Sonntag, 2. Juni 2013

Predigt am 2. Juni 2013 (1. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“
Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie sie austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.
Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: „Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Matthäus 9, 35-38; 10, 1-7


Liebe Schwestern und Brüder,
erinnert ihr euch an die Geschichte vor 14 Tagen, am Pfingstsonntag? – Da ging es um den Heiligen Geist, der seine Gaben und Aufgaben auf viele Menschen verteilt. Mose, der Anführer der Israeliten auf dem Weg in die Freiheit, er fühlte sich überfordert, konnte und sollte nun nicht mehr allein für das ganze Volk die Verantwortung tragen. Deshalb wurden 70 Älteste berufen, die mittragen sollten, aber vor allem die mitbegeistert waren: vom Geist des Mose, nein: vom Geist Gottes. Und mit Leichtigkeit und Begeisterung sind sie ans Werk gegangen, und Gottes Geschichte mit seinem Volk konnte weiter gehen: Menschen werden zu Multiplikatoren des Gottesgeistes.
Heute haben wir einen ganz wichtigen Abschnitt der Geschichte Jesu gehört, wo es ähnlich ist. Jesus, von Gott zu den Menschen gesandt als Anführer auf dem Weg in die Freiheit, er schafft es nicht mehr alleine, für das ganze Volk da zu sein: Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. – Man muss sich mal klar machen, was für ein Programm, was für ein Stress in diesem Satz steckt: alle Städte und Dörfer, alle Krankheiten, alle Gebrechen und immer wieder predigen. – Ich brauche fast einen ganzen Arbeitstag, um eine Predigt vorzubereiten. Krankenbesuche und -gebete sind geistig und geistlich kräftezehrend; das kenne ich auch. – Wie schafft Jesus das nur?
Wenn man zurückblättert und die letzten zwei Kapitel liest, dann geht es Schlag auf Schlag, fast ohne Pause: Heilung eines Aussätzigen, Fernheilung des Knechtes vom Stadthauptmann – das ist ja auch eine neue Erfahrung für Jesus! –, dann Besuch bei Petrus mit Heilung der kranken Schwiegermutter, eine Predigt über die Nachfolge, und als er sich endlich bei der Fahrt übern See ausruht, bekommen seine Jünger Panik, weil es stürmt und schaukelt. Drüben auf der andern Seite zwei Wahnsinnige, Besessene: Dämonenaustreibung – wir haben nur noch wenig Ahnung von solchen geistlichen Kämpfen –, dann mit dem Schiff wieder zurück, Heilung eines Gelähmten, Berufung eines Zöllners, ein Lehrgespräch mit Anhängern des Johannes, dann der verzweifelte Vater, dem die Tochter gestorben ist: Jesus soll sie auferwecken, und während er noch unterwegs ist, die Frau mit dem Blutfluss, die sich Heilung von ihm erwartet. Kaum hat er das Haus verlassen, wo das Kind verstorben war, kommen zwei Blinde, die geheilt werden wollen, und dann gleich noch ein Stummer. Alle werden geheilt, allen wird geholfen. – Die meisten dieser Begebenheiten kennen wir ganz gut; wir lesen sie abschnittweise, oder sie sind verteilt über die Jahre als Predigttexte oder Evangelienlesungen dran, aber eben immer nur in einzelnen Abschnitten. Aber wenn ich mal über ein paar Seiten hinweg die Bibel hintereinander lese, dann erschlägt mich geradezu die Wucht und die Fülle dessen, was da geschieht, was Jesus da zu tun hat.
Und genau aus dieser Fülle heraus entsteht nun dieser Augenblick des Innehaltens, von dem ich gelesen habe: Jesus sieht das Volk vor sich und es jammerte ihn; denn sie waren wie die Schafe, die keinen Hirten haben. – Jesus ist da und dort und möglichst für jeden da, der Hilfe von ihm erwartet, aber es reicht nicht. Das Volk schmachtet nach dem, was da geschieht, was durch Jesus geschieht: Das Gottesreich bricht an: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt (so sagt es Jesus selbst; Mt 11, 5). So viel zu tun und zu sagen, zu viel für einen allein: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.
Und darum zuerst: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. – Also, nicht gleich selber loslegen, sondern zuerst ganz still werden, Hände falten und Gott bitten.
Und Jesus die Initiative überlassen. Bzw. dem Heiligen Geist.
Die Initiative des Heiligen Geistes ist dieselbe wie damals bei Mose: Nicht mehr einer allein trägt die ganze Verantwortung, nicht mehr einer allein ist für alles zuständig. Nein, verteilt die Aufgaben an seine Jünger. Jünger, das heißt ja genau genommen: Schüler. Sie lernen von Jesus. Zuerst durch Zusehen – so war es die letzten Tage –, dann aber durch nachmachen und üben. Und jetzt beginnt diese Phase. Los geht’s: Dämonen vertreiben, Kranke heilen, vom Himmelreich predigen! – Jesu Jünger werden zu seinen Multiplikatoren, zu Multiplikatoren des Himmelreiches. Was Jesus tut, das tun sie auch.
Eigentlich schon an dieser Stelle, nicht erst zu Pfingsten, ist die Geburtstunde der christlichen Kirche. Menschen gehen los und tun, was Jesus tut. Das ist christliche Kirche: Menschen gehen los und tun, was Jesus tut. Oder wie Dietrich Bonhoeffer mal formulierte: Kirche ist Christus als Gemeinde existierend.
Und wir? Wie sind wir Kirche? Gehen wir los und tun, was Jesus tut?
Es gibt drei große Missverständnisse über diese Bibelstelle, wie Jesus seine Jünger aussendet.
Das erste Missverständnis könnte man das historische Missverständnis nennen: Das war damals so, einmalig; da hat Jesus seine zwölf Apostel losgeschickt. Mit uns hat das nichts zu tun. – Ja, das ist ein Missverständnis; denn nicht umsonst nennt sich die Kirche in ihrem großen Glaubensbekenntnis: heilige, katholische und apostolische Kirche. Die Apostel sind die ersten Angehörigen und Vertreter dieser Kirche, aber nicht die einzigen; es sind immer mehr dazu gekommen. Am Ende genau dieses Matthäusevangeliums schickt Jesus sie los mit dem Auftrag: Macht zu Jüngern alle Völker!, also: multipliziert die Botschaft des Gottesreiches weiter, macht immer neue Jünger, die in meinem Namen losgehen, um Dämonen zu vertreiben, Kranke zu heilen und vom Himmelreich zu predigen! Dieser Auftrag gilt bis heute. So ist die Kirche apostolische Kirche: Wenn sie tut, was den Aposteln aufgetragen war.
Das zweite Missverständnis nenne ich mal das katholische Missverständnis, und das geht so: Der apostolische Auftrag setzt sich in den kirchlichen Amtsträgern fort. Die Bischöfe sind die Nachfolger der Apostel und durch die ununterbrochene Folge von Bischofsweihen seit den Tagen der Apostel sind alle Bischöfe und die durch die Bischöfe geweihten Geistlichen der Kirche in diesen Auftrag eingeschlossen. Es ist ein Auftrag an die Geistlichen, und nicht an die Laien. – Ein Teil der Krise der katholischen Kirche besteht heute wohl darin, dass ihr die geweihten Geistlichen ausgehen, die diesen Auftrag wahrnehmen können. – Aber, wie gesagt: Es ist ein Missverständnis. Denn Jünger Jesu wird man nicht durch die Priesterweihe, sondern durch die Taufe und die Unterweisung im christlichen Glauben. Denn der Auftrag Jesu nach Ostern geht ja so weiter: Macht zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch befohlen habe. – Der Auftrag Jesu ist prinzipiell ein Auftrag an alle Christen. Also nicht nur an mich als Geistlichen, sondern auch an euch als so genannte Laien. Aber genau genommen gibt es diesen Unterschied gar nicht: Wir alle, die wir glauben und getauft sind, sind Geistliche. Wir sind mit Gottes Geist begabt und als Jesu Jünger in die Welt gesandt. Wir sollen tun, was Jesus tut und was die Apostel getan haben.
Und nun gibt es aber noch ein drittes Missverständnis, ich möchte es das aktivistische Missverständnis nennen: Wir müssen doch was tun!, sagen viele und legen einfach los. Tun irgendwas: um Menschen zum Glauben zu überreden, um die Welt zu retten, um was für die Gesundheit zu tun, für den Frieden, die Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung – je nachdem, wofür das Herz besonders schlägt. Wir müssen doch was tun!
Aber das ist nicht der Auftrag Jesu: Guckt mal, was ihr tun könnt, und dann an die Arbeit! Sein Auftrag ist: Betet, dass der Herr Arbeiter in die Ernte sende. Ja, da waren wir vorhin schon mal: Nicht gleich selber loslegen, sondern zuerst ganz still werden, Hände falten und Gott bitten.
Und dann auch hören: Was hat Gott mit dir vor? Wohin sendet er dich? Was ist sein Auftrag für dich?
Der Auftrag Jesu ist eng umrissen: vom Himmelreich predigen, Kranke heilen, Dämonen austreiben. – Doch wie macht man das?
Ich glaube, dafür gibt es unterschiedliche Wege, und da wird der Auftrag Jesu dann doch wieder weit. Je nachdem, was der Heilige Geist dir für Gaben und Möglichkeiten gegeben hat. Eine Predigt muss nicht aus großen Worten bestehen. Bei manchen ist einfach ihr Leben eine Predigt. Kranke werden nicht nur durch spektakuläre Wunder geheilt, sondern auch durch liebevolle und geduldige Pflege, Verständnis und Begleitung. Und Dämonen müssen fliehen, wo wir uns nicht vom Bösen überwinden lassen und selber böse werden, sondern das Böse durch das Gute überwinden, das in uns ist.
Die Apostel, die Jesus ausgesandt hat, waren keine Hochleistungschristen, es waren Menschen, die in der Gegenwart Jesu gelebt und von ihm gelernt haben, und die – wahrscheinlich zuerst mit Zittern und Zagen – begonnen haben, zu tun, was Jesus tut. Dabei stand am Anfang nicht die Aktion, sondern die Kontemplation: die Stille, das Gebet: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte. Und dann wuchs daraus die Bereitschaft: Herr, sende mich.
So wollen auch wir Gott bitten, dass er seine Jünger aussende als Multiplikatoren des Himmelreichs und dass wir durch Gottes Geist solche Multiplikatoren sein können.

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