Donnerstag, 12. Mai 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 12. Mai 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

das Herz ist in unserer Kultur weit mehr als ein Organ, das für die Blutversorgung des Körpers zuständig ist. Das ist es auch, und wie es das schafft, siebzig, achtzig, neunzig Jahre lang unablässig zu pumpen, das ist schon beeindruckend!

Wenn wir aber davon reden, wie es uns ums Herz ist, was wir auf dem Herzen haben, was wir von ganzem Herzen tun, dann meinen wir noch etwas mehr. Das Herz repräsentiert unser Fühlen, unser Wollen, unser Begehren. Was uns im innersten bewegt, davon sagen wir, wir haben es im Herzen. Und darum auch ist das Herz Symbol für die Liebe. Denn wer bewegt uns so wie der geliebte Mensch? Für ihn schlägt unser Herz.

Das, was uns im innersten bewegt, das ist freilich auch vor dem Blick von außen verborgen. Ob das, was wir nach außen hin sagen und tun, wirklich von Herzen kommt, das kann man nie genau erkennen. Herzlichen Glückwunsch, sagen wir, oder Herzliche Grüße! – Ob wir tief innen tatsächlich so Gutes wünschen, wie unsere Worte es sagen, das wissen nur wir selber. Und manchmal wissen wir es nicht mal selber so genau, was wirklich in unserem Herzen ist.

Das heutige Bibelwort aus den Herrnhuter Losungen heißt: Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder! (1. Könige 8,39) Du allein, damit ist Gott gemeint.

Wir wissen nicht mal, wie es im Herzen eines einzigen Menschen aussieht, ja unser eigenes Herz verstehen wir kaum. Gott, so heißt es, kennt das Herz aller Menschenkinder.

Gott kennt und durchschaut alle. – Für manche ist das eine beängstigende Vorstellung: Meine geheimsten Wünsche und Gedanken liegen offen vor Gott. Wie peinlich! Wie schrecklich!

Für mich ist es eine gute, eine tröstliche Vorstellung: Erstens, weil sich keiner mit der Bosheit seines Herzens vor Gott verstecken kann. Zweitens – und das ist mir noch wichtiger – weil Gott, der auch mein Herz so gut kennt, mich so auch wirklich versteht. Er weiß, wie es mir ums Herz ist. Und weil Gott so gut ist, darum weiß ich, dass er mir von Herzen zugetan ist.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 11. Mai 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

in den Herrnhuter Losungen, die viele Christen jeden Tag lesen, finden wir einzelne Sätze aus der Bibel als Worte für den Tag. Solche kleinen Worte und Sätze sind natürlich aus dem Zusammenhang herausgerissen, in dem sie sonst in der Bibel stehen.

Manchmal mag das problematisch sein. Vielleicht ergeben sie ohne den Zusammenhang einen ganz anderen Sinn, als es eigentlich gedacht war.

Manchmal ist das aber auch gut. Wir werden aufmerksam auf so einen kleinen Satz, den wir sonst leicht überlesen hätten.

Heute steht als Lehrtext aus dem Neuen Testament ein ganz kurzer Satz im Losungsbüchlein: Seht darauf, wie ihr zuhört (Lukas 8,18).

Ich kenne eine Dame, die gerne, viel und laut redet. Zuhören kann sie aber gar nicht gut. Nach einem Satz ihres Gegenübers geht schon wieder ihr eigener Mund auf. Diese Dame hat Humor, sie weiß um ihre Schwäche und kann sie auch erklären: Schon seit jungen Jahren war sie schwerhörig, und selber zu reden, war für sie die beste Strategie, um nicht andern zuhören zu müssen; das hat sie nämlich wegen ihrer Schwerhörigkeit nur ganz schlecht verstanden.

Leider gibt es aber auch viele Leute, die es genau so machen, ohne organisch schwerhörig zu sein. Auch sie können nicht zuhören. Sie reden lieber selber. Man könnte das eine soziale Schwerhörigkeit nennen.

Eine Welt, in der alle nur reden und keiner zuhört, die stelle ich mir schrecklich vor. Alle reden aneinander vorbei. Jeder will gehört werden, keiner wird verstanden.

Umgekehrt erlebe ich, wie dankbar Menschen sind, wenn ich ihnen einfach mal zuhöre. Wie sie sich freuen, wenn ich auch eine Woche später noch weiß, was sie mir erzählt haben.

Vielleicht mögen Sie heute etwas genauer darauf achten, wie Sie zuhören. Vielleicht halten Sie im Gespräch einen kleinen Moment inne: Was hat der mir jetzt gerade gesagt? Was wollte er mir sagen? Und dann, ehe Sie wieder von sich sprechen, gehen Sie doch einfach mal darauf ein, was der andere gesagt hat! Sie werden merken: Schon verstehen Sie sich viel besser.

Ach ja: Vielen Dank, dass Sie mir jetzt zugehört haben!

Dienstag, 10. Mai 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 10. Mai 2011


Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

in dieser Woche schaue ich mit Ihnen gemeinsam ins Losungsbüchlein der Herrnhuter Brüdergemeine. Für jeden Tag finden wir darin zwei Bibelworte, eines aus dem Alten, eines aus dem Neuen Testament, und dazu noch einen Liedvers, ein Gebet oder ein Zitat.

Heute sind beide Losungsworte Teil eines Gebets. Sie sprechen Gott persönlich an.
Da heißt es:  HERR, du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände Werk (Jesaja 64,7).

Gott als Vater anzureden, ist normal geworden. Gott als Töpfer zu bezeichnen, ist ungewöhnlich.

Was ein Töpfer tut, wie er arbeitet, davon haben wir sicher eine Vorstellung. Vielleicht hat der eine oder die andere ja auch schon mal selber getöpfert: Aus schmierigem Ton werden Gefäße oder Gegenstände geformt, meistens glasiert und immer gebrannt. Das Material, der Ton also, gehorcht den Händen des Töpfers. Im Idealfall entspricht das Ergebnis - die Tasse, der Krug, was auch immer - genau seinen Vorstellungen.
Im Bild gesprochen ist nun Gott der Töpfer und wir Menschen sind der Ton. Er formt uns nach seinen Vorstellungen.

Dieses Bild beeindruckt mich. Gerade, weil ich mich nicht als leicht formbares Material in Gottes Hand fühle, sondern als etwas Eigenständiges, Widerständiges. Ich möchte mich nicht einfach formen lassen, sondern würde am liebsten mit Gott besprechen und verhandeln, was aus mir werden soll.

Das zweite Losungswort, der so genannte Lehrtext, der zu dem ersten ausgewählt wurde, ist uns wohl bekannt: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden (Matthäus 6,10). – Eine Zeile aus dem Vaterunser.

Habe ich das bisher so verstanden wie in dem Bild vom Topfer: Dein Wille geschehe? – Ich möchte von dir Gott so geformt werden, wie du es willst? Nicht selber bestimmen, sondern mich von dir bestimmen lassen?
Das fällt mir schwer. Wenn überhaupt, dann kann ich es nur deshalb, weil ich weiß, dass Gott mein Vater ist, der für mich immer und auf jedem Fall das Allerbeste will.

Montag, 9. Mai 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 9. Mai 2011

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

viele Christen besitzen ein kleines blaues Büchlein, das sie jeden Tag aufschlagen, um ein wenig darin zu lesen. Es ist das Losungsbüchlein der Herrnhuter Brüdergemeine. Seit 283 Jahren gibt es sie, die Herrnhuter Losungen. Damals, nachdem sich auf den Gütern des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf in der Oberlausitz eine christliche Gemeinde aus böhmisch-mährischen Glaubensflüchtlingen und anderen Zugewanderten zusammengefunden hatte, begann der Graf im Mai 1728, an jedem Tag ein Losungswort für die Gemeinde auszugeben, das durch Boten von Haus zu Haus getragen wurde.

Seit 1731 dann erschienen die Losungen für ein ganzes Jahr in Buchform. Das ist bis heute so geblieben.

In dieser Woche möchte ich Ihnen jeweils ein Bibelwort aus dem Losungsbüchlein vorstellen. Denn die Losungen wollen genau das sein, was auch diese Rundfunkandacht ist: ein Zündfunke. Ein Wort, das in uns zündet, etwas in Bewegung setzt.

Heute heißt das Losungswort: Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden (Ps 103,6).

Dass wir Menschen uns nach Gerechtigkeit und Recht sehnen, ist klar. Dass es zu viel Ungerechtigkeit gibt, auch. Vor allem sind wir sehr sensibel dafür, wenn wir selber ungerecht behandelt werden. Dabei ist es gar nicht leicht zu beantworten, was überhaupt gerecht ist und was ungerecht. Ist es gerecht, dass die einen viel mehr haben, als sie zum Leben brauchen, und andere nicht mal das Nötigste? Ist es andererseits gerecht, wenn Menschen fürs Nichtstun fast genau so viel bekommen wie andere für ihre Arbeit? Was ist gerechter Lohn? Was ist gerechte Strafe? …

Für mich ist das Starke und Überraschende an dem Losungswort, dass es heißt: Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht … – Wir Menschen wissen kaum, was wirklich gerecht ist, und es gelingt uns nur schwer, Gerechtigkeit herzustellen. Wie gut zu wissen, dass Gott Gerechtigkeit schafft!

Übrigens ist genau heute der 251. Todestag von Zinzendorf, der Erfinder der Herrnhuter Losungen.

Zündfunken

In dieser Woche bin ich wieder mit den Rundfunkandachten auf Radio Megawelle dran. Sendezeit ist Montag bis Sonntag gegen 8.40 Uhr. Zum Nachlesen veröffentliche ich die Texte auch jeweils um diese Zeit in diesem Blog.

Sonntag, 8. Mai 2011

Predigt vom 8. Mai 2011 (Miserikordias Domini)

Des HERRN Wort geschah zu mir: 
Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 
Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 
Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 
Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 
Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet. 

Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 
So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, 
darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!

So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. 
Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 
Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 
Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes. 
Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 
Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 
Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 

Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Hesekiel (Ezechiel) 34, 1-16. 31



Liebe Gemeinde,

die Hirten, die durch den Propheten, aber von Gott angesprochen werden, das sind keine Pastoren. Obwohl das Wort im Lateinischen und auch im Spanischen dasselbe ist: Pastores – die Hirten. Hier geht's aber um die Politiker. Die Hirten des Volkes, das sind im Sprachgebrauch des Alten Orients die politischen Führer. Und das macht es ausnahmsweise mal angenehm und einfach, sich den Predigttext anzueignen. Statt etwa die Pastoren-Kritik auf mich beziehen zu müssen, kann ich einstimmen in die Politikerschelte.

Das wirft Gott den Politikern vor: Sie weiden sich selber und nicht die Herde. Mit anderen Worten: Sie kümmern sich in erster Linie um ihre eigene Versorgung und die ihrer Angehörigen, sichern sich Stellen, Pfründe und Pensionen, während das Volk dafür zu zahlen hat. Kranke und Schwache, um die sich die Politik kümmern sollte, bleiben auf der Strecke. Und die Starken, die Leistungsträger werden erst recht zur Kasse gebeten. Geistig-moralische Orientierung ist von solchen Politikern nicht zu erwarten. Führung im Sinne von klaren Richtungsvorgaben und nachvollziehbaren Entscheidungen findet nicht statt.

So ungefähr dürfte man die alten Worte in neue Sprache übersetzen. Dann klingen sie sehr aktuell. Es würde sicher auch euch leicht fallen, das Versagen der Politik mit aktuellen Beispielen zu illustrieren. Und weil ihr das selber könnt, brauche ich es nicht zu tun.

Denn welche Politiker sollten es denn sein, auf die wir gerade schimpfen wollen? – Meistens sind es die deutschen. Dabei frage ich mich hier gelegentlich. Müsste ich mir nicht viel mehr um spanische und kanarische Politik Gedanken machen? – Und wenn ich anfange das zu tun, wenn ich mich unterhalte mit Leuten, die hier leben und arbeiten, dann drängt sich mir schnell der Eindruck auf: So schlecht sind wir Deutschen mit unseren Politikern vielleicht gar nicht mal dran.

Und wenn ich erst an manche selbstherrliche Despoten denke, vielleicht gerade an die, gegen die sich jetzt ihr Volk erhebt – Gaddafi, Assad ... – und die nicht davor zurückscheuen ihr Volk, ihre Herde, zusammenzuschießen, dann komme ich doch zu dem Schluss: Manches Schimpfen mag berechtigt sein, aber eigentlich geht's uns noch gut. Auch mit unseren Politikern.

… Mir gehen die Pastoren nicht aus dem Kopf. Sind wir vielleicht doch angesprochen? Sind wir nicht doch in ähnlicher Verantwortung wie Politiker?

Mein Reich ist nicht von dieser Welt, hat Jesus gesagt. Darum sind politische Führung und geistliche Leitung zweierlei Paar Schuhe. Hirten dort, Hirten hier.

Schlimm war in der Geschichte die Vermischung von beiden: Päpste und Bischöfe mit politischer Macht. Auf sie hat oft genug die Beschreibung beim Propheten Ezechiel zugetroffen. Die Reformation war auch ein Protest gegen die politische Macht der Papstkirche.

In der Folge wurde es umgekehrt: Weltliche Fürsten wurden zu Kirchenführern. Der Landesherr bestimmte auch in religiösen Fragen. Das vielzitierte Bündnis von Thron und Altar nahm seinen Lauf.

Inzwischen sind Staat und Kirche wieder getrennt – weitgehend. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Kirche macht keine Politik. Politik mischt sich nicht in Glaubensfragen. So sollte es sein. So ist es nicht wirklich.

Wie auch immer: Auch im geistlichen Bereich, auch im Reich Gottes gibt es Hirt und Herde – Pastoren und ihre Schäfchen. Und die Frage ist berechtigt: Ist die Herde für den Hirten da – also Gemeinde, um den Pastor zu beschäftigen und vor allem zu ernähren – oder ist der Hirte für die Herde da?

Wenn wir von Freunden und Verwandten aus Deutschland gefragt werden, wie es hier so ist, dann erzählen wir gerne, wie gut es uns geht. – Aber eigentlich ist das ja nicht unsere Aufgabe: es uns hier gut gehen zu lassen. Also müssten wir viel eher davon erzählen, wie es euch geht – unseren Schäfchen.

Unser Predigtwort sagt ganz gut, was pastorale Aufgaben sind – Aufgaben eben nicht nur für Politiker, sondern gerade auch für Pfarrer:

  • Schwache stärken. Ich meine im geistlichen Bereich heißt das vor allem Stärkung im Glauben, Stärkung mit dem Wort.
  • Kranke heilen und Verwundete verbinden. Wir sind zwar keine Ärzte, aber wir sind Seelsorger. Und wir können und sollen auch mit unseren Mitteln für Kranke da sein – also mit Gebet und Segen.
  • Verlorene suchen und Verirrte zurückbringen. Das Bild des Guten Hirten ist für mich immer das, wo er sich das verlorene Schäflein auf die Schulter legt und es zurück zur Herde bringt. (In der Kirche meiner Kindheit und Jugend war das so auf einem Glasfenster zu sehen.) Also die, die sich von uns getrennt haben, die nicht so richtig mehr zu uns gehören, suchen und zurückbringen.
  • Starken behüten und fördern. Diese Aussage finde ich besonders wichtig. Nicht nur die Schwachen brauchen einen Pastor, sondern auch die Starken. Wenn ihre Kraft, ihre positive Ausstrahlung den anderen zugute kommen soll, dann muss man sie auch fördern und ihnen Anerkennung geben.

Und bei all diesen Aussagen zum Schafe-Hüten ist mir eines besonders aufgefallen: Schafe hüten heißt nicht, die Herde als ganze, als große graue Masse anzusehen, der man vielleicht nur vornweg laufen muss und sie kommt nach, der man vielleicht nur genug zu Fressen vorsetzen muss und schon werden alle satt. Schafe hüten heißt offensichtlich: Jedes Schaf ist anders. Das eine ist schwach, das andere ist stark. Das eine ist verletzt, das andere gesund. Das eine ist schwarz, das andere weiß. Das eine trabt immer brav mit der Herde mit, das andere geht lieber eigene Wege. Und so braucht jedes einzelne Schaf seine besondere Aufmerksamkeit.

Ich glaube, ich habe hier für mich ganz schön viel durchzubuchstabieren, wenn ich ein einigermaßen guter Hirte, ein guter Pastor sein will.

Mit den guten Hirten war das immer so eine Sache. Gute Politiker und gute Pastoren sind rar. Das muss man wissen. Schon daran, dass so ein Prophetenwort zu jeder Zeit aktuell klingt, schon daran merken wir es: Die schlechten Hirten sind der Normalfall.

Oft genug haben wir die Nase voll von schlechten Hirten. In unserem Predigtwort, diesem Prophetenwort Ezechiels, da sagt Gott: Ich habe die Nase voll von euren schlechten Hirten, von euch schlechten Hirten! Darum, sagt er, will ich, ich selber, euer Hirte sein: Was sie nicht auf die Reihe bringen, das will ich tun: Verlorene suchen, Verirrte zurückbringen, Verwundete verbinden, Schwache stärken, starke behüten – ich will sie hüten, wie es gut ist
.
Menschen, die Gott vertraut haben, haben zu allen Zeiten ihre Hoffnung nicht auf Politiker gesetzt, sondern auf Gott. Sie haben ihren Glauben nicht von Pastoren abhängig gemacht, sondern sich Gott anvertraut: Der Herr ist mein Hirte. Gott selber.

Und: Der Herr ist mein Hirte. Er weiß, wie ich bin, was ich brauche, was mir gut tut.
Er enttäuscht mein Vertrauen nicht.

Jesus Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.

Montag, 2. Mai 2011

Predigt am 1. Mai 2011 (Quasimodogeniti)

Jesus offenbarte sich abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: "Ich will fischen gehen." Sie sprechen zu ihm: '"So wollen wir mit dir gehen." Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: "Kinder, habt ihr nichts zu essen?" Sie antworteten ihm: "Nein." Er aber sprach zu ihnen: "Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden." Da warfen sie das netz aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: "Es ist der Herr!" Als Simon Petrus hörte, dass es der Her war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: "Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!" Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen. "Kommt und haltet das Mahl!" Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: "Wer bist du?" Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
Johannes 21, 1-14


Liebe Gemeinde,

heute ist der 1. Mai, Tag der Arbeit. Und passend dazu, treffen wir die Jünger Jesu eine Woche nach Ostern bei der Arbeit an.

Ich will fischen gehen. – Eine gute Idee, vor allem wenn man Fischer ist, so wie Simon Petrus. Wir kommen mit, sagen die andern, und es ist auch eine gute Idee, denn die meisten von ihnen sind auch Fischer. Sie gehen zusammen auf Arbeit – alles ganz normal.

Ja, denn die Normalität zieht wieder ein nach aufregenden Tagen, nach aufregenden Jahren. Die Fischer gehen wieder fischen. Zuvor sind sie drei Jahre mit Jesus umhergezogen, haben ihm zugehört und zugesehen und vielleicht auch ihm zugearbeitet. Aber dann in Jerusalem eskalierte die Geschichte. Jesus wurde verhaftet, verhört, verurteilt in einem Schnellverfahren, von den Römern gekreuzigt und von einem Freund begraben. Dann war sein Grab plötzlich leer, und er selber war wieder da, bei ihnen. Aber nur kurz. Zeigte sich, sprach mit ihnen und verschwand wieder.

Der Tod war nicht endgültig, das war tröstlich. Ja, das war großartig! Und doch – oder gerade deshalb? – war es nicht mehr wie zuvor. War er nicht mehr wie zuvor. Sie kamen sich alleingelassen vor, seine Freunde, seine Jünger, wie verwaist.

Ich will fischen gehen. – Wir kommen mit. Damit kehren sie zurück in die Normalität. Um drei Jahre reicher an Erfahrung, an Wissen und Ahnung über Gottes Reich, geprägt von der Gegenwart des Herrn. Aber es ist wie das Erwachen aus einem schönen Traum. Vielleicht können sie von dem Traum etwas mitnehmen in die Normalität. Vielleicht.

Fischefangen. Die Normalität ist mühevoll. Die Arbeit erfolglos. Die ganze Nacht werfen sie da und dort die Netze aus. Sie bleiben leer. Jedenfalls ist nichts Nennenswertes drin. Vielleicht ist es Pech. Vielleicht fehlen ihnen auch drei Jahre an Erfahrung und Übung im Fischen.

Müde und enttäuscht kehren sie zum Ufer zurück. Da steht einer. Und wie zum Hohn fragt er: Kinder, Habt ihr nichts zu essen? Nein. Kürzer kann man nicht antworten: Nein. – Nein, wir haben nichts zu essen. Nein, wir haben nichts gefangen. Nein, wir können dir nichts geben. – Im griechischen Text kommt die Einsilbigkeit und Dumpfheit ihrer Antwort noch besser heraus. Nein heißt einfach ou. – Ou – das war's.

Das wär's gewesen, wenn der Fremde nicht in Wahrheit ein guter Bekannter gewesen wäre: Jesus. Auch wenn sie ihn nicht erkennen, sie hören auf ihn und gehorchen ihm. Es ist eben die Stimme ihres Herrn, auch wenn das im Moment nur ihr Unterbewusstsein weiß: Fahrt noch mal raus! Werft noch mal die Netze aus! Und zwar auf der rechten Seite; so wird‘s klappen.

Warum eigentlich sollte es so besser gehen? Warum eigentlich sollten sie dieser Aufforderung folgen? – Nur aus einem Grund: Weil Jesus es ihnen sagt. Es ist der Herr.

Und genau diesen Satz spricht dann einer von ihnen aus, als sie die vielen Fische nicht ins Boot ziehen können: Es ist der Herr. – Der Lieblingsjünger ist es, der das sagt. Der Jesus von allen am nächsten stand.

Und während er noch staunt und zum Ufer schaut, zu Jesus, dem Herrn, ist der andere, der immer vorneweg war, auch hier schon wieder ihm voraus: Durchs Wasser watet er zum Ufer, zu Jesus. Die anderen bringen das Boot und die Fische.

Und dann stehen sie und staunen und wissen nicht, was sie sagen sollen. Na los, bringt die Fische an Land, sagt Jesus, und sie tun es. Obwohl inzwischen Fische da sind, schon gebraten auf dem Feuer, und Brot dazu. Sie kommen eigentlich zu spät mit ihrem Fang. 153 große Fische, der Fang ihres Lebens, aber das, was sie jetzt brauchen, sind die wenigen Fische auf dem Feuer, das Brot und ihr Herr, der sie einlädt: Kommt und haltet das Mahl!

Während sie immer noch nicht wissen, was sie sagen sollen, wie sie mit ihm reden sollen, gibt er ihnen Brot und Fisch, und sie essen, und sie sind zusammen. Es ist eine merkwürdige Distanz zwischen ihnen und Jesus. – Aber wie sollen sie auch normal umgehen mit einem, der aus dem Tod zurückgekehrt ist. Der, obwohl derselbe, doch ein ganz anderer ist als zuvor. Wie sollen sie anders mit ihm umgehen, als auf ihn zu hören und mit ihm das Mahl zu feiern?

Und dieses Mahlzeit ist es dann auch, die dann ein entscheidendes Gespräch eröffnet. Da ist noch etwas zu klären: Sie hatten ihn alleingelassen, als er verhaftet, verurteilt, getötet wurde. Und Petrus hatte behauptet, ihn gar nicht zu kennen. Jetzt macht Jesus mit ihm, mit ihnen allen einen neuen Anfang.

Wenn ich das richtig verstanden habe, sind sie danach nie wieder fischen gegangen. Sie sind nie wieder in ihr altes Leben zurückgekehrt. Sie waren wieder das, was sie schon die letzten Jahre mit Jesus gewesen sind: Seine Jünger, seine Apostel. In die Welt gesandt, um sein Wort zu sagen und sein Mahl zu teilen. Menschenfischer.


Ich mag diese Geschichte. Vielleicht schon allein wegen dieses starken Bildes: ein Feuer mit Fisch und Brot im Morgengrauen am Seeufer. Und Jesus ist da.

Mein Platz in dieser Geschichte wäre wahrscheinlich der von einem der ungenannten Jünger. Ich erlebe es mit, aber nicht in der Hauptrolle. Ich bin nicht so mutig und auch nicht so feige wie Petrus. Ich bin auch nicht des Herrn Lieblingsjünger, ich hätte ihn bestimmt nicht gleich erkannt.

Aber wenn mir einer gesagt hätte: Es ist der Herr, dann wohl sicherlich. Ich hätte mit gestaunt über das Wunder. Ich wäre mit ans Feuer getreten, hätte kein Wort gesagt, aber ich hätte Brot und Fisch aus der Hand des Herrn genommen und mit ihm, mit den andern allen gegessen.


Was Auferstehung bedeutet, was es heißt, dass Jesus lebt, wie er auch uns mitten in unserem Leben, in der Normalität, der Arbeit, dem Alltag begegnet, das ist nichts, was ich euch wissenschaftlich auseinandersetzen kann, theologisch erklären. Es ist eine Erfahrung.

Für manche ist diese Erfahrung so ähnlich wie das, was diese sieben Jünger am See Tiberias erleben: Mitten in der Normalität von Arbeit, Misserfolg, ungeklärten Fragen und nagenden Zweifeln ist der Auferstandene plötzlich da. Sein Wort ist da und weist uns einen Weg. Weggefährten sind da. Und Wegzehrung ist da: Brot und Fisch, Brot und Wein. Er selbst ist da, der Gastgeber. Der uns annimmt, der mit uns noch etwas vorhat.

Und drüben über dem See geht die Sonne auf.