Sonntag, 3. August 2014

Predigt am 3. August 2014 (7. Sonntag nach Trinitatis)

Predigttext: aus 2. Mose (Exodus) 16

Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn Freiheit krank macht. – So lautete die Überschrift über einem Zeitungsartikel vor ein paar Tagen. Darin ging es um US-amerikanische Kriegsveteranen, die nach der Rückkehr psychische Probleme bekommen. Nun, das ist ja eigentlich nicht neu. Man denkt an posttraumatische Belastungsstörungen nach schlimmen Kriegserlebnissen oder auch an die Entfremdung von der Familie durch die lange Abwesenheit. Jetzt wollen aber Forscher festgestellt haben, dass das eigentliche Problem für viele einfach die Freiheit ist. Bei der Army gibt’s klare Strukturen, Hierarchien, Abläufe, Verantwortlichkeiten. Die Soldaten wissen in jedem Moment, was zu tun ist; sie sind Teil eines großen Ganzen. Für persönliche Freiheiten und eigene Entscheidungen ist nicht viel Raum. Sogar, was sie anziehen sollen, bekommen sie vorgeschrieben. – Und dann werden sie entlassen – in die Freiheit. Und müssen wieder eigene Entscheidungen treffen, jeden Tag. Das geht mit dem Aufstehen am Morgen los und mit der Entscheidung vor dem Kleiderschrank weiter. Welchen Job sollen sie sich suchen, was sollen sie einkaufen für ihre Familien, wie die Freizeit gestalten? Keiner ist da, der ihnen sagt, wo es lang geht. Das macht sie verrückt. – Das haben sie mit entlassenen Strafgefangenen gemeinsam, oder mit Menschen, die einer autoritären Sekte entronnen sind. Zu viel Freiheit macht Angst, macht unsicher, macht krank.
Das haben sie auch mit Menschen gemeinsam, die jahrelang unter totalitären Regimes gelebt haben, wie wir Ossis. Mancher von uns fühlte sich und fühlt sich vielleicht immer noch überfordert von der Freiheit. Keine Grenzen mehr. Kein vom Staat garantierter Arbeitsplatz, kein von der Gewerkschaft vergebener Urlaubsplatz mehr. Keine Zucht und Ordnung mehr. Keine Partei mehr, die immer Recht hat. Das macht Angst, macht unsicher, macht krank.
Und es macht Sehnsucht nach alten Autoritäten. Früher war vielleicht nicht alles besser, aber man wusste, wo es lang geht.
Vielleicht ist es auch so eine krankhafte Angst vor der Freiheit, vielleicht sind es auch traumatische Erfahrungen mit der Freiheit, die viele Menschen heute in Russland zurück in die Arme eines autoritären Herrschers getrieben haben. Der zeigt jetzt auf das Nachbarland und sagt: Schaut nur, wohin zu viel Freiheit führt! Die Ukrainer haben die Lage nicht mehr im Griff.
Ich glaube nicht, dass diese Theorie so stimmt. Jedenfallst ist es nicht die Freiheit, die Menschen krank macht, sondern die Unfreiheit, die sie zuvor erfahren haben; die hat sie deformiert und verängstigt und unfähig gemacht, ihr Leben selber zu leben. – Freiheit ist anstrengend, aber krank macht sie nicht!

Die Bibel erzählt uns vom langen Weg des Volkes Israel in die Freiheit. Es beginnt mit einem großen Aufbruch; es geht weiter mit einem großen Wunder: die Feindesmacht kollabiert, die Ägypter versinken im Meer. Es wird gefeiert und gesungen und getanzt; denn jetzt sind sie frei – endlich: frei, frei, frei!
Doch dann beginnt der lange Weg durch die Wüste. Da merken sie: Sie sind zwar frei, aber Freiheit ist anstrengend. Das Gelobte Land, wo Milch und Honig fließt, wo die riesigen Weintrauben wachsen, wo vielleicht sogar – man weiß es nicht genau – die gebratenen Tauben durch die Luft fliegen, dieses Land, wo sie hinwollen, ist noch Lichtjahre entfernt.
Jetzt ist Wüste. Kampf ums nackte Überleben. Wunde Füße. Und die Sorge um das Lebensnotwendigste: um Essen und Trinken. Hier fliegen keine gebratenen Tauben umher. Hier fällt kein Brot vom Himmel. Hier stehen keine Fleischtöpfe bereit. Hier musst du jeden Tag sehen, was du findest, und in der Wüste ist das meist nicht viel. Und noch ganz viel Wüste liegt vor ihnen, die Reise in die Freiheit hat gerade erst begonnen.

Und da murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“

Wenn Freiheit krank macht. – Vielleicht macht sie ja geisteskrank. Trübt die Wahrnehmung und die Erinnerung: Was für ein schönes Leben an den Fleischtöpfen Ägyptens! Die harte Sklavenarbeit ist vergessen. Die Peitschen der Aufseher. Die Angst um das Leben der eigenen Kinder. Alles vergessen.
Freiheit ist Wüste. Sie haben wunde Füße. Der Magen knurrt. Und schuld sind andere: Die Politiker, die Kirche! Mose und Aaron, die politischen und religiösen Führer! Und schon ist die Verschwörungstheorie fertig: Ihr habt uns nur deshalb in die Wüste geführt, um uns hier sterben zu lassen. Denn politische und religiöse Führer wollen ja auch immer nur das Schlimmste für ihr Volk. – Geisteskrank, wer so denkt!

Mose und Aaron sprachen zu ganz Israel: „Am Abend sollt ihr innewerden, dass euch der HERR aus Ägyptenland geführt hat, und am Morgen werdet ihr des HERRN Herrlichkeit sehen, denn er hat euer Murren wider den HERRN gehört. Was sind wir, dass ihr wider uns murrt?“ Weiter sprach Mose: „Der HERR wird euch am Abend Fleisch zu essen geben und am Morgen Brot die Fülle, weil der HERR euer Murren gehört hat, womit ihr wider ihn gemurrt habt. Denn was sind wir? Euer Murren ist nicht wider uns, sondern wider den HERRN.“

Ihr macht die Falschen verantwortlich! Beschwert euch nicht bei den Politikern, beschwert euch nicht bei den Kirchenführern, beschwert euch bei Gott! Wenn ihr schon murrt, dann murrt über Gott! Er hat euch in die Freiheit geführt. Er ist verantwortlich für euch: dass ihr in der Freiheit besteht und in der Wüste überlebt.
Und Gott lässt sich verantwortlich machen. Denn er ist verantwortlich für den Weg seines Volkes durch die Wüste, für den Weg seines Volkes in die Freiheit. Weil er verantwortlich ist, antwortet er.

Und der HERR sprach zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.“
Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: „Man hu? – Was ist das?“ Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: „Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist’s aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.“
Und das Haus Israel nannte es Manna. Und es war wie weißer Koriandersamen und hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honig.

Gott antwortet mit einem Wunder: einem Fleisch-Wunder und einem Brot-Wunder.
Gebratene Tauben gibt’s keine. Nur Wachteln. Zugvögel, die sich vom Wind über das Mittelmeer treiben lassen und dann erschöpft in der Wüste zu Boden gehen. Die muss man nur noch aufsammeln und zubereiten. Aber es sind genug da für die Fleischtöpfe Israels. Und ihr Fleisch ist zart und lecker.
Brot vom Himmel gibt’s keins. Auch wenn es so aussieht, als wäre es vom Himmel gefallen. Es ist nur Manna. Ein Ausscheidungsprodukt der Schildläuse, die auf den Tamariskensträuchern leben. Nachts tropft es herab und kristallisiert: rund und klein wie Reif auf der Erde. Aufsammeln müssen sie es selber. Aber es schmeckt himmlisch: wie Semmel mit Honig.
Ein Fleisch-Wunder, ein Brot-Wunder! – Für manche gar kein Wunder, weil wir es aus der Natur erklären können. – Als ob es nur übernatürliche Wunder gäbe! Ist nicht gerade die Natur voller Wunder, weil sie dem großen Schöpfer gehorcht und seinen Geschöpfen dient?
Wo Menschen alles von Gott erwarten, können sie alles aus seiner Hand empfangen. Ein Vogelschwarm in der Wüste wird zur rettenden Speise. Ein Ausscheidungsprodukt von Läusen wird zum Honigkuchen. Und das gerade dann und dort, wo die Not am größten ist. – Was für ein Wunder!
Die frischen Wachteln stellen die dünne Fleischbrühe von Ägypten in den Schatten. Und das Honig-Manna schmeckt schon nach dem Gelobten Land, wo Milch und Honig fließen.
Die Freiheit beginnt wieder zu schmecken. Der Magen knurrt nicht mehr. Die wunden Füße dürfen sich erholen. Und die kranken Seelen werden langsam wieder gesund. Das ist Gottes Wunder.
Es ist das Wunder der Freiheit.
Nachdem sie Gott verantwortlich gemacht haben, machen sie sich auch selber verantwortlich:
Sie werden aktiv. Sie gehen los und sammeln Wachteln und Manna. Sie bereiten es zu. Sie organisieren die Verteilung, dass jeder genug bekommt. Sie tun, was in ihren Kräften steht. Und was nicht in ihren Kräften steht, überlassen sie Gott.
Und dann ziehen sie weiter: durch die Wüste, ins Gelobte Land, in die Freiheit. Angekommen sind sie noch lange nicht. Die nächste Krise kommt bestimmt. Aber für ein gesundes Frühstück ist auf absehbare Zeit gesorgt.

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