Liebe Schwestern
und Brüder,
„Guck mal, wie
toll ich bin!“ – das war das Motto der Predigt letzte Woche. Und
wir haben festgestellt, dass das gar nicht so toll ist, wenn man sich
selber so toll findet. Wer sich rühmen will, der soll sich rühmen,
dass er Gott kennt; darauf lief es hinaus.
Und nun will es die
Predigttextordnung, dass es diese Woche wie in einer Fortsetzung noch
mal um dasselbe Thema geht. Und zwar an einem konkreten Beispiel: am
Beispiel des Apostels Paulus.
Paulus hat ein
Problem. Und sein Problem ist, dass er – genau entsprechend dem
Text von letzter Woche – sich nicht selber rühmen will, sich nicht
selber großtun will, sondern dass er immer nur Jesus Christus groß
machen will, ihn rühmen mit Wort und Tat.
Aber damit stößt
er nicht auf so viel Begeisterung und Anerkennung. Und vor allem
leidet seine Autorität als Apostel darunter.
Da gibt es nämlich
noch ganz andere, die hauen offenbar mächtig auf den Putz: wer sie
sind, was sie können, was sie schon Tolles mit Gott erlebt und
vollbracht haben. Und nebenbei halten sie noch die Hand auf; denn wer
so toll ist, der hat es auch verdient, dass er entsprechend bezahlt
wird. – „Superapostel“ nennt Paulus sie. Und wahrscheinlich
haben sie auch eine Super-Botschaft: Nicht nur sie selber sind etwas
ganz Besonderes, sondern auch ihre Anhänger können etwas ganz
Besonderes sein: nicht nur einfach Christen, sondern „Superchristen“,
die die totale Erleuchtung haben und völlig über den Dingen stehen.
– Mit solchen Leuten in der Gemeinde, die alles besser wissen,
besser können und überhaupt die Größten sind, da muss es ja
knirschen und krachen. – Davon bekommen wir ein bisschen was mit in
den Korintherbriefen des Paulus.
Heute erleben wir,
wie ihm die Hutschnur platzt. Er schreibt nach dem Motto: Wenn ihr
denkt, ihr könnt auf den Putz hauen; ich kann es auch.
Wir hören einen
Abschnitt aus dem 2. Brief an die Korinther im 11. Kapitel:
Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.
2. Korinther 11, 18.23b-30
So, liebe Gemeinde, sieht es aus, wenn
Paulus auf den Putz haut: „Guckt mal, was ich alles durchgemacht
habe“, sagt er. Gefahren, Gefahren, Gefahren... Statt zu Hause
sitzen zu bleiben und Bibelstudien zu treiben, hat er zu Fuß oder zu
Schiff den östlichen Mittelmeerraum bereist, Strapazen ohne Ende auf
sich genommen und hat dabei noch von allen Seiten auf die Fresse
gekriegt, weil die Botschaft vom gekreuzigten Gottessohn den einen zu
dumm und den anderen zu anstößig war. Apostel Jesu zu sein, das war
damals schon etwas unbequemer als ein Tourismuspfarramt.
Warum macht er das, warum tut er sich
das an?, könnte man fragen. – Nun ja, eben nicht um Blumentöpfe
zu gewinnen und Bewunderung zu ernten. Denn natürlich kann man auch
für Strapazen, Entbehrungen, Gefahren und Erniedrigungen noch
Anerkennung oder zumindest Aufmerksamkeit bekommen – ich sage nur: Dschungelcamp. Aber das ist es ja nicht bei Paulus. Er will ja am
liebsten gar nicht drüber reden. – Er tut es sich an, weil er
ergriffen ist von Jesus Christus. Er kann gar nicht anders, als die
Sache Jesu weiterzutragen. Und niemand soll sagen, er tue das um
seines eigenen Vorteils und um seines eigenen Erfolges willen!
Als wir am Mittwoch beim Bibelgespräch
über diesen Text sprachen, hat jemand eine interessante Beobachtung
gemacht: Paulus lässt sich zwar darauf ein, sich selber zu rühmen.
Aber er spricht nicht von seinen Erfolgen. Er spricht nicht davon,
wie viele Gemeinden er gegründet hat, wie viele Menschen er zum
Glauben geführt hat, wie viele er getauft hat – da gibt es sogar
eine lustige Stelle im 1. Korintherbrief (1. Korinther 1, 14-16), wo Paulus sagt: Gott sei
Dank, habe ich niemanden bei euch getauft, und
dann fallen ihm nacheinander doch ein paar Namen ein von Leuten, die
er getauft hat, und dann sagt er: Sonst weiß ich nicht, ob
ich noch jemand getauft habe . –
Es ist ihm einfach nicht wichtig. Er möchte keine Zahlen und
Erfolgsbilanzen vorweisen. Weil es ihm eben nicht um seinen eigenen
Ruhm geht, sondern um den Ruhm des Herrn. Oder wie wir vorige Woche
gesungen haben: Nichts hab ich zu bringen, alles, Herr bist
du.
Ja, aber wo ist er
denn, der Herr? Was hast du denn mit ihm erlebt? So könnten ihn
seine Gegner fragen. Mit der Antwort darauf sind wir beim zweiten
Teil unseres heute sehr langen Predigttextes:
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarung nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.
2. Korinther 12, 1-10
Wo ist er, der Herr? – das war die
Frage. Und die Antwort ist unsere Jahreslosung, die genau in diesem
Abschnitt steht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. –
Lass dir an meiner Gnade genügen.
Dabei könnte
Paulus doch eine ganz andere Antwort geben. Er könnte von seiner
Himmelsreise erzählen. Ja, was war das? Eine Vision? Eine
Entrückung? Eine Art Nahtoderfahrung? Und was hat er da gesehen und
gehört? – Dafür gibt es gar keine angemessenen Worte.
Überunaussprechlich haben die alten Kirchenväter die
Gottesschau genannt. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss
man schweigen“, hat der Philosoph Wittgenstein gesagt. Und Paulus
in philosophischer Weisheit schweigt ebenfalls über das
Unaussprechliche. – Anders übrigens als der Seher Johannes, dessen
befremdliche Vision wir vor 14 Tagen besprochen haben.
Was immer Paulus
von Gottes Wirklichkeit gesehen und gehört hat, es hat sich gewiss
ausgewirkt auf sein Reden und Schreiben, auf sein Glauben und Leben.
Aber er bringt es nicht selber zur Sprache. Er spricht, wenn er von
sich selber spricht, lieber von seiner Schwachheit, von seiner
Krankheit, von seiner Anfechtung – und von Gottes Gnade.
Bloß nicht
überheblich werden, bloß nicht sich was einbilden auf die
übernatürliche Offenbarungserfahrung! – Das ist für ihn der Sinn
dessen, was ihm da als Pfahl im Fleische sitzt. Ich habe es schon im
Neujahrsgottesdienst gesagt: Wir wissen es nicht, was für eine
Belastung, wahrscheinlich Krankheit er mit sich herumschleppt. –
Und vielleicht ist das gerade gut für uns, weil wir uns so mit
unseren eigenen Einschränkungen, Krankheiten und Anfechtungen darin
wiederfinden können. Sie bekommen ihren
Sinn durch das Wort Jesu: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn
meine Kraft ist in den schwachen mächtig!
Das ist die Antwort
für Paulus – vielleicht auch für uns: Da ist der Herr: Wo wir
schwach sind. Wo unsere Möglichkeiten am Ende sind. Wo wir nichts
eigenes mehr vorzuweisen haben.
Das ist es, was ich
euch heute wieder als Gottes Wort und Zuspruch mitgeben möchte:
Gottes Gnade genügt.
Gottes Gnade
genügt, wo Ruhm und Anerkennung ausbleiben. – Paulus erfährt
heftigen Widerspruch und scheinbares und tatsächliches Scheitern. –
Scheitern ist ja ein wunderbar gleichnishaftes Wort. Dreimal
habe ich Schiffbruch erlitten. – Wie oft hast du Schiffbruch
erlitten in deinem Leben? – Aber du hast überlebt, vielleicht erst
nachdem du einen Tag und eine Nacht auf dem offenen Meer getrieben
bist. Und doch bist du errettet worden. – Lass dir an meiner
Gnade genügen!
Gottes Gnade
genügt, wo das Wunder ausbleibt. – Darum hatte Paulus ja
gebetet, um das Wunder: Dass der Satansengel von ihm weichen soll,
dass ihm der Pfahl im Fleisch entfernt wird. – Wir wissen es: Es
gibt das Wunder. Es gibt die Heilung, die unerwartete Wendung, die
Befreiung von Lebenslasten. Und wo es das gibt, staunen und danken
wir. – Aber wir wissen auch: Es gibt das Ausbleiben des Wunders,
das Fortschreiten der Krankheit, das Eintreten der Katastrophe, das
Gefühl, dass uns mehr aufgelegt wird, als wir tragen können. Und es
gibt das Gebet, das nicht erhört wird. Zumindest nicht so, wie wir
es gewünscht haben. – Ich wünsche dir, dass du auch diese Antwort
annehmen kannst: Lass dir an meiner Gnade genügen!
Gottes Gnade
genügt, wo der Satan dich anficht. – Paulus spricht ja von
einem Engel des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt. Vielleicht
tust du dich schwer mit solchen Bildern. Vielleicht befremdet es
dich, dass Gott offenbar dem Teufel einen Spielraum lässt, sich an
dir auszuprobieren. Vielleicht denkst du an die Geschichte Hiobs, wo
der Teufel seine Anfechtungen auf die Spitze treiben darf. – Aber
vergiss dabei nicht: Gott ist Herr des Geschehens. Und Jesus ist
Herr deines Lebens. Und keine Macht der Finsternis kann dich aus
seiner Hand reißen. Lass dir an meine Gnade genügen! Denn meine
Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Da ist der Herr,
dessen wir uns rühmen sollen, da wo wir schwach sind. Wo wir selbst
das, was wir mit Recht vorweisen könnten, noch vergessen und hinter
uns lassen, wo wir nur noch ganz auf ihn angewiesen sind. Da ist er,
da ist er bei uns. Da nimmt er unsere Hände und führt uns bis an
unser selig Ende und ewiglich. Selbst da, wo wir nichts spüren von
seiner Macht, führt er uns durch Nacht und Dunkel zum Ziel. – Das
singen wir jetzt mit dem Lied Nr. 376: So nimm denn meine Hände.
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