Sonntag, 15. Mai 2016

Predigt am 14. und 15. Mai 2016 (Pfingsten)

Predigttext: Apostelgeschichte 2, 1-18.21-24.36

Es kam das Pfingstfest. An diesem Tag waren sie alle wieder am selben Ort versammelt. Plötzlich setzte vom Himmel her ein Rauschen ein wie von einem gewaltigen Sturm; das ganze Haus, in dem sie sich befanden, war von diesem Brausen erfüllt. Gleichzeitig sahen sie so etwas wie Flammenzungen, die sich verteilten und sich auf jeden Einzelnen von ihnen niederließen. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, und sie begannen, in fremden Sprachen zu reden; jeder sprach so, wie der Geist es ihm eingab.
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Sie haben gewartet. Gewartet, dass endlich etwas passiert. Jesus war weg, und sie wussten nicht, wie es weiter geht. Sie hatten keinen Plan. Sie wussten nur: Irgendwas würde geschehen. Es kommt was. Oder wer. Der Heilige Geist, so hatte er ihnen gesagt. Wie das ist, wussten sie nicht. Sie haben gewartet, gebetet, gehofft. Und dann kam Pfingsten.
Der Heilige Geist. Kein Gespenst. Kein laues Lüftchen. Kein sanftes Säuseln. Nein: Sturmwind. Brausen, Rütteln. Türen, Fenster und Wände konnten ihn nicht aufhalten. Er fuhr ihnen in die Glieder, in die Leiber, in die Herzen, in die Zungen. Feuer und Flammen. Licht und Kraft. Energie.
Der Heilige Geist. Kein stilles Meditieren. Keine sanfte Spiritualität. Kein neues Bewusstsein. Nein: Laute Worte. Viele Worte. Neue Sprache. Unerhört. Unverständlich für die einen. Überverständlich für die anderen.
Der Heilige Geist. Nicht eingesperrt in Kirchenmauern. Nicht domestiziert in wohlgesetzten Liturgien. Nicht ausformuliert in gut durchdachten Dogmen. Sondern unbändiges Gotteslob. Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Geradezu von Gott besoffen sind sie.
Sie haben gewartet. Aber das haben sie wohl nicht erwartet. Gottes unberechenbarer Geist kommt wie ein Sturmwind und wirbelt alles durcheinander.
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Wegen des Pfingstfestes hielten sich damals fromme Juden aus aller Welt in Jerusalem auf.  Als nun jenes mächtige Brausen vom Himmel einsetzte, strömten sie in Scharen zusammen. Sie waren zutiefst verwirrt, denn jeder hörte die Apostel und die, die bei ihnen waren, in seiner eigenen Sprache reden. Fassungslos riefen sie: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wie kommt es dann, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? Wir sind Parther, Meder und Elamiter; wir kommen aus Mesopotamien und aus Judäa, aus Kappadozien, aus Pontus und aus der Provinz Asien, aus Phrygien und Pamphylien, aus Ägypten und aus der Gegend von Zyrene in Libyen. Sogar aus Rom sind Besucher hier, sowohl solche, die von Geburt Juden sind, als auch Nichtjuden, die den jüdischen Glauben angenommen haben. Auch Kreter und Araber befinden sich unter uns. Und wir alle hören sie in unseren eigenen Sprachen von den wunderbaren Dingen reden, die Gott getan hat!« Alle waren außer sich vor Staunen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte einer den anderen, aber keiner hatte eine Erklärung dafür. Es gab allerdings auch einige, die sich darüber lustig machten. »Die haben zu viel süßen Wein getrunken!«, spotteten sie.
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Der Heilige Geist ist kein heimlicher Geist. Ein unheimlicher Geist eher. Er versteckt sich nicht und lässt sich nicht verstecken. Er ist laut. Und schrill. Und öffentlich. Und ärgerlich. Vielleicht auch ein peinlicher Geist.
Alle kriegen es mit, alle sind sie da und alle wundern sie sich und fragen sich: Was ist das? Was soll das? Was wird das?
Sie verstehen die Worte, und verstehen nicht, dass sie sie verstehen. Die Provinztölpel aus Galiläa reden Griechisch und Latein und die Lateiner sind mit ihrem Latein am Ende.
Der Heilige Geist ist offenbar sprachbegabt. Und macht sprachbegabt. Leute, die nicht reden konnten, tun ihren Mund auf. Menschen, denen die Worte fehlten, haben was zu sagen. Personen, die begriffsstutzig waren, beginnen zu begreifen. Und Verständnislosen geht ein Licht auf.
Das Pfingstwunder ist ein Sprachwunder, ein Wortwunder. Der die Welt durch das Wort geschaffen hat, ergreift das Wort. Ergreift seine Geschöpfe mit dem Wort und gibt ihnen Ant-Worten: ins Herz und auf die Lippen. Ant-Worten: Worte, die auf Worte folgen. Keine Widerworte, sondern Worte, die einander ergänzen, aufeinander reagieren. Die hin- und herfliegen wie Bälle. Von Gott zu Mensch, von Mensch zu Gott und von Mensch zu Mensch. Der Heilige Geist jongliert mit Worten.
Gott schafft seinen Worten Gehör. Die Leute staunen, weil sie hören. Weil sie verstehen. Und weil sie nicht verstehen, dass sie verstehen. Ein Wunder aus Worten.
Ok, manche spotten: „Die sind ja besoffen!“, sagen sie. Und müssten doch genau wissen, dass Betrunkene nicht verständlich, sondern unverständlich reden.
Aber für alle, die es noch nicht verstanden haben, hat Petrus verständliche Worte. Worte, in der Sprache, die sie alle verstehen:
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Jetzt trat Petrus zusammen mit den elf anderen Aposteln vor die Menge. Mit lauter Stimme erklärte er: »Ihr Leute von Judäa und ihr alle, die ihr zur Zeit hier in Jerusalem seid! Ich habe euch etwas zu sagen, was ihr unbedingt wissen müsst. Hört mir zu! Diese Leute hier sind nicht betrunken, wie ihr vermutet. Es ist ja erst neun Uhr morgens.  Nein, was hier geschieht, ist nichts anderes als die Erfüllung dessen, was Gott durch den Propheten Joel angekündigt hat.  ›Am Ende der Zeit‹, so sagt Gott,›werde ich meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Dann werden eure Söhne und eure Töchter prophetisch reden; die Jüngeren unter euch werden Visionen haben und die Älteren prophetische Träume. Sogar über die Diener und Dienerinnen, die an mich glauben, werde ich in jener Zeit meinen Geist ausgießen, und auch sie werden prophetisch reden. [...] Jeder, der dann den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.‹
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Dem Petrus war selber gerade erst das Licht aufgegangen: Was da unerwartet über sie gekommen war, war das, worauf sie warten sollten. War der Geist des Herrn. Und da war es da in seinem Geist: das Prophetenwort von Joel, der genau so etwas vorhergesagt hatte: prophetische Rede – Worte direkt von Gott zu Mensch, Visionen und Träume – Gott tut sich den Menschen kund. Sie sollten verstehen, was Gott sagt und tut und will. Und antworten, ihn anrufen und gerettet werden.
Wir spinnen nicht. Wir sind auch nicht besoffen. Nicht schon früh um Neun. Und auch nicht abends um Zehn. Nicht besoffen, sondern begeistert. Und ihr könnt auch begeistert sein. Von Gott, der Wunder tut. Von Gott, der zu euch redet. Von Gott, der euch rettet.
Aber Petrus spricht nicht nur irgendwie so allgemein von Gott und der Welt. Er spricht konkret: von Jesus.
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Ihr Leute von Israel, hört her! Bei dem, was wir euch zu sagen haben, geht es um Jesus von Nazaret. Durch diesen Mann hat Gott – wie ihr alle wisst – in eurer Mitte mächtige Taten vollbracht, Wunder gewirkt und außergewöhnliche Dinge getan. Damit hat er ihn euch gegenüber als seinen Gesandten bestätigt. Was dann geschah, wusste Gott schon lange im Voraus; er selbst hatte es so geplant: Jesus wurde verraten und an euch ausgeliefert, und ihr habt ihn durch Menschen, die nichts vom Gesetz Gottes wissen, ans Kreuz schlagen und töten lassen. Doch Gott hat ihn aus der Gewalt des Todes befreit und hat ihn auferweckt; es zeigte sich, dass der Tod keine Macht über ihn hatte und ihn nicht festhalten konnte. [...]
Es steht also unzweifelhaft fest, und ganz Israel soll es erkennen: Gott hat Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Messias gemacht.«
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Petrus spricht konkret von Jesus:
Jesus, den kennt ihr doch. Von dem habt ihr doch gehört oder habt ihn selber gesehen. Ist ja erst sieben Wochen her, dass er zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Denkt nicht, dass das mit ihm nun alles erledigt ist. Im Gegenteil: jetzt geht es richtig los. Denn er lebt; das können wir bezeugen. Er ist zu Gott gegangen und schickt uns jetzt diesen Gottesgeist. Was wir gerade erleben ist sein Lebenszeichen vom Himmel – für euch.
Und dann kommt das größte Pfingstwunder: Ganz viele glauben seinen Worten. Die Worte gehen ihnen zu Herzen. – Ganz ehrlich: Wenn ich die Pfingstpredigt von Petrus heute lese – naja, das reißt mich rhetorisch und theologisch nicht vom Hocker. Aber die sie damals als erste gehört haben, die waren zutiefst bewegt, ergriffen und fragten: Was sollen wir tun? Petrus sagt: Glaubt und lasst euch taufen! Weiter nichts. – 3000 Leute glauben und lassen sich taufen. Weiter nichts. – Und da ist sie: die heilige christliche Kirche. Geschaffen vom Heiligen Geist.
Das ist Pfingsten.
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Liebe Freunde, ich kann und will euch nicht erklären, was der Heilige Geist genau ist; ich kriege ihn nicht zu fassen. Ich kann und will euch nicht erklären, was damals wirklich passiert ist; ich weiß es nicht. Ich kann und will euch nicht erklären, wie Glaube und Taufe funktioniert; ich weiß es nicht. Ich kann und will euch nicht erklären, was die heilige christliche Kirche ist; auf jeden Fall mehr, als ich sehen und in Worte fassen kann.
Der Heilige Geist hat sich nicht erklärt, sondern ist einfach über die Menschen gekommen, hat sie genommen und verwandelt, hat ihnen Worte gegeben und Wunder gewirkt. Da war Glaube, da war Begeisterung, da war Gemeinschaft – da war Kirche.
Manchmal höre und sehe ich heute ähnliches: begeisterte Menschen. Leute, die die großen Taten Gottes preisen und von Jesus erzählen. Einzelne, die anfangen an Gott zu glauben – gegen alle Vernunft und Berechnung. Viele, für die die Sache mit Gott mehr ist als Tradition und Brauchtum.
Manchmal sehe ich auch nichts, und dann warte ich, dass endlich etwas passiert. So wie die Apostel, bevor Pfingsten wurde. Nicht, dass wir etwas machen, etwas entwickeln, auf die Beine stellen, darauf kommt es an, sondern darauf, dass Gott macht, dass sein Geist kommt und es anfängt zu brausen und zu wehen, zu brennen und zu leuchten. Dass er uns neue Worte gibt. Dass Gott sich neu verständlich macht.

Zu Pfingsten besonders beten wir darum:
Komm Heiliger Geist!
Erfülle die Herzen!
Erwecke die Menschen!
Erbaue das Reich Gottes!
Mitten unter uns.

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