt, in einer dunklen Zeit.

Und das haben sie gesehen und gespürt: Maria war tief bewegt in ihrem Herzen (Lukas 2, 19). Die Hirten lobten und priesen Gott mit lauter Stimme (Lukas 2, 20). Die Weisen wurden hocherfreut (Matthäus 2, 10). – Und wir, wir begehen diesen Tag ebenfalls mit weihnachtlicher Freude und versuchen Freude zu verbreiten. Wir stimmen ein und loben und preisen Gott mit unseren Weihnachtsliedern. Und wir spüren in unseren Herzen dem Besonderen dieses Tages nach.

Das ist doch erstaunlich an Weihnachten: Weihnachten ist und bleibt ein besonderes Fest für uns. Ein Lichtblick, ein Hoffnungszeichen. Wir mögen noch so aufgeklärt und nüchtern sein: Weihnachten geht zu Herzen. Wir mögen Schnee und Kälte daheimlassen: aber wir kommen zur Kirche und singen die Weihnachtslieder. Wir mögen uns große Geschenke unter den Baum legen oder wir mögen darauf verzichten, uns überhaupt noch Geschenke zu machen: aber wir spüren immer noch etwas davon, dass Gott uns beschenkt.

Man könnte meinen, mit Weihnachten, mit der Geburt dieses Kindes sei Gott hinter den Erwartungen zurückgeblieben: Der Friede-Fürst hat nicht den Weltfrieden gebracht, damals nicht und bis heute nicht. Der Gott-Held hat die Menschen damals nicht von der Fremdherrschaft befreit, und bis heute leben Menschen unter unsäglichen Bedingungen. Die Freude über die Geburt Jesu hat nicht lange angehalten; Leiden und Trauer gehören bis heute zur menschlichen Existenz dazu.

Ja, und doch hat mit Weihnachten etwas angefangen, die Verwandlung der Welt. Sie geschieht vielleicht anders, als wir uns das wünschen oder vorstellen würden. Nicht mit einem Schlag, nicht damit, dass ein Herrscher einfach Frieden befiehlt oder mit Waffengewalt für Ruhe sorgt: Das wäre dann doch nur ein Friedhofsfrieden. Nicht so, dass ein Revolutionär die Verhältnisse umkehrt und die Unterdrückten die neuen, vielleicht noch schlimmeren Unterdrücker werden. Und nicht so, dass Freude und Jubel verordnet und inszeniert wird. Das alles haben wir gesehen und erlebt: faulen Frieden; Knechtschaft, die sich Volksherrschaft nannte; und Frohsinn hinter Stacheldraht. Und in manchen Weltgegenden sehen und erleben wir es immer noch.

Die Verwandlung der Welt, die zu Weihnachten angefangen hat geschieht anders. Nicht schlagartig, nicht auf Befehl, nicht mit Zwang und Gewalt. Sie geschieht weniger sichtbar, aber dafür, um es mit einem Modewort zu sagen: nachhaltiger.

Denn so ist es ja: Weihnachten wirkt nach, wirkt weiter bis heute, bis zu uns.

Überall, wo Menschen Weihnachten feiern, da werden sie auch heute froh und frei und friedlich. Friede, Freiheit und Freude breiten sich aus, wo Christus der Retter geglaubt und angebetet wird – so wie damals im Stall von Bethlehem. Denn das Kind in der weihnachtlichen Krippe ist das Zeichen der Hoffnung, der Lichtblick für die Welt. Sein Lichtglanz fällt heute in unsere Herzen hinein und strahlt morgen und übermorgen aus unseren Herzen heraus – hinein in unsere Welt. So ist es. So sei es. Amen.

Montag, 19. Dezember 2011

Predigt am 18. Dezember 2011 (4. Advent)

Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.
2. Korinther 1, 18-22




Liebe Schwestern und Brüder,

manchmal werden wir nach etwas gefragt und die Antwort ist schlicht und einfach Ja oder Nein: Kommst du nach dem Gottesdienst mit zum Kirchencafé? – Ja oder Nein? Eigentlich ist die Antwort ganz einfach bei solchen Entscheidungsfragen. Aber in Wirklichkeit müssen wir doch drüber nachdenken, denn wir müssen eine Entscheidung treffen: Ja oder Nein? Will ich wirklich mitgehen oder nicht? Vielleicht habe ich mich schon zuvor entschieden, dann ist alles klar. Oder aber ich muss noch nachdenken, überlegen, abwägen. Dann kommen zum klaren Ja oder Nein noch weitere Antwortalternativen hinzu: Weiß nicht, Vielleicht.

Ja – nein – vielleicht – weiß nicht. Da haben wir schon das perfekte Fragebogenraster für alle Fälle:
Sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden? – Ja – nein – vielleicht – weiß nicht.
Geben Sie in diesem Jahr mehr für Weihnachtsgeschenke aus als im letzten Jahr? – Ja – nein – vielleicht – weiß nicht.
Befürworten Sie Sex in der Ehe? – Ja – nein – vielleicht – weiß nicht.
Gibt es ein Leben vor dem Tod?  – Ja – nein – vielleicht – weiß nicht. 
Usw.

Es gibt viele Entscheidungsfragen, aber wir müssen uns nicht entscheiden. Wir können Vielleicht sagen, wir können im Ungefähren bleiben, wir können uns hinter unserer Unwissenheit verstecken.

Es gibt freilich auch Situationen, wo wir das nicht können. Zum Beispiel im Standesamt oder vor dem Traualtar: Willst du diese NN zur Ehefrau nehmen? So antworte Ja oder Nein, Vielleicht oder Ich weiß nicht. – Geht nicht. Da ist eine klare Antwort gefordert. Denn die Entscheidung ist ja auch schon lange vorher gefallen.

Einerseits. Andererseits: Wie ernst ist mir dieses Ja? Wie lange gilt es? – In guten wie in bösen Tagen bis der Tod euch scheidet – so heißt es immer noch in unseren Trauagenden. Und manchen gefällt das gar nicht mehr. Sie fühlen sich überfordert von einem so weit reichenden Ja. Sie möchten vielleicht lieber ein eingeschränktes Ja sagen: In guten Tagen, so lange wir es miteinander aushalten, bis der Richter uns scheidet … – Sie sagen Ja zu einer Lebensabschnittspartnerschaft, aber eine Ehe in unserem Sinne wäre das nicht.

Ich denke an andere Ja-Worte, die wir auch vor dem Altar Gottes und der Gemeinde gesagt haben: das Ja, mit dem wir versprochen haben, als Eltern und Paten unsere Kinder zum christlichen Glauben hinzuführen. Das Ja, mit dem wir bei der Konfirmation versprochen haben, im Glauben zu wachsen und in der Gemeinschaft der Kirche zu bleiben.

Bei manchen waren solche Ja-Worte von vornherein ein Vielleicht oder ein Weiß-nicht. Bei anderen waren sie sehr ernst gemeint, und dann ist es doch anders gekommen. Sie haben sich gewissermaßen selber von ihrem Versprechen entbunden. Aber konnten sie das? Bei einem Versprechen, das ausdrücklich vor Gott gegeben wurde?

Manchmal hat das ja auch mit Ehrlichkeit zu tun, mit Ehrlichkeit vor sich selber. Da ist einem unter den Anforderungen und Anfechtungen des Lebens der Glaube zerbrochen. Und um mit sich selber im Reinen zu sein, musste er das Ja zu Gott zurückziehen. – Aber das ist wohl eher die Ausnahme. Für viele ist ihr Ja einfach verblasst. Die Prioritäten haben sich verschoben, der Glaube ist unwichtig geworden. Es ist gewiss kein Nein daraus geworden, aber ein Vielleicht, Ich weiß nicht.

Nicht nur in den entscheidenden Lebens- und Glaubensfragen, auch in den alltäglichen Entscheidungen ist es nicht immer so einfach mit dem Ja und dem Nein. Eure Rede sei Ja, ja, nein, nein, sagt Jesus (Matthäus 5, 37). Ja, aber, sagen wir. In den allermeisten Fällen sind wir uns nicht so ganz sicher mit dem Ja und dem Nein. Es gibt so viele Ungewissheiten und Unwägbarkeiten. So oft, kommt es anders als wir dachten. Sollten wir nicht ehrlicherweise lieber gleich sagen: Vielleicht, ich weiß nicht?

Paulus, dem Apostel, ist es ganz ähnlich ergangen: Er hatte den Christen in Korinth angekündigt, er werde sie persönlich besuchen, aber dann ist er doch nicht gekommen. Und nun schreibt er einen Brief und entschuldigt sich wortreich. Ja, er hatte kommen wollen, aber, nein, er hat sich anders entschieden. Und trotzdem, sagt er, ist sein Wort deshalb nicht unzuverlässig, wird aus seinem Ja nicht einfach ein Nein, so wie das bei Ehepaaren oder Konfirmanden nach ein paar Jahren passieren kann.

Tatsache ist auch hier, dass es manchmal einfach anders kommt, als wir dachten. Vielleicht hätte er vorsichtiger sein sollen und sagen: Ich komme vielleicht, ich weiß es noch nicht. – So ist das nun mal bei uns Menschen. Sein Kollege Jakobus hat für diese Unwägbarkeit eine schöne Formulierung gefunden: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun (Jakobus 4,15). – Damit wäre man immer auf der sicheren Seite: So Gott will und wir leben. – Wobei das für die wichtigsten Dinge aber doch keine Ausrede ist: Denn bei der Beständigkeit der Ehe und des Glaubens wissen wir schon ganz genau, was Gott will: nämlich, dass wir zu unserem Ja stehen und es durchhalten.

Letztlich sehen aber Paulus und Jakobus etwas ganz Richtiges und Wichtiges: Wirklich verlässlich ist nur Gott. Sein Ja ist und bleibt ein Ja. Und sein Nein … nein, sein Nein bleibt nicht immer ein Nein. Das ist das Großartige an Gott. Gott kann seine Meinung ändern, er kann umdenken, sich bekehren, wie ich vor zwei Wochen gesagt habe. Aber das ist dann immer nur ein Umdenken vom Nein zum Ja. Wo Gott richtet, verurteilt, straft, da wendet er sich oft genug dem Gestraften, dem Verlorenen, dem Verdammten wieder zu, und ermöglicht einen neuen Anfang. Denn auch Gottes Nein ist eingeschlossen in das große Ja, das er über uns spricht.

Gottes Ja ist und bleibt ein Ja. Gott wird sich, Gott wird uns nicht untreu. Gott lässt sich nicht scheiden von uns. Gott zweifelt und verzweifelt nicht an dir, an mir.

Gott ist treu, Gott sagt Ja. Was er sich vornimmt, was er verspricht, das macht er auch wahr. Dafür steht ja auch der Apostel Paulus selber mit seiner Botschaft: Gott ist treu, Gott ist glaubwürdig und wahrhaftig. Er hat es wahr gemacht, was er versprochen hat: durch Jesus Christus.

Als Jesus zur Welt gekommen ist, als Weihnachten wurde, da hat Gott sein altes Versprechen wahr gemacht: den Retter, den Erlöser, den Heiland der Welt gesandt. Nicht umsonst werden zu Weihnachten die prophetischen Weissagungen über den Messias gelesen. Nicht umsonst heißt es in den Geschichten von Jesu Geburt immer wieder: auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten sagt, so besonders bei Matthäus. Bei Lukas geschieht es eher indirekt, etwa wenn Maria in ihrem Lobgesang, den wir vorhin als Evangelium gehört haben, sagt: Gott gedenkt seiner Barmherzigkeit …, wie er geredet hat zu unsern Vätern … (Lukas 1,54f).

Gott hält sein Versprechen, Gott steht zu seinem Ja – nicht nur zu Weihnachten, sondern in der ganzen Geschichte Jesu, auch in seinem Leiden und Sterben – und dann in seinem Auferstehen.

Gott steht zu seinem Ja, er hält sein Versprechen – das ist nun auch die großartige Botschaft für uns. Denn wir kennen ja Gottes Versprechen:
Er verspricht uns Leben und volle Genüge.
Er verspricht uns Trost und Freude.
Er verspricht uns die Vergebung und den Neuanfang.
Kurz: Er verspricht uns das ewige Heil.

Ja, das ist Gottes verlässliches Ja für unser Leben. Zu Weihnachten sehen wir es in der Krippe liegen.

Ich habe vorhin über unsere Jas gesprochen und wie wenig verlässlich sie sind. Auch unsere ganz ernst gemeinten Ja-Worte: bei der Trauung, bei der Taufe, bei der Konfirmation. Ich bin froh, dass es am Ende – und auch schon am Anfang – nicht an unserem Ja liegt. Am Anfang und am Ende ist Gottes Ja.

In der Taufe hat er uns als seine Kinder angenommen, aus lauter Güte und Barmherzigkeit. Er hat uns angenommen, nicht weil wir Ja gesagt haben, falls wir das schon konnten, nicht weil unsere Eltern Ja gesagt haben. Nein, es war umgekehrt: Sie oder wir haben Ja gesagt, weil Gottes Ja zuvor schon feststand.

Bei der Konfirmation wurde uns mit dem Segen sein Ja-Wort und sein Heiliger Geist erneut zugesprochen. Konfirmation heißt Befestigung, Bestätigung – viele von uns kennen die Vokabel confirmación auch aus dem Spanischen. Und wir gebrauchen das Wort passiv: Die Konfirmanden werden konfirmiert – befestigt und bestätigt in ihrem Glauben. Nämlich durch Gott, den Heiligen Geist. Unser Ja-Wort bei der Konfirmation war nur die Antwort auf Gottes Ja, das er schon lange gegeben hatte.

Und bei der Trauung? Da heißt es: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden (Matthäus 19, 6). Also auch da ist zuerst Gottes Ja, sein Zusammenfügen. Die Brautleute sagen dann nur noch Ja zu dem, was Gott getan hat. Und das macht es dann auch wirklich so ernst, wenn Ehen auseinandergerissen werden. Das ist dann nicht nur das Zurücknehmen des Ja-Wortes, das wir selber einmal gesagt haben – wir könnten ja sagen: Wir haben es nicht geschafft, wir haben uns zu viel vorgenommen, wir haben uns vielleicht auch geirrt und wir haben versagt – nein, es ist darüber hinaus die Zurückweisung von Gottes Ja. Wir haben gegen seinen Willen das, was er zusammengefügt hat, auseinandergerissen. Ich glaube, so ernst muss man das sehen.

Dabei soll Gottes Ja aber nicht eine Drohung sein, sondern eine ganz große Ermutigung: Wenn Gott Ja sagt, dann könnt ihr, dann kannst du auch Ja sagen, immer wieder:
Du kannst Ja sagen zu deinem Ehepartner, mit dem du es schwer hast.
Du kannst Ja sagen zu deinem Glauben, der mit allerlei Zweifeln zu kämpfen hat.
Du kannst Ja sagen zu deinem Leben, das immer noch mehr ist, als was du selber davon siehst.
Du kannst Ja sagen, weil Gott Ja sagt zu dir: Er sagt nicht Nein, nicht Vielleicht, nicht Weiß nicht. Gott sagt Ja. Und wir sagen Amen.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Predigt am 11. Dezember 2011 (3. Advent)


Wir aber, die wir stark sind, sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. Jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung. Denn auch Christus hatte nicht an sich selbst Gefallen, sondern wie geschrieben steht: „Die Schmähungen derer, die mich schmähen, sind auf mich gefallen.“ Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Mund Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ Und wiederum heißt es: „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ Und wiederum: „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!“ Und wiederum spricht Jesaja: „Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.“
Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Römer 15, 1-13


Liebe Schwestern und Brüder,

heute im Gottesdienst hat schon wieder der Chor gesungen; das ist schön. Wisst ihr, wie ein Chor dazu kommt, gut zu singen und zu klingen? – Chorklang und Chorgesang ist ja eigentlich ein kleines Wunder: Eine Gruppe von Menschen, jeder mit seiner eigenen Stimme, singt gemeinsam und es klingt. – Wie geht das?
Es geht nur durch Einheit in der Verschiedenheit. Wir sind uns einig, was wir singen. Wenn einer „Tochter Zion“ singen will, der andere aber „Mache dich auf und werde Licht“, dann sind das zwar beides schöne Adventslieder, aber gleichzeitig singen kann man sie halt nicht, sonst klingt es gleich ganz fürchterlich. (So was erlebt man gelegentlich, wenn in der Probe einer nicht aufgepasst und ein falsches Stück aufgeschlagen hat.)

Wir brauchen aber noch mehr Einigkeit. Einigkeit über Tonart, Takt und Tempo. Das gibt am besten ein Chorleiter, oder hier: unsere Chorleiterin vor. Ein Chorleiter bringt die notwendige Einigkeit in den Chor. Und über die Grundlagen hinaus gestaltet der Chorleiter oder die Chorleiterin das Stück, indem sie Tempi und Dynamik in das Stück hineinbringt. So entsteht ein harmonisches Ganzes, das unseren Ohren wohltut.

Freilich: der Chorleiter allein kann das nicht. Es funktioniert nur, wenn der Chor sich auch nach ihm richtet. Die letzte Entscheidung, wie ein Stück gestaltet wird, liegt beim Chorleiter, und der Chor hat sich danach zu richten, ob das dem einzelnen gefällt oder nicht. Jemand hat mal etwas drastisch formuliert: Chor ist Diktatur.

Ein Wohlklang entsteht aber nicht allein dadurch, dass alle sich nach einem richten. Sondern mehr noch, dass alle aufeinander achten. Ein Chor, der nur aus Solisten besteht, von denen sich jeder besonders hervortun möchte, klingt auch nicht gut. Denn in einem Chor kommt es nicht auf die Einzelstimme an, sondern auf den Gesamtklang. Der Gesamtklang entsteht, wenn einer auf den anderen hört. Am besten ist es, wenn ich nicht nur die Stimmen der anderen Tenöre neben mir höre, sondern auch auf Sopran, Alt und Bass achte, wie sie gemeinsam klingen und mich in diese Harmonie einfüge.

Und dann kommt noch etwas dazu: Es gibt starke und schwache Sänger in einem Chor. Wir sind – zumindest in unseren Kirchenchören – keine Perfektionisten. Da singen auch Leute mit, die nicht immer den richtigen Ton treffen, deren Stimme etwas brüchig oder ungeübt sein mag, die nicht vom Blatt singen können, die sich leicht verunsichern oder rausbringen lassen. Und es singen Leute mit, die da etwas besser sind, die mit ihrem schönen und richtigen Gesang die anderen anführen und mitnehmen können.

Und das gefällt mir besonders, dass das geht. Auch die schwächeren Sängerinnen und Sänger tragen zum Gesamtklang bei, und die stärkeren unterstützen sie, nehmen sie mit, halten es auch aus, wenn es neben ihnen mal falsch klingt.

Kurz gesagt: Ein Chor klingt dann gut, wenn beim Singen alle auf den Chorleiter achten und auch alle aufeinander achten.

Ich glaube, in diesem Bild wird vielen von uns ganz gut deutlich, was Paulus meint, wenn er vom Miteinander der verschiedenen Christen in einer Gemeinde schreibt. Die christliche Gemeinde ist harmonisch, hat Ausstrahlung, verkündet Gottes Lob, wenn alle auf Christus ausgerichtet sind – unseren Chorleiter, im Bilde gesprochen – und wenn alle aufeinander achten.

Denn die Kirche und Gemeinde ist ja, viel mehr noch als ein Chor, ein sehr bunter Haufen. Da klingt es vielstimmig. Da gibt es unterschiedliche Meinungen, Traditionen, Frömmigkeitsstile. Da gibt es viele einzelne, von denen sich mancher gerne besonders hervortun würde. Und hier bei uns auf Teneriffa ist es besonders bunt. Wir kommen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands und Europas und treffen hier aufeinander: Norddeutsche, Österreicher, Rheinländer, Sachsen ... Wir haben Kirche und Gemeinde auf ganz unterschiedliche Weise kennengelernt: lutherisch-konservativ, nüchtern-reformiert, pietistisch-bibelfromm oder sozial engagiert. Manche sind von Klein auf im Glauben und in der Gemeinde geblieben und gewachsen. Andere haben erst später oder später wieder dazugefunden. Und dann kommt ja noch etwas dazu: Wir sind eine evangelische Gemeinde, aber wir sind zugleich auch eine ökumenische Gemeinde. Zu uns kommen auch viele Katholiken und manche Freikirchler. Und sie sind willkommen, ausdrücklich. Zuerst und vor allem sind wir christliche Gemeinde.

So ein bunter Haufen könnte leicht auseinanderfliegen: Wenn viele einzelne darauf beharren würden, dass sie mit ihrer Tradition und ihrer Erfahrung allein recht haben und den Ton angeben wollen. Wenn diejenigen, die schon immer zur Kirche gehören, die anderen verachteten, die erst später dazugekommen sind. Wenn ein einziger Glaubensstil zum Maß für alle gemacht würde. Wenn einzelne der Meinung wären, sie wären die allerwichtigsten und ohne sie würde es gar nicht gehen: Dann wäre unser Dasein als Gemeinde eine einzige Kakophonie. Es wäre zum Weglaufen und wir würden es erleben, dass die Leute weglaufen statt zu uns zu finden.

Paulus hat damals auch an so einen bunten Haufen von Leuten geschrieben. In der Gemeinde von Rom, der Hauptstadt, da trafen Leute aus den verschiedenen Gegenden der antiken Welt aufeinander und mussten miteinander auskommen. In der christlichen Gemeinde wurden auch soziale Schranken überwunden, die sonst überall galten: reiche und vornehme Römer trafen da auf Sklaven aus den nördlichen oder südlichen Barbarengebieten. Vor allem aber trafen Menschen aus dem Heidentum, die vormals römische, griechische oder ägyptische Götter verehrt hatten oder gar irgendwelchen esoterischen Geheimkulten angehört hatten, auf Anhänger des Gottes Israels, des Gottes Jesu, des lebendigen Gottes, also auf die Juden. Die Juden haben natürlich einen großen Vorlauf an Glaubenstradition und an biblischem Wissen. – Wie soll das alles zusammenpassen, zusammenklingen?

Paulus geht es im ganzen Römerbrief um diesen Zusammenklang. Er erörtert das in großer Theologie: Juden wie Heiden sind auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit angewiesen, die durch Jesus Christus gekommen ist. Und er erörtert es in praktischen Lebensfragen. Und so und so schärft er es ein: Ihr gehört zusammen! Lasst euch nicht auseinanderdividieren! Macht aus euren Unterschieden eine Harmonie und keinen Missklang!
Und diese ganze Botschaft gipfelt in diesem einen Satz, der in unserem Text steht, den viele von euch kennen und der eigentlich einer der wenigen Lernsprüche sein sollte, die Christen einfach im Kopf haben: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.

Nehmt einander an: Nicht aus Sympathie und Herzenszuneigung. Nicht aus Toleranz, die den anderen einfach anders sein lässt, aber sich sonst nicht um ihn kümmert. Nicht aus pädagogischem Eifer, der den anderen sich selber ähnlich machen möchte. Nein, sondern aus christlicher Liebe. Und das heißt: Der Mitmensch, der Mitchrist steht vor Gott genau so da wie ich: als Sünder, der von sich aus nicht zu Gott findet, und als angenommener Sünder, den Gott gefunden hat. Christliche Liebe ist die Solidarität der angenommenen Sünder. Egal, wo wir herkommen, wir kommen aus der Begegnung mit Jesus Christus her. Das ist es, was uns zusammengeführt hat.

Zusammengeführt und zusammengefügt zu einer lebendigen Gemeinschaft, zu einem harmonischen Ganzen. Zu Gottes Lob, heißt es.

Wie der Kirchenchor ausdrücklich zu Gottes Lob singt, so lebt und existiert die christliche Gemeinde ausdrücklich zu Gottes Lob.

Es dient Gottes Lob, wenn wir einander annehmen, aufeinander achten, aufeinander hören und aus unserer Vielfalt und Mehrstimmigkeit einen Wohlklang machen.

Perfekt ist dieser Wohlklang noch lange nicht. Was ihm aber guttut, ist, auf den Chorleiter zu achten und die eigene Stimme nach seinem Dirigat und in seinem Sinne klingen zu lassen. Dieser Chorleiter, um es ganz klar zu sagen, das ist nicht etwa der Pfarrer oder ein Bischof oder Papst; dieser Chorleiter ist der Herr Jesus Christus selber.

Lasst uns auf ihn achten und lasst uns aufeinander achten.

Und jetzt frage ich mich nur noch, was das alles mit Advent zu tun hat. – Nun, ich denke, so ist Leben im Advent: Miteinander und füreinander da sein als wartende Gemeinde. Die Unvollkommenheit aushalten, die eigene, die des anderen, die der Kirche. Und doch schon zu Gottes Lob leben.

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 11. Dezember 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

die Zündfunken der letzten Tage hatten, besonders gestern, immer einen ernsten Ton mitschwingen.

“Advent ist eine ernste Sache” war mal so was wie eine stehende Redewendung in meinem Freundeskreis, nachdem ein Pfarrerkollege diesen Satz in seiner Predigt betont hatte.

Es stimmt: Advent ist eine ernste Sache. Die Zeit vor Weihnachten war in früheren Zeiten wohl unterschieden von der Zeit nach Weihnachten. Adventszeit war Bußzeit, Fastenzeit. Weihnachten erst war Freudenzeit. In manchen Dörfern oben im Erzgebirge wurde noch vor wenigen Jahren erst am Weihnachtstag der Lichterschmuck angemacht. In vielen Häusern wird bis heute der Weihnachtsbaum erst am Heiligen Abend aufgestellt. Und noch in meiner Kindheit war es so, dass der Christstollen erst am Heiligen Abend angeschnitten wurde. Es sollte ein Unterschied zwischen Advent und Weihnachten sein. Denn Advent ist eine ernste Sache.

Am heutigen dritten Adventssonntag werden wir im Gottesdienst ein passendes Lied dazu singen: Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt.

Warum mit Ernst? – Weil Gottes Sohn oder, wie es im Lied heißt, das Heil der Sünden, der wunderstarke Held bei allen einkehren möchte.

Dass Gott in Jesus Christus zu den Menschen kommt, ist keine spaßige Angelegenheit, sondern eine ernste Sache. Jesus kommt in Armut, und er kommt um zu leiden und zu sterben. Und das alles, weil wir ihm so wichtig sind, weil wir ihm so sehr am Herzen liegen. Es ist ihm ganz ernst.

Das sollten wir uns bewusst machen hin und wieder im Advent. Darauf sollten wir uns einstellen. Nicht nur die Äußerlichkeiten für das Fest vorbereiten, sondern innerlich bereit werden für den Herrn.

In der letzten Strophe heißt es:


Ach mache du mich Armen zu dieser  heilgen Zeit aus Güte und Erbarmen, Herr Jesu, selbst bereit. Zieh in mein Herz hinein vom Stall und von der Krippen, so werden Herz und Lippen dir allzeit dankbar sein.

Advent ist eine ernste Sache. Aber wenn wir ernst nehmen, was Advent für uns bedeutet, dann werden wir froh und dankbar.

Ich wünsche Ihnen noch zwei gesegnete Adventswochen!

Samstag, 10. Dezember 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Samstag, dem 10. Dezember 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

in vielen Advents- und Weihnachtsliedern ist die Rede vom Morgenstern, ein Bild für Jesus Christus. Am eindrücklichsten und bewegendsten ist für mich das Lied: Die Nacht ist vorgedrungen:


Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

Bei diesem Lied kann ich den Dichter und sein Geschick nicht vergessen. Es ist Jochen Klepper. Und er weiß, wovon er dichtet, wenn er von der Nacht und vom Dunkel schreibt. Unter dem Lied steht die Jahreszahl 1938. Es ist der Advent nach den Pogromen vom 9. November. Fast jeder Tag bringt neue Einschränkungen, neue Schreckensnachrichten für die Juden. Und Jochen Klepper ist mit einer Jüdin verheiratet.

Ja, es ist Nacht. Aber die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. Der Morgenstern ist schon aufgegangen, der die Sonne ankündigt. Es sind Verse, die wirklich aus Tränen geboren sind – und aus dem Lichtschein von Advent und Weihnachten.

Kleppers Tagebuch beginnt jeden Tag mit einem Bibelwort aus den Losungen. Diese Worte sind ihm Lichtstrahlen im Dunkel.

Aber es ist nur erst der Morgenstern, noch nicht die Sonne selbst. Der Glanz des neuen Tages ist noch nicht aufgegangen. So ist unsere Welt im Advent:


Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

Vier Jahre später, im Advent 1942 ist das Dunkel um ihn herum so tief geworden, dass es in dieser Welt keine Hoffnung mehr für ihn und für seine Frau gibt: Die Zwangsscheidung steht bevor und die Deportation seiner Frau ins Vernichtungslager. Gemeinsam kommen sie dem zuvor.

Auf der letzten Seite seines Tagebuchs stehen die folgenden Sätze:
“Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst.
Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. 
Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.”

Der heutige 10. Dezember ist der Todestag von Jochen und Hanni Klepper.

Freitag, 9. Dezember 2011

Zündfunnke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 9. Dezember 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Advents- und Weihnachtslieder sind voller Bilder und Symbole. Gar nicht so einfach, sich darauf immer einen Reim zu machen: Macht hoch dir Tür, Es kommt ein Schiff, Es ist ein Ros entsprungen, Der Morgenstern ist aufgedrungen usw.

Eine ganze Sammlung von Bildern ist in dem Lied O Heiland, reiß die Himmel auf zusammengetragen.

Schon das Bild in der ersten Strophe ist stark: Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für. – Ein verschlossener Himmel. Gott ist fern. Die Gebete und die Notrufe an ihn prallen ab. Ob es ihn überhaupt gibt? Ob da noch einer hört, wenn ich klopfe, rufe, schreie? – “Mach auf, Gott! Mach den Himmel auf. Komm raus, zeig dich!” – Ein Bild verzweifelter Sehnsucht. – Und dann die Erfüllung: offene Türen, die nicht mehr zu schließen sind, weil das Schloss aufgebrochen ist. – So ist Advent, so ist Weihnachten: Gott öffnet den Himmel, er kommt zur Erde.

Und in der zweiten Strophe: O Gott, ein Tau vom Himmel gieß! Aber dann ist dem Dichter der Tau viel zu wenig: Ihr Wolken brecht und regnet aus! – Gott möge wie ein Wolkenbruch über die Menschen kommen mit seiner Gnade, seiner Rettung, seiner Erlösung.

In der dritten Strophe ist die Erde dran. Nach dem Wolkenbruch wächst es, dass Berg und Tal grün alles werd, und auch da wieder die Sehnsucht nach dem Erlöser: O Heiland, aus der Erde spring!

In einer weiteren Strophe ist er dann die klare Sonn, das Licht der Welt, ohne dessen Schein wir alle in Finsternis umkommen müssten.

Alle diese Bilder sind Bilder aus der Bibel. Es sind Bilder der Sehnsucht, dass der ferne Gott, der, wie man bis heute vermutet, irgendwo fern im Himmel sitzt, herabkommt, zu uns kommt, sich um uns kümmert, uns froh und frei macht.

Zu Weihnachten ist der Himmel aufgerissen. Für die Hirten auf dem Feld, wo die Herrlichkeit des Herrn erstrahlt und Engelchöre singen, steht der Himmel offen. Aber das ist ja noch gar nicht das Eigentliche. Das Eigentliche ist dann das Kind in der Futterkrippe, das sie finden. – Ja, Gott hat den Himmel aufgerissen und ist als Mensch mitten unter den Menschen. Gott ist nicht mehr fern.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 8. Dezember 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

eines der schönsten und geheimnisvollsten Adventslieder ist für mich Es kommt ein Schiff, geladen. Bilder von einem anlandenden Segelschiff und hochtheologische Aussagen über Jesus Christus, Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort, sie durchdringen sich. Ursprünglich war das ein Lied auf Maria. Maria, die Gottes Sohn als teure Last zu den Menschen trägt.

Maria, die Mutter Jesu, kommt bei uns Evangelischen meistens etwas knapp davon. Für uns steht ihr Sohn, Jesus, im Mittelpunkt. Er ist es ja, in dem uns Gott nahe kommt. Und der uns Gott nahe bringt.

Aber Maria ist die Frau, die Jesus zur Welt bringt. Das ist einmalig. Und man kann sich schon fragen: Wie soll das geschehen, dass von einer einfachen Frau ein Mensch geboren wird, der anders als alle anderen Menschen aus den Verstrickungen von Schuld und Tod herausgenommen ist, ein Mensch, der uns erlösen kann? – Nur durch ein Wunder kann das geschehen. – Das Neue Testament erzählt von dem Wunder, dass Jesus durch Gottes Liebe und den Heiligen Geist zur Welt kommt. Die katholische Tradition spricht davon, dass schon Maria aus den Verstrickungen von Schuld und Tod herausgenommen war und so bereit war, den Erlöser zur Welt zu bringen; genau das wird am heutigen Feiertag in Spanien begangen. Und die Tradition der Alten Kirche und der Ostkirchen nennt Maria die Gottesgebärerin, weil durch sie in Jesus Christus Gott selber zur Welt kommt. Sie ist im Bild des Liedes jenes Schiff, das Gottes Sohn von dort nach hier bringt: Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

In der vierten Strophe des Liedes wird das dann so erzählt, wie es Weihnachten aller Welt vor Augen ist: Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein; aber da ist dann auch schon die ganze Geschichte bis zu seinem Tod miterzählt, in nur fünf Worten: Gibt sich für uns verloren. – Gelobet muss es sein.

Hat diese Geschichte von der Geburt des Erlösers mit mir zu tun? – Ja, aber sehr wohl. Ich darf mit ihm den Weg durch Leiden und Sterben zum ewigen Leben gehen:
Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel, danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.

Gebe uns Gott, dass wir ihn festhalten und er uns festhält und zum ewigen Leben führt.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 7. Dezember 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir, o aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier?

Der bedeutendste aller evangelischen Liederdichter war Paul Gerhardt, der im 17. Jahrhundert lebte und in dessen Lebenszeit der gesamte 30-jährige Krieg fiel. Er hat es in seinen zahllosen Liedern geschafft, biblische Geschichte und christliche Glaubenslehre so in Worte zu fassen, dass sie zur ganz persönlichen Wahrheit des Dichters – und dann auch des Sängers werden.

So auch in diesem Lied. Aus all den Menschen, zu denen Jesus kommt, tritt einer heraus, und fragt sich: "Wie soll ich dich empfangen?" – Er erinnert sich an die Menschen, die Jesus in Jerusalem als den kommenden König empfangen, und ihm Palmen und grüne Zweige hinstreuen. So haben sie ihn begrüßt und geehrt. "Ja, aber was kann ich tun?", fragt er. – Für ihn kommt es nicht auf das äußerliche Tun an. Er, der Sänger dieses Liedes, möchte innerlich bereit werden für Jesus: Mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis und deinem Namen dienen, so gut es kann und weiß. – Glaube ist eben eine Herzenssache, und Jesus Christus ist der König der Herzen.

Und dann bedenkt er, was das bedeutet, dass Jesus zu ihm kommt. Er hat erlebt, dass Jesus gerade im größten Leid für ihn da war: Als mir das Reich genommen, da Fried und Freude lacht, da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht.

Und nachdem er sich das bewusst gemacht hat, sagt er es anderen weiter: Seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier.

Da wird Advent persönlich. Ja, es gibt Dunkel, es gibt Leid und Tod, es gibt Verzweiflung, Schuld und Scheitern, aber die Hilfe ist schon da, ist vor der Tür. Und viele haben sie erfahren – im Glauben an diesen Herrn, an Jesus Christus, der zu den Menschen gekommen ist, um sie zu trösten, zu heilen und sie froh zu machen.

Wie soll ich dich empfangen? – Mit Freude und Dankbarkeit.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 6. Dezember 2011


Tochter Zion, freue dich ...

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

noch so ein vorweihnachtlicher Ohrwurm. – Es war ein Geniestreich des ansonsten ziemlich vergessenen Theologen Friedrich Heinrich Ranke, auf eine populäre Melodie von Händel einen christlich-biblischen Text zu legen.

Das Lied, ursprünglich für den Palmsonntag, also für den Sonntag vor Ostern gedacht, wurde schnell zum Adventsschlager. Denn Palmsonntag und 1. Advent sind sich sehr nahe. Beide haben das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem.

Die Bibelstelle aus dem Alten Testament, die Ranke vertont hat, heißt: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. (Sacharja 9, 9)

Als Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzog und seine Jünger und das Volk von Jerusalem ihm zujubelten und Hosianna sangen, da war diese Prophezeiung wahr geworden. Genau davon singt das Lied.

Und warum passt das in den Advent? – Weil Advent Ankunft bedeutet. Jesus, Gottes Sohn, der Messias kommt an. Als er auf einem Esel reitend in Jerusalem ankam, konnten alle, die es wollten, erkennen, dass er der verheißene Sohn Davids, der Messias-König war. Und so sang man ihm Psalmen, winkte ihm mit Palmen und sang Hosianna, was so viel bedeutet wie: Herr, hilf!, und im Hebräischen sogar an den Namen Jesus erinnert. Durch ihn kommt Gottes Hilfe zu den Menschen.

Wenn wir Advent feiern, dann heißt das: Wir stimmen ein in die Lobgesänge und Bittgebete derer, die von diesem Friedefürst Jesus etwas erwarten.

Damals sind die Erwartungen der Menschen nicht erfüllt worden. Sie haben sich schnell von ihm abgewandt und aus dem Hosianna wurde binnen weniger Tage der Ruf Kreuzige ihn! Der Messias-König endete mit der Dornenkrone am Kreuz.

Jesus hat die Erwartungen nicht erfüllt, aber er hat sie übertroffen; denn der Gekreuzigte lebt. Das ist der Grund, warum wir Christen bis heute für ihn singen, zu ihm beten und alles von ihm erwarten.

Montag, 5. Dezember 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 5. Dezember 2011


Liebe Hörerinnen und Hörer,

seit Tagen singt und klingt es in mir. Denn es ist Advent, und zum Advent gehören Adventslieder und manchmal auch schon ein Weihnachtslied. In unseren Gottesdiensten und beim Gemeindefest am 1. Advent haben wir schon fleißig gesungen.

Das allererste, vielleicht auch bekannteste und beliebteste christliche Adventslied ist “Macht hoch die Tür”.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt. Derhalben jauchzt mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat.

Türen aufmachen gehört einfach dazu zum Advent. Als Kinder haben wir die Türchen an unseren Adventskalendern aufgemacht. Jeden Tag ein neues. Das letzte Türchen war dann oft ein großes Tor und dahinter vielleicht ein geschmückter Weihnachtsbaum – oder aber das Kind in der Weihnachtskrippe mit Maria und Josef, die ganze heilige Familie samt Ochs und Esel, Hirten und Schafen, Kamelen und Königen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! – Eigentlich geht dieses Bild auf einen alten Psalm aus der Bibel zurück, ein Lied, das wahrscheinlich zu einem hohen Fest gesungen wurde, wenn die Tore am Tempel symbolisch aufgerissen wurden, damit Gott selber einziehen konnte in sein Haus.

Wir übertragen das auf uns. Advent könnte eine Zeit sein, in der wir die Tore unseres Herzens aufreißen, damit Gott auch da Einzug halten kann.

Unsere Adventsbräuche: das weihnachtliche Schmücken der Häuser, Plätzchenbacken, Basteln, Geschenke vorbereiten, ja vielleicht auch die Advents- und Weihnachtslieder, die wir, wenn wir sie nicht selber singen vielleicht doch an einem ruhigen Nachmittag oder Abend von CD hören, all diese guten alten Sitten und Gebräuche, könnten Türöffner sein. Damit unsere Herzen groß und weit und offen werden – für unsere Mitmenschen – und für Gott.