Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
2. Korinther 6, 1-10
Liebe Schwestern
und Brüder,
Kindern gehört die
Zukunft. Kinder sind von Natur aus auf die Zukunft ausgerichtet. Sie
machen sich spielend die Welt zu eigen, in der sie leben und in der
sie leben wollen. Sie stellen sich vor, wie es ist, erwachsen zu
sein, und im Spiel nehmen sie das Leben von Erwachsenen vorweg: ob
als Lego-Baumeister oder Puppendoktor, als Verkäuferin oder
Autofahrer. Und sie sind zuversichtlich, dass das Leben Spaß macht
und gelingt. Kinder leben im Morgen, denn ihnen gehört die Zukunft;
und diese Zukunft scheint ihnen unendlich zu sein.
Alten Menschen
gehört die Vergangenheit. Auch wenn sie manchmal wieder wie die
Kinder werden, so sind sie doch, anders als die Kinder, kaum noch auf
die Zukunft ausgerichtet. Sie leben in der Vergangenheit, in einer
Zeit, die ihr Leben geprägt hat, in einer Welt, die für ihre Kinder
und Enkel schon im Dunkel der Geschichte untergegangen ist. Sie
stellen sich vor, wie das Damals war. Vielleicht hören sie mit
Tränen im Knopfloch die alten Melodien – so wie manche vorgestern
abend. Vielleicht färben sie sich schwere Zeiten auch schöner, als
sie waren. Sie freuen sich, wenn sie ihre Erinnerungen teilen können.
Aber vom Morgen, von der Zukunft erwarten sie nicht mehr viel. Das
Leben scheint schon jetzt ohne sie weiter zu gehen; oft kommen sie
nicht mehr mit, und meistens wollen sie das auch gar nicht mehr.
Für Kinder liegt
die beste Zeit des Lebens noch vor ihnen, in der Zukunft. Für Alte
liegt die beste Zeit des Lebens schon hinter ihnen, in der
Vergangenheit. – Und für uns?
Unser Predigttext
sagt: Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des
Heils. (Die angenehme Zeit – das ist eine ältere, und
wie ich finde, richtigere Übersetzung; auch wenn Zeit der Gnade
sachlich auch zutreffend ist. Aber es geht hier um die richtige,
die gute, die angenehme, die beste Zeit.)
Die beste Zeit des
Lebens liegt demnach in der Gegenwart.
Vielleicht meinen
wir, das müsste jetzt nach der Logik meiner Worte über Kinder und
Alte vor allem für erwachsene Menschen in den mittleren Lebensjahren
zutreffen. Die leben in der Gegenwart, die stehen mitten im Leben.
Die können es sich gar nicht leisten, in die Vergangenheit
zurückzuträumen oder auf eine noch bessere Zukunft zu hoffen – Wobei: manchem erscheint vielleicht auch der nahende Ruhestand als
eine bessere Zukunft. Und doch wissen wir ja dann auch nicht, wie
lange wir ihn genießen können, und der Abschied vom tätigen Leben
fällt auch nicht jedem leicht. – Also wäre die beste Zeit des
Lebens nur in der Mitte des Lebens? Dumm nur, dass gerade dann die
Midlife Crisis zuschlägt, wo uns das erste Mal der nostalgische
Rückblick auf die Jugend ereilt und uns die Begrenztheit unserer
zukünftigen Lebenszeit richtig bewusst wird.
Nein, die beste
Zeit des Lebens liegt nicht in der Mitte des Lebens, sondern in der
Gegenwart des Lebens, immer – auch für den jungen Menschen,
auch für das Kind. Und ebenso für den alten Menschen. Die beste
Zeit ist heute.
Ja, unsere Träume
von der Zukunft und unsere Erinnerungen aus der Vergangenheit sind
natürlich wichtig, sie gehören zu uns, ohne sie wären wir arm.
Aber leben, wirklich leben können wir doch immer nur in der
Gegenwart, im Heute. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist
der Tag des Heils.
Warum jetzt, warum
heute? Warum nicht auf die bessere Zukunft hoffen? Warum nicht an die
gute alte Zeit erinnern?
Weil das Jetzt,
weil das Heute Gottes Zeit ist. Gott ist nicht von gestern. Und Gott
ist nicht erst morgen. Gott ist jetzt und heute.
Wir stehen mit
unserem christlichen Glauben und mit unserer christlichen
Verkündigung in derselben Gefahr wie ein Mensch in der Mitte seines
Lebens, der doch die Gegenwart verpasst, weil er im Gestern lebt oder
im Morgen und darüber das Heute vergisst.
Denn natürlich:
Wir erzählen alte Geschichten aus der Vergangenheit. Wir erzählen
davon, wie einst Gott mit seinem Volk gehandelt und zu den Menschen
gesprochen hat. Wir erzählen davon, wie Jesus geboren wurde, wie er
gelebt hat, was er gesagt und getan hat, wie er gestorben ist und wie
dann doch immer mehr Menschen daran geglaubt haben, dass er lebt, und
wie das ihr Leben verändert hat und die Welt verändert hat. Die
alten Geschichten aus der Bibel, die alten Geschichten des Glaubens.
Und wir neigen dazu, nostalgisch zu werden: Ja, damals! Ja, wenn wir
dabei gewesen wären! Ja, wenn Gott heute noch so deutlich sprechen
würden und wenn wir heute noch solche Wunder erleben würden!
Vielleicht erzählen
wir auch die alten Geschichten aus unserem Leben, oder vielleicht
verschweigen wir sie auch, weil sie uns peinlich geworden sind: Wie
wir uns bekehrt haben und wie wir gebrannt haben für unseren Herrn,
wie begeisternd unser geistliches Leben und unsere christliche
Gemeinschaft war. Ja, damals! Und jetzt sind wir alt und abgeklärt,
lächeln milde über manchen jugendlichen Überschwang. Oder fragen
uns, warum unser christliches Leben heute fade und alltäglich
geworden ist.
Und da sagt uns
Gott: Ich bin nicht der Gott von gestern. Ich bin nicht nur damals da
gewesen bei Abraham und Mose, als Jesus auf der Erde wandelte und als
Paulus missionierte. Ich bin heute hier, ich bin der Gott von heute:
Heute ist genau meine Zeit. Angenehme Zeit. Heilszeit. Gnadenzeit.
Ich bin nicht nur
damals da gewesen, als du ergriffen und begeistert warst vom Glauben
und vom christlichen Leben, als mein Wort dich getroffen hat und du
anderen davon sagen musstest. Ich bin heute hier, ich bin der Gott
von heute: Ich rede auch heute zu dir, ich schenke dir auch heute
einen neuen Anfang, ich nehme dich auch heute in meinen Dienst. Denn
es ist angenehme Zeit: Ich nehme dich an. Es ist Heilszeit: Ich heile
dein Leben. Es ist Gnadenzeit.
Und natürlich: Der
christliche Glaube ist auch Zukunftsglaube. Wir hoffen auf das Reich
Gottes. Wir glauben daran, dass mit Gott und bei Gott alles besser
wird. Wir sind uns zwar nicht ganz einig, ob die Verantwortung dafür
nun bei uns liegt: so dass wir das Reich Gottes herbeiführen können,
indem wir unsere Welt immer besser machen, oder ob die Verantwortung
dafür ganz bei Gott liegt: so dass er kommen und die Welt verwandeln
wird. Aber wie auch immer: Die Hoffnung auf Gottes Reich, in dem
Friede und Wohlgefallen sein wird und Leid und Geschrei für immer
vorbei sind, diese Hoffnung auf die Erlösung, die gehört zum
christlichen Glauben unbedingt dazu. – Aber da, in der erlösten
Welt, im Reich Gottes, so sagen wir, sind wir noch nicht, darauf
hoffen, darauf warten wir.
Und dazu gehört ja
auch die persönliche Hoffnung auf Erlösung. Auch wenn uns die Welt
nicht als Jammertal erscheinen will, so ist unsere letzte Hoffnung ja
eben doch jenseits dieser Welt bei Gott: Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Und wenn wir manchen Leidenden und
Sterbenden sehen, dann glauben wir es, dass im Tod Erlösung sein
kann und dass es gut ist, heimzukommen zu Gott.
Und doch sagt uns
Gott: Ich bin nicht der Gott von morgen. Ich bin nicht der, der euch
nur auf eine besseres Leben in der Zukunft und ein ewiges Leben im
Himmel vertröstet. Ich bin nicht der Vertröster auf Morgen, sondern
der Tröster heute. Die Erlösung kommt nicht erst, wenn du stirbst,
sondern die Erlösung kommt jetzt, heute zu dir. Denn heute ist
Heilszeit. Zeit der Erlösung. Zeit der Gnade!
Das ist mir
wichtig, ganz wichtig: Lebt heute und glaubt heute! Und lebt heute
aus dem Glauben! Glaube ist nicht Nostalgie und Glaube ist nicht
Vertröstung. Glaube ist Leben in Gottes Gegenwart.
Gott ist der Gott
von heute: Er ist hier und jetzt. Und du kannst hier und jetzt zu ihm
kommen, zu ihm beten, mit ihm leben.
Heute? – Aber
heute kann so viel dagegen sprechen. – Der Apostel Paulus
beschreibt im zweiten Teil unseres Textes, was alles zu diesem Heute
dazugehören kann, was seine Gegenwart ausmacht: Er lebt in
Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, ja schlimmer noch: in
Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen; in Schande und in bösen
Gerüchten über ihn usw. – Das sieht nicht nach angenehmer
Zeit aus. Und doch ist es das für ihn: Gott ist nämlich dabei,
ist gegenwärtig mit seiner Gnade, mit seinem Heil, mit seiner
Erlösung in all den Problemen, Nöten, Anfechtungen und
Schwierigkeiten. Und darum durchzieht diese Liste seiner
Befindlichkeiten eben auch noch ein ganz anderer, ein positiver Zug.
Er zählt nicht nur auf, woran er zu leiden hat, und weshalb er sich
in eine bessere Vergangenheit zurück oder in eine bessere Zukunft
wünschen könnte, sondern er zählt auch auf, worin seine Gegenwart
gut ist: in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen
Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft
Gottes usw. – Gott ist nämlich da, ist gegenwärtig in
seiner Gegenwart. Gibt ihm die Kraft, die Zuversicht, den Glauben,
die Hoffnung, die Liebe. Nicht irgendwann, sondern jetzt, heute. –
Mit Gott ist auch die unangenehme Zeit angenehme Zeit. Und so ist er
mit Gott auch als Trauriger fröhlich, als Armer reich, als
Habenichts beschenkt.
Wisst ihr, mir geht
es manchmal so: dass ich weiß: Gott ist hier und jetzt. Es ist seine
Zeit. Und darum ist es die allerbeste Zeit.
Manchmal spreche
ich mit Menschen, denen geht es genau so: Da ist nicht alles im Lot,
nicht alles gut und angenehm. Aber Gott ist in ihrem Leben, und darum
ist es für sie gute Zeit.
Ich wünsche euch
das, jedem von euch: dass ihr von Herzen Ja sagen könnt zu eurer
Gegenwart. Weil ihr wisst, dass es Gottes Gegenwart ist. Seht,
jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.
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