Sonntag, 22. Januar 2017

Predigt am 22. Januar 2017 (3. Sonntag nach Epiphanias)

Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen war, und ging hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinen Sohn zu heilen; denn der war todkrank. Da sprach Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der königliche Beamte sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mann glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und während er noch hinabging, begegneten ihm seine Knechte und sagten: Dein Kind lebt. Da fragte er sie nach der Stunde, in der es besser mit ihm geworden war. Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es zu der Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa kam.
Johannes 4, 46-54

Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht, sagt Jesus.
Sind wir das?
Sind wir so?
Auf der Jagd nach Zeichen und Wundern?
Nach dem Außergewöhnlichen?
Nach den sichtbaren Versicherungen für unseren Glauben?
Brauchen wir das:
Dass Kranke geheilt werden
und Tote auferstehen?
Dass Wasser in Wein verwandelt wird
und dass wenig Brot für alle reicht?
Manchmal wäre es schon ganz schön.
Manchmal wäre das Glauben einfacher, wenn Jesus unter uns – heute hier – die Zeichen und Wunder täte, die er damals getan hat.
Es hat den Anschein, als seien die Wunder aus der Welt verschwunden, als würden die Lebenszeichen Gottes immer seltener.
Die Wunderheilung ist meistens ein Gerücht, das wir mal von anderen gehört haben, und Tote stehen sowieso nicht auf.
Hunger und Armut sind noch immer an der Tagesordnung: Das Brot vermehrt sich nicht auf wunderbare Weise, selbst wenn wir es teilen; und Wasser verwandelt sich nicht in Wein, oder, was besser wäre: verschmutztes Wasser in sauberes Trinkwasser.
Wo sind sie, die Zeichen und Wunder?
Ich weiß es nicht, vielleicht sehen wir sie auch nur nicht mehr.
Vielleicht haben wir uns das Wundern abgewöhnt.
Nehmen das Wunderbare für selbstverständlich…
Wenn ich mir’s recht überlege, dann sehe ich viele Wunder.
Die Wunder der Medizin, die Menschen heilt und immer länger leben lässt.
(Ich lese gerade die Lebenserinnerungen einer Frau, die vor weniger als einem Jahrhundert geboren wurde und deren drei Geschwister schon als kleine Kinder gestorben sind – wo kommt das heute noch vor in Europa?
Und ich denke an mich, der ich in einem früheren Jahrhundert schon dreimal gestorben wäre an tödlichen Krankheiten, aber im 20. und 21. Jahrhundert konnten ich geheilt werden.)
Die Wunder der modernen Landwirtschaft und der industriellen Nahrungsmittelproduktion, die es möglich macht, dass heute viel weniger Menschen hungern als noch vor wenigen Jahrzehnten.
(Da wird so viel an Düngemittel- und Pestizideinsatz, an Biotechnologie und Gentechnik kritisiert, aber dass das entscheidend zur Ernährungssicherheit beiträgt, darüber wird wenig gesprochen.)
Die Wunder der modernen Kommunikation und der Mobilität, die uns über Länder und Kontinente hinweg zusammenrücken lässt, Verständnis und Verständigung ermöglicht.
(Gestern morgen noch war ich in Deutschland, heute bin ich hier, und bin dabei über Whatsapp, E-Mails und Telefon mit vielen hier und dort in Kontakt.)
Es sind andere Wunder, als wir erwarten.
Es sind Wunder, die wir Menschen uns meistens selber zuschreiben.
Wir könnten sie aber auch Gott zuschreiben, der seinen schöpferischen Geist in uns gegeben hat, dass wir mit seiner Hilfe und seinen Gaben unsere Welt immer wunderbarer machen.
Oft übersehen wir diese Wunder auch, einfach weil wir uns an sie gewöhnt haben.
Ein Wunder, das alltäglich geworden ist, ist irgendwie kein Wunder mehr.
Aber vielleicht sind wir das auch gar nicht:
Wahrscheinlich suchen die meisten von uns meistens gar nicht nach Zeichen und Wundern, sondern nach etwas ganz anderem.
So wie dieser Beamte in unserer Geschichte.
Der sucht Jesus, und findet ihn, weil er Hilfe braucht.
Ganz konkret: Sein Kind ist krank.
Er bangt, dass es sterben könnte.
Und er sucht Hilfe.
Ob durch eine wirksame Medizin, einen tüchtigen Arzt oder einen Wunderheiler, das ist ihm völlig gleich.
Jesus ist seine letzte Hoffnung.
Wenn alles nicht mehr hilft, hilft vielleicht noch beten.
Nein, dass die Leute zu Jesus kommen, wegen der Zeichen und Wunder, das ist es eher nicht.
Und wenn, dann ist das nur die Oberfläche.
Wunder können begeistern, sie können sensationell sein, und die Leute laufen dem Wundertäter nach.
Aber sie gewöhnen sich auch daran.
Und irgendwann bleiben sie wieder weg.
Bestenfalls sind Wunder Zeichen:
Zeichen für mehr und Größeres.
Zeichen für Gott und seine Herrlichkeit.
Die Leute kommen zu Jesus nicht wegen der Wunder, sondern weil er ihre letzte Hoffnung ist.
Weil sie von ihm Hilfe erwarten, wenn kein anderer mehr helfen kann.
Komm herab, ehe mein Kind stirbt!
Das ist es, was sie von Jesus erwarten, was sie von Gott erwarten:
Komm herab, ehe mein Kind stirbt!
Komm herab, ehe ich meinen Job verliere!
Komm herab, ehe meine Beziehung zerbricht!
Komm herab, ehe mich der Krebs tötet!
Komm herab, ehe mich die Verzweiflung umbringt!
„Menschen gehen zu Gott in ihrer Not.“ (So beginnt ein Gedicht von Bonhoeffer.)
„Menschen gehen zu Gott in ihrer Not.“ Der Beamte aus Kapernaum, der Blinde von Jericho, der Zöllner und die Ehebrecherin, und der Räuber von Golgatha, und all die Kranken und Geängsteten, die Hungernden und Deprimierten, die Verletzten und die Schuldbeladenen. Sie brauchen nicht Zeichen und Wunder, sie brauchen Hilfe und Rettung.
Der Beamte von Kapernaum bekommt Hilfe und Rettung.
Geh hin, dein Sohn lebt, sagt ihm Jesus.
Dein Kind lebt, bestätigen ihm seine Diener.
Die Besserung setzte zu der Stunde ein, als Jesus mit ihm sprach.
Ein Wunder! Ein Zeichen! Zweifellos.
Aber zuerst und vor allem: Hilfe und Rettung in höchster Not.
Und er glaubte mit seinem ganzen Haus.
Als sein Sohn wieder gesund geworden ist.
Er glaubt nicht, weil Jesus irgendein Wunder getan hat.
Er glaubt nicht, weil irgendwie irgendwo irgendwann irgendjemand von Jesus geheilt wurde.
Er glaubt, weil Jesus ihm in seiner höchsten Not geholfen hat, weil er dem Kind, an dem sein Herz hing, das Leben geschenkt hat, wiedergeschenkt hat.
Es ist sein persönliches Wunder.
Sind wir das?
Sind wir so?
Auf der Suche nach Hilfe und Rettung?
Wo kein anderer mehr helfen kann?
Nach dem, was nur Gott uns tun und schenken kann?
Wenn wir das sind, dann glauben wir.
Und sind wir das?
Sind wir so?
Dass wir es im Rückblick erkennen:
In dieser Stunde war Jesus da:
Als es mir wieder besser ging.
Als sich das Blatt wendete.
Als es wieder Hoffnung gab.
Als ich aufatmen konnte.
Wenn wir das sind, dann glauben wir.
Auf diesen Glauben kommt es an:
Dass wir unsere Hilfe und unsere Rettung bei Gott suchen.
Und dass wir im Rückblick auch erkennen, dass unsere Hilfe und Rettung von Gott kam.
Luther sagt (sinngemäß):
An Gott glauben heißt, von ihm alles Gute erwarten und bei ihm Zuflucht haben in allen Nöten. Auf diesen Glauben kommt es an, nicht auf vermeintlich spektakuläre Zeichen und Wunder.

Wunder gibt es immer wieder.
Das wahre Wunder ist, dass Gott für uns da ist.
Das hat der Beamte von Kapernaum entdeckt.
Und der Blinde von Jericho, der Zöllner und die Ehebrecherin, der Räuber von Golgatha und so viele, viele mehr, die Jesus begegnet sind, ihm vertraut haben, ihm gefolgt sind und ihm geglaubt haben.
Bis auf den heutigen Tag.

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