Sonntag, 1. November 2015

Predigt am 1. November 2015 (Gedenktag der Heiligen)


Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.
Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“
Matthäus 5, 1-12

Ich gehe gerne in Kirchen.
Nicht nur Sonntags zum Gottesdienst.
Wenn irgendwo eine Kirche offen steht, dann gehe ich hinein.
Manchmal zahle ich sogar Eintritt.
Aber lieber werfe ich am Ausgang freiwillig etwas in den Opferstock.
Ich gehe gerne in Kirchen.
Gehe umher, schaue mir die Kunstwerke an:
Altäre, Fresken, Heiligenstatuen; Fenster, Säulen, Kapitelle…
Setze mich in die Bank und werde stille:
Denke nach, bete, meditiere.
Die letzten Tage in Deutschland bin ich, wenn ich richtig gezählt habe, in sieben verschiedenen Kirchen gewesen.
Und ich habe etwas an mir beobachtet, was ich schon früher bemerkt hatte; aber es hat sich verstärkt:
Katholische Kirchen sprechen mich oft mehr an als evangelische.
Ich fühle da etwas von dem, was wir im Glaubensbekenntnis sprechen:
Heilige christliche Kirche (eigentlich ja: heilige katholische Kirche), Gemeinschaft der Heiligen.
Ja, Gemeinschaft der Heiligen.
Sie sind da.
Sie umgeben mich.
Die Apostel und Evangelisten an den Säulen.
Antonius und Sebastian auf den Altären.
Und viele, viele andere; die meisten kenne ich gar nicht, oder weiß nichts von ihnen.
Heilige Frauen wie Katharina und Barbara im Altarschrein.
Oder auch Maria Magdalena, die große Sünderin – und Heilige.
Und natürlich die „richtige“ Maria, die heilige Jungfrau und Mutter des Herrn.
Gemeinschaft der Heiligen.
Sie sind um mich.
Wenn ich zu Gott komme – in die katholische Kirche, und das muss nicht die römisch-katholische Kirche sein –, wenn ich zu Gott komme, in seine Kirche, dann bin ich nicht allein.
Sie sind ja auch zu Gott gekommen, die Heiligen.
Schon viel früher.
Und dann sind sie geblieben.
Und sind immer noch da.
Da merke ich: Ich bin im Himmel – mit allen Heiligen.
Und mit allen anderen Menschen, die auch zu Gott gekommen sind: in die Kirche.
Sie gehen wie ich umher und betrachten die Bilder und die Fenster und die Altäre mit den Heiligen.
Manche zünden eine Kerze an, setzen sich in die Bank und werden stille:
Denken nach, beten vielleicht oder meditieren.
Wie ich.
Manchmal ist Gottesdienst.
Und im Urlaub bin ich einmal nicht der Pfarrer, sondern sitze mit den anderen in der Bank, singe, bete, schweige, höre.
Gemeinsam sprechen wir die großen Worte von unserem Glauben:
Nicht nur an Gott und Jesus und den Heiligen Geist, sondern auch an die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
*
Ich sehe sie mir an, die Heiligen um mich herum:
Den heiligen Antonius zum Beispiel.
Und ich denke daran, dass er seinen ganzen Besitz verschenkt hat und allein in die Wüste gezogen ist, um ganz für Gott da zu sein.
Verrückt!
Oder den heiligen Sebastian, den ich aus der Ermita de San Sebastián drüben auf La Gomera gut kenne, wo wir manchmal Gottesdienst gefeiert haben.
Von Pfeilen durchbohrt steht er da.
Weil er sich als römischer Offizier dennoch als Christ bekannte, ließ Kaiser Diokletian ihn von einem Kommando aus Bogenschützen hinrichten.
Wie durch ein Wunder – oder durch ein Wunder – überlebte er und wurde von einer frommen Witwe, der heiligen Irene, gesund gepflegt.
Sebastian ging wieder zu Diokletian und bekannte sich erneut zu Christus.
Verrückt!
Der Kaiser ließ ihn daraufhin mit Keulen im Zirkus erschlagen.
Das überlebte er nicht.
Ich sehe die Heilige Barbara, von der ich weiß, dass sie von ihrem eigenen Vater in einen Turm eingesperrt wurde und schließlich nach allerlei Foltern von ihm auch enthauptet wurde – allein weil sie sich zum christlichen Glauben bekannte und sich weigerte, den für sie vorgesehenen Mann zu ehelichen.
Verrückt!
Oder die heilige Maria Magdalena, die wir aus der Bibel kennen und die häufig mit der großen Sünderin identifiziert wird, die Jesus gesalbt hat.
Eine Hure soll sie gewesen sein.
Und besessen von sieben Dämonen, bevor Jesus sie befreite.
Manche halten sie für Jesu Geliebte.
Und sie war die erste Zeugin seiner Auferstehung.
Verrückt!
Vielleicht muss man verrückt sein, um ein Heiliger zu werden, denke ich.
*
Und dann denke ich an Jesus.
Der hat niemanden heilig gesprochen.
Aber viele selig gepriesen.
Selig sind, die da Leid tragen.
Wie Sebastian und Barbara.
Wie all die Verfolgten und Getöteten, Gefolterten und Geflohenen, Kranken und Trauernden.
Selig sind die Sanftmütigen.
Wie Maria Magdalena.
Oder wie der Heilige Franziskus.
Oder wie Mutter Teresa.
Wie all die vielen, die sich in harten Zeiten nicht verhärten lassen und die menschlich, liebevoll und geduldig bleiben.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit.
Wie der heilige Martin Luther, der sich nach Gottes Gerechtigkeit sehnte.
Und wie der heilige Martin Luther King, der für die Gerechtigkeit für seine schwarzen Brüder und Schwestern kämpfte.
Was, das sind gar keine Heiligen?
Nur weil sie die römisch-katholische Kirche nicht heilig gesprochen hat?
– Nein, darauf kommt es doch gar nicht an.
Es kommt darauf an, wen Jesus selig preist.
Das sind die Menschen, die mit ihrem Leben Gott ganz nahe sind.
Und was Gott ganz nahe ist, das nennen wir heilig.
Selig sind die Barmherzigen.
Selig sind, die reinen Herzens sind.
Selig sind die Friedfertigen.
Selig sind die Verrückten.
Selig sind die geistlich Armen.
Die nichts haben, die nichts können, die nichts leisten.
Und die genau danach suchen, was ihnen fehlt:
Die Gerechtigkeit, den Frieden, den Nächsten und Gott.
Selig sind sie: Ihnen gehört der Himmel und die Erde.
Ihnen gehört Gottes Trost und Gottes Barmherzigkeit.
Mit kindlich staunenden Augen sehen sie Gott – finden ihn in allen Dingen.
Und bleiben für immer in seiner Nähe.
Und darum nennen wir sie Heilige.
*
Und dann denke ich an mich:
Ein Heiliger bin ich eigentlich nicht.
Mit Leuten wie Antonius und Sebastian, wie Luther oder Mutter Teresa kann ich mich in keiner Weise messen.
Andererseits: Ein bisschen verrückt bin ich auch.
Und geistlich arm.
Und auf der Suche.
Nach Frieden und Gerechtigkeit.
Nach Menschen und nach Gott.
Und die da neben mir in der Kirche, die da wie ich die Heiligenfiguren anschauen oder in der Bank sitzen und beten oder im Gottesdienst mit mir singen und das Glaubensbekenntnis sprechen – die sind wohl auch ein bisschen verrückt.
Sonst wären sie nicht hier.
*
Ich gehe gerne in Kirchen: Sonntags in den Gottesdienst – und auch sonst.
Da fühle ich mich geborgen und aufgehoben.
Denn da bin ich schon im Himmel.
Bei Gott und Jesus und allen Heiligen.
In der großen Gemeinschaft der Heiligen und der Sünder und der Verrückten, der Lebenden und der Toten.
Ich weiß: So ist es, und noch viel besser wird es einmal sein.

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