Sonntag, 27. April 2014

Predigt am 27. April 2014 (Sonntag Quasimodogeniti)

Hebet eure Augen auf in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt das Heer der Sterne vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: „Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber”? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja 40, 26-31

Liebe Schwestern und Brüder,
ein bekanntes Wort des großen Philosophen Immanuel Kant ist mir sofort eingefallen, als ich dieses Bibelwort gelesen habe. Kant schreibt: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir (KpV, AA 161).
Der bestirnte Himmel über mir. – Ihr kennt das: wenn ihr nachts nicht schlafen könnt und rausgeht auf die Terrasse, und über euch ist der Sternhimmel. Unzählige Lichtpünktchen. Je länger ihr schaut, um so mehr entdeckt ihr: sehr helle und ganz schwache, manche leuchten ganz weiß, andere ein bisschen rötlich. Ihr entdeckt das eine oder andere bekannte Sternbild. Und vielleicht kommt euch der Gedanke an die Entfernungen im großen Weltraum: Wie viele Jahre oder Jahrhunderte ist das Licht der Sterne unterwegs zu uns? Zur Zeit zieht der rote Planet Mars hoch über den Sternhimmel, geht am Abend im Osten auf und am Morgen im Westen unter. Der Stern ein wenig östlich von ihm ist Spica im Sternbild Jungfrau. Das Licht, das wir jetzt von ihm sehen, hat er zu Lebzeiten des Philosophen Immanuel Kant so ca. 1752 ausgesendet. Kant freilich wusste das noch nicht mit der Lichtgeschwindigkeit und den großen Entfernungen. Aber er hatte schon die Vorstellung, das Weltall müsste irgendwie unendlich sein. Was er nicht wusste, war zum Beispiel, dass hunderte Milliarden von Sternen eine einzige Galaxie, unsere Milchstraße, bilden und dass es von solchen Galaxien selber wieder einige Milliarden gibt. Da werden Bewunderung und Ehrfurcht angesichts des bestirnten Himmels über mir nur immer noch größer.
Schon immer und schon zu biblischen Zeiten haben die Menschen hinaufgeblickt in den Sternenhimmel. Sie hatten noch keine Ahnung von intergalaktischen Entfernungen und Dimensionen, aber Bewunderung und Ehrfurcht kam auch sie schon an: Unzählige Sterne zogen Nacht für Nacht über den Himmel, immer in der gleichen Ordnung, keiner fehlte jemals, alle waren da. Dazwischen zogen einige Wanderer ihre Bahn; allmählich wechselten sie ihren Ort am Himmel, verschwanden manchmal ganz und tauchten nach einiger Zeit am anderen Himmelsende wieder auf. Und dann waren da die beiden großen Himmelslichter: der Mond, der Ort und Gestalt im Vier-Wochen-Rhythmus wechselte, weshalb man diesen Zeitraum auch Mond nannte, Monat, und die Sonne, die am Tag Mond und Sterne verblassen ließ. All diese wunderbaren Himmelslichter, die in ewiger Ordnung kamen und gingen, die so verlässlich waren, dass man nach ihnen die Zeit messen konnte, das mussten Götter sein: unwandelbar, ewig, verlässlich und gut! So dachte man damals im vorderen Orient. Wenn man diese Götter verstand, ihre Wege am Himmel, dann konnte man alles verstehen, dann konnte man die Vergangenheit deuten und die Zukunft vorhersagen. So entstand die Astrologie; und noch heute tun manche so, als wären Sonne, Mond und Sterne Götter und als könnte man aus ihrem Gang das Schicksal der Menschen ablesen.
Das kleine Volk Israel glaubte an einen anderen Gott; und sie dachten manchmal, ihr Gott wäre viel kleiner als die Sonne-Mond-und-Sterne-Götter der Babylonier. Ihr Gott hatte sie zwar aus der Sklaverei befreit, sie durch die Wüste geführt und ihnen ein Stück Land zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss gegeben, er hatte ihnen in Kämpfen und Konflikten beigestanden und durch Propheten und Priester zu ihnen geredet. Er war nicht so weit weg wie die Sterne; aber war er wirklich mächtiger als sie? Das war ihnen eine sehr ernste Frage, nachdem die Babylonier ihr kleines Königreich erobert hatten, das Haus ihres Gottes zerstört und seine Priester samt den Gebildetsten und Einflussreichsten des Volkes nach Babylon deportiert hatten. Wenn sie zum Himmel hinaufschauten, dann sahen sie Schamasch und Sin, Marduk und Ischtar, die mächtigen Götter Babylons. Jahwe, ihren Gott, sahen sie nicht; er streifte vielleicht in der Ferne durch die Ruinen Jerusalems oder hatte sich zurückgezogen ins Sinai-Gebirge, von wo er einst gekommen war.
Aber es war doch ganz anders. Jahwe-Gott, der HERR, begann wieder zu reden – selbst im fernen Babylon. Propheten wollten ihn gehört und gesehen haben. Und einer von ihnen sagte seinen Landsleuten diese Worte: Schaut ruhig hinauf zum Himmel! Was seht ihr da? Sind das wirklich Götter? Bestimmen die über euer Schicksal? Ja, sie bewegen sich in wunderbarer Ordnung und größter Verlässlichkeit. Aber meint ihr, sie könnten noch mehr als leuchten und jede Nacht über den Himmel ziehen? Wenn sie wirklich Götter wären, müssten sie dann nicht frei sein, machen, was sie wollen, sich über die Ordnung hinwegsetzen? - Nein, Sonne, Mond und Sterne sind Lampen und Zeitmesser am Himmel. Und der sie dorthin getan hat, der sie ihre geordneten Bahnen ziehen lässt, der aufpasst, dass keins aus der Reihe tanzt, der die Ordnung der Welt geschaffen hat und erhält, der ist in Wahrheit Gott, und dieser wahre Gott ist unser Gott, denn es gibt nur einen.
Der Blick in den bestirnten Himmel über euch, der sollte euch zur Bewunderung und Ehrfurcht des Schöpfers hinführen. Der sollte euch staunen lassen, wie er alles so herrlich regieret. Er sollte euch befreien von der Furcht vor falschen Göttern und Schicksalsmächten. Nicht der Gang der Gestirne bestimmt über unser Leben, sondern der lebendige Gott.
Ich bin immer wieder überrascht, dass so was wie Sternzeichen und Horoskope für manche von euch überhaupt eine Rolle spielen können: wo wir doch heute noch viel genauer und viel besser wissen, was es mit Sternen und Sternbildern, Sonne und Planeten auf sich hat, wo wir wissen, dass ihr Stand am Himmel allein damit zu tun hat, wo wir mit unserer Erde uns gerade befinden auf unserer Reise um die Sonnne. Da steht der Mars nicht im Sternbild Jungfrau, sondern wir sehen unseren Nachbarplaneten vor dem Hintergrund von ein paar Sternen, die ganz unterschiedlich weit entfernt von uns die menschliche Fantasie zu einem Bild angeregt haben. Ja, und was soll das mit unserem Schicksal zu tun haben? – Genau: nichts.
Immanuel Kant, der große Philosoph, spricht nicht nur von der Bewunderung und Ehrfurcht angesichts des bestirnten Himmels über uns, sondern auch angesichts des moralischen Gesetzes in uns. Das hat nun wirklich mit unserem Schicksal zu tun; anders als die Sterne. Auch wenn der Ausdruck alt und überholt erscheint, und viele meinen, so was wie ein moralisches Gesetz gäbe es gar nicht. Gemeint ist damit, dass der Mensch wissen kann, was gut ist und böse, was er tun soll und was nicht. Wenn wir tun, was nicht gut ist, was uns und anderen schadet, ja, dann wirkt sich das auch negativ auf unser Schicksal, auf unser ganzes Leben aus. Die Handlungen von Menschen bestimmen über den Lauf der Welt und den Gang der Geschichte, nicht die Bahnen der Gestirne.
Während der Prophet im alten Babylon die Israeliten daran erinnerte, wer in Wahrheit Gott ist, haben die Priester Israels in dieser Zeit das überlieferte Gesetz Gottes schriftlich zusammengefasst; das meiste davon steht heute so in den Mosebüchern unserer Bibel. Dahinter steht die Überzeugung: Sonne, Mond und Sterne richten sich nach Gottes Willen, weil sie nicht anders können. Wir Menschen sollen uns auch nach Gottes Willen richten; aber wir können auch anders, wir sind frei. Genau darum aber ist es gut, Gottes Willen zu kennen, sein moralisches Gesetz. Darum haben sie es aufgeschrieben; der Kern davon sind die Zehn Gebote. Und der Kern der Zehn Gebote, sagt Jesus, ist: Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Oder mit anderen Worten: Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch (Mt 7,12).
Immanuel Kant hat intensiv darüber nachgedacht, was es mit dem moralischen Gesetz in uns auf sich hat, und er ist zu der Einsicht gekommen, dass es im Prinzip dasselbe ist, was Jesus gelehrt hat, auch wenn Kant es noch ein bisschen differenzierter formuliert. Es geht darum, dass wir so leben und handeln, dass wir wollen können, dass jeder in unserer Lage auch so leben und handeln würde. Und der Glaube an Gott, so meint Kant, gibt uns Motivation und Kraft dazu.
Und da sind wir wieder bei dem Wort des Propheten aus Babylon: Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat - mit anderen Worten: der Sonne und Mond und Sternen, der dem ganzen Weltall seine Ordnung gibt – der gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Diese Kraft sprechen wir immer auch unseren Konfirmanden zu, wenn wir sagen, der Segen Gottes möge ihnen Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten gebe. Gott sagt uns nicht nur, was wir nach seinem Willen tun und lassen sollen; er gibt uns auch die Kraft dazu.
So könnte das sein, wenn ihr nachts nicht schlafen könnt und hinaus geht auf die Terrasse und hinaufschaut in den Sternenhimmel über euch: dass eure Gedanken hinaufgezogen werden zu Gott, der das große Weltall geschaffen und geordnet hat, und dass aus diesem Staunen ein Gebet wird: Großer Gott, ordne doch auch mein Leben, hilf mir, morgen zu tun, was du von mir erwartest, und wenn ich müde bin, dann gib mir deine Kraft. Amen.

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