Montag, 26. September 2016

Predigt am 25. September 2016 (18. Sonntag nach Trinitatis)

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
Wer darin Christus dient,
der ist Gott wohlgefällig
und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient
und zur Erbauung untereinander.
Römer 14, 17-19

Sonntag nach dem Gottesdienst ist Kirchencafé (wisst ihr). Es gibt Würstchen (oder letzte Woche Zwiebelkuchen), es gibt Torte, es gibt Kaffee, es gibt Bier und Wein (oder letzte Woche Federweißen). Und es gibt Menschen. Wir sitzen beieinander, kommen ins Gespräch: über so wichtige Dinge wie das Wetter auf Teneriffa und in Deutschland, wo man schön wandern und baden kann, was wir in der Heimat so tun und treiben; manchmal erzählen wir von uns und manchmal von anderen, die uns wichtig sind, die wir vielleicht gemeinsam kennen, manchmal gerade auch davon, dass es einem nicht so gut geht, dass jemand krank geworden ist oder nicht mehr auf die Insel kommen kann. Wir freuen uns, wenn alte Bekannte nach Monaten oder Jahren wieder hier bei uns sind.
Wir sind ein bunter Haufen: Lehrer und Krankenschwester, Fabrikarbeiter und Ärztin, Landwirt und Einzelhändlerin. Wir sprechen verschiedene Dialekte. Auch verschiedene Dialekte des Glaubens: lutherisch oder reformiert, katholisch oder freikirchlich, liberal oder piestistisch. „Haus der Begegnung“ heißt unser Gemeindezentrum, und das ist es besonders Sonntags mittags bei Würstchen und Kaffee, bei Kuchen und Wein. Nicht das Reich Gottes, aber manchmal ein Vorgeschmack.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
– Wirklich nicht?
Immer am ersten Sonntag im Monat ist Abendmahl (wisst ihr). Es gibt Brot, es gibt Wein, es gibt Traubensaft. Und es gibt Menschen. Wir stehen beieinander und hören, was uns gesagt wird: nichts Neues, sondern die Worte von Jesus, die uns schon lange vertraut sind: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. Wir reichen einander die Hand, Bekannten und Unbekannten. Manchmal sind wir berührt, manchmal fühlen wir uns gestärkt und gesegnet. Nicht das Reich Gottes, aber ein Vorgeschmack.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
– Wirklich nicht?
Immer öfter reden wir übers Essen und Trinken.
Jemand mag es nicht, dass es immer Würstchen gibt, Fleisch; dafür müssen Tiere sterben.
Eine holt sich ein Tortenstück und sagt, heute sündige sie einmal.
Eine andere isst keine Torte, weil da Zucker drin ist.
Alle Jahre wieder diskutieren wir, ob wir beim Gemeindefest auch ein vegetarisches Essen anbieten müssen; bisher gab’s einfach die Variante ohne Fleisch…
Ich lese von genervten Kindergeburtstagsmüttern, die statt einfach Kuchen und Kakao für alle zu machen, heutzutage auf Laktose- und Glutenunverträglichkeit, auf vegetarische oder gar vegane Ernährungsgewohnheiten der eingeladenen Kind achten müssten und außerdem natürlich darauf, dass das eine Kind dies und das andere jenes einfach nicht mag.
Und bei Parties unter jungen Erwachsenen soll es nicht viel anders sein.
Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob es beim Abendmahl bei uns auch glutenfreie Hostien gäbe. Neben zweierlei Kelchen könnten wir dann auch noch zweierlei Hostien anbieten.
Vielleicht sollten wir das alles als Zeichen der Vielfalt und der Individualität nehmen.
Manchmal ist es aber auch mit Rechthaberei und moralischer Selbstüberhebung verbunden:
Wie kannst du nur immer noch tote Tiere essen!
Wie kann man sich denn nur so ungesund ernähren!
Wieso isst du, was nicht „fair gehandelt“, „regional“ und „bio“ ist?
Wieso nehmt ihr keine Rücksicht auf besondere Bedürfnisse?
Wenn es so ist, dann verbindet uns Essen und Trinken nicht mehr, sondern es trennt uns.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
– Wirklich nicht!
Rom, im Jahr 54 nach Christi Geburt.
Kirchencafé nach dem Gottesdienst (sie haben das noch nicht so genannt, weil sie noch keinen Kaffee hatten). Einige haben Essen vorbereitet, Suppe mit Fleisch, Würstchen, Brot, Kuchen und Wein. Sie sitzen beieinander und kommen ins Gespräch: über das Wetter und wie die Ernte war, über gemeinsame Bekannte und über die neuesten Nachrichten von den Christen anderswo im großen römischen Reich: in Korinth und Thessaloniki, in Ephesus und Jerusalem, darüber, wer krank ist und wer Hilfe braucht und darüber, dass der berühmte Apostel Paulus bald nach Rom kommen möchte. Es ist ein bunter Haufen: Handwerker und Arbeitssklavin, Landbesitzer und Händlerin, Hauslehrer und Senatorengattin. Sie sprechen verschiedene Dialekte: das gehobene Latein der Römer oder die Sprache der Landbevölkerung und vor allem das Griechisch, das man überall verstand, aber oft fehlerhaft sprach, mit dem Akzent der nördlichen Barbaren oder der semitisch gefärbten Aussprache der Juden und Aramäer. Sie haben unterschiedliche Glaubensgeschichten: Manche haben die römischen Götter verehrt, teils im tiefen Ernst, teils aus Folklore, weil das die Gesellschaft zusammenhielt; andere haben gemeint, auch in den exotischen Religionen aus dem Osten könnte man Wahrheiten finden, während wieder andere lieber über philosophische Theorien nachgedacht haben; und dann gab es noch die Juden, die sich für das erwählte Volk hielten und meinten, dem einzig-einen wahren Gott zu dienen. Sie alle sind irgendwie, irgendwann Christen geworden und haben mit ihrem Hintergrund, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen für sich interpretiert, was das heißt: an Jesus Christus glauben und ihm nachfolgen. Hier in der Gemeinde begegnen sie sich, tauschen sich aus. Hier ist Gemeinschaft, wie sie sie noch nie zuvor erlebt haben. Sie gehören zusammen, und wenn sie miteinander essen und trinken, dann spüren sie das besonders. Noch nicht das Reich Gottes, aber ein Vorgeschmack.
Bevor sie miteinander essen und trinken feiern sie miteinander Abendmahl. Herrenmahl nennen sie es. Es gibt Brot und es gibt Wein. Andächtig hören sie die Worte, die sie von Jesus kennen: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. Dann reichen sie Brot und Kelch weiter von einem zum anderen. Berührt, gestärkt, gesegnet fühlen sie sich. Noch nicht das Reich Gottes, aber ein Vorgeschmack.
Und nun schreibt ihnen Paulus: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.
Der Grund: Immer öfter diskutieren sie übers Essen und Trinken:
Wo hast du dieses Rindfleisch gekauft?, will einer wissen. – Auf dem Markt natürlich. – Und hast du gefragt, wo es herkommt? – Natürlich nicht. – Es könnte aber Opferfleisch vom Tempel sein. GÖTZENOFPERFLEISCH!
Ja, so war das damals. Man opferte den Göttern Rinder und Schafe und Ziegen, aber natürlich nicht das ganze Tier, das Fleisch der getöteten Tiere wurde an die Markthändler verkauft.
Und nun gibt es Streit: Du kannst doch nicht essen, was den Götzen, den Dämonen geweiht ist! Du kannst doch nicht den Kult des Jupiter oder des Merkur unterstützen! – Der andere entgegnet: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und überhaupt: Was kümmern mich Jupiter und Merkur, es gibt doch nur einen Gott. Wie kannst du nur so kleinlich und kleingläubig sein!
Beide Seiten fühlen sich im Recht.
Die einen meinen, sie müssten sich eindeutig von den alten Göttern distanzieren: die sollen keinerlei Macht über sie haben. Die anderen meinen, sie seien von dieser Macht schon lange befreit und müssten sich nicht mehr darum kümmern.
An diesem Streit beginnt die Gemeinde zu zerbrechen.
Wenn jemand Küchendienst hat, der einfach ohne zu fragen auf dem Markt einkauft, bleiben die fern, denen das nicht egal ist. Und wenn jemand darauf achtet, dass es kein Götzenopferfleisch ist, dann machen sich die andern lustig oder gehen auch nicht hin – aus Prinzip.
Und darum schreibt Paulus: Das Reich Gottes ist nicht Essen oder Trinken!
Und er meint: Wenn es beim Essen und Trinken nur um richtige und falsche Ernährung geht, dann habt ihr das Wesentliche gar nicht verstanden.
Essen und Trinken kann ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes sein.
Aber das Reich Gottes, das ist vor allem Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
Jesus hat mit seinen Freunden und mit seinen Feinden, mit Sündern und Gerechten gegessen und getrunken.
Jesus hat mit den Menschen gefeiert und Wasser in Wein verwandelt.
Jesus hat das Reich Gottes mit einem Festmahl verglichen.
Jesus hat die Gemeinschaft am Tisch des Herrn gestiftet.
Weil beim Essen und Trinken Gemeinschaft entsteht.
Weil, wer miteinander isst, Frieden hat (wo Unfrieden ist, wird ja meistens zuerst die Tischgemeinschaft aufgekündigt; und wenn Frieden werden soll, dann setzen sich Feinde zusammen an einen Tisch).
Und weil gemeinsam Essen und Trinken Freude macht.
Darum, sagt Paulus, lasst gerade am Essen und Trinken eure Gemeinschaft nicht zerbrechen.
Geht aufeinander zu. Setzt euch wieder zusammen an einen Tisch. Sucht Kompromisse. Achtet auf das, was mehr ist als Essen und Trinken: auf die Gerechtigkeit, auf den Frieden, damit ihr miteinander froh werdet.
Nach allem, was man weiß, haben sie das in Rom wieder hingekriegt, damals. Die Christen, so unterschiedlich sie waren, sind beieinander geblieben.

Die Christen späterer Jahrhunderte sind nicht beieinander geblieben.
Zu den traurigsten Kapiteln der Kirchengeschichte gehört, dass wir nicht mehr oder noch nicht wieder an einem Tisch miteinander das Herrenmahl feiern. Beglückend und bewegend ist es, wenn solche geistliche Tischgemeinschaft möglich wird. Als vorige Woche der neue anglikanische Priester, Father John, eingeführt wurde, konnten wir miteinander Eucharistie feiern, das hat mich froh gemacht.
Wenn wir hier am kommenden Sonntag wieder Abendmahl feiern, sind alle, die getauften sind, dazu eingeladen.
Beim Essen und Trinken soll Gemeinschaft entstehen, Gerechtigkeit und Frieden wachsen, dass wir miteinander froh werden. Ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes.

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